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review-corner, 2.7k

Von der Sprache zur Attacke

Wie eine identitätsstiftende Sprache – im Buch Kanak Sprak von Feridun Zaimoglu – zu identitätssprengenden Attacken – der Aktionsgruppen von Kanak Attak – führte.
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Buchtitel, 26.0k

Feridun Zaimoglu:

Kanak Sprak.

24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Rotbuch-Verlag: 1995, ISBN 3-88022-478-1, 142 S., 29,80 DM

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Feridun Zaimoglu, der sich selbst als „Abiturtürke“ bezeichnet und damit seine Integration in die deutsche Gesellschaft und seinen sozialen Status beschreibt, hat sich an den „Rand der Gesellschaft“ begeben. Er befragte 24 Türken der sogenannten 2. und 3. Generation nach ihrem Leben in der BRD – allesamt sozial deklassierte, die als Rapper, Stricher, Zuhälter, Händler, Hilfsarbeiter tätig sind, verrückt, transsexuell, intellektuell, kleinkriminell, drogenabhängig, revolutionär, fundamentalistisch oder arbeitslos. Sie alle eint der Haß auf Deutschland und auf die Deutschen. Seine Strategie – ein bewährtes Importprodukt aus den USA – ist, das als Schimpfwort gedachte „Kanake“ aus dem eigentlichen Bedeutungszusammenhang zu ent- und als positive Selbstbezeichnung zu verwenden. Der mit dem Wort „Kanake“ verbundenen Fremdzuschreibungen will er eine eigene – nämlich die Selbstbeschreibung der Befragten – entgegensetzen. Er will denen, die bislang nur der deutschen MigrantInnenforschung und Multi-Kulti-Szene ein Objekt waren, eine Stimme geben, sie somit in der öffentlichen Wahrnehmung zu Subjekten machen und aufzeigen, daß sie nicht auf die Opferrolle festgelegt sein möchten – wozu zwei Bedingungen gehören: Erstens die Änderung der gesellschaftlichen Umstände in diesem Land, die sie zu „Opfern“ machen und zweitens das Begreifen, daß trotz dieser Umstände ihr Leben mehr ausmacht, als nur „Opfer“ zu sein, und Widerstand möglich ist.
Um dieser Konstruktion mehr Authentizität und Festigkeit zu verleihen, kreiert Zaimoglu eine eigene Sprache: Kanak Sprak genannt, eine „Mischung aus heimatlichen Dialekten und Straßendeutsch“, wie uns der Klappentext weißmachen will. Vielmehr war es jedoch so, daß der Autor die Gespräche nur als Rohmaterial für sein Buch verstanden hat und ausgiebig an Inhalt und Form gefeilt: Die einzelnen Texte sind in der Regel nicht länger als vier Seiten und die Sprache – Vulgärslang, Sätze ohne Anfang und Ende, abgehackte Textfetzen, poetische Umschreibungen – gleicht sich bei allen: Der Stricher spricht wie der Soziologe, der Zuhälter wie die Transsexuelle. D.h. Zaimoglu homogenisiert schon bei der Übersetzung der Gespräche und begründet dies im Vorwort sehr paternalistisch damit, daß der „symbolische Jargon“ als „blumige Orientalsprache mißverstanden wird. Dieser Folklore-Falle mußte meine Nachdichtung entgehen.“ (S. 14) Und so läßt er sich selbst immer nur als Bruder anreden und nie als „mein Auge“ oder „mein Augenlicht“ – Worte, die die Befragten aber verwendeten.
Daß es ihm nicht darum ging, nicht in die Folklore-Falle zu tappen, sondern vielmehr mit einer „coolen Sprache“ einen Bucherfolg zu landen, beweist sein sehr akademisches Vorwort – welches im krassen Widerspruch zum restlichen Buch steht –, in dem er die Folklore auf die Spitze treibt, in dem er sich seitenweise über Kanak Sprak und deren Sprecher ausläßt: „Die reiche Gebärdensprache des Kanaken geht dabei von einer Grundpose aus, der sogenannten ‘Ankerstellung’: Die weit ausholenden Arme, das geerdete linke Standbein und das mit der Schuhspitze scharrende rechte Spielbein bedeuten dem Gegenüber, daß der Kanake in diesem Augenblick auf eine rege Unterhaltung großen Wert legt. Ballt der Kanake beispielsweise die rechte Faust, um sie blitzschnell zu öffnen und die Hand zu fächern, will er seine Mißbilligung oder seine Enttäuschung zum Ausdruck bringen. Streicht er sich mit einem angefeuchtetem Zeigefinger über seine Augenbraue...“ (S. 13) usw. usf. Solche Sätze finden sich sonst nur noch in ethnologischen Forschungsberichten (1) aus dem Anfang des Jahrhunderts oder billigen Reiseführern für exotische Länder aus den 50er Jahren wieder.
Ausriss aus dem Buch, 27.5k


