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Freie Assoziation


Eine Kritik der Politik zum Flugblatt der Wertkritischen Kommunisten Leipzig „Kommunismus ist machbar!“

      „In Pseudo-Aktivität bis hinauf zur Scheinrevolution findet die objektive Tendenz der Gesellschaft mit subjektiver Rückbildung sich zusammen.“ (Adorno)

Gesellschaft und Individuum

Die Wertkritischen Kommunisten paraphrasieren die marxsche Stelle, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, ungenügend. Indem sie schlussfolgern, die dominierende Rolle des Seins „hat ... nur Gültigkeit in der kapitalistischen Gesellschaft“, vergessen sie unweigerlich die vorbürgerliche Geschichte der Menschheit, in der die Menschen in personalen Herrschaftsverhältnissen sich gegenüberstanden und in die Gewalten der Natur, die sich im Denken und Handeln niederschlugen, weitaus mehr eingesponnen waren als heute. Marx hat darum gewusst und den Kommunismus als jenen Zustand bezeichnet, in dem die Menschen ihre Vorgeschichte hinter sich gelassen haben und selbst ihre Geschicke in die Hand nehmen. Jene Vorgeschichte beschränkt sich aber nicht auf die bürgerliche Gesellschaft, sondern schließt alle vorangegangenen Kulturepochen mit ein. Aus diesem Grund fanden Marx und Engels auch unschöne Begriffe für die alten Kulturen, statt darum zu trauern, dass diese von der bürgerlichen Gesellschaft zerstört wurden.
Die Fehlinterpretation der Wertkritischen Kommunisten ist kein Lapsus, sondern fügt sich umstandslos in ihren ahistorischen Materialismus ein, der nichts von der Gewalt der vorbürgerlichen Kulturen wissen will und das Kapitalverhältnis samt bürgerlicher Aufklärung denunziert, ohne die Voraussetzungen, die das Kapitalverhältnis für den Kommunismus schuf, zu erfassen. Begriffe wie Individuum und Gesellschaft werden von den Wertkritischen Kommunisten unreflektiert als Fixpunkte kommunistischer Hoffnung verwendet, ohne deren Entstehungsort – die bürgerliche Gesellschaft – zu benennen. Solche Begriffe erscheinen dann so, als wären sie per se vorhanden; als wären sie wesentliche Bestimmungen, die nur darauf warten, aus ihrem entfremdeten Dasein befreit zu werden. Begriffe wie Subjekt und Arbeit erscheinen den Wertkritischen Kommunisten hingegen als schwerste Vergehen gegen den Menschen und rein kapitalistisch, sprich rein schlecht. Wo andere den Fehler begehen, zu personalisieren oder bestimmte Länder verantwortlich zu machen für alles Schlechte, wird den Wertkritischen Kommunisten in ihrem Text gutes und schlechtes in den Begriffen anschaulich und verständlich. Wie personalisierendem Antikapitalismus entgegenzutreten ist, indem ihm aufzeigt wird, wie sehr die von ihm als gut halluzinierten unterdrückten Menschen und Völker selbst dem Kapital entsprechen, kann auch den Wertkritischen Kommunisten ihre eigene Melodie vorgespielt werden.
Im ersten Satz ihrer ersten These steht an dritter Stelle das Wort „Gesellschaft“, das affirmativ verwendet wird, anstatt es in konsequenter Manier zu kritisieren – schließlich haben wir es bei diesem Begriff mit einem der Aufklärung; genauer: einem der bürgerlichen Gesellschaft entstammenden Begriff und bei den Wertkritischen Kommunisten mit konsequenten Kritikern der bürgerlichen Gesellschaft zu tun, die in den Zeiten der „finalen Krise“ einen „radikalen Bruch mit der Aufklärung“ fordern, wie es ein Krisis-Anhänger letztes Jahr auf einer Veranstaltung formulierte (dokumentiert: CEE IEH #93, S. 50-58). Nun ist es unsererseits nicht möglich, das nachzuholen, was den Wertkritischen Kommunisten ex officio obläge; den Begriff der Gesellschaft in den dunkelsten Farben zu malen. Als bürgerliche Kommunisten können wir nicht aus unserer Haut. Und das klingt dann so:
Der Begriff der Gesellschaft war nicht zufällig ein Kampfbegriff des dritten Standes gegen Feudalismus und Krone. Hobbes, Voltaire, Kant und andere Philosophen der bürgerlichen Aufklärung begründeten die Gleichheit der Menschen – wobei sie nicht frei waren von einem rassistischen und patriarchalen Weltbild und die Aufklärung vorerst nur bestimmte europäische Menschen im Sinn hatte – mit der den Menschen gegebenen Vernunft und legten damit das Fundament zum Selbstverständnis der bürgerlichen Demokratien. Dieses Selbstverständnis reflektiert zwar nicht auf seine Bedingung, das Kapital, hat aber mit eben diesem seine Durchsetzungsgeschichte geschrieben, die es schlussendlich ermöglichte, von einer Weltgesellschaft und der Menschheit überhaupt sprechen zu können, denn: Von einer Gattung Mensch zu sprechen, setzt voraus, dass „der Begriff der Gesellschaft ... im Stadium der totalen Vergesellschaftung der Menschheit ... zu sich selbst kommt.“ (Institut für Sozialforschung, Soziologische Exkurse) Man kann natürlich vulgärmaterialistisch die Menschen auf Grund ihrer biologischen Verfasstheit retrospektiv unter die Kategorie Menschheit subsumieren. Damit aber stünden die Menschen als Menschheit neben den Tieren als Tierheit. Das wäre nicht so toll, ist doch die Kategorie der Menschheit eine wesentlich emphatischere als die der Tierheit, denn sie schließt das Selbstbewusstsein der Menschen, das sie von der bloßen Natur unterscheidet, mit ein. Wie der Begriff der Menschheit retrospektiv auf die Vergangenheit übertragen wird, kann auch der Begriff der Gesellschaft retrospektiv auf die Vergangenheit angewandt werden und erhält in solcher bewusstlosen Anwendung neue Bedeutung. Uns geht es hier darum, den Begriff „Gesellschaft“ in seiner ursprünglichen Bedeutung und den damit verbunden Sachverhalt zu fassen.
