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review-corner, 1.6k

Raul Zelik:

»Friß und Stirb trotzdem
Roman zu einem Leben auf der Flucht«

Edition Nautilus, 1997

, 0.0k

Der Fall Kaindl brachte die Linke eher tief als hoch und Teile der AngreiferInnen in die Illegalität.

Als im April 1992 eine Gruppe Antifas Nazikader in einem Chinarestaurant angreift, um sie aus ihrem Kiez zu vertreiben, kommt einer der „Restaurantbesucher“ zu Tode. Keine alltägliche Sache, denn schließlich kommen damals wie heute selten Nazis bei Überfällen ums Leben. Mal abgesehen davon, daß die Nazis sich heute gegenseitig umbringen. Keine alltägliche Situation auch, weil es nicht irgendwelche Antifas waren sondern MigrantInnen, die sich auf Grund ihrer Lage im Deutschland der massenorganisierten Pogrome zusammengeschlossen hatten, um sich gegen diese wehren zu können.
Fast eineinhalb Jahre später konnten Polizei und Staatsschutz durch Aussagen, die von einigen Beteiligten der Aktion gemacht wurden, „durchgreifen“. Nicht etwa, daß sie völlig im Dunkeln tappten, hatten sie doch während dieser Zeit schon Spitzel auf ihre mutmaßlichen TäterInnen, die sie als „extremistische Ausländer“ bezeichneten, angesetzt. Die Kriminalisierung und Ausgrenzung der MigrantInnen fiel den deutschen Behörden und BürgerInnen nicht schwer, da die MigrantInnen immer schon einer doppelten Stigmatisierung, nämlich AusländerInnen und dazu noch AntifaschistInnen zu sein, ausgesetzt waren. Der Weg zu „extremistischen AusländerInnen“ ist, da eh schon durch Presse, PolitikerInnen und Normalos vorgegeben, nicht schwer. Die deutsche Linke reagierte auf die Vorfälle im Chinarestaurant mit Ohnmacht und Hilflosigkeit.
buchcover, 11.9k Den Antifas und Solidaritätsgruppen war es nicht möglich, das Konzept der MigrantInnengruppe, sich gegen die herrschenden Zustände in diesem Land zusammenzuschließen, um aktiv dagegen halten zu können, offensiv zu verteidigen. Weder war von einer uneingeschränkten Legitimation des Zusammenschlußes die Rede noch wurde sich mit der Notwendigkeit auseinandergesetzt die die MigrantInnen zu ihrer Entscheidung geführt hat. Daß ein Mann namens Kaindl dabei zu Tode gekommen ist und über die moralischen Aspekte dieses Todes, daß ein Mensch bei antifaschistischen Aktionen um sein Leben kommt, diskutiert wurde, ist richtig. Jedoch auch hierbei, und bei den Diskussionen um die vermeintlichen „Verräter“, wurde die Antifa Gençlik(1) weitestgehend ausgeblendet.
Einige Antifas wurden verhaftet und eingesperrt, andere stellten sich der Polizei und landeten ebenfalls im Knast. Einigen jedoch gelang es, da sie sich, als die Tür ihrer Wohnung „eingetreten“ wurde, nicht in derselbigen befanden, unterzutauchen. Ausschlaggebend für einen Entzug war sicherlich, daß niemand genau sagen konnte, wie die Anklageschrift lautete – und auf „Mord“ steht lebenslänglich. Daß dieser Angriff „hinterhältig geplant“ und somit nur „Mord“ gewesen sein kann, suggerierten die Medien auf die herkömmlich bekannte Weise. Und dementsprechend war auch die Stimmung in der Bevölkerung, von der man sich dann wenig Solidarität erhoffen konnte. Auch hier schlugen wieder die üblichen Denkmuster der deutschen Bevölkerung im Blick auf die „TäterInnen“ zu. Selbst die Linke konnte oder wollte sich diesem Vorwurf nicht stellen. In dieser Situation gab es nur zwei Möglichkeiten: Haft für eine lange, unbestimmte Zeit oder Exil.
Der Autor von „Friß und Stirb trotzdem“, nahm seiner Figur diese Entscheidung mehr oder weniger aus der Hand. Eine Freundin, die von der Verhaftungswelle weiß, sieht ihn durch Zufall auf einer Straße entlanglaufen und reagiert sofort. Sie setzt ihn in ein Taxi und binnen von Sekunden verändert sich sein gesamtes Leben. Nun ist er auf der Flucht vor Polizei, BürgerInnen und Staatsschutz. Keine Perspektive, keine FreundInnen, keine Antifa, keine Parties, kein normaler Spaziergang. Das Buch beschreibt einfach und emotional was in einem Kopf vorgeht, der sich weder völlig von der einen Welt trennen noch in der anderen zurechtfinden kann. Spannend sind die Szenen, in der die Fäden von Staatschutz, auf der Suche nach ihm und seinen FreundInnen, die ihm helfen, so gut das in solch einer Situation möglich ist und bleibt, zusammenlaufen. Dabei ist es nicht immer leicht, den realen Bezug – es ist schließlich kein Spiel – nicht zu vergessen. Ein ungutes Gefühl bleibt zurück, da sich solch eine Situation schlecht übertragen läßt.
Ganz klar muß ein Unterschied von Flucht und einem Leben im Untergrund gemacht werden. Hier stellt sich die Frage nach einer Perspektive, die solch ein „Unternehmen“, ob gewollt oder ungewollt, hätte. Denn die „Insel“ von der mancheR träumt, gibt es nicht. Nehmen wir mal an, es gäbe die „Insel“ doch, so ist die Möglichkeit, diese zu erreichen, bevor die Polizei dich erreicht, gleich null. (Für die gewollten „InselträumerInnen“ nochmals der Hinweis: alles wird gut, nichts wird besser.) Außerdem wäre die Forderung nach Hilfe in solch einem Fall schwierig bis gar nicht zu lösen.
Auf jeden Fall ist es keine vergeudete Zeit, sich mit der Problematik der Aktion im Restaurant auseinanderzusetzten. Zu hinterfragen wären z.B. die Fehler, die es auf Seiten der Solidaritätsgruppen und der MigrantInnen gab, welche Konzepte für Antifaaktionen beansprucht werden können, was dabei für Grenzen gesetzt werden müssen und die Einstellung gegenüber Aussagen bei Polizei und Staatsschutz.
Dieses Buch gibt dazu Anregung. Jedoch ist es keine Diskussionsgrundlage zur Aufarbeitung dieser schwierigen Zeit für die damalige deutsche Linke. j.space

(1)Antifa Gençlik – so nannte sich die selbstorganisierte MigrantInnengruppe.


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last modified: 28.3.2007