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Die Ausstellung des Hamburger Institutes für Sozialforschung (HIS) soll auch nach Leipzig kommen. Das wurde vom Stadtrat bereits 1997 beschlossen. Die Stadt bemüht sich insbesondere darum, „die erste Station für die Präsentation der überarbeiteten Fassung zu werden“. Zu diesem Zweck konstituierte sich in Leipzig ein Gremium, dem u. a. der Kulturdezernent Leipzigs, Dr. Georg Giradet, die Kulturamtsleiterin Susanne Kucharski-Huniat, der Direktor des Hannah-Arendt-Institutes für Totalitarismusforschung Dresden, Dr. Klaus-Dieter Henke, der Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Dr. Wolf-Dieter Legall und Dr. Norbert Haase, Leiter der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten für die Opfer politischer Gewaltherrschaft Dresden, angehören.
Thema der Neupräsentation soll nach Aussage des HIS nun auch „der zugrundeliegende Verbrechensbegriff hinsichtlich Täter, Mittäterschaft und Verantwortlichkeit sowie der ehemalige Stand des Völkerrechts“ sein.
Der Chef der stärksten Leipziger Stadtrats-Fraktion (die jedoch nicht den Oberbürgermeister stellt), Volker Schimpff (CDU), bezeichnete die Ausstellung mehrmals und nachdrücklich als „Anti-Wehrmachts-Ausstellung“ und „linksextreme Verfälschung der Geschichte“, die „das anständige, ritterliche Soldatentum verleugnen und alle Soldaten als Mörder“ brandmarken solle.
Gegen diese Äusserungen Schimpffs gab es so gut wie keinen öffentlichen Widerspruch. Erst durch die Initiative des Leipziger Bündnisses gegen Rechts (BgR), das die fehlenden „klaren und zustimmenden Worte“ hinsichtlich der Ausstellung bemängelte, beteuerten einige wenige Leipziger Persönlichkeiten, dass die Ausstellung auch gegen den Widerstand der CDU-Fraktion nach Leipzig kommen müsse.
Unter dem Titel „Alles neu macht die Berliner Republik? – Die Ausstellung ‘Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944’ und die Schatten des neuen deutschen Antifaschismus“ fand am 19. April 2000 eine vom BgR, der Initiative für eine Vereinigte Linke (VL) und der AG Kommunales Kino organisierte Podiumsdiskussion im rappelvollen Kunst- und Kluturhaus naTo statt.
Podiumsgäste waren Rahel Springer vom Leipziger Bund der Antifaschisten, der Historiker Wolfgang Wippermann, der Schriftsteller, ehemalige MdB und Wehrmachtsdeserteur Gerhard Zwerenz sowie der Autor Günther Jacob. Moderiert wurde die Runde von Gunnar Schubert.
Wolfgang Wippermann: Mich verwundert es etwas, wenn davon gesprochen wird, dass die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ nach Leipzig kommen könnte. Ich kann da alle beruhigen. Die Ausstellung wird nicht kommen, die wird nie mehr kommen. Wenn sie denn kommen würde, wäre sie eine Totalitarismus-Ausstellung und es würden nicht nur die Verbrechen der Wehrmacht, sondern auch die „Verbrechen“ der Roten Armee dargestellt.
Die Ausstellung ist aus dem Verkehr gezogen. Dabei geht es nicht etwa um Geschichtswissenschaft, sondern um Geschichtspolitik.
Meine Kritik an der bisherigen Ausstellungskonzeption ist in erster Linie eine politische Kritik. Denn man will die Legende der sauberen Wehrmacht aufrecht erhalten, weil man ja sonst „unsere Jungs“ nicht nach Prizren in den Kosovo schicken kann, wo ja auch schon andere waren, u.a. die Waffen-SS-Division Skanderbeck, die genau dort 1943 aufgestellt worden ist. Diese politische Kritik war nicht erfolgreich, weil die Verteidigung der Ausstellung gegen Rechts richtig und notwendig war.
In der Ausstellung befand sich kein einziges gefälschtes Dokument – auch nicht gefälschte Bilder. Es ging ja beim Rückzug der Ausstellung um einige Bilder. Bilder aus Lemberg nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Juli/August 1941. In der Tat haben dort die zurückziehenden Sowjets der NKWD Gefängnisinsassen ermordet. Ebenso sind Ukrainer unter Beifall und Ermunterung der politischen und militärischen Verantwortung der Wehrmacht über Juden hergefallen und haben diese ermordet. Wehrmacht und Einsatzgruppen, bei der Wehrmacht z. B. die Gruppe „Nachtigall“ unter Theodor Oberländer, später Bundesminister für Vertriebenenfragen, haben ebenfalls ihre blutige Spur gezogen.
