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Massenverwaltungsvorgänge

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Nach zwei Beschlüssen des Rektoratskollegiums der Universität Leipzig vom Februar und September 1999 wurde mit Beginn des Wintersemesters ein multifunktionales Chipkartensystem eingeführt. Kritik an der Karte, die als Rationalisierung von Massenverwaltungsvorgängen angepriesen wird, ist kaum auszumachen. Wer sich bisher weigerte, dem Studentensekretariat die Formalien zur Beantragung zur Verfügung zu stellen, kann dabei schon mal die Exmatrikulation angedroht werden.

Die im Rahmen eines Pilotprojektes mit den Firmen InterCard Kartensysteme GmbH und der HIS-GmbH entwickelte und speziell auf die Universität Leipzig zugeschnittene Unicard soll im wesentlichen Funktionen enthalten, um die nach Ansicht der Universitätsleitung überproportionierte Verwaltung effizienter zu gestalten und die visuelle und elektronische Identifikation der Studierenden zu optimieren. Die für Studenten ab Sommersemester 2001 obligatorische, für Mitarbeiter in Planung befindliche Chipkarte umfaßt bereits die elektronische Abwicklung der Rückmeldung, die Benutzung von Universitätsbibliothek, Mensa, Kopiergeräten und die mögliche Verwendung als Semesterticket. Ebenfalls geplant, aber noch nicht durch das Rektorat bestätigt, ist die Erweiterung der Funktionen um den möglichen Ausdruck von Listen über
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„Die Einführung dieses Chipkartensystems an der Universität Leipzig wird durch die Techniker Krankenkasse und die Sparkasse Leipzig unterstützt.“
erbrachte Studien- und Prüfungsleistungen, als Zugangskontrolle zu Räumen und Diensten der Uni sowie die Aufrüstung zum außeruniversitären Zahlungsverkehr.
Mit dem Hinweis, daß das „erlebbare Ergebnis, daß Massenverwaltungsvorgänge an speziellen Geräten in Selbstbedienung und damit unabhängig von den Öffnungszeiten der entsprechenden Verwaltungsstellen erledigt werden können“ auch „anfängliche Skeptiker“ überzeugte, wird die Effizienz der Karte hervorgehoben. Möglichen Bedenken über die Verletzung datenrechtlicher Bestimmungen wird begegnet, indem auf das Sicherheitskonzept verwiesen wird, daß, bestehend aus einer Kombination von Sicherheitsstandard des Ausweises, der Schutzmechanismen innerhalb des Universitätsnetzes und entsprechender gesetzlicher Vorschriften, den Datenschutz garantieren soll. Die technischen Möglichkeiten zur widerrechtlichen Nutzung der vielfältigen Informationen jedoch, die sich durch die Karten in Form einer sogenannten Datenspur gewinnen lassen, geben Anlaß zur Sorge. Aus Großbritannien und den USA sind Fälle bekannt, wonach sich Hochschulabsolventen beim Bewerbungsgespräch mit „Leistungskurven“ konfrontiert sahen, die aus hinterlassenen Daten ihrer Unizeit, die z. B. aus Zugangskontrollen gewonnen wurden, zusammengestellt waren. Dabei ist die Auswertung von Daten heute sogar auf viel höherem Niveau möglich. Das statistische Verfahren „Data-Mining“ kann durch die Verknüpfung sämtlicher Informationen von verschiedenen Karten ein und derselben Person Bewegungsprofile, Psychogramme und mögliche Verhaltensweisen erstellen. Das Problem hierbei ist ein technisches, da alle derzeitigen „intelligenten“ Kartensysteme mit einem Controller ausgestattet sind, der das Wissen über den Verschlüsselungsmodus der Karte (und damit auch über die enthaltenen Daten) aus Gründen der Geheimhaltung des zugrundeliegenden Betriebssystems, begrenzt. Auch das Argument, das in puncto Sicherheit der Unicard angeführt wird, daß die „hohen Schutzbarrieren des verwendeten Kryptoprozessors Zugriffe ohne systemkonform ausgerüstete Lesegeräte (Hard- und Software) unmöglich“ macht, ist nicht haltbar. Eine Gewähr nämlich, daß das betreuende Softwareunternehmen die Daten, die sich später aus dem geplanten außeruniversitären Kartengebrauch gewinnen lassen können, wie in der Branche üblich, nicht an Konsumprofile erstellende Firmen verkauft, läßt sich nicht geben.
