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review-corner, 2.7k

Überwachung

Die Stiftung Warentest nahm diesen Monat sieben Publikationen zum Thema „Überwachungsstaat/Überwachungsgesellschaft“ unter die Lupe.
Alle Bücher im Überblick, 22.7k

Bibliographische Angaben zu den Büchern: siehe Tabelle

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Auswahl

Die bundesweite Demonstration „Save the resistance – Gegen Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn“ löste eine wahre Flut von Publikationen zum Thema aus. Wir wollen einige neue Modelle unserer Kontrolle unterziehen, andererseits uns einige Oldtimer vornehmen, um zu untersuchen, was sich in den letzten Jahrzehnten geändert hat.
Mit von der Partie sind zwei Publikationen aus dem Hause „Autonome“, eins aus dem bürgerlichen und drei aus dem linksliberalen Lager sowie eins mit dem Label „wiederaufgewärmt und gut durchgerührt by konkret“. Fünf Modelle stammen aus diesem Jahr und verströmen z.T. sogar noch den Duft der Druckerschwärze, die zwei anderen zeigen schon Anzeichen von Vergilbung.

Testkriterien

Alle Testkandidaten wurden unserer harten, aber fairen Prüfung unterzogen. Zum einen wurde die Qualität der Verarbeitung geprüft. Der Badewannentest ist sicher der härteste: Wie lange läßt sich das Buch bequem unter Wassen lesen. Aber auch eher banale Eigenschaften wie Preis, Gewicht, Anzahl der Farbfotos, Bindequalität, Nikotinaufnahme wurden geprüft. „Früher war alles besser“ – dieser alte Spruch hat auch im Zeitalter der Globalisierung noch Bestand. Details sind der Tabelle zu entnehmen.
Die Alltagstauglichkeit bemißt sich zum einen im Unterhaltungswert für einen selbst, zum anderen in der Aufmerksamkeitsgewinnung gegenüber anderen. Als standardisierte Prüfverfahren verwendeten wir dafür: a) wie lange kann mensch das Buch nach 3.00 Uhr morgens lesen, ohne zu gähnen und b) wieviele neidvolle oder bewundernde Blicke erheischt mensch durch Lesen des Buches im Conne Island-Café.
Am wichtigsten bei dieser Produktpalette ist allerdings ein Blick auf die inhaltlichen Stärken, wenn es nicht nur darum geht, das eigene Bücherregal mit einem neuen Buchrücken aufzurüsten. Abgeglichen mit dem Thema der untersuchten Publikationen entwickelten wir einige bahnbrechende Testmethoden, die im folgenden näher erläutert werden sollen, da sie unserer LeserInnenschaft noch nicht bekannt sind.

„Kohlfaktor“: Sollen die Scharfmacher der Sicherheitspolitik (CDU, Kanther, Schönbohm etc.) entlarvt werden, wird ihnen gern unterstellt, sie – die scheinbar edlen Saubermänner – wären selbst kriminell, pervers und verlogen. Während sich beim allmonatlichen Lesen der CSU-Alkohol-am-Steuer-incl.-Fahrerflucht-Statistik in der Titanic immerhin ein leichtes Schmunzeln einzustellen vermag, ist dieses Abzielen auf vermeintliche Charaktereigenschaften und Delikte der PolitikerInnen in seriösen Büchern eher ärgerlich. Als ob die Politik der „Inneren Sicherheit“ harmloser oder legitimer wäre, wenn die, die sie durchsetzen, sich auch selbst daran halten würden. Seit der CDU-Spendenaffäre scheinen selbst linke AutorInnen nicht davor gefeit zu sein, penetrant nach jedem Kohl- oder Kanther-Zitat einen Nebensatz über laufende Ermittlungsverfahren einzuschieben. Die Rezeption von Staatsaffären und korrupten PolitikerInnen war in Deutschland noch nie eine staatskritische, sondern immer eine affirmative: „So verkommen ist unser Staat schon, daß sogar unsere PolitikerInnen betrügen. Da fehlt’s halt an einer starken Hand, die mal kräftig aufräumt...“

„Junge Union-Faktor“: Während Kohl ja wirklich ein Schlingel ist, hat sich seine Jugendorganisation nichts zu schulden kommen lassen. Um auf die Absurdität der Überwachung hinzuweisen, wird also gern das Beispiel angeführt, daß selbst unbescholtene Mitglieder der Jungen Union in irgendwelchen Terrorismus-Datenbanken gespeichert sind, nur weil sie im gleichen Zug wie die TerroristInnen saßen und die Datenbank nach dem Kontaktschuld-Prinzip arbeitet. Als ob alles in Ordnung wäre, wenn die Überwachung präziser funktionieren und nur die „wahren“ Feinde des Systems treffen würde.

„Mißbrauchsfaktor“: Nicht die Anhäufung von Informationen in allerlei Datenbanken wird kritisiert, sondern der potentielle Mißbrauch der Daten. Über den eigentlichen Gebrauch wird sich nicht ausgelassen, denn das hieße, sich kritisch mit den Grundlagen der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Mißbrauch dagegen kann leicht skandalisiert werden: Da hat doch ein drogensüchtiger Beamter geheime Daten aus dem Polizeicomputer an das Organisierte Verbrechen verkauft. In Deutschland, möchte mensch aufatmen, könnte sowas nicht passieren, denn alle Personen, die auf Arbeit – ob bei staatlichen Behörden oder in der Privatwirtschaft – mit sicherheitsrelevanten Informationen in Berührung kommen, werden im Vorfeld vom Verfassungsschutz auf ihre Zuverlässigkeit (Familienverhältnisse, Drogensucht, Umgang mit Geld, sexuelle Vorlieben, politische Einstellung etc.) überprüft.
Auch die zwei Polizisten, die ihre Kompetenz überschritten, als sie sich im Polizeicomputer das Alter einer attraktiven Abgeordneten der Grünen, die ihnen bei einer Demo gegen den Polizeistaat wohl eine Blume ins Knopfloch gesteckt hatte, heraussuchen wollten, wurden Dank umfangreicher Log-Dateien überführt. Die Konsequenz aus dieser Mißbrauchs-Logik kann nur heißen: Noch mehr anstatt weniger Überwachung, vor allem auch Überwachung der ÜberwacherInnen.

