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Die Macht des faktischen Dabei-SeinsEin Überblick über die gelaufenen Diskussionen um Linke und Pop kann sich zwangsläufig nur an der Zeitschrift Spex langhangeln.Ein kurzer Abriss von Ralf | ||||
(...) Und ich habe festgestellt, daß genau
die Leute, die Pop subversivere Absichten oder Potentiale unterstellen, die
herzlosesten Bastarde von allen sind. In ihrer Anwesenheit ist ein
ästhetisches Leben unmöglich. (Olaf Dante Marx, ex-Spex, 1990) Die Geschichte der deutschen Linken und des Pop ist eine, die sich theoretisch in jenen Niederungen abspielte, die als Bezugsgröße die Neue Linke der 68er voraussetzt. Jene Linke also, die, aufbauend auf der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, in der Hauptsache die heilige Subjektkuh der historisch determinierten Mission der Arbeiterklasse schlachtete, um an ihre Stelle viele kleine Kälber als neue Subjekte in den Stall der Linken Revolutionsträume zu stellen. Insbesondere sind es Paradigmen der Postmoderne (Louis Althusser) und des Poststrukturalismus (Michel Focault, Jaques Derrida), die darüberhinaus den Grundstein für ein Leben nach der K-Gruppen-Zeit in den 70ern legten, der über Punk und New Wave ende der 70er so rein gar nichts mit der klassischen Linken gemein haben wollte und konnte: Und es ergab sich praktisch von selbst, dass man sich das Ganze als eine Bewegung
Nicht willkürlich, sondern folgerichtig, soll die Geburtsstunde der Spex Musik zur Zeit als Stunde null einer sich peu a peu entwickelnden sogenannten Pop-Linken begriffen werden. Natürlich gab es schon vorher die Zeitschrift Sounds, in der ein Diedrich Diederichsen immer wieder fragte, wie denn Pop überhaupt geht. Mit dem 10. September 1980, dem Erscheinungsdatum der ersten Spex, begann recht schnell eine Seitenhieb-Debatte, bei der und das war das Wichtigste und auch Gewinnbringendste an der Angelegenheit jeder einzelne Autor Pop und seine Problematik extrem persönlich nahm, so daß damit alle möglichen individuellen Lebens-, Arbeits- und Erfahrungszusammenhänge in eine allgemeine Auseinandersetzung geworfen wurden.(2) Die Macht des faktischen Dabei-Seins war also der Gradmesser einer Ab- und Eingrenzung. So konnte der US-amerikanische Musik-Journalist Greil Marcus schon 1982 einen Text unter dem Titel Die Dada-Connection veröffentlichen, der theoretisch einen Zusammenhang von Punk und Dadaismus beispielhaft zurechtzimmerte, wie er später zur poplinken handwerklichen Methodik der Abstraktion im Konkreten überhaupt werden sollte.(3) Tatsächlich stand Pop als subversives Etwas in den 80ern in voller Blüte. Sein dissidenter Charakter lies alle Aktivisten keine Gedanken an die Mythen über Pop (Holert/Terkessidis) verschwenden. Die politische Praxis ergab sich automatisch aus der gewollten wie ungewollten Abgrenzung. Und diese Abgrenzung war der Gradmesser der Politisierung. Mit dem Beginn der 90er gab es drei bestimmende Faktoren, die ein stärkeres Nachfragen und Theoretisieren innerhalb der Pop-Kreise auslöste: die laufenden ökonomischen Veränderungen in den entwickelten kapitalistischen Indutriestaaten insbesondere in Großbritannien und den USA , die auch in der Kulturindustrie erste Spuren hinterließen, der Zusammenbruch des realen Sozialismus als herbe Niederlage der Linken weltweit und die stetig populärer werdenden neuen Jugendkulturen wie Techno/Acidhouse und Hip Hop. Plötzlich hatte man zu tun, die gravierende Beschleunigung mehrerer paralleler Entwicklungen überhaupt noch zu blicken. Darüberhinaus galt es, einer in den Staaten beginnenden Debatte Rechnung zu tragen, die die dekonstruktivistisch konnotierte Frage Whats inside a girl? Oder was ist überhaupt ein Girl? aufwarf.