Im Zweifel für den Ankläger. Über Jenin, Menschenrechte,
humanitäre Intervention und den gesunden Menschenverstand von links
von Sören Pünjer
Mein Gott, wie gut, daß ich den Judenstern auf israelischen Panzern
sehe und nicht, wie 1944, auf meiner Brust.
(Imre Kertész)
Am ersten Mai hatte Frau Jutta Ditfurth, das ex-grüne Polit-Monster, das
heutzutage nur noch zur Negativfolie dafür taugt, wie man nicht links
werden sollte, mal wieder ihren großen Tag. Wie nun schon seit Jahren
üblich belästigte die Möchtegern-Bundeskanzlerin des kritischen
Gutmenschentums tausende bestens gelaunter Teilnehmer der frühabendlichen
Berliner revolutionären 1.Mai-Demonstration mit ihrem
antiquierten antiimperialistischen Politgeschwafel. Nur dieses Jahr fühlte
sie sich scheinbar auf Grund des medialen 80er Revival-Hypes besonders
motiviert, mittels jahrzehntealtem Vokabular und Termini denselben
immergleichen Antiimp-Schrott zum Besten zu geben - und das mit einem Gestus,
als wäre sie gerade beim öffentlichen Casting für die 80ies Show
von Oliver Geißen auf RTL. So verkündete sie voller gelerntem
Politikerpathos ihre Hauptthese einer Analyse des sogenannten Nahostkonflikts:
Ariel Scharon sei kein Antisemit, sondern ein Kriegsverbrecher.
Sagt's und schwebte als etwas propper gewordener Friedensengel von der
Showbühne, von der kurz darauf die dopen Techno-Beats auf die Masse
niedergingen. Zur Rettung der immerhin andächtig lauschenden Demonstranten
läßt sich zumindest anführen, daß der Beginn des DJ-Sets
- also das Einsetzen der Demo-Mucke - etwa genauso viel Jubel und Beifall
hervorrief, wie die Worte von Antiimp-Mutti Jutta.
Vom Völkergefängnis zum Volksgefängnis
Die unheimliche Gemeinschaft antiimperialistischer und antirassistischer
Tobsüchtiger konstituiert sich in steter Kontinuiät seit dem
antisemitischem Massaker vom 11. September. Man kann es kaum fassen, muß
es aber verarbeiten und reflektieren - da beißt die Maus kein' Faden ab.
So wird zum Beispiel gegen den Berlin-Besuch von George W. Bush nur deshalb
haßerfüllt zu Felde gezogen, weil die USA am 11. September
angegriffen wurden und diese sich daraufhin wehrten - der Besuch von Bill
Clinton vor ein paar Jahren an gleichem Ort interessierte im Vergleich dazu
ernstlich keine linke Sau. Weil die Welt sich als ethnischer Streichelzoo
halluziniert wird, in dem die Linken von Durban bis Genua, von Porto Alegre bis
Berlin die Tierpfleger spielen wollen, erklärt man die politischen
Repräsentanten der USA wie Israel zu ungerechten Zoodirektoren, die den
exotischen aber eben verdammten, vom Aussterben bedrohten Gattungen dieser Erde
nur schlechtes wollen: die Welt-Linke als eine Gilde von Tierbefreiern, die
für ethnische Menschen-Gattungen nichts weiter als natürliche, eben -
wie sie meinen - menschliche Lebensbedingungen erkämpfen
will. Parolen wie Revolution weltweit, Kapitalismus
abschaffen oder Eine andere Welt ist möglich beinhalten
programmatisch nichts anderes als den wahnsinnigen Versuch der Abschaffung
künstlicher Ungerechtigkeit und die Schaffung von natürlicher
Gerechtigkeit. Die harte aber gerechte Strafe von links gegen korrupte Bonzen
wie den Texas Cowboy Bush kann also nur wie folgt lauten: Das
Volksgefängnis für die, die schuld sind am globalen
Völkergefängnis und der internationalistische Imperativ von den
Völkern, die die Signale hören sollen, als eine einzige große
und brutale Knastrevolte, die die Verhältnisse dergestalt umkehren soll,
daß die Die-da-oben jetzt von Die-da-unten in den Zellen beaufsichtigt
werden.
Man kann sich wohlgemerkt gut und gerne darüber streiten, wer wohl die
besseren Zuchtmeister sind, wenn man der Meinung ist, daß die Grenze
zwischen Oben und Unten verläuft und die Gemeinschaft der Völker
deshalb um so fester die Reihen geschlossen halten sollte. Weil der
halluzinierte Klassenkampf nun mal Dampf macht, vernebelt eher die linken Hirne
weltweit und wächst sich zum ekelerregenden personifizierten Ressentiment
gegen Personifikationen jeglicher kapitalistischer wie bürgerlicher Art
aus.
Die Linken weltweit wissen, wo sie stehen. Auch ein linker Postzionist wie
Moshe Zuckermann wußte das erst jüngst mal wieder zum Besten zu
geben. Als hofierter jüdischer und israelischer Kronzeuge eines linken
Antizionismus sprach er mitte Mai jenen 600 deutschen Linken aus dem Herzen,
die sich anläßlich eines Kongresses der BUKO zusammen fanden - einer
Organisation, die sich noch vor kurzem Bundeskongreß
entwicklungspolitischer Aktionsgruppen nannte, nun zur nicht weniger gruseligen
Selbstbetitelung als Bundeskoordination Internationalismus überging und
letztlich keinen Deut besser als die von den BUKO-Akteuren hassgeliebten
ATTAC-Verrückten ist. In der Tageszeitung junge Welt ( jW),
die man übrigens gerade dann nicht lesen sollte, wenn man nicht zu einer
antideutschen Position gelangen will, zumal ja erst jüngst selbst die
taz zu der Feststellung kam, daß eine antideutsche Position zwar
reichlich Feindberührung einbringt, sozial betrachtet aber Kontaktarmut
erzeugt(1), wurde über den BUKO-Kongress in der Ausgabe vom
13. Mai folgendes berichtet: Zuckermann sprach sich entschieden dagegen
aus, jegliche Kritik an Israel als antisemitisch zu diffamieren. Die
Solidarität sei für die Linke eine grundlegende Angelegenheit, die
für alle Unterdrückten unabhängig von ihrer Religion oder Ethnie
gelte. Diese Position ist tatsächlich das Herzstück des linken
Denkens - des zugleich kitschigen und brandgefährlichen Gutmenschentums.
Man weigert sich, Besonderheiten zur Kenntnis zu nehmen, indem man nicht nur
unabhängig von (...) Religion und Ethnie auf das Allgemeine
schließt, sondern sich erst gar nicht mit Kategorien wie Religion
und Ethnie auseinandersetzt. Man läßt diese einfach gelten,
weil man ja tolerant sein will. Gerade aber zwei Dinge müssen jeder Kritik
der Verhältnisse zu Grunde liegen. Erstens muß das Verhältnis
von Besonderem und Allgemeinem so bestimmt werden, daß sich das Besondere
genauso erschließt wie das Allgemeine und zweitens geht es gerade darum,
mit der Bestimmung von Allgemeinem und Besonderen die Kategorien wie Religion
oder Ethnie nicht nur der Form nach, sondern gerade im Verhältnis von Form
und Inhalt zu erfassen, um auf das Wesen und den Charakter schließen zu
können.
Weil die Linken weltweit so auf den undialektischen Hund gekommen sind, werfen
sie sich allen unterdrückten Völkern dieser Erde an den Hals, weil
Solidarität (...) eine grundlegende Angelegenheit zu sein hat.
Das linke Solidaritäts-Postulat der Gleichheit der Opfer korrespondiert
nicht nur hervorragend mit dem Gleichheitspostulat nach gleichen
Warenbesitzern, sondern ist die gleichzeitige Rückendeckung und der
Flankenschutz für die Wahnsinnigen dieser Welt, in deren Mitte sich die
Linken weltweit nur allzugerne tummeln.
Man muß sich nicht erst an den Abgrund linken Wahns begeben, um der
Linken ihre eigene Melodie vorzusingen. Darum aber einen Bogen zu machen, weil
man meint, dieser Wahn wäre Ausnahme von der Regel, verbietet sich dann,
wenn man auf Grund der Fülle dieser vermeintlichen Regel eine Revision
seiner Grundeinschätzung vornehmen muß: Was als Ausnahme von der
linken Regel gilt, ist gar nicht die Ausnahme, sondern die Regel und man
selbst, so man an der linken Identität klebt wie die Klette im
Wollstrickpullover des 70er und 80er Gutmenschen-Prototyps, stellt diese
Ausnahme dar.