„Mafiafaktor“: ÜberwachungsbücherautorInnen sind das liberale Pendant zu den Rechercheantifas. Während jene autonomen VertreterInnen Nazis hinterherhecheln, Transparente fotografieren, Kfz-Nummern notieren, Telefonnummernlisten sammeln, abenteuerliche Verbindungsgrafiken entwerfen und die Teilnahme an einer unbedeutenden Demo vor 15 Jahren für berichtenswert halten, können sich AutorInnen nicht sattschreiben über neue Wanzenmodelle, Richtmikrofonpreisliten, geheime Geheimdiensttreffen, Beförderungsrituale bei der Polizei, Betriebssysteme von Überwachungscomputern und Brennweite von Videokameras. Diese Infos ohne jeglichen analytischen Gehalt sind nur der Mafia von Nutzen, die sich die entsprechenden Geräte auch gern zulegen will oder sich dagegen schützen bzw. geheime GeheimdienstlerInnen entweder bestechen oder abknallen.
Sexfaktor, 13.0k

Sexfaktor: Mustermann geht unter den Augen einer Kamera in den Sex Shop – und erfüllt damit mustergültig sein Rollenmuster.



„Sexfaktor“: Die wenigsten Publikationen über die Überwachungsgesellschaft wagen sich an eine Analyse, was denn permanente Überwachung bewirkt, wie sie unser Verhalten normiert und unser Leben beschränkt. Soll verdeutlicht werden, daß Überwachung schlecht ist, fällt den (männlichen) Autoren meist nur eins ein: Sie könnten ja dabei beobachtet werden, wie sie sich Porno-Hefte kaufen, fremdgehen oder in ein Sex-Kino. Und genau das schreiben sie dann auch in ihre Bücher. Das soll wachrütteln. Und alle, die das nicht tun oder sich nicht dafür schämen, brauchen sich keine Gedanken über die Überwachungsgesellschaft mehr machen. Da möchte mensch fast dankbar sein, daß einige AutorInnen als Beispiele für die Auswirkungen der Überwachung anbringen, mensch würde dann in der Öffentlichkeit nicht mehr so ungestört in der Nase popeln können.

„Datenschutzfaktor“: Es ist also alles ganz schlimm! Die PolitikerInnen haben sich gegen uns verschworen und wollen uns auf Schritt und Tritt mit neuestem technischem Gerät überwachen, wie wir uns in der Kaufhalle Kondome kaufen, während sie selber im Schweizer Banktresor ungeschützte Sodomie mit Kellerasseln treiben, oder so ähnlich. Es gibt zum Glück, wie in jedem guten Hollywood-Film, noch die Guten: Die DatenschützerInnen. Wenn es um ExpertenInnen geht, werden die DatenschützerInnen zitiert. Wenn kritische Stimmen gefragt sind, ebenfalls. Widerstand – keine Frage, der wird durch diesen Menschenschlag ebenso verkörpert. Die Büttel des Staates sollen gleichzeitig seine größten Widersacher sein. Mit Sätzen wie „Nicht die einzelne Kamera ist das Problem, sondern die Vielzahl...“ zeigen sie dem Staat ihre Zähne – die, wie eine Kameraauswertung ergibt, gut gepflegt sind. Das macht wahrscheinlich auch ihre Qualifikation für den Posten aus. Gegen die Kamera am Connewitzer Kreuz gab es deswegen auch nichts einzuwenden, denn sie stand allein auf verlorenem Posten, weswegen ihr so manche/r DatenschützerIn noch heute nachtrauert.

„Phrasenfaktor“: Obwohl es niemand mehr lesen will, schreiben sie es immer wieder. Daß „1984“ zehn Jahre eher oder 15 Jahre später durch die Realität übertroffen wurde. Von „Big Brother“ wollen wir auch nichts mehr hören. Weder als Buchtitel, noch als Jingle, noch im Text als Erklärung dafür, daß Überwachung Spaß macht. Es gibt mehr und bessere Filme als „Big Brother“ und Bücher als „1984“ zum Thema, und niemand soll uns für so dumm halten, sie nicht zu kennen. Und daß E-mails so sicher sind wie eine Postkarte stand inzwischen auch in jeder Tageszeitung. Das kommt vom Abschreiben und Recyclen...

„Recyclingfaktor“: Der Buchhandel, düsteres Gewerbe, meint im Verborgenen alte Artikel, die schon in diversen Zeitschriften erschienen sind, einfach klauen und unlektoriert erneut abdrucken zu können. Und das von AutorInnen, die so niederträchtig sind, ihr Einverständnis dazu zu geben, und die eh nur untereinander abschreiben. Die wähnen sich wohl vor Überwachung sicher. Sind sie aber nicht. Wenn wir wiederholt lesen müssen „Nicht die einzelne Kamera ist das Problem...“, oder wenn vergessen wird, Satzanweisungen zu entfernen, dann ist da was faul. Das könnt ihr mit Flaschen machen, aber nicht mit unserem Kaufverhalten und euren Texten!