(4) Es begann nun die theoretische Hoch-Zeit der Pop-Linken im grossen Dunstkreis der Spex, die insbesondere innerhalb der traditionellen (Neuen) Linken besser: ihrem übriggebliebenen Rest immer stärkere Beachtung fand. So beispielsweise die Debatte um Hip Hop und Differenz, die sich besonders in Günther Jacob und Diedrich Diederichsen personifizierte, und nicht zuletzt ausschlaggebend für den Bruch des ersteren mit dem Blatt war.(5) Auch die Pop-Linken verspürten Praxisdruck, dem man sich angesichts des tobenden Nazimobs auf den Strassen und der sogenannten Asylrechts-Debatte immer stärker ausgesetzt sah: Das postmoderne, idyllische Nebeneinander kleiner und Kleinstszenen, deren Zusammenhalt teils noch nicht mal mehr durch gegenseitiges Interesse gesichert schien, war in
Und es ging so richtig los: Ende 1992 wurde Diederichsens Traktat The Kids are not alright veröffentlicht, das darauffolgend noch in drei kurz hintereinander aktualisierten Versionen erschien.(8) Einleitend hieß es dazu in Spex: Ende der Fünfziger wurde sie erfunden, in den Neunzigern ist es Zeit, sich von ihr zu verabschieden: die Jugendkultur. Nicht nur für Spex bildeten Pop, Revolte und Abgrenzung die Basis der täglichen Existenz. Doch plötzlich funktioniert das Spiel mit den Selbstverständlichkeiten nicht mehr. Dieser Text war quasi der Schlüssel für die Krise der Pop-Linken, von der sie sich nie wieder erholen konnte. Parallel zu dieser Diskussion initiierte man eine übergreifende, aus der Not geborene Organisierungsform, die sogenannten Wohlfahrtsausschüsse zur Abwehr des gegenrevolutionären Übels, in denen sich linke Gruppen und Einzelpersonen von A bis Z zusammenfanden. Aus diesem Zusammenschluss entsprang unter anderem eine Tour durch die Zone, die zu einem inhaltlichen Desaster wurde.(9) Und mittendrin erschien dann eine Spex mit dem Schwerpunkt Popmusik in Deutschland, deren Kolumne man so manchem frechen ignoranten Popper von heue um die Ohren hauen müßte: Die deutschen Subkulturen haben ihren riesigen Relevanzschub gerade durch die politischen Ereignisse der letzten zwei Jahre (91/92) erhalten. (...) Durch scheußlichste Etwicklungen bedingt, bleibt einem nichts anderes übrig, als dieses Land zur Kenntnis zu nehmen. (...) (Man) sollte daher nie hinter die Erkenntnis zurückfallen, daß es ohne die Internationalität des anglo-amerikanischen Kulturimports wahrscheinlich keinen Ausweg aus dem Kulturmief der Nachkriegszeit gegeben hätte. Elvis Presley war nicht umsonst kein Deutscher und könnte auch heute keiner sein.(10) Alle aktuellen Pop-Diskussionen verliefen unter dem Eindruck einer immer mehr Raum greifenden Diskussion um Identitäten von schwarz, weiß und Geschlecht (Gender), die theoretisch insbesondere durch die französischen poststrukturalistischen Dekonstruktivisten Gilles Deleux und Felix Guattari untersetzt war.(11) P.C. politically correctness wurde dadurch zum Stichwort für eine Debatte, die nach der befreienden Wirkung der Popularkultur des Pop für gesellschaftliche Minoritäten und Stigmatisierte stöberte.(12) Für die entscheidende Frage der p.c.-Debatte wurde einmal mehr auf Michel Focault zurückgegriffen: Wie ist in den abendländischen Gesellschaften die Produktion von Diskursen, die (...) mit einem Wahrheitsgehalt geladen sind, an die unterschiedlichen Machtmechanismen und -institutionen gebunden?(13) Und daran anknüpfend fragte die Spex: Je mehr p.c. das Adjektiv postmodern als meistgebrauchtes Schlagwort ablöste, desto unklarer wurde seine Bedeutung. Heißt politische Korrektheit automatisch Zensur und linkes Spießertum?