Der gesellschaftliche Zusammenschluss der Menschen weltweit war kein bewusst intendierter. Im Flugblatt der Wertkritischen Kommunisten klingt das dann so: „Geld ist also keine nützliche, sinnvolle Angelegenheit, die den notwendigen Austausch der hergestellten Güter erleichtert, sondern ein gefährliches, ja hoch brisantes gesellschaftliches Verhältnis, das Menschen im Kapitalismus über den Weltmarkt zusammenschließt.“ Richtig ist, dass das Geld als existierender Begriff des allgemeinen Reichtums und Zirkulationsform des Kapitals die Tauschabstraktion und demzufolge die Selbstverwertung des Werts durch die Vernutzung lebendiger Arbeit zur allgemeinen Geltung brachte. Das Problem dabei ist jedoch nicht, dass Menschen zusammengeschmiedet wurden – vielmehr kann man das dem Geld positiv anrechnen – sondern dass die Menschen im Kapitalverhältnis eine Herrschaft über sich selbst ausführen. Die positive Errungenschaft des Kapitals – die Menschheit als gesellschaftlichen Zusammenschluss aller auf diesem Planeten lebenden biologischen Menschen gegründet zu haben – ist nicht von seiner negativen Seite – der Herrschaft der Menschen über sich selbst und der Konkurrenz jeder gegen jeden – zu trennen. Die bürgerliche Gesellschaft erscheint in dieser Janusköpfigkeit zum Beispiel in Staat und Recht. In diesen beiden Institutionen organisieren sich die Menschen ohne unmittelbar übereinander zu herrschen und üben gleichzeitig Herrschaft über sich aus. Ähnlich sieht es mit der Gleichheit aus: Auf Grund der Selbstverwertung des Werts wurde so etwas wie Gleichheit der Menschen überhaupt erst denkbar, gab es doch zuvor nichts als Gemeinschaften, die über Ungleichheit und personale Herrschaftsverhältnisse vermittelt waren. Diese Gleichheit äußert sich realiter als Ungleichheit – nämlich in gravierenden sozialen Unterschieden, jedoch nicht in der Form, dass die soziale Stellung für den Einzelnen qua göttlicher oder natürlicher Ordnung mit der Geburt festgelegt wäre, sondern als Ergebnis einer über den Markt vermittelten Konkurrenz, die als Voraussetzung die Anerkennung der Einzelnen als Gleiche erfordert.
Als „menschliches Naturwesen“ ist der Mensch einerseits ein „Naturwesen“, also ein „leidendes, bedingtes und beschränktes“ Wesen, und hat andererseits „seinen Entstehungsakt, die Geschichte“, in der er die Natur umformt und sich mit der Natur und anderen Menschen in neuer Qualität auseinandersetzt und vermittelt (Marx, Ökonomisch-Philosophische Manuskripte). Seine Bedürfnisse sind weder rein gesellschaftliche noch rein natürliche. Kommunistischer Kritik kann es also nicht darum gehen, ein reines Naturwesen Mensch, das es nicht gibt, zu emanzipieren, sondern ihr geht es um konkrete Menschen, die nicht unmittelbare Natur, sondern geschichtlich gewordene empfindsame und reflektierende Persönlichkeiten sind. Dass der Kommunismus ein Kind der Aufklärung ist, macht Sinn, da seine Ideale ihren Grund in der bürgerlichen „Vergesellschaftung der Menschheit“ haben: Die Menschheit – Errungenschaft des Kapitals – wird gegen deren Unterminierung und Herrschaft durch das Kapital als Fixpunkt der kommunistischen Kritik gesetzt. Reichtum im Diesseits – weltweit denkbar durch die bürgerliche Vergesellschaftung – wird gegen seine Kehrseite, die ständige „Produktion der Produktion wegen“ und seine Unvernünftigkeit und begrenzte Verfügbarkeit in der Warenform, für den Kommunismus in Anspruch genommen. Gäbe es keine bürgerliche Gesellschaft, gäbe es auch keine kommunistische Kritik. Glück ohne Not und Muße ohne Mühsal, Träume einer Menschheit.
Gleichzeitig gilt es zu reflektieren, dass aller Utopie, die das Kapitalverhältnis gedenkt abzuschaffen, das Problem ins Haus steht, eine Gesellschaft zu denken, die ohne Synthetisierung durch den Wert frei von personalen Herrschaftsverhältnissen ist. Wie also kann eine zukünftige Gesellschaft aussehen, die ohne abstrakte Vermittlung (Kapital) doch nicht wieder zu personaler Herrschaft führt, also „in die Auflösung aller schützend humanen Garantien, ins Chaos und am Ende in die Verabsolutierung gerade der nackten Institution, der bloßen Herrschaft umschlägt.“ (Institut für Sozialforschung, Soziologische Exkurse). Ohne eine Antwort parat zu haben, wissen wir, dass die Antwort der Wertkritischen Kommunisten zu einfach ist: „In einer [emanzipierten Gesellschaft] können Menschen weltweit durch direkte Absprachen ihr Leben gestalten.“
„Direkt“ und „Absprache“ dienen hier den Wertkritischen Kommunisten als Wörter zum Glück. „Absprache“ klingt zwar erst mal irgendwie nett, beseitigt das Problem aber nicht, da Absprachen sowohl in vorbürgerlicher Zeit existierten als auch heute noch vorkommen, ohne per se gut zu sein. Absprachen gab es wohl zwischen Herr und Knecht und gibt es zwischen Käufern und Verkäufern. So sollen die Absprachen im Kommunismus sicherlich nicht funktionieren, sondern „direkt“. Hm? Bedeutet „direkt“ jetzt das Gegenteil von indirekt? Was wären dann indirekte Absprachen? Vielleicht sind „direkte Absprachen“ also solche, die nicht über eine dritte Instanz funktionieren, weder vermittelt noch übermittelt sind – also zum Beispiel nicht über den Staat funktionieren und irgendwie auch nichts mit der Kapitalform zu tun haben. Funktionierten Absprachen in der Steinzeit nicht auch ohne Staat und Geld? Wollen die Wertkritischen Kommunisten ihre Pamphlete demnächst „direkt“ in Stein meißeln? Nein, das sicher nicht. Was dann? Man kann auch „direkt“ jemanden anschreien oder eine reinhauen. Aber das traut man den Wertkritischen Kommunisten auch nicht so richtig zu. Wir kommen nicht dahinter. Wir wissen nur, dass das Wort „direkt“ bei den Wertkritischen Kommunisten sechs mal im Text auftaucht – wie unser Rechenzentrum ermittelt hat – und immer an entscheidenden Stellen. Eine davon bezieht sich auf die bürgerliche Gesellschaft: „Ihre Überwindung wird direkt unsere Aufgabe sein.