„Nationalismusfaktor“: Am weitesten sind ja die Amis mit der Überwachung. Ihre Satellitenkameras sehen alles. Und wir dürfen nicht mal mit reinschauen. Hat ja sogar Oberverbrecher Scharping (Angriffskrieg ist im Gegensatz zu einer Bestechung keine Lappalie) beim Krieg gegen Jugoslawien behauptet. Und Echelon, ebenfalls von den Amis, hört alle und alles ab. Industriespionage betreiben die. Und erst eine Studie des Europäischen Parlaments hat den Skandal aufgedeckt und wollen dem Treiben jetzt Einhalt gebieten. So steht es fast überall zu lesen. Daß die europäischen Länder alle ihr eigenes „Echelon“ haben und weiter ausbauen und wie ein wiedererwachtes deutsches Großmachtdenken, eingebettet in den europäischen Rahmen, dazu führte, daß Echelon von höchsten Stellen plötzlich zum Problem wurde, verschweigen die meisten AutorInnen beflissentlich.
Save the resistance-Faktor, 16.9k Save the resistance-Faktor: Gemustertes Transparent auf Muster-Demo gegen die Überwachungsgesellschaft


„Klassenkampffaktor“: Die Antiimps haben überlebt: in den Büchern über den Überwachungsstaat. Da sind geheime Kräfte am Werk: die imperialistischen Großmächte USA, die EU, manchmal sogar Israel. Der Staat überwacht und kontrolliert. Die Wirtschaft, ein wichtiger Stützpfeiler des imperialistischen Weltgefüges, wird auch mehr oder weniger mit erwähnt. Opfer ist das Volk, das gemeine. Daß es wirklich gemein ist und kräftig mit überwacht, denunziert, Bürgerwehren gründet, Voyerismus frönt, das kommt in den Büchern kaum vor. Denn sie sollen sich, angeführt von den verwegenen DatenschützerInnen, in die Revolution stürzen und den imperialistischen Überwachungsstaat hinwegfegen.

„Save the resistance-Faktor“: Es gibt natürlich auch Bücher, die sind gut. Die sagen uns, daß nicht die Männer beim Nachgehen ihrer patriachalischen „Rechte“ überwacht werden, sondern durch Überwachung eher das Verhalten von Frauen normiert und der Bewegungsspielraum von MigrantInnen massiv eingeschränkt wird. Die uns sagen, daß es sich lohnt, sich dagegen zu wehren und daß uns das nicht die DatenschützerInnen abnehmen werden. Die uns nicht mit antiamerikanischen Verschwörungstheorien, PolitikerInnen-Vorstrafenregister und Produktbeschreibungen langweilen, sondern Analysen liefern, die über das Konstatieren von (Nicht-)Übereinstimmung mit Zeitgeist-Serien oder Klassikern der Weltliteratur hinausgehen.
Diese Eigenschaften werden im Gegensatz zu den obigen, die mit Minus bewertet werden, mit Pluspunkten belohnt.

Cover, 10.4k „Big Brother“ & Co

Der Autor Rolf Gössner gilt landauf landab als profilierter Kritiker von Überwachungsstaat und Sicherheitsgesellschaft. Er hat sich durch die Veröffentlichung mehrerer Standardwerke zum Thema hervorgetan (Mythos Sicherheit. Der hilflose Schrei nach dem starken Staat, 1995; Der Apparat. Ermittlungen in Sachen Polizei, 1984; Widerstand gegen die Staatsgewalt. Handbuch zur Verteidigung der Bürgerrechte, 1988; Polizei im Zwielicht. Gerät der Apparat außer Kontrolle?, 1996; Die vergessenen Justizopfer des kalten Krieges. Verdrängung im Westen – Abrechnung mit dem Osten?, 1998; Erste Rechts-Hilfe. Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten, 1999), arbeitet als parlamentarischer Berater von Bündnis 90/Die Grünen und PDS und seine Veröffentlichungen in als linksradikal geltenden Publikationen sorgten für seine Dauerüberwachung durch den Verfassungsschutz, der auch diesen Test zum Anlaß nehmen wird – sofern der CEE IEH Newsflyer entsprechend eingestuft wird – Gössner weitere 30 Jahre zu überwachen. Aber auch die Herausgabe des Buches im angesehenen konkret literatur verlag ließ vermuten, daß es ein gutes wird. Jedoch, und das ist typisch für den Verlag, stellt es nur eine Ansammlung von schon anderweitig veröffentlichten Artikeln dar. Zwar kann sich der Verlag im Gegensatz zu anderen (siehe unten) ein Lektorat leisten, eine runde Sache ist’s trotzdem nicht geworden. Das liegt zum einen daran, daß einigen Aspekten zu viel Platz eingeräumt wird – einfach, weil Gössner mal einen langen Artikel darüber geschrieben hat. Andererseits hat es darüberhinausgehende Schwächen, die mensch bei Gössner eher nicht vermutet: Vor dem Kohl-, Phrasen-, Sex- und Datenschutzfaktor ist er keineswegs gefeit. Von den vielen Neuveröffentlichungen war es die, von der mensch sich noch erhofft hatte, daß sie die Überwachungsgesellschaft in ihrer Gesamtheit analysiert. In der Einleitung konstatiert Gössner zwar: „Unterdessen mutiert manche Einkaufspassage zur Hochsicherheitszone, mancher Platz – auch Arbeitsplatz – zum Überwachungsareal, so mancher Vorgarten zum militarisierten Sperrbezirk, jede beliebige Straße zum polizeilichen Kontrollraum, manche Grenze zum elektronischen High-Tech-Regime.“ In seinem Buch beschäftigt er sich dann allerdings weder mit Vorgärten noch mit Einkaufspassagen (schließlich hat er die entsprechenden Redewendungen nur wortwörtlich aus dem „Save the resistance“-Aufruf abgeschrieben), sondern mit vielen Aspekten der staatlichen Überwachung (Europol, Lauschangriff, Schleierfahndung, Gendatenbanken, Geheimdienste, Platzverweise, EXPO 2000, Ausländer-Überwachung, elektronischer Hausarrest) und einigen der Überwachung im wirtschaftlichen Bereich (Internet, Arbeitsplatz, Satelliten-Fotos). Dies macht er allerdings sehr fundiert und die einzelnen Artikel sind detailliert, ohne mit speziellem Expertenwissen zu vernebeln, worum es eigentlich geht. Obwohl es an analytischen Einschätzungen, wohin die Entwicklung gehen wird, was die Triebkräfte sind und welche inneren Widersprüche sich auftun, mangelt, stellt das Buch den gelungensten aktuellen Rundumschlag zum Thema dar. Adreßangaben, wo sich HauseigentümerInnen hinwenden müssen, um gegen die Aufnahme ihres Hauses in die Bilddatenbank von Tele-Info Widerspruch einzulegen, bzw. der Verweis auf die Nützlichkeit von Satellitenfotos für NGO’s, die damit bessere Beweismittel gegen Kriegspropganda in die Hände bekämen, sind beflissentlich zu überlesen.