Nun existieren Bilder mit unterschiedlichen Unterschriften. Das heißt, die gleichen Bilder, die Leichen und Soldaten zeigen, haben zum Teil unterschiedliche Unterschriften. So zeigen die in der Ausstellung Juden, die von deutschen Soldaten erschossen worden sind. Andere sagten, die Bilder zeigten Volksdeutsche, die von Polen und Ukrainern ermordet wurden. Die dritte Version: es handelte sich um Ukrainer, auch Polen, die von Angehörigen der NKWD erschossen worden sind. Letztere ist die Argumentation des Historikers Musal. Er hat die besagten Bilder in dem polnischen Archiv der „Hauptkommission zur Untersuchung der Verbrechen am polnischen Volk“ in Warschau gefunden. Dort wiesen die Bilder die Leichen als Opfer von NKWD aus.
Für Historiker ist es überhaupt ein schwieriges Feld. Es gibt zahlreiche Bilder, die in Geschichtsbüchern abgebildet sind und unterschiedlichste Unterschriften tragen.
Es fragt sich, warum die Hamburger vom Institut für Sozialforschung (HIS) die Ausstellung aus dem Verkehr zogen. Das hat damit zu tun, dass die Ausstellung wider Willen, also nicht planmäßig, zu einem geschichtspolitisch wichtigen Ereignis der neunziger Jahre wurde. Von der Planung her war die Ausstellung der untergeordnete Teil von Reemtsmas liebstes Kind, der Darstellung der drei großen Makroverbrechen: Auschwitz, Gulag und Hiroshima.
Das HIS ist in der Tat zu einem Institut für Totalitarismusforschung geworden, was heißt, Rot ist gleich Braun und Rot ist im Zweifelsfall auch viel schlimmer.
Die Ausstellung wurde erst durch die Offensive der ganz Rechten zu einer Ikone der Linken, obwohl bereits in Dresden anfang 1998 die Ausstellung ergänzt wurde um das „Fortleben“ der Wehrmachtstradition in der Nationalen Volksarmee der DDR.
Ich vermute ganz stark: Wenn die Ausstellung überhaupt noch einmal kommt, dann wird sie eine Totalitarismus-Ausstellung sein. Dann werden auch die Verbrechen der Roten Armee dargestellt und man kann dann sagen: ‘wir waren ja gar nicht so schlimm, die anderen waren ja genauso’.
Alles in allem muss der Rückzug der Ausstellung als eine Niederlage in der geschichtspolitischen Debatte gewertet werden. Es geht ja dabei gar nicht um Vergangenheit, sondern um Gegenwart. Es geht um die Bewältigung der Vergangenheit, um die Gegenwart zu bewältigen. Und in dieser Situation muss man die Ausstellung verteidigen, auch wenn man sie von Links kritisiert.
Was ist nun das Neue dieser „Berliner Republik“ im Vergleich zur wehrmacht, 3.7k alten BRD? Nun, ein Wort. Und dieses Wort lautet „wieder“. Ich habe mal in den Publikationen meiner Kollegen gezählt, wie oft die „wieder“ verwenden: ‘Deutschland ist wieder Großmacht’, ‘Deutschland ist wieder mitten in Europa’, ‘Deutschland muss wieder einen Krieg führen’, ‘Deutschland hat wieder die historische Verantwortung’. Es ist ein Zurück ins 19. Jahrhundert. Man glaubt es gar nicht. Ich erkenne meine Kollegen nicht wieder in dem, was sie in den Achtzigern sagten und was sie heute sagen: sie sind – wieder – Großmachtpolitiker.
Die Gefahr heute ist ein moralischer Imperialismus, ein neuer Imperialismus, der zwar auch geopolitisch im klassischen Sinne argumentiert, aber jetzt argumentieren die, die Nachgeborenenen der Tätergeneration, dass „gerade wir“ eine „besondere Verpflichtung“ und ein „besonderes Recht“ hätten, ein „neues Auschwitz“ zu verhüten.