Sie alle eint der Sexismus. (Ausriß aus dem Buch, S. 43f.)

Diese Erläuterung im Vorwort, die Auswahl der Befragten – die türkisches Leben in der BRD nicht repräsentieren, selbst nicht in dem Sinne, daß er nur Türken befragen wollte, die nicht assimiliert sind, eine „gesellschaftliche Sprengkraft besitzen“ und „sozial unverträglich“ (S. 18) sind – und die Schaffung der Kunstsprache Kanak Sprak führen dazu, daß er genau die Rezeption in der deutschen Öffentlichkeit bedient, die er in seinem Vorwort kritisiert: „Der Kanake taugt in diesem Fall als schillerndes Mitglied im großen Zoo der Ethnien, darf teilnehmend beobachtet und bestaunt werden. ‘Türkensprecher’ (2) gestalten bunte Begleitprospekte für den Gang durch den Multikulti-Zoo, wo das Kebab-Gehege neben dem Anden-Musikpavillon plaziert wird.“ (S. 11)
Ein Manko des Buches, daß Zaimoglu nur „Männer“ (3) interviewt hat, ist inzwischen behoben. Seine Bemerkungen im Vorwort, warum er sich darauf beschränkte („Am öffentlichen Leben in den Szenen der Kanaken-Ghettos nimmt hauptsächlich der Mann teil, der Frau dagegen wird bedeutet, sie habe sich aus der männlichen Welt herauszuhalten. Sie steht unter Hausarrrest, von der Außenwelt abgeschnitten und für jeden Fremden, somit auch für mich, unerreichbar.“, S. 15), stieß auf heftige Kritik von Seiten türkischer Frauen, die ihn mit Kritik bzw. gleich mit selbst aufgeschriebenen Geschichten überhäuften. Diese trug er drei Jahre später in einem neuen Buch zusammen.(4) Daß die Frauen für ihn unerreichbar waren, war insofern nur eine billige Ausrede als daß in dem neuen Buch z.B. seine eigene Schwester zu Wort kommt. Kanak Sprak läßt sich somit nicht nur als antideutsches Underground-Buch lesen, sondern auch als sexistisches Machwerk, so daß sogar der Beitrag des Islamisten Yücel als nicht-ganz-so-schlimm herausragt.
Die einzelnen Beiträge fand ich langweilig, schon das Entziffern der Kunstsprache ermüdet. Hinter den coolen Floskeln versteckt sich nur wenig interessanter Inhalt, der sich dann auch noch oft wiederholt. Die klaren Statements („Der deutsche malocher is ne pogromsau, tottreten is für die hier oberster volkssport.“, S. 86) sind rar gesät. Ansonsten bewegen sich die Beschreibungen der Deutschen („...und wenn die dich zum frühstück einladen, sagen sie dir, du sollst bitteschön brötchen mitbringen und vielleicht auch noch kaffeesahne. Da bis du also nur zum drittel oder viertel willkommen, wenn du mit leeren händen antanzt.“, S. 22) auf einer Ebene, wo alle deutschen LeserInnen sich sagen können: Ja, so sind die Deutschen (und mich kotzt das auch an, aber ich bin ja anders). Und der „Ich bin eine stolzer Türke-Gestus“, so ambivalent wie er in diesem Kontext auch sein mag, befremdet eher („Ne zornige macht von straighten türkenseelen is wie tausend rechte haken ins bleiche wabbelfleisch des deutschen oberteufels.“ S. 86).
Ausriss aus der LVZ, 36.9k