Cover, 8.3k Vom Ende der Anonymität

Die in der Telepolis-Reihe Anfang November 2000 erschienene Aufsatzsammlung beschäftigt sich ebenfalls schwerpunktmäßig mit dem Überwachungsstaat, besonders Wert wird hier auf weltweite (Echelon, internationale Zusammenarbeit, grenzüberschreitende Abhörmaßnahmen) und europäische Entwicklungen (Europol, Schengen, Enfopol) gelegt.
Eine Analyse der detailliert beschriebenen Phänomene findet sich in kaum einen der Beiträge. Der internationalen AutorInnen-Runde ist z.T. der Mafia-, Datenschutz- und Nationalismus-Faktor vorzuwerfen: Als Widerstandspotential werden Graswurzelbewegungen, DatenschützerInnen und Intellektuelle (damit meinen die AutorInnen sich selber – ein feines, aber sehr kleines Netzwerk aus AktivistInnen, die sich per E-mail über die aktuellen Entwicklungen in ihren Ländern auf den laufenden halten und die Ergebnisse in Deutschland z.B. in der Online-Zeitschrift Telepolis veröffentlichen) ausgemacht. Die technischen Beschreibungen von Überwachungsmöglichkeiten sind nicht weiter von Interesse, lediglich einige Science fiction-Visionen fesseln. Am schlimmsten wiegt aber die umfassende Thematisierung des Echelon-Systems (siehe CEE IEH #65, Echelon – weltweites Abhörsystem), bei dessen Enttarnung die Europäische Union eine rühmliche Rolle gespielt haben soll. Die Union, die laut einem anderen Beitrag daran schuld ist, daß „der Überwachungsstaat bald zur Realität“ wird.
Bei soviel Blindheit für politische Machtverhältnisse übersieht mensch solch kleine Fehleinschätzungen, die aus der Naivität der VerfasserInnen rühren, gern: „Es wird enorme Folgen auf die Weltpolitik haben, wenn Bilder von russischen Truppen um Grosny und indonesischem Militär in Osttimor, von israelischen Nuklearanlagen und brennenden kurdischen Dörfern herumgereicht werden. Der ständige Nachschub von neuen oder widersprüchlichen Weltraumbildern wird so für Kontroversen wie für breite öffentliche Debatten über die Gestaltung von Außenpolitik sorgen. Die NGOs haben jetzt ihr eigenes ‘Auge im All’, das ihnen dieselben Informationen liefert, über die ihre Gegenspieler in Regierung und Verwaltung verfügen.“ Von soviel Zukunftsoptimismus ließ sich bekanntlich sogar Gössner anstecken. Und die NGO Bundeswehr und ihr Vorsitzender Scharping freuen sich schon auf neue Bilder, die die Existenz von Konzentrationslagern beweisen.
Telepolis kann sich den Verdienst anheften, die Zeitschrift zu sein, die oft als erste gut recherchiert über neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Überwachung (Technologien, Internet, Gesetze, Geheimdienste) berichtet. Um ein Buch aus diesen Beiträgen zu machen, bedarf es allerdings eines Lektorats. Dies fehlte hier gänzlich: Die Überschriften passen zum Teil nicht zu den Artikeln, im Text selbst befinden sich noch Satz- und Rechercheanweisungen, von Rechtschreibfehlern ganz zu schweigen. Auch inhaltlich läßt sich eine gewisse Beliebigkeit der Beiträge nicht verleugnen. Stupide ist die Bebilderung: immergleiche Fotos von Echelon-Satellitenschüsseln, so stolz die jeweiligen AutorInnen auch auf ihre, wohl unter Lebensgefahr angefertigten, Schnappschüsse auch sein mögen, hätte mensch sich sparen können.
In der allgemeinen Tristesse gibt es allerdings einige Glanzlichter. An erster Stelle steht der Beitrag „Der Frosch im heißen Wasser. Wie in der informatisierten Gesellschaft des 21. Jahrhundert Überwachung trivialisiert wird“ von Detlef Nogala. Ein Autor, der schon mal Foucault gelesen, Police gehört und ein Panopticum gesehen hat – und daraus eine historische Einordnung, Analyse und systematische Klassifizierung von Überwachungsmechanismen bastelt: „Der ursprünglich als zentrale Staatsveranstaltung gedachte ‘Big Brother’ hat sich zellgeteilt und ist in die Gesellschaft zurückgekehrt. Statt wie im Benthamschen Panopticum zentrisch angeordnet, organisiert sich Überwachungsmacht heute auf mehreren Ebenen über viele größere und kleine Netzknoten, die teils staatlich, teils besitz- und eigentumsnützlich und in einigen Fällen auch privatbürgerlich verfasst sind. Zum viel beschworenen Polizei- und Überwachungsstaat gesellt sich nun die entliberalisierte Kontrollgesellschaft“. Das ist ganz vorn an der Analysefront und – im Gegensatz zu Gössner – nicht mal beim BGR/AFBL abgeschrieben. Außerdem enthält das Buch einige Schmäckerchen bereit, die für jeden Überwachungsfreak von Interesse sind: Wie z.B. in England Soldaten Jagd auf „SozialschmarotzerInnen“ machen oder Echelon in Neuseeland unfreiwillig zum „Tag der offenen Tür“ einlädt.