Vom gemeinsamen Hass der linken Gutmenschen und Parteisoldaten
Tauchen wir also für kurze Augenblicke ab in den schier
unüberschaubaren Sumpf der linken Weltsicht. Nichts vermag indes die
Linken besser zu entlarven, als ihre Verlautbarungen zum sogenannten
Nahost-Konflikt. Und es sei gleich angemerkt, daß die nachfolgende
Aufführung von O-Tönen gerade wegen ihrer gewollten Willkürlich-
und Unvollständigkeit repräsentativer ist als so manche systematische
Untersuchung.
Eine Antiimperialistische Koordination aus Wien führte in ihrer
Zeitschrift Intifada ein Gespräch mit dem Islamischen
Dschihad und porträtierte die Selbstmordattentäterin Wafa
Idris: Es hilft zu verstehen, daß diese extreme Methode des
Widerstands nur an der Oberfläche religiös motiviert ist, sondern im
Grunde eine politische Antwort auf eine extreme Form der Unterdrückung
unter hochgradig ungünstigen Kräfteverhältnissen
darstellt. In einem dem Selbstverständnis nach libertärem Blatt
namens So oder So aus Frankfurt/Main wird festgestellt: Die
Intifada, gestern, heute und morgen, ist der natürliche und legitime
Ausdruck des Widerstandes gegen die Sklaverei, die durch eine Besatzung
verkörpert wird, welche durch die häßlichen Formen der
Apartheid gekennzeichnet ist. (zit. n. jW v.20.04.02 ) In
der Leipziger PDS-Postille Leipzigs Neue, Ausgabe 08/02, schwadroniert
die Redakteurin Maxi Wartelsteiner wie folgt: Palästinensische
Kinder (...) haben nur einen Wunsch: ein Gewehr, um ihre Familien zu
rächen. Das ist entsetzlich. Das ist bitter. Aber das ist die
Realität. Warum das so ist, weiß die Wartelsteiner
natürlich auch: Die Märtyrer werden von der israelischen Armee
gemacht, schreibt sie. Woher sie das alles weiß, darauf verweist
sie stolz. Es ist die in Deutschland geliebte Vorzeigejüdin Felicia
Langer, eine juristisch versierte Menschenrechtlerin wie sie im Buche steht,
was ihr einmal den alternativen Friedensnobelpreis eintrug. Wartelsteiner
schreibt: Juden und Jüdinnen wie Felicia Langer wissen, daß
vor allem (Hrvhg. S.P.) ein Volk, das den faschistischen Massenmord
überlebt hat, kein Recht auf Staatsterror und rassistische Polizeigewalt
hat. (...) Scharon hat sich inzwischen der Sprache des Dritten Reiches bedient.
Er sprach vom totalen Krieg. Wenn man noch halbwegs alle Latten am Zaun
hat, könnte man wissen, daß ein Scharon sich niemals als
Goebbelsschnauze verdingen würde. Aber, das sei der Wartelsteiner im
Gewissen Sinne nachgesehen, nichtsdestotrotz übernahmen alle großen
Tageszeitungen von der SZ bis zur taz anfang April diesen wohl
böswilligen Übersetzungsfehler einer deutschen Presseagentur. In der
Zeitung für treudoofe Linksliberale, dem Wochenblatt Freitag, wird
auf Seite eins schon am 07.12. 2001 festgestellt: Was Israel gegen die Al
Aqsa-Initifada unternehme, sei keine Selbstverteidigung'
mehr, sondern staatlich dekretierter Mord - sprich: Terror. (...) Jeder kann
schließlich nachvollziehen, wie sehr die Israelis mit ihrer
kolonialistisch gefärbten Siedlungs- und Eroberungspolitik den Terror der
Palästinenser immer von Neuem entfachen. Wer palästinensische
Häuser und Olivenhaine zerstört, bestreitet einem Volk das
Existenzrecht. Wie ist das mit westlichen Wertvorstellungen vereinbar, zu denen
sich ja auch Israel bekennt? Kann sich der Westen eine doppelte Moral leisten,
wenn es um israelische Menschenrechtsverletzungen geht? Und wenn ja, wie lange
noch? Mit diesem Widerspruch wird sich auch die politische Klasse in
Deutschland auseinandersetzen müssen. Sie kann nicht weiter die Augen vor
der israelischen Aggression verschließen und reflexartig den
palästinensischen Terror verurteilen. In einer Radio-Sendung der
Münchener Redaktion des Gegenstandpunkt vom 10.12.01 unter dem
vielsagenden Titel Besatzungsmacht als Terrorismusbekämpfung':
Wie Israel die Palästinenserfrage abwickelt - abwickelt
wohl deshalb, um es skandalscheu nicht Lösung zu nennen -, der ja in
München bekannlich immer felsenfest auch der Klassenstandpunkt allgemeiner
Kritik des bürgerlichen Staates ist und Israel wie den US-Imperialismus
deshalb allgemeiner als alle allgemeinen bürgerlichen Staaten in die Zange
der Kritik zu nehmen gedenkt, wird festgestellt, daß die neue Intifada
erstmal grundsätzlich Widerstand gegen Unterdrückung sei.
Besonders schlimm aber ist, daß mit der Kennzeichnug als
Terrorismus (...) den Selbstmordattentaten der Palästinenser jegliche
Berechtigung abgesprochen werde. Das völkische Hausblatt
frankophiler Globalisierungsgegner, die Le Monde Diplomatique, schreibt
im November 2001: Die auf dem Nationalinteresse beharrende israelische
Position definiert sich heute geradezu als Gegenstück zum globalen
Kosmopolitismus. Gleichzeitig-ungleichzeitig hinkt das in Kategorien des 19.
Jahrhunderts verfangene Israel dem 21. Jahrhundert hinterher. Die
aufklärerische Volkstumsideologie der postmodernen Verblödung, die
einem nicht nur aus diesen Zeilen förmlich anspringt, sondern
überhaupt den Leitfaden für dieses Monatsblatt darstellt, entwickelt
einen ganz speziellen Hass, wenn etwas wie Israel erst einmal als ein
Anachronismus entlarvt ist. Da muß man dann schon den aufrechten
deutschen Kommunisten Fritz Teppich herbeizitieren, der sich mittlerweile
selbst greiser Shoa-Überlebender nennt, um eine weitere
Schwelle des Hasses gegen Israel zu überschreiten. Daß für den
alten Fritz die Welt des Klassenantagonismus nicht mehr ins Wanken gerät,
ist in gewisser Weise verständlich. Teppich aber gehört zu jenen, die
das Maul einfach nicht halten können, und so von PDS- über DKP bis
Linksruck-Veranstaltungen alles mitnehmen, um die Wahrheit über den
Klassenfeind unters Volk zu bringen. In einem Artikel für die jW
vom 14.12.01 mit dem Titel Schuldig sind Scharon und Bush
schreibt er seiner Leserschaft ein paar Uraltkamellen als M/L-Klassiker hinter
die Ohren und in die Mitgliedsbücher: Was Juden und Araber betrifft:
Beide sind semitischer Herkunft.(2) Die etwas
Eingeweihteren unter uns wissen natürlich sofort, wo der Elch hier brummt:
Mit Antisemitismus seitens der Araber kann das alles gar nichts zu tun haben,
denn dann würden sich ja die Araber nur selbst bekämpfen müssen.
