home | aktuell | archiv | newsflyer | kontakt
[103][<<][>>]

Zum Unglück der Leipziger Verhältnisse


    „Das alles ist natürlich frei erfunden, da ich nicht mehr da war. Die Dinge spielten sich vielleicht ganz anders ab, aber was bedeutet schon die Art, wie die Dinge sich abspielen, solange sie sich abspielen?“
    Samuel Beckett, „Erste Liebe“

Leipzig ist schon was besonderes. Alle sind na klar solidarisch mit Israel und finden Antisemitismus auch überhaupt nicht gut. Ganz viele haben sogar schon mal Adorno und Marx gelesen und trotz der ganzen kritischen Bildung können alle noch voll gut miteinander diskutieren und wenn sie sich schon streiten, dann aber sachlich, wie unter Genossen – einfach ein feines, gemütliches Ambiente. Wenn dann noch die Sommersonne über dem Eiskeller steht, ist das eisige Schweigen vor einem Berliner Referenten im Mai nur noch eine unangenehme Erinnerung. Hatten denn nicht sogar die Über-alles-Nörgeler der AKG(1) sich von der Veranstaltung abgegrenzt und gesagt, es sei in Leipzig alles gar nicht so schlimm? Ja, ja, es ist alles in Ordnung und überhaupt: Kommunismus ist machbar!
Der Optimismus hat unter Leipziger Linken wieder Hochkonjunktur: Das BgR reißt die Fahnen in die Luft und organisiert diesmal eine „antinational/antideutsche Bewegung“, die Antikapitalistische Aktion gibt sich den viel angesagteren Namen Antideutsch-Kommunistische Aktion und macht klare Ansagen, wie so eine kommunistische Liebesbeziehung auszusehen hat und die Wertkritischen Kommunisten befinden sich sowieso im finalkritischen Endspurt auf der Zielgerade zum Kommunismus.
Wer die fröhliche Theorieproduktion der Leipziger Linken nicht nur, wie es aber auch verständlich wäre, einfach als haltlosen Blödsinn abtun will, muss den ihnen gemeinsamen Optimismus zu verstehen versuchen. Der monotone Appell an die „radikale Linke“ klingt nicht nur nach dem alten Autonomen-Jargon. Er ist Anzeichen eines gemeinsamen Bedürfnisses, das alle Erkenntnis der letzten Jahre überlebt hat und sie beständig in die Verdrängung zu reißen droht.