Sicher ist beim derzeitigen Stand zu bezweifeln, daß die Suppe Unicard so heiß gegessen wird, wie sie gekocht wird. Da die Universität als öffentliche Körperschaft schärferen Datenschutzbestimmungen unterliegt als beispielsweise private Betreiber, kann davon ausgegangen werden, daß hier gesetzliche Regulierungen noch greifen werden. Betrachtet man die Stellungnahmen des mit der Umsetzung beauftragten Dezernats Akademische Verwaltung zur Kritik an der Einführung, gelangt man eher zu dem Eindruck, daß sich die Universität der Schärfe der Problematik gar nicht bewußt ist. Doch auch wenn man den Organisatoren Gutgläubigkeit in die technischen Vorzüge eines solchen Kartensystems zu Gute schreibt, wonach eine Abspeckung der Verwaltung die Konkurrenzfähigkeit stärken soll, bleibt ein fades Gefühl. Als zweiter Gesichtspunkt ist nämlich die weitere Handhabung der Karte mit einzubeziehen. Denn selbst wenn eine weitergehende Nutzung zum derzeitigen Zeitpunkt nicht geplant ist, wird mit der Einführung doch der Grundstein gelegt, bei entstehendem „Bedarf“ die Nutzungsmöglichkeiten zu erweitern. Aus welcher Richtung der Wind möglicherweise blasen wird, verdeutlichen die Maßnahmen, die in den letzten Jahren zur Profilierung der Uni beigetragen haben. Nach der Überwachung von Teilen des Unigeländes und der Unimensa durch Videokameras und der jüngsten Installation von Rollgittern an den Eingängen zur Grimmaischen Straße wird es wohl nicht lange auf sich warten lassen, bis die sich im Hörsaalgebäude aufhaltenden Obdachlosen zum Objekt neuer Ausgrenzungsbedierde werden. Die mögliche Nutzung der Unicard als Zugangskontrolle dürfte spätestens dann als probates Mittel in Frage kommen und somit einmal mehr die Beschneidung öffentlichen Raumes fortsetzen. Daß derartige Projekte dann problemlos durchgezogen werden können, dafür sorgt einmal mehr die Mehrheitsverteilung im Senat, die ein gleichberechtigtes Mitspracherecht der Studentenschaft von vornherein ausschließt.
Wie so oft ist eine kritische Öffentlichkeit oder gar Widerstand gegen das Chipkartenprojekt dünn gesät. Das Desinteresse der Studierenden bewegt sich dabei in den bekannten Bahnen: Eine Informationsveranstaltung der Linken StudentInnen Gruppe (LSG) im Oktober besuchten gerade mal 15 Interessierte. Da die meisten Studenten in ihrer privaten und politischen Ahnungslosigkeit zudem das Argument der Effizienz freudig angenommen haben dürften, wird nicht mal der Verweis auf die möglichen Spätfolgen Erfolg haben. Und daß sich Mitarbeiter der Uni gegen eine mögliche Einführung der „Stechuhr“ aussprechen werden, ist angesichts der weitverbreiteten Ellenbogenmentalität innerhalb des Lehrkörpers wohl ebenfalls nicht zu erwarten. Bleibt zu hoffen, daß die Anlaufschwierigkeiten in der Bereitstellung der Infrastruktur, wie sie zu Semesterbeginn in langen Schlangen vor den „SB-Terminals“ zu beobachten waren, das „erlebbare Ergebnis“ noch ein wenig schmälern werden.
Boris


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last modified: 28.3.2007