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Von der Sprache zur Attacke
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Feridun Zaimoglu, der sich selbst als
Abiturtürke bezeichnet und damit seine Integration in die
deutsche Gesellschaft und seinen sozialen Status beschreibt, hat sich an den
Rand der Gesellschaft begeben. Er befragte 24 Türken der
sogenannten 2. und 3. Generation nach ihrem Leben in der BRD allesamt
sozial deklassierte, die als Rapper, Stricher, Zuhälter, Händler,
Hilfsarbeiter tätig sind, verrückt, transsexuell, intellektuell,
kleinkriminell, drogenabhängig, revolutionär, fundamentalistisch oder
arbeitslos. Sie alle eint der Haß auf Deutschland und auf die Deutschen.
Seine Strategie ein bewährtes Importprodukt aus den USA ist,
das als Schimpfwort gedachte Kanake aus dem eigentlichen
Bedeutungszusammenhang zu ent- und als positive Selbstbezeichnung zu verwenden.
Der mit dem Wort Kanake verbundenen Fremdzuschreibungen will er
eine eigene nämlich die Selbstbeschreibung der Befragten
entgegensetzen. Er will denen, die bislang nur der deutschen
MigrantInnenforschung und Multi-Kulti-Szene ein Objekt waren, eine Stimme
geben, sie somit in der öffentlichen Wahrnehmung zu Subjekten machen und
aufzeigen, daß sie nicht auf die Opferrolle festgelegt sein möchten
wozu zwei Bedingungen gehören: Erstens die Änderung der
gesellschaftlichen Umstände in diesem Land, die sie zu Opfern
machen und zweitens das Begreifen, daß trotz dieser Umstände ihr
Leben mehr ausmacht, als nur Opfer zu sein, und Widerstand
möglich ist.
Ein Manko des Buches, daß Zaimoglu nur Männer (3) interviewt hat, ist inzwischen behoben. Seine Bemerkungen im Vorwort, warum er sich darauf beschränkte (Am öffentlichen Leben in den Szenen der Kanaken-Ghettos nimmt hauptsächlich der Mann teil, der Frau dagegen wird bedeutet, sie habe sich aus der männlichen Welt herauszuhalten. Sie steht unter Hausarrrest, von der Außenwelt abgeschnitten und für jeden Fremden, somit auch für mich, unerreichbar., S. 15), stieß auf heftige Kritik von Seiten türkischer Frauen, die ihn mit Kritik bzw. gleich mit selbst aufgeschriebenen Geschichten überhäuften. Diese trug er drei Jahre später in einem neuen Buch zusammen.(4) Daß die Frauen für ihn unerreichbar waren, war insofern nur eine billige Ausrede als daß in dem neuen Buch z.B. seine eigene Schwester zu Wort kommt. Kanak Sprak läßt sich somit nicht nur als antideutsches Underground-Buch lesen, sondern auch als sexistisches Machwerk, so daß sogar der Beitrag des Islamisten Yücel als nicht-ganz-so-schlimm herausragt. Die einzelnen Beiträge fand ich langweilig, schon das Entziffern der Kunstsprache ermüdet. Hinter den coolen Floskeln versteckt sich nur wenig interessanter Inhalt, der sich dann auch noch oft wiederholt. Die klaren Statements (Der deutsche malocher is ne pogromsau, tottreten is für die hier oberster volkssport., S. 86) sind rar gesät. Ansonsten bewegen sich die Beschreibungen der Deutschen (...und wenn die dich zum frühstück einladen, sagen sie dir, du sollst bitteschön brötchen mitbringen und vielleicht auch noch kaffeesahne. Da bis du also nur zum drittel oder viertel willkommen, wenn du mit leeren händen antanzt., S. 22) auf einer Ebene, wo alle deutschen LeserInnen sich sagen können: Ja, so sind die Deutschen (und mich kotzt das auch an, aber ich bin ja anders). Und der Ich bin eine stolzer Türke-Gestus, so ambivalent wie er in diesem Kontext auch sein mag, befremdet eher (Ne zornige macht von straighten türkenseelen is wie tausend rechte haken ins bleiche wabbelfleisch des deutschen oberteufels. S. 86).