Die guten alten Zeiten

Das revolutionär-autonome Pathos beruhte jeher auf einer Illusion. Unreflektiert wurde es Movens des politischen Geschäfts. Vor lauter Demonstrieren, auf Plena rennen, Antifa-Aufrufe schreiben und Vernetzungen organisieren verlor die jeder Gesellschaftskritik basale Erkenntnis ihre Bedeutung: eine Revolution ist nicht in Sicht, im Gegenteil – statt der Versöhnung war die Katastrophe Auschwitz. Mit dieser Einsicht – sei sie bewusst vollzogen oder bis heute unbewusst abgewehrt – in die Unhaltbarkeit des Traumes einer baldigen emanzipatorischen Umwälzung und der Denunziation des Jugendtraums als Ideologie, klafft nun ein Loch mitten im Selbstverständnis der linken Aktivisten.
Der Impetus wird zusammengekratzt aus den letzten, kläglichen Erinnerungen an alte Zeiten, als man noch eine starke Linke war, ein Zusammenhang, den ein Lebensgefühl verband, welchem die Geschichte ihren Atem zu verleihen schien. Dem unbedingten Willen des BgR an der Bewegungspolitik festzuhalten, ist dessen geistiger Tiefschlaf komplementär. Statt den Gedanken zu bemühen, werden auf den Veranstaltungen Faktenberge aufgehäuft, die sich zu keinem Sinn mehr formen können, weil die Intention gar nicht mehr die kritische Auskunft über die Gesellschaft ist, sondern die sture Legitimation, einfach weiterzumachen wie bisher. Das Bewusstsein der Sinnlosigkeit solchen Tuns führt dann zu Veranstaltungen, die zu Demonstrationen mobilisieren wollen und dabei nicht nur das Publikum langweilen, sondern selbst den Referenten auf dem Podium sichtlich Disziplin abverlangen, um den elenden Auftritt nicht zu verschlafen.
Das BgR gibt gar nicht erst vor, das postfaschistische Subjekt kritisieren zu wollen. Statt dessen redet man über allerlei deutsche und europäische Projekte, sagt auch mal das ein oder andere richtige, ohne aber den Zusammenhang herzustellen, dessen eine Kritik bedürfte. Ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, was dieses Deutschland, dem sie regelmäßig den Krieg erklären, denn ist, kommt ihre Theorieproduktion zu deutschen Verhältnissen über lustlose Geschichtsbeschreibung, der sie dann um so pathetischer wieder und wieder eine Kampfansage hintanstellen müssen, nicht hinaus. Bezeichnenderweise fand sich im ganzen Aufruf zu ihrer Demonstration am 1. September nicht ein Kommentar zum Islamismus – aber, wird das BgR wie immer einwenden, das war doch gar nicht unser Thema. Da lässt sich nur antworten: Das sollte es aber. Weil das BgR es aber nicht für nötig hält, das Verhältnis deutscher Ideologie zum Islam zu kritisieren, müssen sie auch nicht auf deren Identität in der Krisenbewältigung, dem antisemitischen Versuch der negativen Aufhebung des Kapitals, zu sprechen kommen. Spätestens dann stünde ihnen nämlich auch vor Augen, was es bedeutet, so allgemein-abstrakt gegen „kapitalistische Kriege“ zu sein – die Regression mit Randkommentaren versehen und nicht, sich ihr in den Weg zu stellen.
Die Konsequenz solch trüben Geistes ist der quirligste Praxisfetischismus. Da macht man halt mal was zu Arbeit und dann mal zum Konzept Zivilgesellschaft und dann ist plötzlich Krieg und man macht eine (natürlich linksradikale) Friedensdemonstration, deren antiamerikanisches Potential man im nachhinein auch eingesteht, um im gleichen Atemzug zu versichern, beim nächsten mal, wolle man es trotzdem wieder versuchen. Dass eine Gruppe, deren Texte eher postmoderne Diskursanalyse, jedenfalls keine Kritik sind und die ihre Themen folglich alle paar Wochen wechselt, weil ja auch irgendwie alles interessant und eh nur der Vorwand für die nächste Bewegung ist, nun ausgerechnet die Antideutschen unter ihrer Fahne sammeln will, ist auch nur in Leipzig möglich. Gleichzeitig ist es aber auch Ausdruck des Versagens der AKG, die nicht verhindern konnte, dass linke Friedensdemonstranten für sich in Anspruch nehmen können, antideutsch zu sein. Wenn das BgR aber irgendwann feststellt, dass es mit einer Position für Israel keine Bewegung zu Stande bringen wird, dann besinnt es sich vielleicht doch wieder auf traditionellere Themen, wie es ihr die Genossen der WKK und deren antideutscher Ableger AKA schon heute vormachen.