Propagandistische Vorbereitung auf die neuen Kanaken – Computerprofis aus Indien. (LVZ 16.03.2000)

Das Buch schlug ein. In der türkischen Community, deren Mitglieder sich im Buch wiederfanden, sowieso. Dort setzte es einige Prozesse in Gang, von denen weiter unten noch die Rede sein wird. Im gesamten deutschen Feuilleton wurde es positiv besprochen und mißverstanden, woran das Buch – wie schon oben dargelegt – seinen Anteil hatte. Die einen reihen es in die Multi-Kulti-Literatur ein, die sie ja prinzipiell gut finden; erfreuen sich an der exotischen Sprache und dem radikalen Gestus, den antideutschen Sticheleien, denn sie würden ja auch lieber nach Spanien (nein, nicht in die Türkei!) auswandern. Die anderen dagegen beklatschen den „multikulturellen Tabubruch“: Wenn die Türken sich jetzt schon selbst als Kanaken bezeichnen und als kriminell beschreiben, also – wie die Deutschen ja auch – nicht nur Gutmenschen sind... Da kann mensch sich herrlich über die deutschen Gutmenschen lustig machen, die genau aus der Multi-Kulti-Ecke kommen und zu den Zaimoglu-Lesungen gehen: „Das Publikum, anfangs wohlwollend applaudierend, schweigt verstört. Kirchentagsdelegierte, Mittelscheitelstudenten, Multi-Kulti-Vollbartlehrer, Vegetarier, Kurzhaarfrauen mit einem Palästinensertuch vor der Brust: asketisch, sinnfeindlich, deutsch.“ ruft Joachim Lottmann in DIE ZEIT seine Feindbildliste komplett ab (14.11.1997). Wieder andere finden es chic, mit den Identitäten zu spielen, genauso wie es Transsexuelle und Gender-Debatten ins Feuilleton geschafft haben, weil es dann so schön leicht ist, über Realpolitik, Herrschaftsverhältnisse, Diskriminierung und Ökonomie nicht reden zu müssen. (5) Da ist dann die Rede von multiplen Persönlichkeiten und der Bereicherung, die diese darstellen. Da, wo Zaimoglu jedoch betont, daß er den ganzen Identitätsmist (6) ablehnt und sein politisches Konzept erläutert (7), strafen ihn die deutschen Presseorgane mit Ignoranz bzw. werfen ihm Verbalradikalismus vor. Die Zuschreibungen reichen von der harmlosen „Wortgewalt“ bis hin zur „militanten Geste“ und „Molotow-Cocktails“.
Auch die weiteren Bücher von Zaimoglu wurden ein Erfolg: Kanak Sprak erlang am Theater Reputation, das Nachfolgeprojekt „Abschaum“ (8), in dem ein türkischer Drogendealer im gleichen Stil seine Geschichte erzählt, wurde sogar verfilmt und erhielt den Civis-Filmpreis, weil er – so die offizielle Begründung – „das gegenseitige Verständnis und Zusammenleben zwischen Deutschen, Ausländern und kulturellen Minderheiten in Deutschland“ fördert (Die Zeit, 5.12.1997). Da wird er sich aber gefreut haben...