Cover, 13.6k Im Visier der Datenjäger

Teuer und schwer kommt dieses Buch daher. Aus Österreich, zwei Jahre hat’s inzwischen auf dem Buckel. Absoluter Mafia-Bonus. Hier erfahren sie alles über Typbezeichnungen, Leistungen und Preisen von modernem Überwachungsgerät. Sie wollen einen Lügendetektor kaufen oder wissen, welches Symbol in welchem Internet-Browser in welcher Ecke wie aussehen muß, damit eine verschlüsselte Verbindung besteht. Sie wollen die Autoüberwachung aushebeln oder sich über verschiedene Kreditkartenmodelle beraten lassen. Dann ist das Buch ein muß für sie. Sie sind sich noch unschlüssig. Das Cover wird sie überzeugen: „Wie Sie Ihr Handy verrät. Wer Ihre Krankheitsdaten sammelt. Wie die Banken Sie im Griff haben.“ Daß sie dumm sind, sollte kein Kaufhindernis sein! Die Kapitel werden zusammenfassend in Computerbuchmanier eingeleitet: „Wieso Sie künftig vermeiden sollten, am Telefon über ‘Kokainaffäre’ oder über eine ‘Mafia-Serie’ zu plaudern“ oder „Warum Supermärkte wissen, was wir am kommenden Wochenende kaufen.“ Kokain?
Sie sind gar nicht von der Mafia? Als Manager dürfte sie das Buch auch interessieren. Denn die Mafia könnte sie beschatten, und hier wird erklärt, wie sie sich dagegen schützen und die Mafia überwachen können. Außerdem erfahren sie, daß ihr Auto nicht rot oder schwarz sein sollte, wenn sie bei der Versicherung besser wegkommen wollen.
Es muß wohl nicht gesagt werden, daß bei einem solchen Machwerk der Sex-, Phrasen-, Mißbrauchs- und Datenschutzfaktor ebenfalls recht hoch ist. Wobei hier selbst der Chaos Computer Club zur quasi-staatlichen Behörde gegen das Hackerwesen gekürt wurde: „Vor allem in Deutschland ist der CCC zu einer Institution geworden, die von vielen privaten, aber auch staatlichen Stellen als Gutachter kontaktiert wird. Wenn der CCC ein positives Zeugnis ausstellt, können Unternehmen oder Behörden beruhigt sein, denn dann gelten ihre Rechnersysteme als sicher. Kritisiert der CCC aber den Sicherheitsstandard, so beudetet dies, daß Hacker das System knacken können. Der CCC ist eine Plattform der wohl besten Computer-Experten Europas, die Zweigstellen in ganz Deutschland und Partner auf dem ganzen Kontinent hat.“ Positiv bei all der Datenschutzbegeisterung ist allerdings ein Kapitel, welches explizit auf die Datenschutzgesetze und die Handlungsmöglichkeiten von Datenschutzbeauftragten eingeht. Dieses lieferte auch die interessante Erkenntnis, daß die Deutschen Datenschutz höher bewerten als Sicherheit und sich mehr davor fürchten würden, daß ihre Daten für Werbezwecke mißbraucht werden, als daß sie Opfer einer Straftat werden könnten. Da fragt sich nur, warum das die Politik nicht ernst nimmt...
Geschickt werden auch der Mißbrauchs- und Kohlfaktor verknüpft. Die FPÖ hat nämlich geheime Daten ergattern können und veröffentlicht (Mißbrauch). Allerdings ging es dabei um eine „Posten-Schacherliste“, die die Verteilung von Posten in der Salzburger Landesregierung festlegte (Kohlfaktor). Kein Wunder, daß sie zwei Jahre später die Wahl „gewonnen“ haben.
Die Fixierung auf Überwachung schlechthin versperrt den Blick auf allgemeine gesellschaftliche Zustände: So wird negativ erwähnt, daß ein Mann wegen einer fehlerhaften DNA-Analyse unschuldig im Gefängnis saß – dies passiert allerdings auch ohne DNA-Analyse, und da sogar noch öfter. Argumentativ auf dem Holzweg befindet sich der Autor auch, wenn er anprangert, daß zur Beförderung in Unternehmen grafologische Gutachten herangezogen werden: Schließlich ist ein/e ChefIn, die/der sich auf solche esoterische Hilfsmittel verläßt, fast sympathisch, angesichts der Tatsache, daß Beförderungen im Kapitalismus immer von der Leistungsbereitschaft und Loyalität abhängig gemacht werden und es bessere Methoden der MitarbeiterInnenüberwachung und -kontrolle gibt als Handschriftenuntersuchungen.
Gut an dem Buch: Der vermeintliche Überwachungsstaat steht nicht im Mittelpunkt des Interesses, sondern Überwachung im wirtschaftlichen Bereich. Dabei geht es nicht nur um Banken, Internet, Telefon, Kundenkarten, sondern auch um Überwachung im Straßenverkehr oder im medizinischen Bereich (AIDS-Test, Organspende, 2-Klassen-Medizin), aber auch für militärische (z.B. Einberufung von Fahrzeugen im Kriegsfall) oder agrarische Zwecke (Satelliten-Infrarotbilder überwachen, ob auf den Feldern auch wirklich das angebaut wird, was die EU erlaubt); Bereiche der Überwachung, die in den anderen Büchern keine Rolle spielen.
Nicht schlecht ist auch die Idee des Autors, anstelle einer Beschreibung seiner selbst am Ende des Buches eine dreiseitige Liste aller Datenbanken, in denen er wissentlich erfaßt ist, abzudrucken. Obwohl wir dieser Liste nicht entnehmen können, was in den Datenbanken gespeichert ist, wissen wir doch genau, wo er in die Schule gegangen ist, was er studiert hat, daß er Porsche fährt (Mafia oder Manager halt), wo er einkauft (z.B. Ikea und Elite-Möbel), daß er Blut spendet, mit welchen Gesellschaften er telefoniert oder ins Internet geht, daß er viel fliegt und einen Brockhaus bei sich zu Hause rumstehen hat. Sehr eindrucksvoll!