Also muß sich die ganze Sache wohl anders verhalten: Mit Blick auf
Öl- und Weltmachteroberung heizt Washington den innersemitischen Konflikt
an. Der Klassen-Kampf-Teppich, der sich hier ausrollt, weiß aber
noch mehr: Mittels gefälschter Schuldzuweisungen zu Lasten der
Palästinenser soll eine möglichst breite hiesige Öffentlichkeit
reaktionär aufgepeitscht werden. Einem wichtigen Stützpunkt für
weit gen Fernost reichende USA-Herrschaftspläne soll Rückendeckung
verschafft werden. In der jW vom 07.05.02 darf der
französische ATTAC-Aktivist Christophe Aguiton, der zusammen mit dem
Bauernführer Josè Bovè, dem Trottel mit Fastfood-Trauma,
für den sich tatsächlich das Sprichwort bewahrheitet, daß die
dümmsten Bauern die größten Kartoffeln ernten, an einer
Friedensdelegation in die palästinensischen Autonomiegebiete
teilnahm, einen Reisebericht (...) von Porto Alegre nach
Palästina veröffentlichen. Jener Aguiton ist ein solcher
Dämlack, daß man sich fragt, ob die jW-Redaktion, die so
etwas wie das Folgende zum Abdruck freigibt, wenigstens noch ein klizekleines
Tässchen Verstand im Schrank hat. Zum Thema Anschläge auf
Synagogen wie in Frankreich weiß der gute Aguiton über die
Anschläge bescheid: Sie werden benutzt als Beleg für ein neues
Anschwellen des Antisemitismus. Man ist ja über die Jahre wirklich
hart im Nehmen geworden, aber es ist immer wieder verblüffend, wie
bestimmte Grenzen, frei nach dem antirassistischen Motto, daß wirklich
keine Grenze für immer ist, noch getoppt werden können. Man muß
sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen, was dieses Drecksblatt
junge Welt alles abzudrucken gedenkt: Anschläge auf Synagogen
werden instrumentalisiert und ihnen antisemitische Motive angedichtet! Das
steht tatsächlich, um es nachdrücklich zu versichern, in der Ausgabe
vom 07.05.02. Mit im Bunde besagter Friedensdelegation war die
Pazifistin mit Sinn und Verständnis für maßlose Vernichtung
durch palästinensische Selbstmordattentate, Sophia Deeg. Deeg ist jenes
deutsches Friedensengelchen, das zusammen mit ihrer Tochter sich Arafat in
seinem Hauptquartier an den Hals warf und gleich bei ihm blieb. Jene
Friedensaktivistin gibt der ganzen Chose mit ihren Geistesergüssen eine
ganz besondere Note, in dem sie nochmal draufsattelt und der Sache eine noch
umfassendere Dimension an Unterdrückung des palästinensischen Volkes
herbeihalluziniert: In all den Jahren seit Unterzeichnung des
Oslo-Abkommens hat nichts so gut funktioniert wie die Zusammenarbeit zwischen
israelischen, amerikanischen und palästinensischen
Sicherheitskräften. Das gemeinsame Anliegen war klar: Die
palästinensische Bevölkerung ist niederzuhalten, jedes Aufbegehren
(...) ist zu deckeln. Doch das ist schließlich immer weniger gelungen.
Die Wut und Verzweiflung der Menschen, denen keine Möglichkeit des
politischen Ausdrucks zur Verfügung stand, nahm zu und entlud sich in der
zweiten Intifada und in immer häufigeren Attentaten.
Eine gemeinsame israelisch-amerikanisch-palästinensische Verschwörung
ist immerhin mal ein bemerkenswerter Farbtupfer innerhalb des ansonsten doch
sehr eintönigen Lügengebäudes bezüglich des
amerikanischen Kettenhundes Israel. (Letzterer Wortlaut stammt von
einem Transparent, das am ersten Mai in Berlin-Kreuzberg auf der traditionellen
mittäglichen revolutionären 1.Mai-Demonstration
mitgeführt wurde.)
Frau Deeg spricht immerhin aus tiefstem pazifistischen Herzen und versteht so,
warum die Attentate, wie sie verräterisch genug das
blindwütige und maßlose Vernichten seitens der Palästinenser
nennt, kollektiv bejubelt werden. Wie kaum anders zu erwarten, kann für
eine urgemütliche Pazifistenseele wie Deeg als Grund dafür nur
Bewahrung tiefster Menschlichkeit im Spiel sein: Die Menschen, die ich in
Palästina getroffen habe, (...) haben sich eine Menschlichkeit bewahrt,
die entwaffnend und überraschend ist, wenn man bedenkt, wieviel Verachtung
und Ungerechtigkeit sie ihr Leben lang ertragen mußten. Man kann
also froh sein, daß die Palästinenser noch so zimperlich mit den
Juden umgehen. Verdient haben die das laut Frau Deeg aber keineswegs. Man ahnt
schon, wo so etwas wohl abgedruckt wurde. Ja, ganz richtig, in der jungen
Welt (v. 19.04.02). Aber die jW soll an dieser Stelle keineswegs
schlechter gemacht werden, als sie ist - zumindest im Verhältnis zu
anderen Blättern. Und so soll der Gerechtigkeit halber nicht verschwiegen
werden, daß derselbe Text von Sophia Deeg ganze drei Wochen später
auch im Wochenblatt Freitag veröffentlicht wurde.
Immer wieder wird die Batustanisierung Palästinas als
Homelandstory über das israelische Apartheidsregime heraufbeschworen und
so Parallelen zu Südafrika gezogen. Wieder mal ein Nobelpreisträger
gibt dieser Lüge kräftig Nahrung. Der südafrikanische Erzbischof
Desmond Tutu habe die Demütigung der Palästinenser an den
Kontrollpunkten und Straßenblockaden erlebt (...): Sie litten wie
wir, wenn junge weiße Polizisten uns daran hinderten, uns von einem Ort
zum anderen zu bewegen.' Als Schirmherr eines südafrikanischen
Holocaust-Erinnerungszentrums, sagte Tutu, sei es ihm umso weniger begreiflich,
daß sich ausgerechnet Israel (Hrvhg. S.P.) einer solchen
Unterdrückungspolitik schuldig mache. (jW, 30.04.02) Am 18.
April ist es für die junge Welt scheinbar an der Zeit, der
Öffentlichkeit kund zu tun, daß Netanjahu und Scharon schon
längst eine Art Wannseekonferenz zur endgültigen Vernichtung der
Palästinenser abgehalten haben. Man zitiert Netanjahu aus einer Rede vor
dem US-Senat: Kein Teil des Terorrnetzes darf intakt bleiben. Denn
wenn es nicht vollständig vernichtet wird, dann wird es sich, wie jedes
bösartige Krebsgeschwür, neu formieren und mit größerer
Heftigkeit wieder angreifen. Nur die Zerstörung des gesamten Netzes kann
uns den Sieg bringen.' Wenn man Terrornetz' durch
palästinensisches Volk' ersetzt, dann hat man das wirkliche Programm
von Netanjahu und Scharon.
Politik, die nicht die Massen erreicht, ist allenfalls
sektiererisch, weiß der alte M/L-Haudegen Robert Steigerwald, der
gegen jedwede Selbstreflexion schon deshalb immunisiert ist, weil er den
Steigerwald vor lauter DKP-Massenansatz gar nicht erkennen kann. Jener Genosse
Steigerwald lieferte sich ende April ein Duell mit dem
nationalbolschewistischen Haus-Antisemiten der jungen Welt. Pirker ist
wohlgemerkt jener, der über Israel zum Beispiel weiß, daß es
seine Existenz außerhalb des allgemein-zivilisatorischen
Zusammenhanges (definiert), sein Existenzrecht höher als das
anderer (bewertet), sein Recht auf Amoral aus dem Bewußtsein
seiner moralischen Überlegenheit (zieht) und daraus
schlußfolgert: Der Zionismus hat das kollektive Gedächtnis an
die jüdische Leidensgeschichte zum religiös-chauvinistischen Kult der
Auserwähltheit pervertiert. (jW, 02.05.02) Seine bestechende
Pippi-Langstrumpf-Logik bringt er in einem Text gegen Steigerwalds
Zionismus-Verständnis selbst so auf den Punkt: Ein Volk, das andere
Völker unterdrückt, kann selbst nicht frei sein. Zudem sei
Israel ein Staat aus der Retorte, dessen Künstlichkeit
seiner Existenz evident sei. Und überhaupt ist Israel (...)
alles andere als ein antifaschistischer Staat, sondern dessen weitgehende
Negation. (jW, 24.04.02)
Im Gegensatz zu Pirker, der Israel schlichtweg die Existenz abspricht und offen
für die Überwindung dieses Staates plädiert (ebd.)
hält Steigerwald zumindest die Existenz Israels für legitim.
Soweit es um die Darstellung der Gründe und der Geschichte des
Zionismus geht, stimmen unsere Positionen überein. (...) Ich lasse keinen
Zweifel daran, daß diese Ideologie und Politik zu bekämpfen ist
(...), mache auf den kolonialistischen Charakter des Zionismus aufmerksam, auf
seine Rolle als Speerspitze verschiedener imperialistischer Staaten. All
das merkt Steigerwald in Bezug auf Pirkers Position an. Allerdings, so
Steigerwald gegen Pirker: Die Existenz Israels ist anzuerkennen.
Frieden für Israel bedeute das aber keineswegs, denn solange Israel
seine unterdrückerische, landräuberische, UNO-Beschlüsse
verletzende, menschenrechswidrige Politik fortsetzt, ist Widerstand
rechtens. (jW, 26.04.02)
Die Bewährung einer Solidarität
Was die Linken betrifft, so ist man mittlerweile nicht nur einiges, sondern
schlichtweg alles gewöhnt. In diesem Sinne mußte man auch nicht
unbedingt schlecht staunen, als die verantwortliche Redaktion des
Autonomenblättchens für Gruppen- und Selbsttherapie, die
Interim, die Ausgabe vom 09.05.02 mit einer ganzseitigen mit
Wassertusche handgemalten und deshalb traditionell infantile Züge
tragenden blau weißen Israel-Fahne aufmachte. Solidarisch mit
Israel wolle man sich erklären, obwohl das nicht
repräsentativ für die' Interim sei.