“ Zu dieser fettgedruckten neuen Version des Songs „Auf, auf zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren / Auf, auf zum Kampf, zum Kampf sind wir bereit“ fehlen uns zwar die Töne, aber nicht die Interpretation. „Direkt“ bedeutet hier „gleich“ – nicht abwarten und Tee trinken, sondern „los geht’s“. Das würde uns Angst machen, würde es die Massen ergreifen. Sind doch entscheidende Fragen noch nicht mal gestellt. Womit wir „direkt“ wieder bei der Ausgangsfrage angelangt wären: der „Frage nach einer Synthesis jenseits des Werts, ohne in dessen Vorgeschichte zurückzufallen“ (Manfred Dahlmann, Bahamas Nr. 42); für die Wertkritischen Kommunisten spezieller formuliert: der Frage nach einer „Absprache“ jenseits des Werts, ohne in dessen Vorgeschichte zurückzufallen. Was garantiert, dass ich als Individuum in der wertkritischen kommunistischen Assoziation weder permanent im Boden rumwühlen noch Leute „direkt“ antreiben muss, um wenigstens essen zu können? Nachdem die Wertkritischen Kommunisten das Bilderverbot verboten haben, können sie dieser Frage leider nicht mehr ausweichen. Vielleicht würde die geständige Antwort lauten, dass eine solche Assoziation erstmal als Elendsverwaltung ganz pragmatische Zwecke in Zeiten der finalen Krise – von der sie als Istzustand ausgehen – verfolgt und der Kommunismus in dieser Assoziation noch nicht automatisch näher gerückt ist. Vielleicht. Vielleicht würde das dann zum Beispiel bedeuten, dass man aus einem über den Wert vermittelten Patriarchat in ein auf „direkter“ Notwendigkeit basierendes Patriarchat herein- beziehungsweise zurückfällt. Vielleicht. Solch „direkte“ Vermutungen und Fragen müssen erlaubt sein. Zumindest lohnt es sich, vor dem Aktionismus die richtigen Fragen zu stellen, um keine böse Überraschung, sprich: Pseudo-Aktionismus zu erleben, bei dem die Parole „Kommunismus ist machbar!“ irgendwann zum Running Gag sich übereinanderstapelnder Fünfjahrespläne wird.
Neben der ‘Gesellschaft’ haben es die Wertkritischen Kommunisten auch mit dem „Individuum“: „Das Ende des Subjekts bedeutet genau das Gegenteil vom Ende der Individualität.“ Wir haben noch mal bezüglich des Individuums in Büchern nachgeschlagen. Und, welch Wunder, auch das Individuum ist nicht überhistorisch und ist – Hilfe – auch noch unmittelbar in die bürgerliche Subjektkonstitution verwickelt. Bei Hegel entsteht der einzelne Mensch erst als notwendiges Moment des gesellschaftlichen Prozesses. Damit hat er indirekt auf den Punkt gebracht, dass das Individuum erst dort entsteht, wo es sich als Einzelnes wahr nimmt, also dort, wo es sich von sich als Naturwesen und Knecht oder Herr emanzipiert hat und sich selbstbewusst auf andere Individuen bezieht. „Erst durch die Beziehung auf den Menschen Paul als seinesgleichen bezieht sich der Mensch Peter auf sich selbst als Mensch.“ (Marx, Kapital) Nicht umsonst entstand auch der Begriff des Individuums, wie wir ihn heute kennen, erst in jener Zeit, als das Äquivalenzprinzip in Zirkulation und Produktion die Menschen einander als Gleiche näher brachte und alle ständischen Unterschiede niederriss. Das Bild einer individualistischen Gesellschaft ist „adäquat, weil das Prinzip der Tauschgesellschaft nur durch die Individuation der einzelnen Kontrahenten hindurch sich realisierte; weil also das principium individuationis buchstäblich ihr Prinzip, ihr Allgemeines war. Inadäquat ist es, weil in dem totalen Funktionszusammenhang, welcher der Form der Individuation bedarf, die Individuen zu bloßen Ausführungsorganen des Allgemeinen relegiert sind.“ In der Möglichkeit der Menschen zur Reflexion besteht die Kraft zur Überwindung des Allgemeinen. „Denkendes Bewußtsein ... überschreitet bereits die Kontingenz des Besonderen über das Allgemeine...“. Man kann nicht einfach „die in Wahrheit historische Kategorie des Individuums“ (Adorno, Negative Dialektik) aus dem geschichtlichen Gesamtzusammenhang herausreißen und in die wertkritische Assoziation verpflanzen, wie es die Wertkritischen Kommunisten geschehen lassen, schließlich existiert im Individuum, wie wir es kennen, das schlechte Allgemeine dieser Gesellschaft mit. Das Individuum ist einerseits darin wahr, dass es Resultat der bürgerlichen Gesellschaft ist, und andererseits darin, dass es sich ihrer erwehrt und auf eigenes Leiden reflektiert – ein leidenschaftliches Individuum ist. Wieder haben wir die paradoxe wie folgerichtige Konstellation, dass das Individuum als Resultat der bürgerlichen Gesellschaft in ihr nicht glücklich wird. „Die Antinomie zwischen der Determination des Individuums und der ihr kontradiktorischen gesellschaftlichen Verantwortung ist kein falscher Gebrauch der Begriffe sondern real, die moralische Gestalt der Unversöhntheit von Allgemeinem und Besonderem.“ (ebd.) Es wäre falsch das Individuum zu einer Seite hin aufzulösen. Ebenso falsch ist es, Individuum und Subjekt einander zu entäußern, wie es die Wertkritischen Kommunisten geschehen lassen, indem sie das Individuum retten wollen und dem Subjekt alles Schlechte wünschen. Kein Individuum ist ohne Subjektivität und kein bürgerliches Subjekt ohne individuelles Moment zu denken.