Cover, 12.9k Grundrechte-Report 2000

Der jährlich erscheinende Report „zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“, u.a. herausgegeben von der Humanistischen Union und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, befaßt sich in der aktuellen Ausgabe zu ca. einem Drittel mit Überwachung, Polizei und Geheimdiensten. Weitere Schwerpunkte sind militärpolitische Themen (Angriffskrieg auf Jugoslawien, Kriegsdienstverweigerung etc.) sowie die AusländerInnen- und Asylpolitik.
Der Ansatz, den einzelnen Grundgesetzartikeln, Berichte aus der Realität gegenüberzustellen, ist im Hinblick auf das linksliberale Zielpublikum sicherlich gut gewählt, vermag uns natürlich nicht sonderlich zu beeindrucken. Die kurzen Berichte sind trotzdem lesenswert, da sie einen guten Überblick über aktuelle Entwicklungen geben, angereichert mit Gerichtsurteilen, Statements von PolitikerInnen, Veränderungen in der praktischen Umsetzung usw. geben – Aufbaustudiumstauglich: Bei entsprechendem Vorwissen, kannst du dich mit dem Report jedes Jahr auf dem laufenden halten. Dieser Effekt wird durch eine Jahreschronik am Ende des Buches noch verstärkt, die alle „grundrechtsrelevanten“ Ereignisse in Kurzform festhält.
Im Überwachungsteil widmet sich das Buch den polizeilichen Datenbanken (DNA, Spudok), der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, der rassistischen Katalogisierung von Roma & Sinti in Polizeiprotokollen, der Akteneinsicht, der Telefonüberwachung, Schleierfahndung und Aufenthaltsverbote, dem sächsischen „Lagebild Staatsschutzkriminalität“, Polizeigewalt und Privatisierung des Strafvollzugs. Als AutorInnen der Beiträge fungieren die „üblichen Verdächtigen“. Von Daniela Dahn, die über die Diskriminierung der Ossis jammern darf, über Rolf Gössner (über dessen Überwachung ein anderer Beitrag im Buch berichtet) bis hin zu Anette Kahane, die in den „national befreiten Zonen“ im Osten einen Grundrechtsverstoß gegen Art. 3 („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) entdeckt hat. Der Kohlfaktor wird im Buch groß geschrieben, der Spendenaffäre wird ein eigener Beitrag gewidmet.
Etwas widersprüchlich ist allerdings die intensive Beschäftigung mit neuen NATO-Strategien, Kriegspropaganda und dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien auf der einen Seite und zwei Beiträgen, die die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen in der Bundeswehr kritisieren bzw. „kleine Erfolge“ auf dem Weg zum gleichberechtigten Morden feiern. Volker Beck, selbst Mitglied der Grünen, hat die Bundeswehr gar als eine der „letzten Institutionen unserer Gesellschaft, in der Schwule offen und offiziell diskriminiert werden“ entlarvt. Differenzierter geht die ganze Sache Katharina Ahrendts an, die sich mit dem Thema „Frauen an die Waffen“ auseinandersetzt und konstatiert, daß pazifistische Argumente nicht dazu herhalten können, Frauen den gleichberechtigten Zugang zur Bundeswehr zu versagen. Allerdings verkennt sie den eigentlichen Inhalt der Kampagne „Frauen an die Waffen“, die weniger dazu dient, die Position von Frauen in der Gesellschaft zu stärken, sondern vielmehr zum Ziel hat, der Bundeswehr ein menschliches Antlitz zu verleihen, was sie aufgrund ihrer Geschichte und Gegenwart aus Imagegründen auch bitter nötig hat.