Verzweifelt beklagt man im Vorwort zu besagter Ausgabe: noch wolle
man sich nicht darauf einstellen, auch in Zukunft bei
anti-antisemitischen Aktionen zahlenmäßig weit unterlegen und
gefährdet zu sein. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich recht schnell,
wie sehr bei der linken Solidariät mit Israel auf halber Strecke stehen
geblieben wird. Wohl kaum das schlechteste aber in Bezug auf Israel eben nur
ein halbherziges Motiv stellt der Umstand dar, daß die
Interim-Redaktion wie viele andere Gruppen auch, ihre Solidarität
letztlich einzig und allein aus der Tatsache herleitet, daß in
Deutschland der Antisemitismus virulent ist. Drei Beispiele seien dafür
genannt. In besagter Interim heißt es da: (...) Kritik an
vorhandenen Mißständen in Israel (ist) auch prinzipiell
zulässig, andererseits ist der Diskurs um Israel derart antisemitisch
aufgeladen und wirkmächtig, daß jede Kritik an Israel
funktionalisiert wird und in antisemitisches Fahrwasser gerät (...). Eine
Diskursintervention, die angesichts des Antisemitismus zweifelsohne notwendig
ist, muß vor diesem Hintergrund diskutiert werden. In einer auf der
Landeskonferenz in Berlin am 23.02.02 verabschiedeten Erklärung der
JungdemokratInnen/Junge Linke mit dem Titel Kein Frieden ohne Israel -
Für Frieden und Demokratie im Nahen Osten heißt es unter dem
Stichwort Antisemitismus in der Linken und in Deutschland:
Tatsächlich muß man sich bei der Beurteilung des Konflikts
zwischen Israel und den Palästinensern im Nahen Osten des
diskurspolitischen Kontextes in Deutschland, insbesondere des
Nationalsozialismus, der von der überwältigenden Mehrheit der
deutschen Bevölkerung getragen wurde, bewußt sein. In
ähnlicher Diktion argumentierte das Leipziger Bündnis gegen Rechts in
seinem Redebeitrag als erklärte Solidarität mit Israel auf der
abendlichen revolutionären 1.Mai-Demonstration in Berlin. Es
sei an der Zeit, so die Antifa-Gruppe, der weltweit entstehenden
Pogromstimmung entgegenzutreten. (Nicht unerwähnt kann bleiben,
daß die Antifaschistische Aktion Berlin in vorauseilendem taktierenden
Gehorsam sich von diesem Beitrag distanzierte und ebenjener Beitrag das mit
Abstand Beste war, was man auf dieser Demo vernehmen konnte.)
Es läßt sich konstatierten, daß sich eine linke
Solidarität mit Israel fast ausschließlich aus der Realität des
Antisemitismus legitimiert. In der Grauzone verbleibt dabei genau jene
Notwendigkeit, an der sich eine Solidarität mit Israel bewähren
muß. Die Verteidigung des militärischen Vorgehens, die Politik
gegenüber den Autonomiegebieten und das Verhältnis zu mulitlateralen
Institutionen wie der UNO.
Alter Kitt für alte Fugen
Geht es um die Bewertung der israelischen Operation Schutzschild,
so taugen zwei Fragen zum allgemeinen Lackmustest. Zum einen ist das die Frage,
was man der israelischen Armee grundsätzlich zutraut und zum anderen die
nach der Legitimierung palästinensischer Selbstmordattentate.
Tatsächlich ist der existente Standpunkt für eine Antwort der alles
entscheidende. Wer der israelischen Armee zutraut, daß Palästinenser
sich in Reih und Glied aufstellen mußten, um dann von israelischen
Panzern überrollt zu werden (vgl. SZ v.17.04.02) oder mit Vorsatz
Zivilisten unter den Trümmern von durch Bulldozer zum Einsturz gebrachter
Gebäude lebendig begraben wurden, der traut nicht nur der Armee des
jüdischen Staates alles zu, sondern auch der israelischen Gesellschaft in
ihrer westlich-demokratischen Verfaßtheit. Wer zum zweiten die
Selbtmordattentate für verhältnismäßig, gerechtfertigt,
erklärlich oder gar legitim hält, akzeptiert damit den völlig
projektiven kollektiven Opfermythos der Palästinenser, denen Selbstkritik
und Selbstreflexion mittlerweile so fremd ist wie ihnen die pathische
Schuldzuschreibung an Juden und Amerikaner selbstverständlich.
Darüberhinaus beweist man so zugleich gegenüber der Tatsache
vollkommene Faktenresistenz, daß gerade nicht die angeblichen materiell
verarmten und sozial notleidenden Menschen aus Verzweiflung zu Tätern
werden.(3)
Es ist schon sehr verwunderlich, daß man der israelischen Armee derzeit
allenthalben skandalisierend unterstellt, sie würde nicht vor Zivilisten
inklusive Kindern halt machen, zugleich aber kaum ein Sterbenswörtchen
darüber verlieren mag, daß das Töten von Zivilisten inklusive
Kindern nicht nur vorrangiges Ziel, sondern geradezu charakteristisch für
den palästinensischen Terror ist - ganz abgesehen von dem
menschenverachtenden Umgang und der Erziehung der Kinder durch Eltern und
palästinensische Gesellschaft. Will man den Palästinensern derzeit
ernstlich helfen, so muß man sie hart aber gerecht genau dafür
kritisieren, daß sie zur Selbstkritik unfähig sind, daß sie
kaum Reflexionsvermögen besitzen, um überhaupt eine Diskussion
über ihre Fehler in Gang zu bringen. Alles wird seitens der
Palästinenser auf die Juden projiziert. Dieser
Reflexionsausfall ist Ausdruck einer unter Palästinensern herrschenden
Alltagsreligion, die sie gegen wirkliche Kritik völlig immun gemacht hat
und stattdessen einer narzißtischen Blut-und Boden-Mythologie verhaftet
ist.
Eine, die sich insbesondere nach dem Massaker vom 11. September als
antiimperialistische Vordenkerin nicht nur für die Ulrich Wickerts dieser
Welt hervortat, indem sie den USA die Schuld an den Anschlägen zuschrieb,
ist die Schriftstellerin Arundhati Roy. Ihr Verständnis von Heimat und
Scholle entspricht haargenau dem Prozess der weltweiten völkischen
Regression als homogenisiertem Weltprotest, der sich zwar universell gibt, aber
romantisch verklärend genau das Gegenteil bewirken möchte. In einem
aktuellen Essay über die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen
und Hindus in Indien fragt Roy: Können wir uns nicht entdecken,
daß wir einer alten uralten Zivilisation angehören anstatt nur einer
eben erst entstandenen Nation? (vgl. FAZ v.13.10.02) Genau diese
Frage, die Roy bezüglich Indien geltend macht, treibt die
Antiimperialisten und Antirassisten von Porto Alegre und Durban weltweit an.
Regression des Bewußtseins als Sehnsucht nach der Wurzel des
prämodernen Seins, nach der Harmonie der Scholle, nach der konkreten
Herrschaft von Menschen über Menschen statt der abstrakten des Kapitals,
das die Menschen durch doppeltfreie Freiheit zur Freiheit als ewiggleiche
Warenbesitzer verdammt - das und nichts anderes ist das Programm der
Globalisierungsgegner.
Diese universalistische antirassistisch-antiimperialistische Ideologie
läßt sich gut am universellen Flüchtlingsbegriff
verdeutlichen: Dabei liegt derzeit nirgends die affirmierte völkische
Konnotation, die ihm zu Grunde liegt, so deutlich zu Tage wie im Falle der
Palästinenser. Die universelle Kategorie Flüchtling ist heutzutage
nichts anderes als Blut- und Boden-Mystifikation, das ideologische Geifern nach
der Scholle der Urprungsidentität, nach ethnischer
Zugehörigkeit.
Schaut man sich darüberhinaus einmal an, was im Falle der
Palästinenser als Flüchtlingslager deklariert ist, so läßt
sich nur feststellen, daß es sich dabei um einen reinweg affirmierten
ideologischen Begriff handelt, der sich im doppelten Sinne als falsch und
realitätsverfälschend erweist. Denn weder läßt sich ein
Flüchtlingstatus vererben - es sei denn, man anerkennt das völkische
Blutsrecht - noch sind die palästinensischen Siedlungen mit einer
entwickelten Infrastruktur auf durchschnittlich städtischem Niveau so
etwas wie Lager. Beide Begriffe aber sind internationales Standardrepertoire,
wenn es um die Bezeichnung von Ortschaften in den palästinensischen
Autonomiegebieten geht. Zum einen geht das auf arabisch-palästinensische
Propaganda zurück, zum anderen aber auch auf die gerade in Europa
bestehende Unfähigkeit, überhaupt in anderen denn diesen
ethnisch-völkischen Kategorien zu denken.