Subjekt und kommunistische Kritik

      „Definieren ist soviel wie ein Objektives, gleichgültig, was es an sich sein mag, subjektiv, durch den festgesetzten Begriff einzufangen. Daher die Resistenz von Subjekt und Objekt gegens Definieren. Ihre Bestimmung bedarf der Reflexion eben auf die Sache, welche zugunsten von begrifflicher Handlichkeit durchs Definieren abgeschnitten wird.“ (Adorno, Zu Subjekt und Objekt)
Dass Definieren nichts mit kommunistischer Kritik zu tun hat, ist den Wertkritischen Kommunisten offensichtlich so fremd wie die notwendige Unterscheidung von Begriff und Sache innerhalb der Konstellation. Diese nämlich fällt bei ihnen zuweilen unter den Tisch. Es wird definiert und damit dialektischer Begriffsbildung eine Absage erteilt. Und das geht dann so: „Ein Subjekt ist vielmehr ein Hindernis auf dem Weg zur Befreiung ... Ein Subjekt ist ein Mensch stets im Verhältnis zu einem Objekt, sei dies ein anderer Mensch oder Natur. Solange es Subjekte und Objekte gibt, gibt es Herrschaft und Unterdrückung.“ Weder wird hier korrektem wissenschaftlichen Definieren entsprochen, noch einer dialektischen Herangehensweise, die Grundvoraussetzung wäre für kommunistische Kritik. Doch machen wir es uns nicht so einfach und spielen stattdessen die Melodie der wertkritischen Agitation ein weiteres Mal durch.
Die Wertkritischen Kommunisten erteilen dem Traditionsmarxismus und dem revolutionären Subjekt eine Absage: „Wir halten dagegen [gegen das revolutionäre Subjekt], dass sich eine gesellschaftliche Emanzipation nicht nur ohne ein solches Subjekt vollziehen kann, sondern dass dies nur ohne ein solches Subjekt möglich ist.“ Man muss also, gemäß dieser Argumentationslogik, Kommunismus machen ohne Subjekt. Wer macht dann Revolution? – die Transformationsinitiatoren der Krisentheorie, die selbst schon gar keinen Subjektcharakter mehr besitzen, weil sie ihre Bürgerlichkeit ad hoc in einem Akt der kollektiven Selbstvergewisserung ablegen? Sie würden wohl antworten: Nein, denn das was wir meinen sind Individuen, nicht Subjekte bzw.: „Das Ende des Subjekts bedeutet genau das Gegenteil vom Ende der Individualität.“ Soweit so gut – nur muss man sich fragen, was die Wertkritischen Kommunisten unter Subjekt verstehen und was sie dazu bringt, dieses so radikal durchzustreichen. Was anderes können sie meinen als das „bürgerliche Subjekt“, dessen Entstehung mit der Herausbildung von Kapital, Staat und Rechtsformen einhergeht. Nur innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft hat das Subjekt Gültigkeit, schreiben sie und berauben dieses damit seiner historischen Gewordenheit, die einen langwierigen Prozess der Ablösung aus dem Naturzwang voraussetzt. Die in der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno nachgezeichnete Subjektentstehung ist aber keine Projektion eines mythischen Motivs in die Geburtsstunde der kapitalistischen Gesellschaft, wie es die Wertkritischen Kommunisten wohl gerne sähen, wenn sie sich – wie der schon erwähnte Krisis-Anhänger in CEE IEH #93 – an die dort genannte furchtbare Zwangszurichtung zum „männlichen Charakter des Menschen“ anlehnen, sondern ist durchaus als gattungsgeschichtlicher Entwicklungsprozess des bürgerlichen Subjekts auch aus vorkapitalistischen Gesellschaften zu verstehen, was die Emanzipation vom Naturzwang mit einbegreift. Subjekt ist nicht etwas, was mit dem Prozess der „sogenannten ursprünglichen Akkumulation“ anfängt und am Beginn der „Transformation“ in den Kommunismus einfach so aufhört, weil dort das „Individuum“ auf den Plan tritt. Vielmehr muss darauf reflektiert werden, dass „Individualität“, so wie sie von den Wertkritischen Kommunisten affirmiert wird, selbst wesentlich auf bürgerlicher Subjektivität fußt – und zwar hauptsächlich als „Individuation“, als Möglichkeit des Menschen sich auf der Grundlage und in den Grenzen bürgerlicher Subjektivität zu entfalten. Individualität ist somit auch kein schlicht Positives was dem Subjekt entgegenzusetzen wäre, sondern selbst vermittelt mit diesem. Definiert man jedoch Subjekt voraussetzungslos als dem Individuum bloß übergestülpt, dann lässt es sich sehr einfach – wie von den Wertkritischen Kommunisten vorexerziert – abstrakt negieren. Man springt aus der Gattungsgeschichte des Menschen, wie man an anderer Stelle der Subjekt-Objekt-Dialektik entspringen zu können glaubt und landet bei einer „Individualität“, die absolut voraussetzungslos und jenseits jeder Bestimmbarkeit vom Rad der Geschichte wieder freigegeben wird, damit es dann endlich losgehen kann mit der versprochenen Machbarkeit des großen K. Inwiefern ein so von jeglicher Historizität gereinigtes Abstraktum „Mensch“ dann noch der Inbegriff von Individualität sein soll, bleibt ein Geheimnis der Wertkritiker.
Wir dagegen halten am Subjekt als Voraussetzung für den Kommunismus fest – nicht als Perpetuierung des ohnehin daseienden, sondern als ein „Mehr an Subjekt“ (Adorno). Wer die bürgerliche Gesellschaft und deren Errungenschaft der bürgerlichen Subjektivität, die den Einzelnen als abstrakt Allgemeinen und Gleichen setzt und damit personalen Abhängigkeitsverhältnissen ein Ende macht, lediglich als eine Art Zwischenspiel auf dem Weg zum Kommunismus sieht, übersieht gerade das Wichtigste: die Voraussetzung für diesen – zur Selbstreflexion fähige und mündige Subjekte. Diese hatten Adorno und Horkheimer mit Sicherheit auch vor Augen, als sie von der sich auf sich selbst besinnenden Aufklärung sprachen. Wer wie die Wertkritischen Kommunisten glaubt, der Vorgeschichte durch abstrakte Negation von „Subjekt“ entkommen zu können und schon mal anfängt, jenseits der Reflexion von Sache und Begriff ein Individuum zu hofieren, das um seine wesentlichen Voraussetzungen beraubt ist und dem Glauben verfällt, das einst Übergestülpte mir nichts dir nichts vom Residuum Mensch ablösen zu können, der hat entweder eine vollkommen leere Hülle von Individuum vor Augen oder die Rückkehr zu autochthoner Lebensweise und Naturzwang.