Der Ärger mit der Transzendenz

„Wir halten dagegen(2), dass sich eine gesellschaftliche Emanzipation nicht nur ohne ein solches Subjekt vollziehen kann, sondern dass dies nur ohne ein solches Subjekt möglich ist. Ein Subjekt ist vielmehr ein Hindernis auf dem Weg zur Befreiung.“(3) Solche Thesen setzen eine krisentheoretische Säuberung des Subjektbegriffs bereits vorraus. Während die Kritische Theorie das Subjekt zugleich als Ausdruck des objektiven Verhängnisses und als Einspruchsinstanz dagegen verstand, bekennt die Krisentheorie feierlich: „Vom schillernden Subjektbegriff der Kritischen Theorie erkennt sie nur die eine, die negative Seite an.“(4)
Auch die WKK leiten das Subjekt stringent aus ökonomischen Kategorien ab. Was nicht darin aufgeht, wird als Wert-Abgespaltenes gefasst. Der dialektische Widerspruch von gesellschaftlicher Konstitution des Subjekts und gleichzeitiger, dem unmittelbaren Zugriff der Objektivität sich widersetzender Reflexionsinstanz ist damit virtuell liquidiert. Die WKK verdinglichen das Subjekt zur bloßen Funktionsform des Kapitals, um es zusammen mit diesem umstandslos entsorgen zu können.
Aber das zum Abgespaltenen degradierte war mehr als Korrelat des Werts. Liebe bedarf die Wertverwertung ebenso wenig, wie der Beruf des Managers einer glücklichen Familie. Das Vergehen von Liebe und das Zerbrechen der Familie ist nicht Ausdruck der „Krise der gesellschaftlichen Reproduktion“, wie die WKK annehmen, sondern Fußnote des Kapitals, dass es zur Akkumulation Verausgabung abstrakt menschlicher Arbeit benötigt und keine Bürger.
Die WKK interessiert das sich im Subjekt der betriebswirtschaftlichen Rationalität widersetzende Nicht-Identische nicht im geringsten. Da das Kapital keinen historischen Gebrauchswert haben soll, mit Ausnahme der Entwicklung der Produktivkräfte vielleicht noch, gilt ihnen das Subjekt als restlos systemimmanente Kategorie. Das Durchstreichen des Subjekts ist allerdings zugleich der Strich durch ihre Aufhebungsbewegungsrechnung, wäre da nicht noch etwas hinter dem Subjekt stehendes Eigentliches, das nur darauf wartet von den klugen Krisis-Aufklärern erweckt zu werden. „Objektivierung und Subjektivierung sind per se identisch und sonst gar nichts.“ meint auch der Vorlagenschreiber der WKK, Ernst Lohoff und propagiert einen „positiven Bewußtseinsakt“(5), um die Subjektform zu überwinden. Wer aber soll diesen Akt denn vollbringen und unter der Subjektform hervorkriechen, wenn nicht das eigentliche Individuum? Der Krisis-Wertkritiker wird zum Idealisten, weil er selbst sich den dialektischen Boden unter den Füßen fortgezogen hat. Scheinbar über der Gesellschaft schwebend ruft das wertkritische Transzendentalsubjekt ins Jammertal des Kapitalverhältnis: Kommunismus ist machbar! Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt! Sei du selbst! – Vielleicht würde es der Krisis gefallen, demnächst mit Xavier Naidoo auf Tour zu gehen, der predigt seiner Fan-Gemeinde ja auch regelmäßig „Be yourself!“ und wenn nicht, reicht es vielleicht noch zu einem kleinen Posten in der Werbebranche, die sich des gleichen deutschen Jargons bedient.