Im weiteren ist das palästinensische Selbstverständnis in den
Autonomiegebieten wie auch in Jordanien oder Südlibanon davon
geprägt, eine subjektive Verbesserung des Lebensstandards, etwa durch
freiwilliges, jederzeit mögliches Verlassen der sogenannten
Flüchtlingslager, so etwas wie schwerster Volksverrat, Verrat am
kollektiven Schicksal der arabischen umma, der einer Kollaboration mit den
Juden gleichkommt.
Im Gegensatz dazu befähigt simple bürgerlich-westliche
Rationalität, also jene, die sich säkular versteht, gegen kollektiven
Zwang rebelliert, sich subjektiv der Verwertung unterwirft und so ganz
egoistisch nach materiellem Wohlstand strebt, zur völkischen Resistenz
durch bürgerliche Ich-Stärke. Festhalten läßt sich in
diesem Zusammenhang auch die unumstößliche Gewißheit,
daß die bürgerliche Ich-Stärke zugleich die als objektive
Gedankenform (Marx) erzeugte Ich-Schwäche hinsichtlich eines
transzendentalen Bewußtseins ist. Materialistisch geerdet aber
läßt sich das Verhältnis von Ich-Stärke und -Schwäche
nicht anders bestimmen, als daß die bürgerliche Ich-Stärke,
also das Aufgehen in der bürgerlichen Subjektform als Citoyen-Bourgeois
und die damit einhergehende, über das Bestehende nicht hinaus gehende
Ich-Schwäche des menschlichen Individuums Bedingung jeder
Möglichkeit von Emanzipation, Überwindung oder Aufhebung ist. Das ist
der gedankliche Kern einer wirklichen Dialektik der Aufklärung, die sich
nicht selbst unterläuft, indem sie das Verhältnis von
bürgerlicher-Ich-Schwäche und emanzipativer Ich-Stärke einseitig
auflöst. Dieser Zeitkern einer Gesellschaftskritik ist solange wahr, wie
die falschen Verhältnisse in ihrem Wesen fortbestehen, für die er
gilt.
Was nur läuft schief in den pro-palästinesischen Köpfen
weltweit? Und vor allen Dingen, wie läßt sich so ein autistisch
anmutendes Denken gerade rücken? Daß es mit einer ideologischen
Komponente zusammenhängen muß, verdeutlichte die ehemalige
Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Schmalz-Jacobsen, mit einer
Analogie: zu den am 13. April abgehaltenen größten antisemitischen
Aufmärschen in Deutschland seit 45 am sogenannten Tag des Bodens
merkte sie an, daß eine NPD-Demonstration ähnlichen Kalibers
(...) vermutlich schleunigst aufgelöst worden wäre (Zeit
v.18.04.02).
Vom emanzipatorischen Standpunkt aus betrachtet, stellt es sich als eine Art
Glück im Unglück dar, daß derzeit nicht etwa ideologische
Soli-Welten eines nationalen Befreiungskampfes und eine
antisemitisch-völkische Blut-und Boden-Ideologie aufeinanderprallen,
sondern endgültig zueinander finden. Nach 89 kommt hier somit zu
sich, was zu sich kommen mußte: ein linker Internationalismus, der nicht
etwa aus den Fugen gerät, sondern diese vielmehr uneingeschränkt
antisemitisch und völkisch kittet. Ganz richtig nennt Andrei S. Markowits
diesen seit Jahren stattfindenden Prozess Islamisierung des
Antisemitismus, welcher, wie er meint, mit Begeisterung von
den Europäern übernommen wird. (vgl. taz v.11.05.02)
Von Jenin nach Jeningrad
Der Literatur-Nobelpreisträger José Saramago witterte schon
über Ramallah im März dieses Jahres instinktiv den Geist von
Auschwitz und stellte fest: Dieser Ort wird in ein
Konzentrationslager verwandelt. (vgl. FAZ v.27.03.02) Das war noch
vor den Geschehnissen in Jenin, das die Palästinenser mittlerweile in
Anlehnung an Stalingrad liebevoll Jeningrad nennen.
In einem Brief an George W. Bush erklärte der ägyptische
Literatur-Nobelpreisträger Nagib Mahfuz, daß er wie alle seine
Landsleute die Greueltaten' der Israelis an den Palästinensern
verurteile. (...) Namentlich die umstrittenen Geschehnisse von Jenin erinnerten
ihn an das, was Hitler den Juden in Europa angetan habe. Und Mahfuz Brief
gipfelt in den Worten: Die Selbstmordattentäter haben eine sehr
großartige Sache vollbracht.
Was sich unter dem Stichwort Jenin sukzessive öffentlich einprägt,
brachte die antizionistische Tageszeitung junge Welt unfreiwillig auf
den Punkt: Jenin sei der Ort, wo die israelische Armee nach
Medienberichten ein Massaker an hunderten Palästinensern angerichtet
hätte. Bemerkenswert ist an dieser Feststellung nicht, daß hier
etwas kolportiert wird, was einer idellen Seriösität zuwiderliefe.
Nein, bemerkenswert ist, daß jene Medienberichte, auf die sich berufen
wird, niemals recherchierte Medienberichte waren, die ein Massaker belegten,
sondern in jedem Fall nichts weiter als wiedergegebene Erzählungen aus
zweiter Hand. Die Meldung der jungen Welt vom 19.04.02 belegt
eindrucksvoll, wie sich eine Normativität des Faktischen durch
Verschiebungen in der Wiedergabe selbst einstellt. Was in den Meldungen vor
kurzem noch als Wiedergabe vom Hören-Sagen gekennzeichnet wurde, befindet
sich jetzt schon in dem Stadium eines Faktums - eines glaubhaften
Medienberichtes. Und man kann sich denken, daß nicht allzu viel Zeit
vergehen mußte, bis aus dem Medienbericht eines Faktes a posteriori ein
Faktum a priori wird. Und so heißt es dann auch in einem junge
Welt-Beitrag vom 15.05.02 über gängige Darstellung (...) in
den amerikanischen Medien: Um das Massaker an
palästinensischen Männern, Frauen und Kindern durch die israelischen
Streitkräfte (IDF) im Flüchtlingslager von Jenin zu rechtfertigen,
unternehmen die prozionistischen amerikanischen Medien außerordentliche
propagandistische Anstrengungen.
Der Schriftsteller Uri Avnery, einer jener Israelis, die von antizionistischen
deutschen Linken als Kronzeugen eines anderen Israels instrumentalisiert
werden, schrieb zu den Ereignissen in Jenin: Dort versammelte sich eine
Gruppe von Palästinensern aus allen Organisationen zu einer
Abwehrschlacht, der ihr den Platz in den Herzen der Araber für immer
gesichert hat. (...) Wenn die internationalen Medien sich nicht mehr
draußen halten lassen und die Schreckensbilder veröffentlicht sind,
werden sich wohl zwei Sichten herausschälen. Jenin als die Geschichte
eines Massakers, ein zweites Sabra und Schatila - und Jenin, das
palästinensische Stalingrad, eine Geschichte unsterblichen Heldentums. Die
zweite wird mit Sicherheit überwiegen. (vgl. jW v.18.04.02)
Die Folge dessen, was Avnery da benennt, ist eindeutig die, daß man der
israelischen Armee an sich nicht mal mehr unterstellen muß,
daß es ein Massaker in Jenin gab. Vielmehr fand eben das Massaker
an sich statt und die Israelis als die Täter hätten dies
gegebenfalls zu widerlegen. Unter diesen Bedingungen einer quasi Selbstbewegung
hin zum Faktischen erhält die journalistische Auswahl von für
zulässig gehaltenen Behauptungen und Dementis entscheidende Bedeutung.
Diese Auswahl unterliegt Kriterien, die es zu hinterfragen gilt. Insofern ist
die qualitative Ausgewogenheit einer Medienmeldung ein Anspruch, dem man
niemals gerecht werden kann. Unter solchen Vorzeichen wird es dann zweitrangig,
ob eine Zeitung wie die Süddeutsche darauf verweist, daß es
den Palästinensern in Jenin darum ging, Scharon in eine Falle zu
locken - um ihn als Schlächter' zu entlarven, um die
Weltöffentlichkeit zum (...) Eingreifen (...) zu bewegen.