Auch die weiteren Bücher von Zaimoglu wurden ein Erfolg: Kanak Sprak erlang am Theater Reputation, das Nachfolgeprojekt Abschaum (8), in dem ein türkischer Drogendealer im gleichen Stil seine Geschichte erzählt, wurde sogar verfilmt und erhielt den Civis-Filmpreis, weil er so die offizielle Begründung das gegenseitige Verständnis und Zusammenleben zwischen Deutschen, Ausländern und kulturellen Minderheiten in Deutschland fördert (Die Zeit, 5.12.1997). Da wird er sich aber gefreut haben... Einige haben ihn aber auch richtig verstanden. Angeregt durch seine Bücher, entstand Ende 1998 ein loser, bundesweiter Zusammenhang von Aktionsgruppen, die sich Kanak Attak nennen. Ihr Manifest, welches auch in diesem Heft veröffentlicht wurde (9), bringt es auf den Punkt: Kanak Attak fragt nicht nach dem Paß oder nach der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach dem Paß und der Herkunft. Ausgehend davon führen sie Veranstaltungen in verschiedenen Städten durch, die sich im Spannungsfeld von Popkultur, Theorie und Agit-Prop bewegen. Am 12.4.2000 sollte eine solche auch im Conne Island stattfinden. Die Umsetzung scheiterte jetzt jedoch leider an Abstimmungsproblemen und der Einschätzung, daß es in Leipzig am Publikum für eine solche Veranstaltung mangele, um sie auch finanzieren zu können. Es bleibt zu hoffen, daß es demnächst doch mal klappt und sie uns mit ihrer geplanten KanakHistoryRevue in Leipzig beehren. So long: http://www.matrosen.de/ka. Sandro |
Fußnoten: (1) Das Buch selbst liest sich dann als Gegenentwurf zu dem ethnologischen Blick, den die Deutschen sonst mal biologistisch-rassistisch, mal humanistisch verbrämt auf andere Völker werfen. Und das hat schon seinen Reiz, und wenn er darin besteht, den eigenen Blick entlarvt zu sehen, wenn mensch liest, was die anderen über deutsche Hunde, Hippies, Partys, deutschen Sex und Geiz zu sagen wissen. (2) Hier spiegelt sich seine eigene Biographie: Zaimoglu lernte als Gastarbeiter-Kind erst bayerisch, später hochdeutsch und begleitete an der Universität den Posten des Ausländerreferenten (SZ 19.6.1999). Jetzt ist er Maler, Schriftsteller und Herausgeber einer Literaturzeitschrift. (3) Hier in Anführungsstrichen, weil sich diese Kategorisierung im Buch selbst ad absurdum führt, da mit Azize eine Transsexuelle vorkommt, die sich gerade auf dem Weg vom Mann zur Frau befindet. (4) Feridun Zaimoglu: Koppstoff. Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft, Rotbuch-Verlag: 1998 (5) Im taz-Interview Ich bin Kanaka! Ich bin Happy-Kanaka! sagt Çagil, eine der Frauen aus dem Buch Koppstoff auf die Frage Neuer Groove, Sex, Freude - seid ihr das?: ...das ist besser als das problemzentrierte Gespräch an der Uni, wo man so einen Kopf bekommt und das Gefühl hat, daß man nichts bewegt hat. Ich habe mehr erreicht, wenn ich auf einer Fete getanzt habe, da habe ich mich wenigstens gefreut. (6) Im Interview mit der taz (19.9.1998) auf die Frage, was Kanaken sind: Das hat weder mit dem Alter noch mit der Nationalität zu tun, sondern mit einer andersartigen Denkweise. Wenn ich sage, ich bin Kanake, dann bin ich einfach anders. Daß in seinem Buch die Identitätsfalle nicht aufgebrochen wird, begründet er indirekt damit, daß die Barrieren noch zu groß sind: Die deutschen Punker würden zu sehr stinken und die Hunde... so wird das nichts mit dem gemeinsamen Kampf! (7) Zaimoglu im Interview mit LinX 6/99: Was ich mit meiner Arbeit, die ich als Öffentlichkeitsarbeit bezeichne, erreichen will (...): 1. Die Wehrhaftigkeit der hier lebenden Minderheiten stärken 2. die deutschstämmigen Brothers und Sisters für diese Sache zu gewinnen 3. die kulturelle Hegemonie zurückzugewinnen und sie nicht denen von neuer Mitte bis ganz rechts zu überlassen. Du kannst auf die Attacken der Mehrheitsgesellschaft nicht mit vertränten Schmonzetten reagieren. Meine Sache ist die Nische nicht, meine Sache ist die offensive Gegenattacke. (8) Feridun Zaimoglu: Abschaum. Die wahre Geschichte von Ertan Ongun, Rotbuch-Verlag: 1997 (9) CEE IEH Newsflyer #53, März 1999 |
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