Das entscheidende dabei ist eben, dass bis in die PDS hinein sich mehr und mehr die Überzeugung durchsetzt, die DDR wäre „totalitär“ und so mit dem sogenannten Dritten Reich vergleichbar. Damit werden also nicht nur Äpfel und Birnen miteinander verglichen, sondern – da in der Nacht ja alle Katzen bekanntlich grau sind – alles wird irgendwie zum Verbrechen oder Verbrecher und das gipfelt dann in einer „vergleichenden Genozidforschung“, die sich sogar dazu versteift zu behaupten, Genozide seien so vorhersehbar wie beispielsweise Gewitter.
Die Gefahren bestehen ebenso in der Konzentration auf den Holocaust, in der andere Opfergruppen rausfallen, insbesondere die Sinti und Roma und auch die Kommunisten. Weiterhin in der bloßen moralischen Argumentation von der „großartigen“ Bewältigung der Vergangenheit, aus der alle möglichen Legitimationen abgeleitet werden. Und ausserdem erwächst die Gefahr aus der Tatsache, dass der erwähnte antitotalitäre Grundkonsens zur Staatsideologie geworden ist. Die Totalitarismusdoktrin war die Staatsideologie der alten Bundesrepublik und ist auch die der neuen Republik, die ich nicht „Berliner Republik“ nennen möchte.
Günther Jacob: Wir haben es mit dem Phänomen zu tun, dass Mitte der neunziger Jahre eine Ausstellung über ein Ereignis stattfindet, dass über fünfzig Jahre zurückliegt. Wieso nach fünfzig Jahren? Wieso nicht nach zehn oder zwanzig? Wer hat sich denn vorher damit beschäftigt? Der Aufstieg und der Erfolg der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“, der plötzlich einsetzt, haben wesentlich mit der Gegendemonstration von Nazis in München zu tun. Wir haben aber inzwischen auch den Fall der Ausstellung, der plötzlich, ein halbes Jahr nach dem Kosovo-Krieg, zu dem Zeitpunkt, wo es ein deutsches Protektorat im Kosovo gibt, gekommen ist. Wenn man in die Details gehen würde, liesse sich feststellen, dass bis hin zur rechts-konservativen Presse vor dem Kosovo-Krieg die Ausstellung zwar schon teilweise heftig kritisiert wurde, aber im Grunde eine gewisse Balance eingehalten wurde. Es wurde nicht mit dem Ziel geschrieben, die Ausstellung zu stoppen, zu verhindern oder zu Fall zu bringen. Nach dem Kosovo-Krieg hat sich dies überraschend geändert. Dinge, die vorher nur im Feuilleton verhandelt wurden, rutschten beispielweise bei der FAZ mehrmals als Hauptmeldung auf die Titelseite.
Es fällt ausserdem auf, dass die Unterstützung der Ausstellung unheimlich schnell weggebrochen ist. Lehrer, Professoren, Liberale, das ganze Publikum, das in den verschiedenen Städten bisher die Ausstellung verteidigt und unterstüzt hatte, hat sich verflüchtigt. Das Institut für Sozialforschung selbst hat sich bekanntlich auf die Position zurückgezogen, es sei jetzt alles eine Sache von Experten.
Es muss daran erinnert werden, dass die Ausstellung für viele von uns einen wichtigen Anstoss dargestellt hat. Es waren mit ihr viele Hoffnungen verbunden. Der Zusammenhang, dass der Holocaust nicht nur im Schutz der Wehrmacht stattfand, sondern mit aktiver Hilfe der Wehrmacht, wurde bis dato ja gar nicht öffentlich verhandelt. Deswegen ist eigentlich im Zusammenhang mit der Ausstellung auch immer von der Wehrmacht zu reden. Denn neunzig Prozent von uns wissen nicht, wo ihre Väter überhaupt waren. Von den meisten bekommen wir gesagt, der Vater wäre „im Osten“ gewesen. Tatsache ist, dass z.B. in der deutschen Linken, die viel Wissen darüber besitzt, wie z.B. Krisen funktionieren, über die Wehrmacht selbst, über das, was ihre Väter und Großväter getan haben, unglaublich gering ist. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen erzählen die Alten immer Deckgeschichten. Sie erzählen Geschichten, die mit der eigentlichen Sache nichts zu tun haben. Z.B. wie sie Pferde gefüttert haben oder Fleisch gegen Schuhcreme tauschten, dass sie Läuse hatten und so weiter. Deswegen ist das Wissen bei den Nachkommen erst einmal sehr gering. Der Osten ist für die meisten von uns immer eine Black Box gewesen. Die Tatsache, dass man nicht viel darüber weiß und daß, selbst wenn man viel darüber fragt, nicht viel darüber herauszubekommen ist, hängt mit einem Tabu zusammen. Dieses Tabu erfährt man schon in frühester Kindheit, etwa durch strafende Blicke. Wir haben eine Situation, wo auf der einen Seite, etwa in den Feuilletons, eine auf hohem Niveau stattfindende öffentliche Erinnerungskultur existiert. Die naheliegende Sache jedoch, zu seiner Oma zu gehen und zu fragen, wie es war, findet nicht statt.