(SZ, 17.04.02) Oder in der taz (v.17.04.02) festgestellt wird,
daß die Palästinenser die Ereignisse von Jenin widersprüchlich
zugleich als Massaker und als heroischen Kampf
bezeichnen, obwohl das eine das andere ausschließt. Als gar nicht erst
relevant gilt, daß Scharon Jenin als das Zentrum des
Selbstmord-Terrorismus bezeichnete, weil von dort nicht nur rund die
Hälfte aller Attentäter stammen, sondern auch alle übrigen dort
kurz vor ihren Anschlägen den Segen (FAZ) erhielten.
Denn der Irre von Jerusalem (jW ) gilt in Deutschland
weitläufig nur noch als Goebbelsschnauze, seit man ihm mittels deutscher
Übersetzung den NS-Begriff des totalen Krieg in den Mund
legte, obwohl man sich, ist man nur einigermaßen bei Trost, wohl denken
kann, daß er einen solchen Terminus niemals gebrauchen würde. Und so
gilt, was in Jenin seitens der Israelis unternomen wurde, als
barbarisch und mit maßloser Zerstörungswut
angerichtet. (Le Monde Diplomatique 17.05.02)
Die Welt hat sich bereits ihre Meinung gebildet und es ist zu spät,
diese noch zu ändern, sagte ein israelischer Militärsprecher
gegenüber der Zeitung Ha'aretz.
Adorno bezeichnete den Antisemitismus als das Gerücht über die
Juden.(4) Außenminister Schimon Peres beklagte,
daß man Israel nach Gerüchten und nicht nach Fakten
beurteilt.
Unter diesen Bedingungen sollen an dieser Stelle ein paar Fakten und
O-Töne im Stile einer Gegeninformation zusammengetragen werden, die ja
vielleicht die eine oder andere Argumentationshilfe darstellen können.
Laut Spiegel 16/02 fand in Jenin eine der blutigsten Schlachten der
israelischen Armee seit dem Einmarsch in den Südlibanon 1982
statt. Der israelische Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser sagt zu den
Ereignissen in Jenin: Wir hätten das Lager auch bombardieren
können. Aber nein, wir haben uns mit Rücksicht auf die
Zivilbevölkerung von Haus zu Haus durchgekämpft. Das hat 23 Soldaten
das Leben gekostet. Überall waren Sprengfallen gelegt. (Spiegel
18/02) Israels Staatspräsident ergänzt dazu, daß die toten
israelischen Soldaten darauf zurückzuführen seien, daß
wir die Regeln einhielten. (Spiegel 16/02) Die
Jüdische Allgemeine Zeitung vom 25.04.02 zitiert aus der
rechstkonservativen israelischen Zeitung Maariv die Worte: Wir
haben zurückhaltend gehandelt, wir haben weder das Lager durch
Flächenbombardements aus der Luft ausradiert, noch haben wir die
Häuser mit Artillerie beschossen. Israel habe bei der Schlacht
viele Soldaten gerade deshalb verloren, weil wir uns human und ethisch
verhalten haben, und weil wir versuchten, Unschuldige zu verschonen.
Absolut unstrittig ist, daß die israelische Armee die Bewohner von Jenin
vor Beginn der Kämpfe wiederholt und eindeutig zum Verlassen des Ortes
aufgefordert hat. Laut FAZ vom 15.04.02 sind diesen Aufforderungen von
den rund 15 000 Bewohnern 13 000 nachgekommen, bevor die Armee
einrückte. Unter Berufung auf einen israelischen Major schreibt die
FAZ weiter: Danach hätten die (palästinensischen - S.P.)
Kämpfer die Häuser und Straßen vermint und sich für den
Kampf verschanzt. Mindestens 2 000 Menschen seien also noch im Lager gewesen.
Mindestens 500 davon hätten sich ergeben. Viele andere seien
entkommen. Die Zeit vom 18.04.02 zitiert eine Bewohnerin von
Jenin, die der Aufforderung der IDF nicht nachgekommen ist, mit den Worten:
Die Männer im Lager waren auf den Kampf vorbereitet. In der
Ausgabe vom 02.05.02 desselben Blattes läßt die Zeitung Suhair
al-Manasreh, den palästinensischen Gouverneur von Jenin, zu Wort kommen:
Das war keine Schlacht. (...) Eine Schlacht ist ein Kampf von Soldaten
gegen Soldaten. (...) Was will die Welt noch mehr sehen, bevor sie
einschreitet, wie damals im Kosovo? Ein Flüchtlingslager wurde
angegriffen. Das war organisierter Staatsterror. Wie glaubwürdig
jener al-Manasreh ist, läßt sich gleich darauf im selben Beitrag
herausfinden: Was soll man von der Antwort des Gouverneurs auf die Frage
halten, wieviele Verletzte es während der Invasion gegeben habe?,
fragt Die Zeit und zitiert den Mann wie folgt: Es gab keine. (...)
Wissen sie denn nicht warum? Die Israelis haben keine Krankenwagen
durchgelassen. Wer verletzt war, ist gestorben. Gegenrecherchen des
Blattes ergaben allerdings etwas anderes: Tatsächlich wurden im
Krankenhaus von Jenin 220 Verletzte eingeliefert. Sehr
aufschlußreich ist auch ebenda das Interview mit dem 23jährigen
Assaf, der in Jenin als IDF-Soldat dabei war: Wir erwarteten keinen
Widerstand. Wir dachten, in zwei oder drei Tagen sind wir durch. Der
Befehl seiner 50er Einheit lautete, alle Häuser im Lagerviertel nach
Waffen und Sprengstoff zu durchsuchen. Über die Situation
während des Kampfes sagt Assaf weiter: (...) In Jenin wurde nur
schmutzig gekämpft. Es war schockierend. Die Muezzins feuerten ihre Leute
über die Moschee-Lautsprecher mit fanatischen Schreien an:
Kämpft, kämpft! Tötet die Juden! Ergebt euch nicht!' Auf
Hebräisch schrien sie uns zu: Kommt Soldaten! Wir haben
Überraschungen für Euch!' Alle Gassen waren mit kaum sichtbaren
Drähten vermint. Die verminten sogar ihre eigenen Gefallenen! Als 13
unserer Leute in einen Hinterhalt gerieten, überlebten drei Mann die
Explosion. Die Hamas-Kämpfer schleppten sie in ein benachbartes Haus,
zogen sie aus und brachten sie um. Wir mußten von da an ständig
damit rechnen, daß drei Gegner israelische Waffen und Uniformen trugen.
(...) Ich schwöre Ihnen, daß wir nicht ein Zehntel von dem getan
haben, was uns angelastet wird. Wir forderten die Zivilbevölkerung immer
wieder auf, den Kampfplatz zu verlassen. Die meisten taten das auch. Aber die
andere Seite hielt viele fest. (...) Die versteckten sich hinter ihren
Brüdern und Schwestern, weil sie genau wissen, daß wir nicht auf
unbewaffnete Zivilisten schießen. Es war also ein schmutziger
Kampf. Wer in einer solchen Situation gedenkt, den israelischen Soldaten
vorzuwerfen, daß sie sich nicht wie Mauerblümchen verhalten haben,
ist nicht ganz bei Trost. Unter solchen Bedingungen läßt sich
tatsächlich nicht ausschliessen, daß, wie die taz vom
18.04.02 meldet, es Praxis der israelischen Armee gewesen sei,
palästinensische Zivilisten als lebende Schutzschilde zu verwenden.
Selbiges räumt auch ein beteiligter Soldat gegenüber der Ha'aretz
ein: Wenn ein palästinensischer Scharfschütze einen Freund
sieht, dann schießt er nicht. (ebenda) Auch in der FAZ
(18.04.02) findet sich ein Hinweis darauf - welch Wunder -,
daß die israelische Armee tatsächlich aus Individuen, und zwar
vornehmlich männlichen, besteht und nicht aus ferngesteurten
gestählten Kampfmaschinen: (...) Bei einzelnen Soldaten scheint die
Stärke und Disziplin der israelischen Armee in das Gefühl
umgeschlagen zu sein, den Krieg gegen den Terror doch nicht gewinnen zu
können. Wenn aber der militärische Sieg unmöglich ist, dann
solle, so meint diese kleine Minderheit, der Gegner zumindest gedemütigt
werden.
Obwohl insbesondere bezüglich der Operation Schutzschild die
Einsatzbereitschaft der Soldaten in die Höhe stieg, wie die
Jüdische Allgemeine Wochenzeitung vom 08.05.02. meldete, klingt
obige Situationsbeschreibung durchaus realistisch. Allerdings lassen sich
daraus gerade keinerlei Belege für den angeblichen unmenschlichen und
brutalen Charakter der IDF ziehen. Ganz im Gegenteil bestätigt sich so
vielmehr indirekt einmal mehr die generelle Eindeutigkeit der Befehlslage nach
westlichen Konventionen und die generell intakte Befehlsstruktur nach
demokratischem Muster.