Wer, wie die WKK, das Subjekt abstrakt negiert, bleibt an es gekettet. Der vertrackten Dialektik wähnen sie entronnen zu sein und sind dabei nur, an ein Eigentliches hinter der Charaktermaske appelierend, an der Kritik des Subjekts gescheitert. Doch die Krisis-Fans wissen ihr Scheitern als Chance zu nutzen. Es lässt sich wieder, nicht ohne begriffliche Verrenkungen zwar, an allerlei soziale Bewegungen anknüpfen: „Auf analytischer Ebene läßt sich dies darstellen als die Kongruenz von Form und Inhalt: Die (Gesellschafts-)Form, in der soziale Bewegungen entstehen und auf die sie sich beziehen, ist die Verwertungsgesellschaft, die auf Warentausch und Kapitalakkumulation aus ist. Der Inhalt von sozialen Bewegungen ist, die Verbesserung für ihr eigenes Leben zu fordern. Dieser Inhalt hat sich der Form angepaßt.“(6) Da heißt es nur noch: Form destruieren, eigentlichen Inhalt freilegen und schwuppdiwupp haben wir Kommunismus. Und wer da die Stirn kraus zieht, weil er „die neu-antideutsche Brille gegenüber Bewegungen“(7) aufhat, der möge doch mal zu einer DGB-Demonstration gehen und lauschen – raunt da nicht zwischen den sozialpartnerschaftlichen Reden noch ein eigentlich Gemeintes, – raunt da nicht das Sein der Revolution? Wer sich auch davon nicht überzeugen lassen will, dem sei gesagt: „Kritik macht sich in der heutigen finalen Krise überflüssig und wird unmenschlich, wenn sie nicht auch den Anspruch hat, in praktischer Kritik zu münden und [...] Anknüpfungspunkte [...] zu finden.“(8) Basta.
Aber nicht nur der verarmte Agitator aus der incipito-Redaktion sucht Anschluss. Auch die WKK wissen wohl zu unterscheiden, wie es durch die warenförmige Gesellschaft und wie es eigentlich ist: „Das Bewusstsein von dieser Bedrohung [der Ökosphäre](9) ist keineswegs reaktionär.“(10) Vielmehr gelte der Spruch des Ernst Lohoff: „Bleibt es seinem Anliegen treu, so treibt das ökologische Bewußtsein aus seiner eigenen Logik heraus in eine ähnliche Richtung wie der wertkritische Ansatz“. Also auch ihr Umweltschützer da draußen: Bleibt euch treu! Werdet ihr selbst!
Der Subjektbegriff Lohoffs und der WKK verstellt noch die augenscheinlichsten Wahrheiten über diese deutschen Haufen, weil er alles dem Kapital Widersprechende als Aufhebungsindiz verbucht, statt gerade die Artikulation des Leidens als konformistische Rationalisierung von Subjekten zu begreifen, die nicht mehr von Erlösung träumen, sondern vom Abstrafen der Umweltsünder. Dabei ließe sich dem Ernst Lohoff noch ein wahrer Kern abgewinnen, stellte man seine These nur vom Kopf auf die Füße: Bleibt der wertkritische Ansatz seinem Anliegen treu, so treibt er aus seiner eigenen Logik heraus in eine ähnliche Richtung wie all die anderen reaktionären Massenbewegungen – zum Aufstand der Eigentlichen – und das aber auch nur, weil seine eigene Logik, die des verschwindenden, dem Kapital ausgedient habenden Subjektes ist, das sich im Anblick des eigenen Untergangs tröstlich zuflüstert: Du bist doch gar kein Subjekt.
Dass einige der WKK sich dennoch am Tag des Volksaufmarsches gegen den Beginn der US-Intervention im Irak hinter das Transparent der paar Kriegsbefürworter gestellt haben, wie die AKG ihnen naiv zugute hielt, ist allein der erfreulichen Inkonsequenz gegenüber der eigenen Theorie zu verdanken. Das macht aber eine Gruppe nicht besser, die sich mit ihrer finalen Krise herausredet, um einen antifaschistischen Waffengang abzulehnen, nur um einige Wochen später ihre Gemeinsamkeiten noch mit den regressivsten Bewegungen hervorzukehren. Es macht eine Theorie nicht besser, der Unglück irrelevant ist, lässt es sich nicht fürs Politgeschäft benutzen. Es macht ein Denken nicht besser, dem Leid bloß Anknüpfungspunkt an die Massen ist. Die Verlautbarungen der Krisis und ihrer Leipziger Freunde sind menschenverachtend.
Wer aus der AKG daran sich vorbeimogeln möchte und lieber den Berliner Referenten verurteilt, der nur allzu unverblümt ausgesprochen hat, was eine interventionistische AKG hätte denunzieren müssen, der mag noch über die Leipziger Linken Bescheid wissen, aber er hat seinen Frieden mit der Dummheit gemacht und als Kritiker versagt.