Doch nicht nur in Sachen Freiheit und Notwendigkeit haben die Verfasser des Flugblattes ihren Adressaten einiges vorzugaukeln, auch die Formen von Erkenntnis glauben sie so ohne weiteres abfertigen zu können. Hatten einst andere schlaue Geister auf die Dialektik von Subjekt und Objekt hingewiesen und sich viel Mühe im Nachvollzug dieser gegeben, macht man bei den Wertkritischen Kommunisten (wahrscheinlich aufgrund der Erkenntnis, dass man den zu agitierenden Massen keine philosophischen Kurse zumuten kann) auf billig – sozusagen auf „Erkenntniskritik light“. Nur gerät dadurch vollends alles durcheinander und es mag wohl zu viel an Nerven kosten, solches Begriffschaos wieder zu entwirren. Zum Beispiel gelten ihnen das „revolutionäre Subjekt“, der zwangsvergesellschaftete Mensch und die erkenntnistheoretische Kategorie „Subjekt“ als gleich. Ebenso unscharf tauchen die Begriffe „Objekt“, „Objektivität“ oder „Individualität“ auf, deren nähere Bestimmungen ausbleiben.
Stattdessen werden – wie oben schon erwähnt – einige dieser Begriffe als per se gut, andere als per se schlecht besetzt und damit auch das von ihnen bezeichnete. Dabei handelt es sich in der Tat um eine „freie Assoziation“. Nicht nur dass damit nichts gewonnen ist, man vergibt sich darüber hinaus die notwendige Erkenntnis, dass es so etwas wie Sachverschiedenheit bei Begriffsgleichheit gibt – revolutionäres Subjekt, bürgerliches Subjekt, erkenntnistheoretisches Subjekt –, was erst mal auseinandergehalten gehört, will man sich die Begriffe reflexionslogisch aneignen. Aber davon wollen die Wertkritiker der Krise, denen Dialektik nicht mehr ist als ein Feindbegriff, nichts wissen, weil sich bei ihnen die Welt ganz einfach erklärt, nämlich in Begriffen, die durch das Negieren der Unterschiede ihrer Historizität beraubt sind und damit zugerichtet zur abstrakten Negation – der Sache jedenfalls wird man so nicht gerecht. Doch so verfahren die Wertkritischen Kommunisten, wenn der Zwang zur Agitation mit ihnen durchgeht. Nur so viel: Versöhnung von Subjekt und Objekt, das ist sowohl erkenntnistheoretisch wie auch kommunistisch gemeint, heißt alles andere als abstrakte Negation von Subjekt und/oder Objekt und bedarf zunächst der reflexionslogischen Aneignung der Dialektik beider, ansonsten verbleibt man im Keller der Ideologie, die als solche zu banaler Begriffsfaselei wird, oder, wenn sie die Massen ergreift, die Option auf Kommunismus verspielt. Selbstbewusste Menschen, die auf ihr gesellschaftliches Sein reflektieren, – Subjekte im besten Sinne – rücken dann in weite Ferne.
Widerstand gegen die Vormacht des Allgemeinen über das Besondere wird nur dort geleistet, wo sich der Einzelne noch nicht völlig mit dem gewöhnlichen Lauf der Dinge identifiziert, indem er auf das gesellschaftliche Sein reflektiert und dadurch vermag zu diesem Distanz herzustellen – dort wo der Einzelne auf Arbeit geht und dabei an ein Leben ohne Arbeit denkt. Dort wo der Einzelne müde ist und an die Möglichkeit denkt, irgendwann ohne Wecker zu leben. Dort wo der Einzelne Hungernde sieht und sich in die Welt wünscht, in der Milch und Honig fließen. Der Widerwille gegen das Bestehende äußert sich in diesen utopischen Träumen. Dass in diesen Träumen Bedürfnisse fiktiv befriedigt werden, die dem Boden der Realität der bürgerlichen Gesellschaft entwachsen sind, ist menschlich. Daraus drehen die Wertkritischen Kommunisten den Utopien einen Strick: „Von einer Utopie sprechen wir, wenn ein sich unabhängig wähnender Geist eine Gesellschaft am Reißbrett entwirft und sich anschickt, seine Hirngespinste an `“willenlosem Menschenmaterial“ umzusetzen.“

Utopiebegriff und Bilderverbot

Wer die Kritik am Begriff der Utopie mit einer derart eingrenzenden Definition dieses Begriffes beginnen lassen muss wie die Wertkritischen Kommunisten, zeigt, dass er seinem Gegenstand nicht gewachsen ist. Er richtet ihn zu, um ihn handhabbar zu machen und verfehlt ihn dadurch um so gründlicher. Wer bitteschön will sich als „willenloses Menschenmaterial“ apostrophieren lassen und zum Spielball von sich als handlungsmächtig aufschwingenden Patriarchen werden. Niemand. Die notwendige Ablehnung utopischen Denkens ist also mit der Definition vorausgesetzt. Die Wertkritischen Kommunisten grenzen das weite Feld der Utopie auf einen sehr engen Bereich ein. Am Reißbrett entwickelte ideale Gesellschaften sind eine Mode des frühbürgerlichen Zeitalters, verbunden mit Namen wie Thomas Morus, Campanella und Francis Bacon. Sie sind ohne alle Frage nicht das, was sich heutzutage unter Emanzipation vorgestellt werden sollte. In ihnen wird meist ein streng funktional strukturiertes Gebäude entworfen, inklusive Arbeitszwang und einer sehr genauen Vorstellung davon, was die Leute zu tun und zu lassen haben. Diese Sozial- oder Arbeitsutopien reichen tatsächlich nicht weit über den Vorstellungsrahmen des 16. oder 17. Jahrhunderts hinaus, aber wer hätte denn etwas anderes erwartet? Sie als das non plus ultra jeglicher Utopie zu bestimmen ist ungefähr so schlau wie den Griechen, die an den Thermophylen ihre zivilisatorischen Errungenschaften gegen die Perser verteidigten, vorzuwerfen, sie wären Anhänger der Sklavenhaltergesellschaft gewesen. Aber dass Begriffe und mit ihnen das Bewusstsein eine Geschichte haben, ist unseren Wertkritikern ja unbekannt.