Die israelische Armee hat (...) nicht wahllos auf wehrlose Zivilisten
geschossen und auch nicht mutwillig halbzerstörte Häuser mit
Bulldozern beiseite geschoben, ohne zuvor Verschüttete zu bergen. Von
einem Massaker läßt sich deshalb nicht sprechen. So daß
Fazit der FAZ vom 02.05.02. Weiter heißt es ebenda: Die
israelischen Soldaten bombten sich an den Häusern von Wand zu Wand durch
das Lager. Sie stießen auf erhebliche Gegenwehr. Zahlreiche Sprengfallen
waren aufgebaut worden. In einem Hinterhalt kamen innerhalb weniger Minuten
fünfzehn Soldaten ums Leben. Auf diesen Blutzoll war die Armee nicht
gefaßt, sie reagierte darauf mit wenig professioneller Wut und
Vergeltung. (...) Bei den Kämpfen in den engen Gassen des Lagers setzte
die Armee Panzer ein, die mehr zerstörten als militärisch nötig
war. Ergänzend dazu hieß es schon am 18.04.02 im selben Blatt:
(...) Die Panzer sind nicht für den Straßenkampf in den Gassen
des Flüchtlingslagers geschaffen. (...) Damit erklärt sich ein Teil
der großen Zerstörung. Die israelische Merkawa-Panzer bahnten sich
ihren Weg durch enge Gassen. Im Schutz der Panzerrohre, die feuern und beim
Drehen die Häuserwände durchstoßen, rücken die Soldaten
von Haus zu Haus. Die Wände fallen ein, entweder weil sie durchschossen
oder weil die Panzer dagegen gestossen sind. Den Rest der Zerstörung
richteten die Bulldozer an, über deren Einsatz der israelische Soldat
Yonathan Wolff, der in Jenin dabei war, gegenüber der taz
(18.04.02) sagte: Wir mußten die Häuser zerstören, weil
wir keine andere Wahl hatten. Wir konnten nicht in die Häuser reingehen,
weil sie voll mit Sprengstoffallen waren, also mußten die Bulldozer
ran.
Trotz all dieser Fakten hatte der UN-Gesandte für den Nahen Osten, Terje
Roed-Larsen, nichts besseres zu tun, als in die Welt hinaus zu posaunen, die
Bilder von Zerstörungen in Jenin seien so entsetzlich, daß sie
über jede Vorstellungskraft hinausgehen. (Jüdische
Allgemeine Wochenzeitung v. 25.04.02) In den Augen der Israelis hatte sich
Larsen damit selbst disqualifiziert und als Vermittler untauglich
erwiesen, so Vizeverteidigungsministerin Dalia Jizik. (taz,
22.04.02) Jessica Barry vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes sagt
über das Vorgehen der israelischen Armee, es handele sich dabei um eine
unzulässige Kollektivstrafe an den Palästinensern.
(Spiegel 17/02) Amnesty International-Sprecher Javier Zungia teilt
bezüglich der Geschehnisse in Jenin mit: Wir sprechen hier von
Kriegsverbrechen. (jW 23.04.02) Die geplante
UN-Untersuchungskommission für die Geschehnisse in Jenin, der sogar trotz
großer Bedenken die israelische Regierung anfänglich
grundsätzlich zustimmte, was längerfristig betrachtet ein
gefährlicher Schritt zur Internationalisierung (FAZ
10.05.02) hin zum verallgemeinerten Menschenrechtskonflikt bedeutet und
genau ins taktische Kalkül der Palästinenser zur Schwächung der
israelischen Position paßt, kam letztlich glücklicherweise nicht
zustande. Bei der Kommission handelte es sich ohnehin um Leute mit
politischem und humanitärem Hintergrund, ohne Sachverstand hinsichtlich
der objektiven und professionellen Betrachtung der Tatsachen, so
Ha'aretz. Und das lasse noch nicht einmal die Hoffnung aufkommen,
daß die Untersuchung unparteiisch sein könnte. (taz,
03.05.02 ) Selbst der postzionistische Historiker Benni Morris von der
Ben-Gurion Universität in Beerschewa kann die Sorge der israelischen
Regierung vor den Folgen einer UN-Untersuchung verstehen. (ebenda)
Verständlich wird die diesbezügliche abwehrende Zurückhaltung
der Israelis erst Recht, wenn man sich den UN-Beschluss von 1975 vor Augen
führt, wo der Zionismus zum Rassismus erklärt wurde, und sich
vergegenwärtigt, daß erst letztes Jahr auf der sogenannten
Antirassismus-Konferenz der UN im südafrikanischen Durban nur mit Biegen
und Brechen seitens der USA und Israels verhindert werden konnte, den Zionismus
erneut mit Rassismus gleichzusetzen.
Weltweit haßt man die Juden für die Idee des Zionismus. Nicht nur
weil man sie wegen Feigheit vor dem Antisemitismus anklagt, dem sie sich zu
entziehen versuchten, sondern vor allem, weil sie sich gegen die völkische
Universalisierung der Menschenrechte zu sperren versuchen. Menschenrechte sind
heutzutage die antiimperialistischen Waffen geworden, mit denen man gegen
Kosmopolitismus, Kulturindustrie, Entwurzelung, Vertreibung, Egoismus und
für Gemeinschaft, Verzicht, Ursprünglichkeit zu Felde zieht. Das
Adjektiv humanitär ist jene Chiffre für das ethnische Reinheitsgebot
von (spätestens) 1989, das als neuer Weltgeist den Juden dieser Erde und
dem american way of life den Kampf ansagt.
Noch kann man der guten Laune wegen darüber hinwegsehen, daß eine
Gabriele Zimmer, ihres Zeichens Vorsitzende der antiwestlichen Volkstumspartei
PDS, Ohrfeigen an Juden verteilt:Israel hat sich in Jenin nicht als
demokratischer Staat verhalten, wetterte Zonen-Gabi. (jW,
25.04.02)
Was bisher in der trauten antizionistischen Runde niemand so richtig hinbekam,
das hat man der Le Monde Diplomatique vom 17.05.02 zu verdanken. Nun,
was hat wohl noch in der Sammlung der Haßtiraden gefehlt? Na klar, der
Vergleich Israels mit der Talibanherrschaft. Schließlich unterwerfen sich
ja die Juden einem ebensolchen Bilderverbot, wie es die Taliban dem eigenen
Volk aufzwangen: Zu Recht löste bei der Unesco die Zerstörung
der Buddhastatuen von Bamiyan Entsetzen aus. Will man nun ungerührt
zusehen, wie Palästina in Schutt und Asche gelegt wird, mit all seinen
archäologischen Stätten und seiner landschaftlichen
Schönheit? Tatsächlich kann man festhalten, daß Israel
das bildungsbürgerliche Brauchtum der Pflege des Weltkulturerbes immens
beeinträchtigt. Und man kann erahnen, wieviel Leid die Juden mit ihrer
Besatzungsherrschaft Jahr für Jahr vielen unbescholtenen westlichen
Bürgern zufügen, in dem sie ihnen ständig einen Strich durch die
bildungshungrige Urlaubsplanung machen. So konnten gar viele von ihnen
Jerusalem noch nie in ihrem Leben besuchen und es geht die panische Angst um,
sie müßten allesamt mit Bildungslücken versehen irgendwann ins
Gras beißen.
Wie man gedenkt, Israel in den nächsten Jahren internationalistisch
korrekt den Garaus zu machen, brachte der Vertriebenenbeauftrage der
taz, der Vordenker Erich Rathfelder, der immer noch auf die Verleihung
des internationalen Völkischen Verdienstorden wartet, in seiner Zeitung am
02.05.02 auf den Punkt. Angesichts des glücklichen Scheiterns der
Einsetzung einer UN-Untersuchungskommission für Jenin stellt Rathfelder
fest: Wieder einmal bleiben im Geflecht der Machtfragen Menschenrechte
auf der Strecke. Und gegen Israel gerichtet poltert er:
Während der Kriege auf dem Balkan und im schwächeren Maße
in Ruanda kristallisierten sich grundlegende Prinzipien für eine
internationale Realpolitik heraus. Angesichts des Genozids in Bosnien sollte
nicht mehr dem Stärkeren Recht gegeben werden. Was das konkret
heißen soll, zumal Rathfelder hier wohl ganz bewußt von
Realpolitik schwafelt, läßt sich unschwer erahnen. Das
Zauberwort heißt humanitäre Intervention nach dem Modell
Jugoslawien. Der Rückfall in die von nationalen Interessen
geprägte Machtpolitik ist ein zivilisatorischer Rückschritt und
gefährdet das schon Erreichte, so Rathfelder weiter. Zur Erinnerung:
der das schreibt ist jener Rathfelder, der nicht oft genug die nationalen
Interessen von Kroaten, Slowenien, Bosniern und Kosovo-Albanern herbeischreiben
konnte, als es um die Zerschlagung und ethnische Parzellierung Jugoslawiens
ging. Und damit dürfte endgültig klar sein, was dieser Mann im
Schilde führt, wenn er an Israel denkt: es wäre ein
grundsätzlicher zivilisatorischer Rückschritt, wenn man
dem Stärkeren Recht gibt ...
