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Kretzschau, 20.5k

Status:
Quo Vadis,
Conne Island
(Part V)?


Bericht vom Conne Island-Arbeitswochenende in Kretzschau

»Status: Quo vadis«, der mehrdeutige Titel eines Blumfeld-Songs Ende der neunziger Jahre scheint in Anlehnung an die Überschriften vergangener Jahre angebracht, die Ergebnisse der diesjährigen Conne-Island-Wegfahrt nach Kretzschau wiederzugeben, stand doch das inzwischen traditionelle Arbeitswochenende erstmals nicht im Zeichen tiefgreifender Veränderungen oder Neudefinitionen. Im ersten Jahr, 1998, stießen wir uns noch an der Wegfahrpraxis und entwickelten mit der Definition des den Laden einenden Anti-Nazi-Konsenses ein zeitgemäßes, auf den Punkt gebrachtes Laden-Selbstverständnis, während das zweite Jahr bereits den Verlust der Vorreiterrolle des Conne Islands angesichts der Entpolitisierung der gesamten Popkultur konstatierte. Das dritte Jahr schließlich stand im Zeichen des bisher vehementesten Bruches in der Ladengeschichte: Die kulturpolitische Ausrichtung des Ladens wurde im zehnten Jahr seines Bestehens angesichts des »Endes von Antifa« zugunsten einer Rücknahme des politischen Anspruchs relativiert, während der sich andeutende Wechsel des langjährigen Geschäftsführers Fragen nach dem Fortbestehen der Ladenstruktur aufwarf. Keine dieser entscheidenden, die Geschicke des Eiskellers über den Zeitraum zwischen den Arbeitswochenenden prägenden normativen Vorgaben, stand dieses Jahr auf der Tagesordnung. Hat sich das Conne Island in den Verhältnissen eingerichtet oder ist gerade nichts zu holen?

Es sind vor allem zwei nachwirkende Rahmenbedingungen, die gemessen am kulturpolitischen Anspruch des Ladens seinen Aktionsradius seit nunmehr drei Jahren einschränken. Einerseits hält der Verlust der Definitionsmacht über Pop- und Subkultur an; schlimmer noch, es ist weiterhin keine Lösung in Sicht, der von kulturindustrieller Dynamik und kultureller Beliebigkeit gerissenen Lücke ein neuartiges Modell entgegenzusetzen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Konzert- und Diskursbetrieb sind hinlänglich bekannt und haben auch im Jahr 2002 nicht an Geltung verloren. Abgesehen davon, dass Diskussionen innerhalb der einzelnen Musikszenen rar sind, ist es weiterhin schwer, die wenigen guten Bands zu verträglichen Konditionen an den Laden zu holen, da der Spielraum zwischen Entdeckung und Major-Vertrag, d.h. der Spielraum, in dem sie früher dem Laden vorbehalten waren, eigentlich nicht mehr existent ist.
Auch der Diskursgedanke – früher ein gern und oftmals wirksam wahrgenommenes Betätigungsfeld des Ladens – hat folglich an Relevanz verloren. So wurde in Kretzschau zwar als Versäumnis konstatiert, sich inhaltlich nicht an der diesjährigen »pop-up-Messe« beteiligt zu haben; andererseits stellt sich die Frage, welche Ansätze wir abseits der schon rituell anmutenden Wiederholung vom Ende der Subkulturen wohl hätten vermitteln können – der kritische Anspruch der zu einem Existenzgründerseminar mutierten Messe tendierte bekanntlich gen Null. Dennoch beanspruchte die Vergegenwärtigung der Relevanz des Subkulturbegriffes in Kretzschau breiten Raum. Während ein Teil auf den Ergebnissen der »Mainstream der Minderheiten«-Diskussion Ende der neunziger Jahre, sprich dem Ende des einst subversiven Modells Subkultur beharrte und vor seiner überschätzenden Inanspruchnahme warnte, bestand ein weiterer Teil auf der fortwährenden Aktualität der subkulturellen Abgrenzung, die sich auch heute noch leben lasse.
Der kulturelle Betrieb am Laden jedenfalls geht in seiner bewährten Form weiter, d.h. weiterhin werden gemäß dem Kriterium »von der Szene für die Szene« kulturpolitische Kriterien auf unser Programm angewandt. Erfreuliches gibt es dabei aus der HipHop-Szene zu berichten, wo die noch im letzten Jahr mit Skepsis geforderte Erweiterung des musikalischen Spektrums um britische und US-amerikanische Acts inzwischen stattgefunden hat, so dass der ohnehin im Niedergang befindliche deutschsprachige HipHop zunehmend durch seine anglo-amerikanischen Vorbilder ersetzt wurde. Von sich reden machte einmal mehr auch die Hardcoreszene, die auf dem Land derzeit einen an alte Zeiten erinnernden Boom erfährt. Wenngleich die Berechtigung der Hardcoreszene auf dem Land, dort wo Faschos noch präsent sind, nicht bestritten wurde, wurde gleichzeitig vor einer Überschätzung einer vorrangig durch Abwehrmanöver sich auszeichnenden Szene gewarnt. Einhellige Grenzziehung hingegen wurde im Bereich einer Musiksparten übergreifenden Szene gefordert, die sich allmählich zur Bewegung ausformt. Die Rede ist von dem im weitesten Sinne an die Reggae-Dancehall-Ragga-Szene angegliederten, hippiesk anmutenden Dunstkreis, der einem vornehmlich am Kiffen und Abhängen orientierten Lebensgefühl frönt und zunehmend das Conne Island als Ort des Vergnügens erschließen könnte. Egal was man vom übermäßigen Gebrauch halluzinogener Mittelchen halten mag, sollte das die Jugendbewegung der nächsten Jahre werden – so die Befürchtung –, würden die kulturpolitischen Ansprüche des Ladens wohl auf eine harte Probe gestellt.