Zuversicht und Affirmation des Verhängnis

Es gibt ein Lied in der „Winterreise“ von Wilhelm Müller mit dem Titel „Mut“. In der dritten Strophe heißt es dort:
Lustig in die Welt hinein,
gegen Wind und Wetter.
Will kein Gott auf Erden sein,
sind wir selber Götter.
Das sagt alles über den geschichtsphilosophischen Optimismus der ganzen Krisentheorie. Deren hoffnungsfrohe Gesellschaftskritik ist die Firnisschicht über der lauernden Angst, der Weltlauf sei doch die Katastrophe. Guten Mutes lässt sich in eine Zukunft blicken, über die das Kapital schon keine Macht mehr hat: „Wir aber leben heute in der Endphase dieser Gesellschaft. Ihre Überwindung wird direkt unsere Aufgabe sein.(11) tönt ein Bewusstsein, das siegessicher den Weltgeist in den eigenen Reihen zu spüren glaubt. Die Geschichte wird zu dem wohlwollenden Vati und die sozialen Bewegungen zu den Brüdern und Schwestern, die sich dessen nur noch nicht bewusst sind. So ziehen die Eigentlichen aller Länder lustig in die Welt hinein gegen Wind und Wetter des zusammenbrechenden Kapitalverhältnis. Doch lässt sich nach Auschwitz nicht mehr glauben, alles füge sich von allein. Darum verkündet der neue Optimismus: Will kein Gott auf Erden sein, der uns die Revolution beschert, sind wir selber Götter, die ihre Subjektform einfach ablegen, wie einen alten Hut.
Die Ideologie fundamentaler Wertkritik der WKK wird von derselben Unruhe getrieben, wie jene fundamentaler Ontologie Heideggers – dass kein ewiges Fundament ist, worin das Subjekt wurzelt: „Die Gesellschaft ist zu dem totalen Funktionszusammenhang geworden, als welchen sie einst der Liberalismus dachte; was ist, ist relativ auf anderes, irrelevant an sich selbst. Das Erschrecken davor, das dämmernde Bewußtsein, das Subjekt büße seine Substantialität ein, präpariert es, der Beteuerung zu lauschen, Sein, unartikuliert jener Substantialität gleich gesetzt, überdauere doch unverlierbar den Funktionszusammenhang.“(12)
Negatives Denken, das solchem Lauschen sich widersetzt, fällt dem Verdikt zum Opfer, störendes Dogma zu sein, von dem die revolutionäre Bewegung sich reinzuwaschen habe: „Denk- und Handlungsverbote bezüglich emanzipatorischer Überwindungen [...] blockieren kommunistische Kritik.“(13) Was die WKK noch freimütig einräumen, äußert sich verdruckst und darum aggressiver bei der AKA in ihrem Aufruf zur Ich-Auflösung: „so ist die private, durchherrschte Beziehungspraxis auch immer politisch – und zwar antikommunistisch.“(14) Wer die autoritären Lebensanweisungen nicht befolgen, weil die Liebe nicht verraten will, den trifft das Stigma des Konterrevolutionärs.
Einer Wertkritik, welcher die totale Entfaltung des Werts und sein Untergang identisch ist, erscheint das Kapital als Gesellschaft zu ihrer finalen Krise. Weil aber die Menschheit das schlafende Dornröschen sein soll, dass im Bestehenden an sich schon sei und nur wachgeküsst werden müsste, macht die Auskunft der WKK, wir lebten bereits in dieser finalen Krise, das Kapitalverhältnis zu der ewig sterbenden Gesellschaft, deren Tod mit der Auferstehung der eigentlichen Gesellschaft zusammenfällt; darin analogisch dem Heideggerschen Verständnis vom Dasein: „Seiend zu seinem Tode, stirbt es faktisch und zwar ständig, solange es nicht zu seinem Ableben gekommen ist.“(15) – Im wertkritischen „Gesellschaft zur finalen Krise“ klingt etwas vom Sein zum Tod. Beide beruhigen den Rest des Ich, das Ende der Gesellschaft, sei nicht auch sein Ende.
Die Aufgabe antideutscher Kritik, die ihren Namen verdient, wäre, die Leipziger Verhältnisse von diesem Irrtum zu befreien.

