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Nachfolgender Text „über den Schwachsinn einer deutschen Popkultur“ erschien zuerst in Spiegel-Spezial „Pop und Politik“ Nr. 02/1994. Eingedenk der Tatsache, dass so etwas heute niemals mehr im Spiegel-Umfeld veröffentlicht würde, läßt sich so ziemlich gut verdeutlichen, wie sehr das Nationale die Deutschen längst wieder umnachtet. Das neue deutsche Selbstbewußtsein von heute basiert auf einer tendenziellen Geschichtsklitterung, bei der sich Deutschland die ganze Welt zurechtlügt. (Siehe auch den Beitrag „Die Macht des faktischen Dabei-Seins“ von Ralf in dieser Ausgabe.)
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Alles Mist

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Maria und Margot Hellwig
Eine der unsinnigsten Diskussionen, in die verwickelt zu werden mich immer wieder ereilt, ist jene über die Bewertung „wahrer Volksmusik“. Natürlich gilt es in einer derartigen Fragestellung, Partei für die letztere nehmen. Guter Pop war zu allen Zeiten ein Bastard, unrein, im besten Sinne volkstümlich, populär. Selbst die Heiligtümer heutiger Traditionspfleger weisen auf Traditionsverluste hin: Die Ziehharmonika wurde im letzten Jahrhundert von Heimat-Puristen ebenso verteufelt wie heute der Synthesizer. Und das Überhandnehmen gepflegt gezupfter Stubenmusik erweist sich als direktes Resultat des Blasmusikverbots durch die Aliierten 1945.
Und die Puristen selbst? Seit über hundert Jahren die Allerkorrumpiertesten, nachdem sie begonnen hatten, das anarchische, sprichwörtlich subkulturelle Liedgut der Volkssänger pädagogisch gereinigt und sentimental verhunzt zu Papier zu bringen: wo vorher der Knecht die Herrin penetrierte, röhrte nunmehr der Hirsch auf der Lichtung. Wahre Volksmusik: ein toter Bastard. Es fällt mir trotzdem nicht leicht, ihren lebendigen Gegenspieler, die volkstümliche Musik, in besserem Licht darzustellen: Kastelruther Alpinkatzen, Naabtal Schürzenjäger: alles Mist.
In Amerika haben sie das besser gemacht. Dort warfen schon immer die verschiedensten ethnischen Gruppierungen, Blut und Boden weit hinter sich, alle heimatlichen Erbstücke respektlos in die große Salatschüssel. Die besten Polkas werden heute von Tejanos in Texas, Polen in Ohio und Indianern in Arizona hingebrettert, die anrührendsten Walzer von Cajuns in Louisiana und Böhmen in Texas angestimmt, die schönsten Jodler von halbirischen Mestizen in den Himmel über Oklahoma gejagt. Amerikanische Folkmusic, ob Jazz, Bluegrass oder Zydeco, entsteht gerade durch das Gegenteil von musealer Traditionspflege, chauvinistischer Wurzelsuche oder des bei uns so unheilvoll grassierenden Authentizitäts- und Identitätswahns, sondern vielmehr durch das Vertrauen auf produktive Mißverständnisse, nicht zuletzte durch migratorische Entwurzelung.
Als Adolph und Emil Hofner Mitte der dreißiger Jahre in San Antonio böhmische Blasmusik in elektrifizierte und bluesinfizierte Western Swing String Band Music umsetzen, hatten sie damit einen Grundstein für Elvis Presleys spätere Innovationen gelegt. Hierzulande hätten sie, nicht nur unter den Nazis, die ja selbst das Akkordeon zu verdammen suchten, als Hochverräter am nächsten Baum der feuilletonistischen Erkenntnis gebaumelt.
Bezugnahme auf Tradition gilt in Deutschland gemeinhin der Stabilisierung nationaler Identität. Selbst zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle (NDW) um 1980 herum saß man der Chimäre einer Eigenständigkeit deutscher Popmusik auf, wobei zu bedenken ist, daß damals allein die Verwendung der Silbe „deutsch“ äußerst subversiv und alles andere als sozialdemokratisch staatstragend war.
Darüber hinaus echote aus dem New-Wave-Ausland ein Begriff vom Deutschen herüber, der deutsche Identität auf das wunderbarste als sexuellen Identitätsverlust mißverstand: Roxy Music, der frühe Lou Reed, David Bowie, „Cabaret“, „Andy Warhol’s Interview“. Insofern reimportierte die NDW, auch in ihrem Glauben an die Wiederaufnahme der Weill/Eislerschen Schule, lediglich transatlantisch fehlinterpretierte Amerikanismen und marxistische Dekonstruktivismen exilierter Dissidenten. Nach dem industriellen Ausverkauf der NDW blieb die deutsche Subkultur abermals vor der Authentizitätsfalle bewahrt. Es wurde wieder englisch gesungen in der BRD, und während ich damals die schlechten Imitate anglo-amerikanischer Musik belächelte, formulierte Diedrich Diederichsen als erster eben jene Chance zur Differenz, welche sich aus dem fehlerhaften Remake herauslesen läßt.
Dennoch lag der politische Diskurs über Popmusik mit der ausschließlichen Orientierung an den aktuellen Bands der USA vorübergehend brach. Erst seit im hiesigen Underground wieder auf deutsch gesungen wird, wird auch wieder über die gesellschaftliche Relevanz von Musik geredet. Ironischerweise mit dem Erkenntnisgewinn über gerade das Differentielle aller nicht-amerikanischen Anstrengungen zur nach wie vor amerikanisch bestimmten Popmusik: Nicht unsere Identität finden wir in den muttersprachlichen Texten, sondern unsere Abweichung, nicht ihrer Verständlichkeit, sondern der konstruktiven Reibung am Formalen halber schreiben wir Songtexte auf deutsch.
Was jahrelang als Argument gegen das Singen in Deutsch herhielt, gilt nunmehr als Herausforderung, eben dies zu tun: als Chance, Genres zu erneuern, Identitäten zu überschreiten. Wie Adolph und Emil Hofner. Wer deutsch singt, um Identitäten zu stiften, ist ein Faschist: Ob „wahre Volksmusik“ oder „wahrer Hip-Hop“ – Kultur darf niemals zu sich selber finden.


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last modified: 28.3.2007