Den zweiten großen Faktor für das Verharren im Status Quo weiß das »Ende von Antifa« bzw. der Bewegungslinken zu setzen. Die mit dem Jahr 2000 angesichts des staatlichen »Antifa-Sommers« einsetzende Verabschiedung vom jahrelang verfochtenen antifaschistischen Organisations- und Integrationsmodell wirkt sich auch im Jahr zwei ihrer Geltung auf das politische Profil des Ladens aus. Abgesehen davon, dass mehr als Antifa für die Gesamtheit des Ladens nie wirklich bindend war, abgesehen davon, dass politischen Gruppen weiterhin Platz am Laden zur Verfügung gestellt wird, schmälert die Zersplitterung der bundesdeutschen Linken den Rückfluss politischer Inhalte in den Laden, der sich folglich auch an der in Leipzig mit Vehemenz ausgetragenen Debatte um Kritik oder Politik nicht wirklich beteiligen kann und will. Auch die im letzten Jahr im Angesicht der Perspektivlosigkeit geäußerte Überlegung, auf den Zug der sich ausformenden Antiglobalisierungsbewegung aufspringen zu können, hat sich angesichts ihrer Entwicklung zur reinen Reformbewegung als haltlos erwiesen, denn dass sich hier ein den Laden bereicherndes Potential herausgebildet hätte, kann nicht wirklich behauptet werden.
Einen weiteren Gegenstand der Diskussion bildete die Relevanz der »Antifa-Mark«, des durch uns über den Eintrittspreis eingezogenen Zuschlages, der zur Unterstützung der am Laden aktiven politischen Gruppen verwandt wird. Es lag auf der Hand, im Zuge der politischen Verschiebungen auch deren Berechtigung zu überprüfen. Während ablehnende Stimmen den durch den Wegfall des offiziellen Empfängers angezeigten Etikettenschwindel sowie den Verlust des kritischen Charakters bemängelten und deshalb für eine Umbenennung plädierten, entschlossen wir uns letztlich, die Erhebung des Zuschlags unter dem alten Namen beizubehalten. Schließlich sind die ehemals unter der Headline »Antifa« wirkenden Gruppen ebenso aktiv wie wir einer linken Position weiterhin, unabhängig von der Popularisierung von Antifa, ein antifaschistisches Selbstverständnis zugrunde gelegt sehen wollen.
Eine außerhalb dieses Schemas verlaufende politische Betätigung seitens des Plenums stellt die Positionierung zu den antiisraelischen und antisemitischen Reaktionen im Verlaufe der zweiten Intifada dar, die dem Conne Island seitens Teilen der Szene und seines Publikums nicht gerade Sympathien eingebracht hat. Wenngleich nicht in Kretzschau diskutiert, ist die Diskussion hier dennoch angeführt, da sie den derzeit möglichen Spielraum von politischer Betätigung am Laden verdeutlicht. Denn die anhand der Auseinandersetzungen um die kanadische Politpunk-Band Propaghandi sowie die angesichts des von uns ausgesprochenen exemplarischen »Verbots« des Tragens von Palästinensertüchern nach außen transportierte Solidarität des Ladens mit Israel ist keine politische Äußerung im Sinne eines zukünftig Motivationen freisetzenden Identifikationsmodells, sondern letztlich nur eine notwendige Reaktion auf die Verhältnisse.
Abseits dieser die äußeren Eckpunkte darstellenden Bedingungen der Ladenpolitik und gleichsam in ihrer logischen Konsequenz stand die Arbeitspraxis im Mittelpunkt der Diskussion. Zwei Aspekte sollen kurz dargestellt werden, da sie veranschaulichen, dass der Laden im Fluss bleibt. Zu nennen ist einerseits, dass die von vielen mit Bangen betrachtete Neubesetzung des Geschäftsführerpostens geglückt ist. Dem neuen Geschäftsführer wird zurecht allseits Lob entgegengebracht, er habe sich eingelebt und übernehme geschickt die Initiative. Angesichts der reibungslosen Übernahme überwog fast schon so etwas wie die Angst vor der Routine, abgeschwächt durch das tendenzielle Alleinlassen bei Entscheidungen. Auch der seit langem geforderte Generationswechsel scheint sich endlich anzubahnen: Erneut nahmen viele neue und junge Leute an der Wegfahrt teil; zum ersten Mal ist auch abzusehen, dass jüngere Leute die Aufgaben älterer mit der Option, diese in naher Zukunft auch in der Festanstellung zu beerben, übernehmen werden.
Fasst man die Ergebnisse der Kretzschau-Fahrt zusammen, behält die im letzten Jahr aufgestellte Definition unseres Ladenselbstverständnisses ihre Gültigkeit: Unser tendenziell relativierendes Verständnis, das Conne Island ist ein Zentrum von und für Linke, Jugend-, Pop- und Subkulturen, ist auch weiterhin die ehrlichste Positionierung, die wir angesichts der politischen und kulturellen Perspektivlosigkeit abgeben können. Und was den Status Quo angeht, bleibt die nicht unberechtigte Hoffnung, an dieser Stelle im nächsten Jahr schon wieder von Bewegung berichten zu können. Denn, wie heißt es bei Blumfeld – »Status: Quo vadis – stets dem Leben zu«.
Philipp



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last modified: 28.3.2007