Das Problem heißt Israel. (Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v.09.12.01) Wenn man auch sonst nichts weiß, soviel
ist zumindest sicher. Daß man im Zweifel für den Angeklagten zu sein
hat, dieser bürgerliche Grundsatz spielt in Deutsch-Europa wenn es um
Israel geht, nur deshalb eine Rolle, damit man ihn genau umdrehen kann.
Wer anderer Leute Länder besetzt, darf sich nicht wundern, wenn die
sich wehren. (...) Ich glaube, daß die Amerikaner klug beraten sind
(...), das der Europäischen Union zu überlassen. (ebenda)
Wandel durch Handeln. Das ist bei weitem nicht nur der Traum des Jürgen
Möllemann, von dem der obige O-Ton stammt und dessen Deutsch-Arabische
Gesellschaft einer Erklärung des Konvertiten Jamal Ich bin auch
Semit Karsli unter der Headline Israelische Armee wendet
Nazi-Methoden an! ihre uneingeschränkte
Unterstützung zusicherte. (vgl. Focus 18/02)
Der ehemalige israelische Premier Ehud Barak, der sich im übrigen klar an
die Seite Scharons stellte - Ich hätte genauso versucht, gegen den
Terror vorzugehen (taz 1704.02) - brachte die Position der
Europäer bezüglich der Palästinenser so auf den Punkt:
Nachzugeben ist, als ob man Krokodile füttert, es regt ihren Appetit
an. Aber Europa tut gut genau das und sagt: Na ja, wenn die Krokodile noch
nicht satt sind, müssen sie noch ein bißchen mehr bekommen.
(ebenda)
Über Jenin ist das Urteil längst gefällt: Im Zweifel für
den Ankläger. Das ist die Unschuldsvermutung nach humanitären
Maßstäben. Das Mißtrauen, Scharon habe etwas zu
verbergen, bleibt. (Leipziger Volkszeitung v. 30.04.02)
Viele fragen sich: Was soll hier vertuscht werden? (Berliner
Kurier 02.05.02) Wie meinungsbildend jener humanitäre common sense
ist, verdeutlichte unfreiwillig die FAZ vom 11.05.02. Angesichts der
Beendigung der Besetzung der Geburtskirche durch palästinensische
Kämpfer kommentiert das Blatt mit leichter Hand: Diesmal sei die Sache
gütlich abgegangen, ohne Massaker. Es ist die
Vorstellungskraft, die Böses schafft. Nur fällt diese eben nicht so
einfach vom Himmel, sondern benötigt den ideologisch bereiteten Bodensatz,
um fruchten zu können.
Seitdem Arafat sich durch den israelischen und amerikanischen Druck mitte April
genötigt sah, erstmals einen palästinensischen Terrorakt zu
verurteilen, kann er nicht mehr zurück. Unmißverständlich hat
ihm das der US-Präsident verdeutlicht: Arafat hat Terror verdammt -
jetzt nehmen wir ihn beim Wort. (taz, 20.04.02) Mit einer Art
Flucht nach vorn versucht Arafat seitdem seine Haut zu retten. Es ist
Zeit für Veränderungen und Reformen, ist sich das verlogene
Stehaufmännchen plötzlich bewußt. Wir müssen unsere
Politik dringend neu bewerten und unseren Marsch in Richtung nationaler
Unabhängigkeit korrigieren. (FAZ 16.05.02) Schon das reicht
aus, um Arafat in den Augen der übergroßen Mehrheit der
Palästinenser als judenfreundlichen Lakeien und Schergen anzusehen. So
mußte zum Beispiel ein geplanter Besuch in Jenin mitte Mai aus
Sicherheitsgründen ausfallen. Der Volkszorn, so die taz
vom 16.05.02, sei nicht zu unterschätzen.
Das Verhältnis von Zionismus und Kommunismus
Es ist das Los der Juden, von uns geschlachtet zu werden, denn Allah hat
geschworen, sie zu unterdrücken bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, an
dem sie schmerzvolle Marter ertragen werden. Nachdem Europa die Juden gemartert
hat, haben wir es jetzt übernommen, die Juden zu martern. Denn es ist das
Los der Juden, gemartert zu werden. Diese Zeilen gehören zum
Standardrepertoire der Hamas-Indoktrinationen an Schulen und
Universitäten. (vgl. FAZ v.11.05.02)
Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen
wie es denn eigentlich gewesen ist'. Es heißt, sich einer
Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr
aufblitzt.(5) Diese Worte Walter Benjamins lassen erahnen,
in welchem Zustand sich die israelische Gesellschaft seit dem Beginn der
zweiten Intifada befindet. Und das ist kein philosophisches Gedankenspiel: Die
bittere Realität heißt, daß in Israel kein Jude seines Lebens
sicher sein kann. Was das für einen Juden bedeutet, kann man als Nichtjude
vielleicht meinen zu wissen, aber wirklich nachempfinden kann man es nicht.
Nur eine militärische Schwäche oder falsche politische Entscheidung
und Israel ist futsch. Die Israelis spielen ganz und gar nicht mit dem Feuer,
wie ihnen die Antimilitaristen dieser Welt und ihre Freunde beständig
vorwerfen, denn die Brandmale dieser Gesellschaft haben nicht mal die Zeit zu
vernarben.
Scheinbar kann man es nicht oft genug wiederholen: Der Zweck des Zionismus
bestand und besteht nicht in der Vertreibung der arabischen Bevölkerung,
sondern in der Antwort auf den modernen Antisemitismus der bürgerlichen
Gesellschaft. Er ist somit Produkt des Versagens derselben. Die
bürgerliche Gesellschaft ist an sich selbst gescheitert - an ihrem
aufklärerischen Anspruch. Diese historische Wahrheit verkörpert die
zionistische Idee in all ihren Spielarten. Somit ist die Idee des Zionismus
zugleich die immanente Kritik eines gesellschaftlichen Zustandes, der aus sich
heraus notwendig den antisemitischen Wahn erzeugt. Und genau da bestehen die
Parallelen zwischen einer Kritik der politischen Ökonomie sowie deutschen
Ideologie nach Marx und der zionistischen Idee. Beide singen auf ihre Art dem
falschen Ganzen die eigene Melodie vor. Und das ist und bleibt die
Grundbedingung jeder Möglichkeit eines Aktes der Befreiung, der die
Verhältnisse zum Tanzen zwingen kann.
Es gibt keine Kritik der politischen Ökonomie ohne Kritik deutscher
Ideologie. Es gibt keine Kritik deutscher Ideologie ohne Kritik der politischen
Ökonomie. Das ist der historische Wahrheitsgehalt der kommunistischen wie
auch der zionistischen Idee. Und diesen gilt es gegen seine unzähligen
Feinde zu verteidigen: Wer also Israel verteidigt, verteidigt zugleich nichts
geringeres als die wirklich Verdammten dieser Erde und die emanzipatorische
Idee des Kommunismus. Oder phrasendrescherisch formuliert: f.d.K statt f.d.H. -
für den Kommunismus statt friß die Hälfte.
Fußnoten:
(1) taz vom 15.05.2002. Unter der Überschrift Zur
Bahamas-Front wird dort über die Antideutschen - gruppiert um
die drei- bis viermal jährlich erscheinende Zeitschrift Bahamas
berichtet. In der Unterüberschrift des Artikels heißt es:
Es ist nicht einfach, die Antideutschen' zu verstehen. Aber eines
muß man den Linkskommunisten' lassen: Freunde brauchen sie nur
wenige
(2) Zu der insbesondere auch von Arabern gerne kolportierten Mär,
daß man ja selbst Semit sei, wenn der Vorwurf des Antisemitismus erhoben
wird, sei an dieser Stelle der Aufsatz Die arabische Polemik von Léon
Poliakov empfohlen; nachzulesen in: Ders., Vom Antizionismus zum
Antisemitismus, Freiburg 1992, S. 93-102
(3) vergleiche zu dieser These u.a. Daniel Pipes, Imame in Nadelstreifen,
in: Die Zeit Nr.06/02 v. 31. Januar 2002
(4) Theodor W. Adorno, Minima Moralia, Frankfurt/Main 1969, S.141
(5) Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: ders.
Illuminationen, Frankfurt/Main 1974, S.253
|