(14) Insbesondere um Gender als gesellschaftlich normative Konstruktion entspann sich eine längere Debatte, die nicht unerheblich dadurch zu Stande kam, weil sie an die entstandene Rrriot Grrrl-Bewegung angedockt war. Mit dieser Debatte um Geschlecht und Identität rissen Gräben zu einer Linken auf, deren feministischen Positionen seit den 70er und 80ern in einem Spannungsverhältnis von Gleichheit und Differenz (Cornelia Eichhorn) existieren.(15) Anfang 1994 erschien zum ersten Mal die Zeitschrift Beute Politik und Verbrechen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Kommunikationslosigkeit zwischen der politischen und der künstlerischen Opposition aufzuheben. Dieses Unterfangen gelang ihr nie richtig, so dass sie mittlerweile wenn auch nicht höchstoffiziell den Geist aufgegeben hat. Mitte Juni 1994 starb Curt Cobain, der Sänger von Nirvana, dessen Selbstmord die Spex fragen liess, wie man mit dem Tod umgehen könnte, wenn man seinen Selbstmord unter anderem als Reflex auf die Ausbeutung einer Protesthaltung durch MTV et al. versteht. Ausserdem stelle sich die Frage, ob Rebellion und Authentizität unter den Bedingungen von MTV und einer postmodernen Ökonomie tragfähige Optionen seien.(16) Fast parallel zum Ersten
In der Öffentlichkeit grassierte zu dieser Zeit die Konstruktion der Generation X, deren medialer Zweck darin bestand, Konsumrebellen zusammenzuschweissen, um sie gleichzeitig auf verschiedene Minderheiten zu verteilen (Holert/Terkessidis). 1995 gilt als das Jahr, in dem, wenn man so will, Links mit Pop als Subversionsmodell endgültig brach, obwohl eigentlich aus dem Nichts eine traditionell linke Zeitung wie links urplötzlich auf den Trichter kam, die schon 1992 vom Zeitgeistmagazin Tempo ausgerufene Popmoderne nochmal aufleben zu lassen.(17) In der Zeitschrift 17deg.C Zeitung für den Rest wurde mit kurzen knappen Worten auf den Punkt gebracht, was viele bislang ahnten, aber einfach nicht wahrhaben wollten: Das endgültige Ende des Subversionsmodells Pop-Subkultur. (Der Text ist in dieser Ausgabe des Cee Ieh dokumentiert). Was sich daraufhin die Spex als Reaktion leistete, hätte dünbrettbohriger nicht sein können es kam einem Offenbarungseid gleich: Wenn man das so sähe wie die 17deg.C, machte das ja handlungsunfähig. Ausserdem würde dort mit großkotziger Geste einfach weggewischt, dass konkrete Menschen mit konkreten Hoffnungen und konkreten Schicksalen in das System Popkultur verstrickt seien. Noch die härteste Kritik an der Kulturindustrie (...) bleibt solange inhuman, wie sie die schlichte Tatsache ausblendet, daß Popkultur soziale Relevanz gerade für Minderheiten und Benachteiligte entwickle.(18)
Es läßt sich konstatieren, dass die Spex und insbesondere ihr politisierteres Umfeld seit 1995 nichts mehr hinbekommen haben ausser Frechheiten wie dem vorgeschlagenen Diktum, doch gefälligst gegen die Uni zu studieren, um den Hype um die Cultural Studies nachträglich legitimieren zu können. (Siehe in diesem Cee Ieh die Rezension des Buches Cultural Studies Grundlagentexte zur Einführung). Die einzige mehr als rühmliche Ausnahme stellt der von Tom Holert und Mark Terkessidis herausgegebene Sammelband Mainstream der Minderheiten Pop in der Kontrollgesellschaft (Edition ID-Archiv, Berlin 1996) dar, der das Deleuzsche Paradigma der Kontrollgesellschaft als ablösender Machttypus der verflossenen Disziplinargesellschaft darstellt und daraus viele gute Gründe ableitet, sich den diversen Selbsttäuschungen über Subversion und Rebellion von Pop zu verweigern. Dass es Popper gibt, die wissen, wovon sie reden, dafür steht auch nach wie vor Diederichsen als Kronzeuge einer ausgelaugten und vor sich hindümpelnden Rest-Pop-Linken. Und auch er weiß, dass die Verbindung von Kultur und Politik trotz gegenteiliger Bekenntnisse zunehmend verloren geht.(19)
Fußnoten: |
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