Was aber ist nun, wenn die Alten wirklich erzählen? In dieser Situation offenbart sich das Problem, dass der Holcaust eine so gewaltige und einzigartige Mordtat war, die so ungeheuerlich ist, dass sie ein Tabu nicht nur produziert, weil die Alten schweigen, sondern weil es ein Zurückschrecken davor gibt. Was wäre denn gewesen, wenn unsere Väter und Großväter gesagt hätten: ‘Jawohl, es stimmt, ich habe 5 000 Leute erschossen’. Wer will denn das wirklich hören? Wir befinden uns also in einer Situation, wo die Alten nicht erzählen und die Jungen zwischen dem Wunsch, die Alten zum Sprechen zu bringen und der Hoffnung, dass sie nicht sprechen, hin und her gerissen sind. Diese unbewußten Prozesse haben die ganze 68er Linke geprägt – dieses Fragen-Wollen und doch nicht wissen.
Nun kommt also die sogenannte Wehrmachtsausstellung und veröffentlicht die Bilder, wo wir die Tätergeneration quasi am Werk sehen. Das sind andere Bilder, als wir sie von den KZs kennen. Die Fotos aus den KZs, die wir kennen, sind von den alliierten Befreiern nach der Befreiung gemacht worden. Diese zeigen nicht die Täter, sondern ein ganz bestimmtes Resultat. In der Ausstellung aber sehen wir die Täter in Aktion. Und diese Fotos liegen zu Hause auf den Dachböden der Ausstellungsbesucher. Somit haben wir es mit einem Ritual, mit einem Schauspiel, mit einer Performance zu tun – mit einem öffentlichen Selbstbetrug, einer ganz seltsamen Geschichte: Es werden 50 Jahre danach öffentlich Fotos gezeigt, wo alle damit rechnen müssen, ihre eigene Verwandtschaft dort zu sehen.
Diese belastende Konstellation ist für mich der Ausgangspunkt für die Diskussion über die sogenannte Wehrmachtsausstellung. Was Herr Wippermann Vergangenheitspolitik nennt, nenne ich Erinnerungskultur. Diskutiert wird diese Ausstellung nämlich in einer bestimmten Plotstruktur der psychoanalytischen Begriffe, wie z.B. Vergangenheitsbewältigung, Einfühlen, Vergeben oder Durcharbeiten, und in der Plotstruktur der Tragödie. Wenn die Morde der Tätergeneration in der Plotstruktur der Tragödie diskutiert werden, dann ist eine bestimmte dramatische Geschichte vorgegeben, an deren Ende die Versöhnung stehen kann.
Rahel Springer: Ich gehöre zu denen, für die die Ausstellung mit Hoffnung verbunden war. Mit neun Jahren bin ich mit meiner jüdischen Familie aus Deutschland emigiriert. Für mich war schon vor Beginn des Krieges die deutsche Wehrmacht genauso wie SA und Nazis das Feindbild. An der Konzeption der Ausstellung war für mich eigentlich nur unverständlich, dass sie erst mit 1941 beginnt. Meines Wissens war die Wehrmacht nicht erst mit dem Angriff auf Jugoslawien zur verbrecherischen Organisation geworden. Nicht erst 1941 hat sie begonnen, wenn schon nicht selbst Juden zu erschiessen, so doch abzusichern – so 1939 in Polen. Ich weiss jedoch auch, dass bereits im Oktober 1938 beim Einmarsch in die Tschechoslowakei die Wehrmacht die Verhaftung von Juden, Kommunisten und anderen, die irgendwie angezeigt worden waren, abgesichert hat.