Krönung dieser These ist die Behauptung, die bürgerliche Gesellschaft stelle eine „verwirklichte Utopie“ dar. Dass es bei allen Utopisten zumindest soweit reichte, die Armut abgeschafft zu haben und dass dies die bürgerliche Gesellschaft gleichsam a priori transzendiert, dieser doch recht banale Sachverhalt kann den Wertkritischen Kommunisten vor lauter Abgrenzungsgebaren nicht in den Sinn kommen. Zudem kommt die Formulierung von der verwirklichten bürgerlichen Utopie der Vorstellung nahe, dieses hübsche Gebilde sei Produkt bewussten intentionalen Handelns gewesen, was sich doch eher schlecht als recht mit dem fetischisierten Bewusstsein, dem die Akteure nach der wertkritischen Analyse bis auf den heutigen Tag unterliegen, verträgt.
Keine der frühbürgerlichen Utopien kennt das Privateigentum, eine Organisationsform, die sich – bei aller Vorsicht vor solch einer kühnen Annahme – auch nicht gerade mit dem „Waren produzierenden Patriarchat“ zu widersprechen scheint. Dass eine kollektive Aneignung von Produktionsmitteln nicht zwangsläufig ins Paradies führt; diese bittere Erfahrung ist gemacht. Sie fällt jedoch nicht ins Jahr 1515, in dem „Utopia“ erschien und auch nicht zusammen mit der Zahl 1623, dem Entstehungsdatum des „Sonnenstaates“.
Nach seiner klassischen Phase erlebte das utopische Denken seine Renaissance bei englischen und französischen Frühsozialisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Deren Vorstellungen konzentrierten sich weniger auf den Entwurf einer Gesellschaft im Ganzen, vielmehr legten sie Wert auf die Konstruktion kleiner Gemeinschaften, die weitgehend autark zu wirtschaften verstanden und so weit nicht entfernt waren von den Ideen, die die Wertkritischen Kommunisten in These Neun skizzieren. Nur leider fehlt es den zehn Thesen an der Vorstellungskraft eines Charles Fourier, für den das Meereswasser sich in Limonade zu wandeln hätte und vier Monde die Nacht erleuchten sollten, damit niemand sich mehr fürchte.
Die Wertkritischen Kommunisten vertreten die revolutionäre These, dass „Emanzipation nur negativ aus den bestehenden Verhältnissen zu bestimmen“ sei. Soweit so gut. Sie vergessen nur zu erwähnen, dass für genau diesen Sachverhalt und dies nun auch schon vor einigen Jahrzehnten, der von ihr abgelehnte Terminus „Bilderverbot“ der jüdischen Tradition entlehnt wurde. Dieser fasst das notwendige Scheitern aller konkreten, positiven Vorstellungen über die kommunistische Gesellschaft und bezeichnet die Unmöglichkeit einen befreiten Zustand am Reißbrett zu entwerfen, da sich das subjektive Bewusstsein als gefangen in seiner bürgerlichen Form, diesem allenfalls in einer traumhaften Antizipation nähern kann. Ansonsten kann es kritisieren und sich in Denunziation üben. Das Bilderverbot tritt ziemlich genau an jene Leerstelle, die die frühen Arbeitsutopien hinterlassen hatten. Es setzt an Stelle des perfekten Funktionszusammenhangs und der absoluten Identität mit sich selbst, die bloße Möglichkeit, ohne Angst verschieden sein zu können, verschieden auch von sich selbst, wie Marx andeutet, indem er das befreite Subjekt morgens zum Jagen, nachmittags zum Fischen, abends zum Viehzüchten und nach dem Essen zum Kritisieren schickt.
Die traumhafte Antizipation der freien Assoziation überschreitet aber solche negativen Vorstellungen von Versöhnung, die letztendlich – bei aller Bilderverliebtheit – immer im Unbestimmten verbleiben müssen, an einer Stelle. Es ist das Glück, das selbst heute aufblitzen kann in Momenten von Wunschlosigkeit, ohne jedoch mit einer bloßen Befriedigung von Bedürfnissen zusammenzufallen. Ebenso wie sich das Glück nicht planen lässt und Planung dem Glück direkt entgegenläuft, so entzieht sich Versöhnung dem instrumentellen Handeln. Allenfalls sind die Bedingungen angebbar, die ihre Verwirklichung verhindern; und dies meint „negative Bestimmung“. Ohne die Ahnung des Glücks, die sich nur an den gegebenen gesellschaftlichen Formen – bspw. der Liebe – orientieren kann und deswegen immer den bitteren Geschmack des nur Partikularen in sich trägt und doch im Moment seiner Erfüllung diesen vergessen lässt, wäre keine kommunistische Idee. Jedoch ist das Glück kein Wegweiser, dem zu trauen wäre, verweist es doch tatsächlich auf nichts, ist bei sich selbst und damit intentionslos. Ein Wegweiser ist der reale gesellschaftliche Zustand und damit das reale gesellschaftliche Leiden der spätbürgerlichen Subjekte und dessen Bekämpfung aus eigenem Interesse. Das Leiden begründet die Notwendigkeit des Kommunismus.
Er wäre zu fassen als der gesellschaftliche Zustand, in dem Versöhnung überhaupt erst möglich werden kann, in dem die Menschen also wirklich anfangen, ihre eigene Geschichte zu machen und in dem sie nicht hilflos den Resultaten ihrer eigenen Handlungen ausgeliefert sind. Kommunismus wäre somit eine Ermächtigung zur Ausbildung ihrer Möglichkeiten. Stachel wird es auch in einer befreiten Gesellschaft noch genug geben, an denen es sich abarbeiten lässt, wenn’s denn gewünscht ist. Und sei es die Aufgabe, den Tod überhaupt zu überwinden. Vorderhand ist es jedoch schon Skandalon genug, dass Menschen hungern müssen. Wer sich den Kommunismus nur nach dem Prinzip „alles oder nichts“ zu denken vermag, unterliegt der Gefahr, gegen konkretes Leid abzustumpfen; welches Leid besteht schon gegen das des Todes?