Einige haben ihn aber auch richtig verstanden. Angeregt durch seine Bücher, entstand Ende 1998 ein loser, bundesweiter Zusammenhang von Aktionsgruppen, die sich Kanak Attak nennen. Ihr Manifest, welches auch in diesem Heft veröffentlicht wurde (9), bringt es auf den Punkt: „Kanak Attak fragt nicht nach dem Paß oder nach der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach dem Paß und der Herkunft.“ Ausgehend davon führen sie Veranstaltungen in verschiedenen Städten durch, die sich im Spannungsfeld von Popkultur, Theorie und Agit-Prop bewegen. Am 12.4.2000 sollte eine solche auch im Conne Island stattfinden. Die Umsetzung scheiterte jetzt jedoch leider an Abstimmungsproblemen und der Einschätzung, daß es in Leipzig am Publikum für eine solche Veranstaltung mangele, um sie auch finanzieren zu können. Es bleibt zu hoffen, daß es demnächst doch mal klappt und sie uns mit ihrer geplanten KanakHistoryRevue in Leipzig beehren. So long: http://www.matrosen.de/ka.
Logo von Kanak Attak, 0.9k Sandro


Fußnoten:
(1) Das Buch selbst liest sich dann als Gegenentwurf zu dem ethnologischen Blick, den die Deutschen sonst – mal biologistisch-rassistisch, mal humanistisch verbrämt – auf andere „Völker“ werfen. Und das hat schon seinen Reiz, und wenn er darin besteht, den eigenen Blick entlarvt zu sehen, wenn mensch liest, was die anderen über deutsche Hunde, Hippies, Partys, deutschen Sex und Geiz zu sagen wissen.
(2) Hier spiegelt sich seine eigene Biographie: Zaimoglu lernte als Gastarbeiter-Kind erst bayerisch, später hochdeutsch und begleitete an der Universität den Posten des Ausländerreferenten (SZ 19.6.1999). Jetzt ist er Maler, Schriftsteller und Herausgeber einer Literaturzeitschrift.
(3) Hier in Anführungsstrichen, weil sich diese Kategorisierung im Buch selbst ad absurdum führt, da mit Azize eine Transsexuelle vorkommt, die sich gerade auf dem Weg vom „Mann“ zur „Frau“ befindet.
Mülltikulti, 8.8k (4) Feridun Zaimoglu: Koppstoff. Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft, Rotbuch-Verlag: 1998
(5) Im taz-Interview „Ich bin Kanaka! Ich bin Happy-Kanaka!“ sagt Çagil, eine der Frauen aus dem Buch Koppstoff auf die Frage „Neuer Groove, Sex, Freude - seid ihr das?“: „...das ist besser als das problemzentrierte Gespräch an der Uni, wo man so einen Kopf bekommt und das Gefühl hat, daß man nichts bewegt hat. Ich habe mehr erreicht, wenn ich auf einer Fete getanzt habe, da habe ich mich wenigstens gefreut.“
(6) Im Interview mit der taz (19.9.1998) auf die Frage, was Kanaken sind: „Das hat weder mit dem Alter noch mit der Nationalität zu tun, sondern mit einer andersartigen Denkweise. Wenn ich sage, ich bin Kanake, dann bin ich einfach anders.“ Daß in seinem Buch die Identitätsfalle nicht aufgebrochen wird, begründet er indirekt damit, daß die Barrieren noch zu groß sind: Die deutschen Punker würden zu sehr stinken und die Hunde... – so wird das nichts mit dem gemeinsamen Kampf!
(7) Zaimoglu im Interview mit LinX 6/99: „Was ich mit meiner Arbeit, die ich als Öffentlichkeitsarbeit bezeichne, erreichen will (...): 1. Die Wehrhaftigkeit der hier lebenden Minderheiten stärken 2. die deutschstämmigen Brothers und Sisters für diese Sache zu gewinnen 3. die kulturelle Hegemonie zurückzugewinnen und sie nicht denen von ‘neuer Mitte’ bis ganz rechts zu überlassen. Du kannst auf die Attacken der Mehrheitsgesellschaft nicht mit vertränten Schmonzetten reagieren. Meine Sache ist die Nische nicht, meine Sache ist die offensive Gegenattacke.“
(8) Feridun Zaimoglu: Abschaum. Die wahre Geschichte von Ertan Ongun, Rotbuch-Verlag: 1997
(9) CEE IEH Newsflyer #53, März 1999



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last modified: 28.3.2007