Bei mir zu Hause liegen natürlich keine solchen Fotos, wie sie in der Ausstellung zu sehen sind. Ich habe aber solche Fotos schon während des Krieges in englischen Zeitungen gesehen und habe Angst gehabt – selbst in englischer Emigration. Trotz dieser Angst bin ich 1946 nach Deutschland zurück gekommen. Wieso? Beantworten kann ich diese Frage nicht. Als die Ausstellung kam, war das für mich ein Hoffnungsschimmer: jetzt endlich wurde gezeigt, was die Wehrmacht für Verbrechen begangen hat. Die Tatsache, dass die Rechten dagegen demonstrierten, bewies mir eigentlich, dass die Ausstellung in Ordnung war.
Wenn man darüber streitet, ob in der Nazizeit sechs oder fünf Millionen Juden umgebracht wurden, dann ist das eine völlig theoretische Größe. Wenn man aber in den Dokumenten der Ausstellung sieht und liest, dort und dort wurden z.B. 1 430 Juden in eine Mühle gesperrt und die Mühle wurde angezündet, dann ist das vorstellbar und keine theoretische Größe mehr.
Ich verstehe, dass die Ausstellung von der Bildfläche verschwinden mußte. Sie beginnt ja 1941 mit dem Angriff auf Jugoslawien, mit der Zerstückelung Jugoslawiens. Wenn man sich den Kosovokrieg anschaut, dann mußte diese Ausstellung verschwinden. Man kann eine Ausstellung, die faktisch zeigt, wie sich die Entwicklung, das Verhalten gegenüber Jugoslawien, gegenüber Serbien, heute gleicht, nicht mehr zeigen.
Im Kosovo, und das ist für mich ganz besonders schlimm, da mußte man eingreifen, um ein „neues Auschwitz“ zu „verhindern“. Ich weiss einiges über Auschwitz, was aber bitteschön soll das Eingreifen im Kosovo mit Auschwitz zu tun haben!? Nun, es klingt gut. Auchwitz ist etwas schreckliches, das wissen sogar viele Schulkinder. Und wenn man etwas tut, um ein „neues Auschwitz“ zu „verhindern“, dann muss das ja eine gute Sache sein. Ein Verwandter von mir, der auf den Phillipinen lebt, schrieb mir, er verstehe nicht, warum wir gegen das „Eingreifen“ im Kosovo-Krieg seien, wir seien doch auch für das Eingreifen der Internationalen Brigaden gegen Franco in Spanien gewesen. Das klingt hirnverbrannt. Aber so wird es von mehr oder weniger fortschrittlichen Leuten im Ausland aufgefaßt.
Wolfgang Wippermann: Die Ausstellungsmacher hätten eigentlich statt erst 1941 viel mehr mit dem April 1937, mit Guernica, beginnen müssen. Sie haben es nicht gewagt und sie hören ja auch viel zu früh auf – nämlich 1944. Die Legende von der sauberen Wehrmacht ist ja erst in den 50er Jahren entstanden. Und das hätte analysiert werden müssen. Man hätte über den 8. Mai 1945 hinaus gehen sollen und die Kontinuitäten, insbesondere die personellen, und die Tradition aufgreifen müssen. Die Ausstellungsmacher haben sich von Anfang an selbst zensiert.
Gerhard Zwerenz: Auf mich trifft Tucholskys Satz „Soldaten sind Mörder“ zu. Es ist ein indirektes Bekenntnis: Auch wenn ich nicht selbst schiesse, bin ich in einem modernen Krieg genauso involviert und somit ein Mörder.
In der Tat war die sogenannte Wehrmachtsausstellung eine Sache, die ursprünglich gar nicht so gedacht war. Das muss man wissen, um zu verstehen, dass die Dramaturgie dieser Ausstellung den späteren Pflichten, die ihr auferlegt worden sind, gar nicht gerecht werden konnte.
In der Vorbereitung auf diese Diskussion, als ich mitbekam, dass es in Leipzig einen Streit um die Ausstellung gibt – manche sie wollen, andere nicht –, habe ich der Leipziger Volkszeitung (LVZ) einen Leserbrief wehrmacht, 45.6k geschrieben, in dem ich den Tatbestand festgehalten habe, dass es natürlich, wie in allen Dokumenten, sehr oft Unsicherheiten gibt. Mit diesem Risiko muss man leben. Das allerdings konnte die LVZ nicht veröffentlichen.