Die negative Bestimmung von Versöhnung rückt nahe genug an Theologie. Ist doch auch Gott von denjenigen, die ihn rational zu fassen suchten, nur negativ bestimmbar gewesen. Die Wertkritischen Kommunisten wollen aber von solch religiösem Schnickschnack nichts wissen, wozu berufen sie sich schließlich sonst auf die wissenschaftlich ausgearbeitete Krisentheorie, die ihre religiösen Wurzeln so weit verleugnet, dass sie gar das ihr innewohnende teleologische, heilsgeschichtliche Moment abstreitet. Ohne ein solches ist aber keine Hoffnung auf den Kommunismus. Von ihr nach Auschwitz ohne Angst zu schwadronieren ist zumindest geschichtslos. „Ihre Überwindung wird direkt unsere Aufgabe sein.“ dröhnt es aus fettesten wertkritischen Lettern, als wäre die verehrte LeserInnenschaft eine des Jahres 1870 und keine, die sich hauptsächlich aus Söhnen und Töchtern des immer noch eher mehr denn weniger gut situierten deutschen Mittelstands zusammensetzt. Ein wenig Revolutionsromantik muss schon sein, um der eigenen Ohnmacht und der Gefahr, in die jeder Aktionismus verstrickt ist, nicht ins Gesicht blicken zu müssen.
Mit dem revolutionären romantischen Aktionismus... Entschuldigung. Mit der „transformatorischen Anti-Politik“ schielt es sich dann auch ganz nett gen Öko- und Antiglobalisierungsbewegung. Nachdem sie die Begriffe „Subjekt“ und „Utopie“ gnadenlos kritisiert haben, kommen die Wertkritischen Kommunisten letztendlich zu den bewegten Massen, die immer schon das Gute tun, nur noch nicht radikal genug. Die kommunistische Kritik der Antiglobalisierungsbewegung, die in letzter Zeit nicht zu überlesen und -hören war, ist den Wertkritischen Kommunisten kein Anlass zur Reflexion. Dass die Globalisierungskritiker „sozial“ und „international“ sind, wird hingegen von ihnen gelobt. Dass die so „sozial“ wie „international“ agierende gute Menschenbewegung den so „unsozialen“ wie „kosmopolitischen“ Feind wahlweise in den Banken und Spekulanten, in den USA und Israel verortet, konnte man in den Fahnen- und Transparentmeeren ersehen, die sich über Seattle, Prag und Genua ergossen hatten. Und dieses Feindbild ist kein angepapptes, sondern konstitutives Element dieser Bewegung. In den Globalisierungsbewegungen setzt sich weder jemand ans Reißbrett, noch ist irgendwer willenlos. Was sich dort artikuliert, ist spontaner Wille. Ganz im Sinne der Wertkritischen Kommunisten: nicht utopisch. Auch nicht so übertheoretisierend, sondern eher pragmatisch. „Gegen Tobin-Steuer“. „Gegen IWF“. „Gegen Bush“. Vielleicht gefällt den Wertkritischen Kommunisten auch dieses Ungestüme der sich bewegenden Menschen, die einfach loslegen, Masse bilden, gemeinsam kämpfen, demonstrieren, bunte Sachen malen, singen, lachen, trommeln, tanzen, basteln, hüpfen... Jedenfalls scheinen die Wertkritischen Kommunisten nicht mehr kritisch nachzufragen, sondern mehr nach den Massen in Bewegung zu gucken... und nach der Natur.

Die Natur, die Natur, die hat immer Recht

      „Natur aber gilt der Praxis als das, was draußen und drunten ist, als Gegenstand, wie im Volksmund schon seit je das Mädchen des Soldaten.“ (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung)
Draußen, hinter den Produktionsverhältnissen, sitzen sie, die „menschlichen Bedürfnisse und Lebensgrundlagen“, die natürlichen natürlich. Und das Bewusstsein von deren Bedrohung ist „keineswegs prinzipiell reaktionär.“ Ist es aber doch – und zwar im Wortsinne: prinzipiell reaktionär. Das Prinzip dieser Ansicht ist nämlich die undialektische Entgegensetzung von Natur auf der einen und Wertvergesellschaftung auf der anderen Seite. Die Folgerung daraus – weil Wert schlecht ist, muss das Gegenteil, die Natur, gut sein – ist falsch. Deshalb ist der „Protest gegen die Umweltzerstörung“ nicht eine verkürzte Wertkritik, die „radikalisiert und über sich hinausgetrieben werden müsste“, sondern gar keine. Sie fällt vielmehr unter romantischen Antikapitalismus und hat als solcher mit kommunistischer Kritik ungefähr soviel zu tun wie autofreie Sonntage mit Versöhnung. Die Reduzierung des Individualverkehrs (also etwas gegen den „AutomobilisMUSS“ zu tun) darf nicht mit einem richtigen und kritischen Schritt in Richtung Emanzipation verwechselt werden. Sie trägt dazu bei, die Schadstoffbelastung der Luft zu verringern. Das ist unter Umständen nützlich und schön, kommunistisch ist es deswegen nicht, weil es nichts an den Produktionsbedingungen und damit an der Vergesellschaftung ändert. Wer Autos an sich verteufelt, zeigt, dass er für die tatsächlichen Ursachen der ohne Zweifel stattfindenden „blinden“ Ausbeutung natürlicher Ressourcen kein Interesse hat und bleibt resistent gegen die Erkenntnis, dass nicht die Beseitigung der Autos, sondern nur die Beseitigung dieser Ursachen den Namen Emanzipation verdient. „Mit einem Auto kann man allem möglichen Abscheulichen entfliehen. – Karl Kraus sagte, er benutze das seine dazu, um einmal eine Nachtigall hören zu können.... Der ökonomische Irrsinn, in den die Technik verflochten ist und keineswegs der technische Fortschritt selber, bedroht den Geist und heute sogar die materielle Fortexistenz der Menschheit.“ (Institut für Sozialforschung, Soziologische Exkurse)

Im Text der Wertkritischen Kommunisten wird eine Basisbanalität mit Verve mitgeteilt: „Der Grund [für die umfassende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen] liegt in der oben beschriebenen entfesselten, blinden Wachstumslogik, die auf menschliche Bedürfnisse und Lebensgrundlagen keine Rücksicht nehmen kann.“ Gemeint ist: Die Wertverwertung ist selbstzweckhaft; sie orientiert sich nicht an den Menschen. „Menschliche Bedürfnisse“, deren Erfüllung tatsächlich nicht der Zweck der derzeitigen Vergesellschaftung ist, sind aber historisch geworden und gesellschaftlich determiniert. Die Reduktion der Bedürfnisse auf die Reproduktion – also Essen, Trinken, Schlafen und Hetero-Sex – die übrig bleibt, wenn man die Geschichte und die Gesellschaft wegstreicht, ist nicht kommunistisch. Dem Vorwurf dieser Reduktion setzt sich aber aus, wer mit der Ökobewegung gegen Mobilität polemisiert, weil Autos Dreck machen und damit über Bedürfnisse richtet: „Das gibt’s aber im Kommunismus nicht mehr!“ Dass wir heute von Menschheit überhaupt sprechen können und dass zu dieser Menschheit nicht, wie am Beginn der Aufklärung, nur die europäischen bürgerlichen Subjekte zählen, sondern alle Menschen weltweit als Menschen ‘anerkannt’ werden, liegt auch an der Mobilität. Zu den Errungenschaften der bürgerlichen Vergesellschaftung gehört auch das „global village“. Die Menschheit hätte sich nicht kennenlernen können, wäre sie nicht zueinander gekommen. Die umweltverschmutzenden Autos und Flugzeuge haben dabei geholfen.