Cover, 17.8k Der Weg in den Überwachungsstaat

Daß in so umweltfeindlichen Zeiten wie Ende der 70er Jahre Artikelreihen recycled wurden, mag mensch heute nicht mehr übel nehmen. Denn die SPIEGEL-Ausgaben von damals hat heute wohl kaum noch eine/r. Das entsprechende Buch „zum SPIEGEL-Report“ dagegen darf in keiner guten Überwachungsbibliothek fehlen.
Trotz seines Alter ist es heute immer noch sehr lesenswert, denn der SPIEGEL war damals nicht das, was er heute ist. Von den bislang besprochenen Büchern ist es das, was den besten Überblick vermittelt und die fundiertesten Analysen bringt. In der Einleitung wird in einer Form auf die Brisanz von privaten oder kommerziellen Datensammlungen eingegangen, die auch von den moderneren Büchern nicht übertroffen wird. Allerdings beschäftigen sich die einzelnen Kapitel dann nur mit staatlichen Aspekten der Überwachung, die schon damals Ausmaße angenommen hatten, mit der nicht mal die Stasi mithalten konnte: jeder fünfte war in Polizei- oder Geheimdienstdatenbanken erfaßt worden. Alle möglichen Firmen stellten vor einer Anstellung einer/s neuen MitarbeiterIn ein Regelanfrage beim Verfassungsschutz, um sich z.B. unliebsame Gewerkschaftsmitglieder vom Halse zu halten. Ein weiterer Pluspunkt ist, daß sich der Autor als einziger von allen an einer Definition dessen versucht, was denn die Privatsphäre eigentlich ausmacht, die vor der Daten-Sammelwut zu schützen sei.
Außerdem ist es aus dem Blickwinkel von heute sehr erhellend, was sich seitdem geändert hat. Und das sind kaum politische Rahmenbedingungen, Implikationen und TrägerInnen der Überwachung, sondern allenfalls technische Fragen: Während sich in dem Buch umfassend mit Fingerabdruckdatenbanken befaßt wird, die damals gerade im Kommen waren, lautet das analoge Thema heute: DNA-Analyse. Verwundert mag mensch den Kopf schütteln, wie der SPIEGEL damals davor gewarnt hat, daß bei kleinen Delikten oder präventiv Fingerabdrücke genommen und digitalisiert werden – heute ist das der Standard und niemand regt sich mehr darüber auf. Und überhaupt: Anfang der 70er hielten Computer Einzug in die polizeiliche Arbeit und mit Verwunderung kann mensch die nicht so unklugen Kassandra-Rufe zum Thema Datenbanken zur Kenntnis nehmen. Die ausführliche Beschreibung der Möglichkeiten der Computer z.B. bei der Rasterfahndung, bei denen manchmal ungläubige Begeisterung mitschwingt, wird in unserer Bewertung nicht mit einem Eintrag beim „Mafia-Faktor“ bestraft, da es damals wirklich neu war, die Ausführungen pädagogisch wertvoll gewesen sein mögen und selbst heute noch mit Gewinn gelesen werden können.
Datenschutzfaktor kann mensch dem Autor nur eingeschränkt vorwerfen. Schließlich betont er, daß z.B. eine Löschung der Daten (was ja die DatenschützerInnen nach so und so vielen Jahren einfordern) immer nur bedeutet, daß – wenn überhaupt – der Eintrag im Register/Inhaltsverzeichnis getilgt wird, nie jedoch die Daten an sich, so daß bei Bedarf jederzeit wieder, allerdings mit etwas Aufwand, auf die Daten zurückgegriffen werden kann.
Und obwohl Klassenkampf damals angesagter war als heute und sich auch noch breitere Massen, zum Teil aufgrund von diffusen modernitätsfeindlichen Ängsten, zum Teil aufgrund von politischem Bewußtsein, gegen den Überwachungsstaat mobilisieren ließen, tut der Autor nicht so, als ob irgendwie alle gleichermaßen von der Überwachung betroffen wären, sondern es am stärksten politisch und sozial marginalisierte Gruppen betrifft. Z.B. war Homosexualität selbst nachdem sie kein Straftatbestand mehr darstellte, ein Überwachungsgrund, da, so die offizielle Rechtfertigung, sich aus „diesen Kreisen (...) die gefährlichen pädophilen Triebtäter“ rekrutieren würden.
Einen Punkt bekommt der Autor für den „Save the resistance“-Faktor, da er zum einen vor Verharmlosung warnt, andererseits betont, daß Übertreibung den „Überwachungsstaat (...) herbeiredet.“ Denn dies „fördert jedenfalls die politische Resignation und die ängstliche Apathie, die sich selbst an Schulen und Hochschulen breitgemacht haben. Eine Generation aber, die sich (zu Unrecht) auf Schritt und Tritt beschattet wähnt, kann nicht jene Aktivitäten entfalten, die nottäten, einen Überwachungsstaat zu verhindern.“ Hinzu kommt noch, daß bei einer Rezeption heutzutage klar wird, daß der Teufel, der damals an die Wand gemalt wurde, nicht Realität geworden ist: damals versprachen die SicherheitsfantatikerInnen mit den neuen Techniken die Kriminalität restlos auszurotten und die KritikerInnen warnten davor, daß alles ganz ganz schlimm wird. Keines von beidem ist eingetreten.
Als Geschichtsbuch ist das Werk ebenfalls gut zu gebrauchen: So befindet sich im Anhang eine Liste des Verfassungsschutzes über linke Publikationen und Organisationen, nach der der BGS an den Grenzen kontrollieren sollte; wenn er fündig wurde, hatte eine Meldung an den VS zu erfolgen. Die beiden Listen umfaßten zusammen über 520 Einträge und wir erfahren, daß es damals z.B. mehr Schwarze als Rote Hilfen gab. Von ähnlichem Unterhaltungswert ist z.B. die Mitteilung, daß Broder damals seine Briefköpfe noch mit Marx, Mao, Stalin und Lenin schmückte (zur Gestaltung seines Briefkopfes heute siehe: konkret 11/2000, S. 46); oder daß Prof. Altvater in Österreich in Abschiebehaft kam, da er in irgendeiner Polizeidatenbank gespeichert war. Die ihr selbst innewohnende Subversivität der Überwachungsgesellschaft wird auch an der Geschichte vom Schäfer deutlich, der von der Polizei erschossen wurde, weil sie ihn für einen Schafdieb hielten. In ihrer Datenbank war er in Zusammenhang mit einem älteren Schafdiebstahl gespeichert, allerdings war er bei diesem, ersten Vorfall auch das Opfer des Diebstahls und nicht der Täter. Aber so schlau, das zu unterscheiden, waren die Computer scheinbar damals noch nicht.
Das bleibt wohl das einzige Manko des Buches: Der Mißbrauchsfaktor, auf den mit Vorliebe abgezielt wird. So wird ist die Rede von Bundestagsabgeordneten, die von der Polizei überwacht wurden oder von Vorfällen, wo mensch einfach bei der Polizei anrufen konnte und sich als jemand anders ausgeben, um an geheime Informationen zu kommen.
Das Buch wird abgeschlossen durch einen interessanten Dokumentenanhang, der z.B. Dienstanweisungen des Verfassungsschutzes (Kult!, unbedingt lesen) und Pro & Contra-Positionen zur Serie von DatenschützerInnen, PolitikerInnen und anderen selbsternannten ExpertInnen enthält. Die FDP war z.B. damals noch der Auffassung: „Die Freiheit des Bürgers wird nicht etwa nur von der Polizei (...) bedroht, sondern ebenso von der ungeheuren Vielzahl wohlmeinender Verwaltungen und wirtschaftlich interessierter Unternehmen, die ihren mehr oder weniger edlen Absichten mit Mitteln der Datenverarbeitung nachgehen, ohne sich erst lange Gedanken darüber zu machen, ob sie damit im Privatleben ihrer Mitmenschen herumfummeln oder nicht. (...) Dann kann man nicht durch Gesetze verhindern, sondern nur durch Liberale.“ (Burkhard Hirsch) – und durch Radikale, möchte mensch zustimmend anfügen.