Die Hauptfrage, die man sich stellen muss, lautet: Sind wir auf dem Weg zurück in eine Situation, wie sie politisch, militärisch, strategisch und moralisch bei den Soldaten in der Wehrmacht vorhanden gewesen ist?
Die Herren der Wehrmacht haben alles abgeleugnet. Sie haben es solange abgeleugnet, bis aus der Niederlage „verlorene Siege“ wurden. Nach dem Motto: ‘Wenn Hitler uns gelassen hätte, hätten wir gesiegt.’
Rahel Springer: Die Opferseite schweigt. Warum.
Jerzy Stefan Zweig, das ehemalige sogenannte Buchenwald-Kind, sagte dazu, man könne nicht sein ganzes Leben Opfer sein. Er zitierte Heine, der sagte: „Sie haben mich gequält, geärgert blau und blass. Die einen mit ihrer Liebe, die anderen mit ihrem Hass“. Ich glaube, die meisten der Opfer hätten nicht weiterleben können, wenn sie sich nicht eine Art Schutzwall aufgebaut hätten. Ich habe mit sehr vielen Opfern gesprochen. Immer wenn sie aus den KZs berichtet haben, dann haben sie von der Solidarität, von geheimen Veranstaltungen erzählt. Vor einigen Wochen habe ich zum ersten Mal einen ehemaligen KZ-Häftling gesprochen, der mit einer entsetzlichen Ehrlichkeit die ganzen Grausamkeiten, die er erlebt hat, aufzählte. Ich habe mir hinterher überlegt, wieso er das fertig gebracht hat. Der Mann wurde nach seiner Rückkehr nach Polen Schauspieler und als solcher muss man lernen, „neben sich“ zu stehen. Und das hat ihm ermöglicht, so zu schreiben.
Ich glaube, die meisten Opfer sind nicht in der Lage, über das Schreckliche, was sie erlebt haben, wirklich zu sprechen.
Gerhard Zwerenz: Einen CDU-Bundestasgabgeordneten, den Rupert Scholz, hörte ich einmal vorwurfsvoll sagen, natürlich gegen Leute wie mich: „Mein Vater ist in Stalingrad gefallen. Aber mein Vater war kein Verbrecher.“ Es wird nun uns und der Ausstellung unterstellt, dass wir sagten, die 16, 17 oder 18 Millionen deutschen Soldaten, die bei der Wehrmacht waren, seien allesamt Verbrecher gewesen. Da können wir nun x-mal sagen, dass dies nie jemand von uns behauptet hat. Aus der Feststellung ‘Mein Vater war kein Verbrecher’ müßte man doch eigentlich als denkender Mensch eine Frage ableiten. Nämlich: ‘Was hatte mein Vater in Stalingrad zu suchen?’ Ich musste mich fragen, was ich in der Schlacht von Monte Casino zu suchen hatte. Wir sind gehorsam gewesen. Und dieser Gehorsam ist von der Geschichte verurteilt worden. Nun ist die Frage, wie ich darauf reagiere. Sagt man. ‘Ich persönlich habe doch überhaupt nichts getan’?
Es geht um die Einsicht, dass viele Rädchen in einer Mordmaschinerie gewesen sind. Man muss es nicht zu der damaligen Zeit gewusst haben. Aber spätestens im Nachhinein sollte man wissen, dass das, was dort gewesen ist, eben ein Angriffs- und Vernichtungskrieg war. Wenn dies bezweifelt wird, dann kann man in Details darüber sprechen und kann es beweisen. Ich weiß aber auch genau, dass die rechten und völkischen Kräfte durch Fakten nicht zu überzeugen sind.
Es geht letztlich nicht um Grausamkeiten. Grausam ist jeder Krieg. Grausamkeit kann nicht das Kriterium sein, weil die Grausamkeit in einem Krieg verteilt ist...
Günther Jacob: ... An der Stelle muss ich protestieren. Das klingt fast wie der Ausstellungsmacher Reemtsma höchstselbst. Was Sie zuletzt sagten, ist Bestandteil eines ganz bestimmten Diskurses, den ich nicht akzeptiere. Wenn Sie sich z.B. mal die Anordnung von Generalfeldmarschall Reichenau vom Oktober 1941 anschauen, die schon in den Nürnberger Prozessprotokollen abgedruckt ist – „betrifft das Verhalten der Truppen im Ostraum“ –, da heißt es: „...Das wesentliche Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis.
Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen. Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und Rächer für alle Bestialitäten, die den Deutschen und dem Deutschen artverwandten Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben...“
Das ist nur ein Dokument. Solche gibt es viele. Der entscheidende Punkt der Ausstellung ist ja auch der Titel „Vernichtungskrieg“. Es war ein systematischer Vernichtungskrieg mit dem Ziel der Vernichtung und Ausrottung. Das ist ja auch der Punkt, den wir an der sogenannten Wehrmachtsausstellung geschätzt haben.
Warum greift nun diese Gesellschaft Ende der neunziger Jahre überhaupt dieses Thema auf? Meines Erachtens war die Ausstellung Teil eines Prozesses der offiziellen Wiedergutwerdung der Deutschen. Dieser Prozess beginnt ungefähr 1985. Und 1995 dann betrat ja auch der neue „Zeitzeuge“ die Bühne, wo faktisch die ganzen alten Nazis nicht mehr Nazis waren, sondern zu „Zeitzeugen“ wurden, die in Guido Knopps Filmen vorkommen. Sie treten dort den Opfern gleichgestellt auf. Es beginnt also eine Art Historisierung am lebendigen Leib. Es geht dabei auch darum, den Schatten der Wehrmacht von der Bundeswehr zu nehmen, weil es seit 1989 eine Diskussion darum gibt, dass die Bundesrepublik auch wieder militärische Großmacht werden müße. Dieser Schatten ist durch die Teilnahme am Kosovokrieg von der Bundeswehr genommen worden – an der Seite der „antifaschistischen Allianz“ gegen den „Faschisten“ Milosevic.
Wie aber hat die Gesellschaft die Ausstellung aufgegriffen? Um das zu beantworten, müssen folgende Dinge unterschieden werden: Die Ausstellung selbst, vor allem der Katalog und das Buch, sind und bleiben hervorragend. Aber wir müssen unterscheiden zwischen der Darstellung der historischen Ereignisse des Vernichtungskrieges in der Ausstellung selbst und in dem Begleitbuch. Desweiteren gibt es die Interpretation dieser historischen Fakten durch die Ausstellungsmacher selbst. Darüberhinaus gibt es das Ritual der Ausstellungseröffnungsveranstaltungen. Dort wird das Material der Ausstellung sozusagen kontextualisiert. Ausserdem gibt es die Tatsache, dass die Gesellschaft das Thema aufgreift. Sie hätte dies gut und gern auch sein lassen können. Die Rezeption findet aber gerade im Rahmen einer ganz bestimmten Einnerungskultur statt.
Welche Faktoren haben die Ausstellung zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden lassen?
Da wäre zum einen das Verschwinden der Roten Armee. Dieses hat das Gedächtnis der Tätergeneration sehr gelockert. Viele Wehrmachtsangehörige haben gedacht, solange die Rote Armee da ist oder vor dem Eisernen Vorhang steht, sei es besser, den Mund zu halten, sonst stünde irgendwann der Panzer der Russen im Vorgarten und man würde zur Rechenschaft gezogen.
Weiterhin wäre das Ende Deutschlands als Frontstaat zu nennen. Damit ist auch automatisch der Osten näher gerückt und damit auch das Thema Zwangsarbeit. Natürlich insbesondere auch die deutsche Vereinigung. Diese ist ja eine Vereinigung der Schuld. Auch das hat die ganze Historie wieder näher gebracht. Denn 1990 ist ja quasi die zweite, neue Stunde Null.
Diese gesellschaftliche Themenverhandlung findet ebenfalls im Rahmen einer weltweiten Holocaustdiskussion statt. Der Holocaust ist in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren zur Metapher des Bösen geworden und hat damit andere Metaphern abgelöst. Deutschland ist es dabei gelungen, sich innerhalb dieser Diskussion als Musterstaat der Erinnerungskultur darzustellen.
Wolfgang Wippermann: Ich sehe bei Ihnen, Herr Jacob, den Widerpruch, dass Sie gleichzeitig ein Plädoyer für die Erinnerungskultur halten. Bei der Ausstellung ist doch aber über die Täter von deren Enkeln diskutiert worden. Diese Einnerungskultur ist doch wohl sehr ambivalent. Um die Ausstellung herum haben doch quasi pseudo-religiöse Rituale statt gefunden. Es gab die starke Tendenz, die Ausstellung sozusagen zu einer großen Couch umzufunktionieren, auf der man sich therapierte und posthum zu Opfern machte.