Ein bisschen Dialektik schadet der Revolution nicht. Natur ist eben nicht das, was allein übrigbleiben sollte, wenn die Wertvergesellschaftung abgeschafft oder aufgehoben ist. Wäre es so, würden die Menschen in die alte Naturabhängigkeit zurückfallen. Gerade um das zu verhindern, muss in kommunistischer Absicht die Wertvergesellschaftung auf dem aktuellen Stand der Produktivkräfte kritisiert werden. Das bedeutet auch, sich darüber klar zu sein, dass Natur nicht an sich gut ist, sondern durchaus auch den Menschen feindselig gegenüber treten kann. Der „technische Fortschritt“, gegen den die Ökologiebewegung antritt, hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Menschen heute mit diesem feindlichen Potenzial der Natur besser zurecht kommen und hat zu Erleichterungen im Stoffwechselprozess mit der Natur geführt, hinter die Kommunistische Kritik nicht zurückfallen darf. Wolfgang Pohrts polemische Bemerkung von 1983 – dass wir mit unseren verseuchten Lebensmitteln immerhin ungefähr doppelt so lange leben wie die sich von naturreinem, unverseuchtem Hirsebrei ernährenden Menschen in der Dritten Welt – drückt ganz gut aus, dass es mit der Ablehnung des Fortschritts als Zerstörer der Natur nicht ganz so einfach ist, wie es die Ökologiebewegung behauptet. Das Fernziel ist die Versöhnung mit der Natur, nicht die Beseitigung der ‘widernatürlichen’ Teile der gegenwärtigen gesellschaftlichen Praxis. Der Weg zur Versöhnung führt über die Kritik der politischen Ökonomie und definitiv nicht übers Wendland. Ideologiekritisch lässt sich sagen: Von radikalisierten romantischen Antikapitalisten an der Ökofront – die sich insbesondere in Deutschland von jeher nichts Anderem als dem Heimatschutz verschrieben haben – sollte Kritik sich fernhalten, bzw. sie als das denunzieren, was sie sind: emanzipationsfeindlich. Jedenfalls sind Leute, die mit alten Autos ohne Katalysator zu Demonstrationen gegen Arbeit anreisen, dem Kommunismus näher als solche, die mittels Fahrrädern Bahngleise blockieren und fordern, der deutsche Atommüll möge in Frankreich bleiben.
Die Begriffe Gesellschaft, Individuum und Subjekt sind Begriffe der bürgerlichen Gesellschaft. Es geht uns nicht darum, diese Begriffe und damit ihren Inhalt zu verewigen, sondern darum, auf die Begriffe und dadurch uns selbst zu reflektieren. Die Wertkritischen Kommunisten verfahren willkürlich, indem sie, anstatt die Genese der Begriffe zu beleuchten, die Begriffe mehr schlecht als recht gelten lassen, manche unreflektiert bestehen lassen und andere verteufeln. Ihrerseits verfahren sie so entsprechend des Reißbrettes, das sie jeglicher Utopie unterstellen. Als Planer bauen sie sich ihre Welt in dem Glauben, diese von den Schlechtigkeiten der Gegenwart zu befreien, indem sie diese von bestimmten Begriffen reinigen. Utopie hat jedoch vielmehr dort ihre Kraft, wo sie sich nicht in Begriffe und Systeme schmückt, also so weit wie möglich bilderlos bleibt oder das ungeheuer und maßlos Schöne sagt: Das Land, in dem Milch und Honig fließen. Ansonsten ist es Kritik darum zu tun, die Dialektik der Aufklärung zu reflektieren, was zugleich bedeutet, dass diese Dialektik sich auch im eigenen Denken und Handeln abspielt. Der Staatssozialismus hat weit mehr barbarische Potentiale aktualisiert, als er zu überwinden glaubte – trotz umfangreicher Marx-Exegese. Die Angst, in ein ähnliches Dilemma zu steuern, sitzt uns in den Knochen und ist Voraussetzung nach dem Staatssozialismus, sich in eine kommunistische Tradition zu stellen. Ihr entspringt der Impuls, die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft um die Darstellung ihrer Errungenschaften zu bereichern, hinter die man nicht zurückfallen möchte und hinter die in der Dialektik von Aufklärung und Gegenaufklärung schon zurückgefallen wurde. Im Flugblatt der Wertkritischen Kommunisten ist von Angst nichts zu vernehmen, stattdessen die Parole „Kommunismus ist machbar!“. Kein Wort über die Gefahr einer faschistischen Barbarei, eines staatssozialistischen oder sonstwie zwangsvergesellschafteten Gemeinwesens. Kein Wort über die Gefahren, die eine Antiglobalisierungsbewegung oder Ökologiebewegung mit sich bringen. So ist das Flugblatt der Wertkritischen Kommunisten ein Affront gegen Krisenbewusstsein und geschichtliche Erfahrung.

Hannes, Mele, Roman, Sven



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last modified: 28.3.2007