Kritik nicht positiv

Der linke Konsens, Bewegungspolitik als Kritik zu verkaufen, ist getreues Abbild einer Szene, die sich ihrer Zusammengehörigkeit in einem gemeinsamen Ziel versichert, das ohnehin in unabsehbare Ferne gerückt ist – die befreite Gesellschaft. Mit dem Scheitern der Weltrevolution aber ist kritische Theorie auf sich selbst zurückgeworfen. Nur einsam ist sie heute überhaupt noch Statthalter eines Besseren. Drängt sie zur Praxis, verrät sie sich selbst und wird zu der konformistischen Veranstaltung, der sie sich anträgt. Die Suche nach Anknüpfungspunkten nimmt Theorie an die Leine der Massen, die unbewusst die katastrophische Tendenz des Kapital vollziehen.
Darum ist Kritik nur als negativer Einspruch gegens Verhängnis. Wer linken Gruppen einige ihrer Erkenntnisse zugute hält, rechnet sie schon gegen das auf, was zu kritisieren wäre. Das ist aber nicht im Sinne der Kritik, sondern der linken Gemeinschaft. Stattdessen muss Kritik linken und sonstwie affirmativen Theorien ihren eigenen Konformismus vorhalten in der Hoffnung, sie gingen darin nicht auf.
Unversöhnliche Kritik ist die einzige Praxis, die einem Denken bleibt, das sich nicht mit dem Bestehenden versöhnen will. In dieser Bescheidenheit, die zugleich die größte Anmaßung ist, wird Theorie gegen Praxis praktisch.
Solcher Einspruch kann sich nicht im innerlinken Streitgespräch artikulieren. Er ist ein Angriff, der über den Gegenstand hinauszielt, indem er auf Einsicht des Denkenden, damit nicht nur auf Negation des Gegenstandes, sondern auch des Theoretikers aus ist. Eine „Verantwortung vor der Wahrheit“, wie sie einige in der AKG für sich in Anspruch nehmen, wird zur unwahren Rechenschaft, da Wahrheit nicht über dem Kritiker schwebendes Abstraktum ist, sondern sich als immanenter Gehalt der Kritik erst zu bewähren hat. Die Reduktion von Wahrheit auf das mathematisch Richtige ist kritikfeindlich: es verrät sich die Furcht, die eigene Kritik könne treffen, also verletzen. Wer davor zurückschreckt, stolpert erneut in die linke Gemeinschaft, die zu zerschlagen die Antideutschen ausgezogen waren.

Gegner der Leipziger Verhältnisse in der AKG

Fußnoten:
(1) Die letzte Veröffentlichung der AKG vom 19.08.2003 auf www.akg-leipzig.info, zur Kenntnisnahme: „(...) Die Diskussionen der letzen Wochen haben ergeben, dass die Positionen innerhalb der Gruppe zuweit auseinandergehen, als dass die bisherige Zusammenarbeit fortführbar wäre, somit auch keine gemeinsamen Verlautbarungen möglich sind. Unsere Kritik an der Linken ist damit keineswegs hinfällig. In welcher Form sie zukünftig stattfinden wird, entscheidet sich an anderer Stelle. Widmen Sie sich doch zwischenzeitlich einem guten Buch.“
(2) Die WKK stellen ihre Befreiungstheorie gegen die Vorstellung der Notwendigkeit eines revolutionären Subjekts. Damit halten sie das Subjekt als Form objektiver Vergesellschaftung gegen ein revolutionäres Subjekt, also eine Personengruppe der objektiv die historische Aufgabe der Revolution zufallen würde. Weil die WKK aber alles, was irgendwie Subjekt heißt, in die Tonne treten möchten, fällt ihnen solch ein Kategorienwirrwarr gar nicht mehr auf.
(3) WKK, „Kommunismus ist machbar!“, incipito 8.5, Hervorhebung im Original.
(4) Ernst Lohoff, „Automatismus der Befreiung oder Befreiung vom Automatismus“, Bahamas Nr.21.
(5) ebd.
(6) „Ares“, „Soziale Frage oder Barbarei!“, in incipito 8.5.
(7) ebd.
(8) ebd.
(9) Anmerkung der Autoren.
(10) WKK, „Kommunismus ist machbar“, in incipito 8.5.
(11) ebd., Hervorhebung im Original.
(12) Theodor W. Adorno, Negative Dialektik S.73.
(13) WKK, „Kommunismus ist machbar“, in incipito 8.5.
(14) AKA, „the hive mind“, in incipito 8.
Es ist schon erbärmlich, wenn „Antideutsche Kommunisten“ sämtliche Autoritäten der Gesellschaftskritik, die sie bestenfalls gelesen, aber nicht verstanden haben, heranzitieren müssen, nur um die Krisis-Theorie eines warenproduzierenden Patriarchats weiterzuspinnen. Die herzerfrischende Antwort von Jo auf diesen AKA-Mist (incipito 8.5) übersieht allerdings, dass die AKA nicht nur für eine rigide Selbst-Zurichtung plädiert, sondern dem Subjekt-Begriff der WKK das Wort redet, indem sie diese Zurichtung als quasi-kommunistische Beziehung eigentlicher Individuen verkauft.
(15) M. Heidegger, „Sein und Zeit“, 18. Aufl., Tübingen 2001, S.259.


home | aktuell | archiv | newsflyer | kontakt |
[103][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007