Trotz dieser Konstellation muss die Ausstellung aber dagegen verteidigt werden, dass sich der Eindruck festsetzen kann, in der Ausstellung gäbe es gefälschte Bilder. Das ist schlicht und einfach nicht wahr...
Gerhard Zwerenz: ... Nun aber ist die Ausstellung in dieser „Berliner Republik“ als eine Fälschung gekennzeichnet...
Wolfgang Wippermann: ... Die Logik ist: Wenn das eine Bild falsch ist, dann können die anderen ja auch nicht richtig sein. Historiker aber arbeiten nicht mit Bildern. Deshalb passieren Historikern solcherlei Quellenirrtümer wie in der Ausstellung ja nicht. Wenn ein Historiker ein Buch herausbringt, in dem viele Fotos sind, dann heißt es ja gleich: ‘Sie sind aber journalistisch geworden!’. Historiker haben in aller Regel nicht gelernt, mit Fotos als historische Quellen umzugehen. Insofern ist es schon gemein: Alle Historiker, die die Ausstellungsmacher jetzt kritisieren, haben nie mit Fotos als historische Quellen gearbeitet.
Es gibt aber die suggestive Wirkung von Bildern. Insbesondere ja ein visualisiertes Gedächtnis, das beim Betrachten von Bildern abgerufen wird. Man liest ja in aller Regel nicht die Bücher, sondern hat die Bilder gesehen. Diese Bilder transportieren also das eigentliche historische Wissen und die historische Erinnerung. Für Fachhistoriker sind Bilder eigentlich nur Illustrationen ihrer schriftlichen Arbeiten. Für die Masse aber sind die Bilder quasi die Beweise. Die Öffentlichkeit ist also auf einen Historikertrick hereingefallen.
Günther Jacob: Es sieht fast so aus, als hätte das Erinnern schlimmere Folgen als das Schweigen. Man erinnert sich immer mit einer Absicht. Diese Erinnerungskultur, die sich in den Neunziger Jahren entwickelt hat, bezeichne ich als einen neugeschaffenenen Phantasieraum, in dem sich die Tätergeneration und ihre Kinder hinter dem Rücken der Opfer einigen, wie die Geschichte bewertet werden muss. Es findet eine neue Art Tauschvorgang statt. Der Holocaust ist etwas, das als so belastend empfunden wird, das es in den verschiedenen Generationen eine Abwehr produziert. Ausserdem ragen der Vernichtungskrieg, der Holocaust und die Zwangsarbeit in die Gegenwart in Form von Traumata und in Form von materiellen Vorteilen hinein. Hannes Heer, einer der Ausstellungsmacher, der sie ja erst mit auf den Weg gebracht hatte, und der von Rechts eine Menge einstecken mußte, sagt zum Beispiel: „Wir, Eure Söhne und Töchter, Eure Enkel, werden Euch ( – die Tätergeneration – ) anders als 1968 nicht selbstgerecht verurteilen und moralisch verdammen. Wir werden den Schmerz mit Euch teilen. Im Wissen, dass keiner von uns sagen kann, er hätte in Eurer Situation anders, anständiger gehandelt. Die Ausstellung ist die Chance dazu, diesen Prozess des Dialoges und der Versöhnung einzuleiten. Viele ehemalige Soldaten haben es in den Gästebüchern und in Briefen getan. Viele ihrer Kinder haben es voll Mitgefühl aufgenommen“. Das ist der neue Sound der Söhne – es ist eine Katharsis.
Wolfgang Wippermann: Generell gibt es drei Wege, aus der Vergangenheit auszusteigen. Erstens: alles gar nicht wahr. Zweitens: alles nicht so schlimm. Drittens: die anderen waren genauso schlimm.
Viele Historiker, die noch vor über zehn Jahren Ernst Nolte im sogenannten Historikerstreit angegriffen haben, argumentieren im Augenblick wie Nolte 1986.
Günther Jacob: Nolte und die Präventivkriegsthese, nach der die Deutschen „den Bolschewisten“ mit ihrem Krieg nur zuvor gekommen seien, um schlimmeres zu verhindern, liegt auch den Ausstellungsmachern auf der Zunge.


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last modified: 28.3.2007