Cover, 6.6k durch die Wüste – Ein Antirepressions-Handbuch für die politische Praxis

Jahrzehnte haben wir auf eine Neuauflage gewartet – endlich ist sie da. Und sie kann auf Anhieb überzeugen. Das Buch beschäftigt sich zwar kaum mit Aspekten der Überwachungsgesellschaft, die über den -staat hinausgehen, aber das ist auch nicht der Anspruch. Vielmehr übererfüllt es alle Anforderungen an einen guten Rechtsratgeber. Es werden nicht nur Hausdurchsuchungen, Ermittlungsverfahren, Observation, Verhörmethoden, Anquatschversuche durch den VS erklärt, sondern auch, wie mensch sich dagegen wehrt (Aussageverweigerung, EA, RechtsanwältInnen, Spuren beseitigen etc.) bzw. unliebsame Zwischenfälle vermeidet: so wird z.B. ausführlich die Vor- und Nachbereitung von Aktionen und Demonstrationen in allen Facetten beleuchtet und mensch möchte hoffen, daß die dort entsprechenden Seiten von allen auswendig gelernt oder immer mitgebracht werden, wenn es darum geht, mehr als nur Bücher zu lesen.
Am Anfang gibt es einen kurzen theoretischen Abriß über das Wesen der Repression und am Ende wird sich mit technischen Aspekten der Überwachung (Computer, Datenbanken, Abhören) auseinandergesetzt, so daß dieser Teil als gelungene Aktualisierung des „Kleinen Abhörratgebers“ gelten kann. Abgerundet wird das ganze durch einen Adreßteil, der uns zu dem einzigen Kritikpunkt führt: die Adresse des Leipziger EA ist falsch. Und selbst das wird wohl eher an Leipzig als an den AutorInnen liegen.
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Das Buch ist aufgrund seiner guten Gliederung, dem ansprechenden Layout und den ausführlichen Erklärungen vor allem für Jugendliche gut geeignet, aber auch die alten Hasen sollen unbedingt mal einen Blick hineinwerfen, denn der letzte Marsch durch die Wüste liegt nun schon lange zurück und diesmal gibt es sogar Oasen!

Cover, 9.3k Save the resistance – Reader gegen den Sicherheitswahn

Die LeserInnenüberwachung hat ergeben, daß ihr nun nach so vielen Seiten des Lesens überdrüßig seid, und da wir das Kaufverhalten animieren sollen (immerhin erhalten auch wir viel Geld von Verlagen dafür, daß wir ihre Bücher so runter machen), können wir zum Abschluß nur sagen: Kauft eins, zwo, drei, viele Bücher und von mir aus auch diesen Reader, der anders ist als all die anderen: Alle Faktoren null bis auf den „Save the resistance“-Faktor. Incl. Analyse und der längsten Demoparole der Welt. Und Bilder, die selbst dem Klarofix Rätsel aufgaben.
Der Reader ist auch kein Sammelsurium schon veröffentlichter Texte (was die Qualität aber auch nicht verbessert hat), vielmehr bedienen sich alle Zeitschriften und Bücher, die nach dem Reader erschienen sind, mit Artikeln und Redewendungen aus ihm. Müßt ihr übrigens nicht kaufen, könnt ihr euch nämlich auch auf www.nadir.org/bgr ansehen und euch dabei sogar noch ein paar Kekse aufschwatzen lassen (wenn auch ohne Gras).

Fazit

Es hat sich nicht viel getan. Weder die KritikerInnen der Überwachungsgesellschaft noch deren PropagandistInnen konnten erreichen, was sie versprachen – und die Bücher sind auch nicht besser geworden. Wer sich nicht nur für den Überwachungsstaat interessiert, sollte zum „Save the resistance“-Reader greifen. Wer sich schützen will, muß in die Wüste. Die, vor denen wir uns schützen müssen, sollen in den Tagebau (ohne Punica). Nicht nur Nostalgiker sind mit dem „Weg in den Überwachungsstaat“ gut beraten. Der Grundrechtereport eignet sich, um auf dem Schulhof mitreden zu können. Wer M-Berufe ergreifen will, sollte die Investition für „Im Visier der Datenjäger“ nicht scheuen. Echelon-Fans sei „Vom Ende der Anonymität“ empfohlen. PolitikwissenschaftsstudentInnen sollten in ihrer nächsten Hausarbeit aus „Big Brother“ & Co zitieren.

Richtigstellung

In unserer letzten Ausgabe (#71, S. 5-6) behauptete „der Autor“ fälschlicherweise, daß „die Überwachung und totale Kontrolle (...) in Deutschland gerade auf Grund der deutschen Vergangenheit noch nicht allzuweit fortgeschritten“ sei. „Deutschland ist, so betrachtet, eine unterentwickelte Überwachungsgesellschaft, die (...) bei weitem noch nicht den Standard von England und den USA erreicht hat – zum Glück“. Und – so weiter – nur die Linken hätten das nicht begriffen, weil sie entweder – und das bleibt etwas im unklaren – zu national sind („nicht überall auf der Welt (ist) Deutschland“) oder zu antinational.

Der Autor will nun hiermit seine Fehleinschätzung richtigstellen.

1. Nur weil in Groß-Britannien mehr Kameras herumhängen, heißt das nicht gleich mehr Überwachung.
1.1. Ein Großteil der (Video-)Überwachung in GB läßt sich auf den Nordirland-Konflikt zurückführen.
1.2. Gäbe es ähnlich heftige Auseinandersetzungen in Deutschland, dann würde hier noch mehr hängen als nur Kameras (z.B. „TerroristInnen“).
2. Nur weil Deutschland nur Weltmeister im Telefonabhören ist, ist es nicht gleich unterentwickelt.
2.1. Das Risiko, von Telefonüberwachung betroffen zu sein, ist in Deutschland 40 mal höher als in den USA.
2.2. Echelon ist ein Witz dagegen.
3. Aus 1 und 2 folgt nicht, welches Land Vorreiter spielt.
3.1. Deswegen folgt daraus auch nicht, daß die Linke ein „deutschzentriertes Ideologiegebäude“ hat.
3.2. Dieses einzureißen, sollte trotzdem immer auf der Tagesordnung stehen.
3.3. Denn das Hauptproblem in Deutschland (welches auch innerhalb der Linken besteht) ist das ungebrochene Denunzationsbedürfnis, welches viele Formen der instutionalisierten Überwachung überflüssig macht (Videokameras z.B.).

Marc



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last modified: 28.3.2007