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Vor allem ausgerechnet Israel

Im Zweifel für den Ankläger. Über Jenin, Menschenrechte, humanitäre Intervention und den gesunden Menschenverstand von links
von Sören Pünjer


    “Mein Gott, wie gut, daß ich den Judenstern auf israelischen Panzern sehe und nicht, wie 1944, auf meiner Brust.”
    (Imre Kertész)

Am ersten Mai hatte Frau Jutta Ditfurth, das ex-grüne Polit-Monster, das heutzutage nur noch zur Negativfolie dafür taugt, wie man nicht links werden sollte, mal wieder ihren großen Tag. Wie nun schon seit Jahren üblich belästigte die Möchtegern-Bundeskanzlerin des kritischen Gutmenschentums tausende bestens gelaunter Teilnehmer der frühabendlichen Berliner “revolutionären 1.Mai-Demonstration” mit ihrem antiquierten antiimperialistischen Politgeschwafel. Nur dieses Jahr fühlte sie sich scheinbar auf Grund des medialen 80er Revival-Hypes besonders motiviert, mittels jahrzehntealtem Vokabular und Termini denselben immergleichen Antiimp-Schrott zum Besten zu geben - und das mit einem Gestus, als wäre sie gerade beim öffentlichen Casting für die 80ies Show von Oliver Geißen auf RTL. So verkündete sie voller gelerntem Politikerpathos ihre Hauptthese einer Analyse des sogenannten Nahostkonflikts: Ariel Scharon sei “kein Antisemit, sondern ein Kriegsverbrecher”. Sagt's und schwebte als etwas propper gewordener Friedensengel von der Showbühne, von der kurz darauf die dopen Techno-Beats auf die Masse niedergingen. Zur Rettung der immerhin andächtig lauschenden Demonstranten läßt sich zumindest anführen, daß der Beginn des DJ-Sets - also das Einsetzen der Demo-Mucke - etwa genauso viel Jubel und Beifall hervorrief, wie die Worte von Antiimp-Mutti Jutta.

Vom Völkergefängnis zum Volksgefängnis

Die unheimliche Gemeinschaft antiimperialistischer und antirassistischer Tobsüchtiger konstituiert sich in steter Kontinuiät seit dem antisemitischem Massaker vom 11. September. Man kann es kaum fassen, muß es aber verarbeiten und reflektieren - da beißt die Maus kein' Faden ab. So wird zum Beispiel gegen den Berlin-Besuch von George W. Bush nur deshalb haßerfüllt zu Felde gezogen, weil die USA am 11. September angegriffen wurden und diese sich daraufhin wehrten - der Besuch von Bill Clinton vor ein paar Jahren an gleichem Ort interessierte im Vergleich dazu ernstlich keine linke Sau. Weil die Welt sich als ethnischer Streichelzoo halluziniert wird, in dem die Linken von Durban bis Genua, von Porto Alegre bis Berlin die Tierpfleger spielen wollen, erklärt man die politischen Repräsentanten der USA wie Israel zu ungerechten Zoodirektoren, die den exotischen aber eben verdammten, vom Aussterben bedrohten Gattungen dieser Erde nur schlechtes wollen: die Welt-Linke als eine Gilde von Tierbefreiern, die für ethnische Menschen-Gattungen nichts weiter als natürliche, eben - wie sie meinen - menschliche Lebensbedingungen “erkämpfen” will. Parolen wie “Revolution weltweit”, “Kapitalismus abschaffen” oder “Eine andere Welt ist möglich” beinhalten programmatisch nichts anderes als den wahnsinnigen Versuch der Abschaffung künstlicher Ungerechtigkeit und die Schaffung von natürlicher Gerechtigkeit. Die harte aber gerechte Strafe von links gegen korrupte Bonzen wie den Texas Cowboy Bush kann also nur wie folgt lauten: Das Volksgefängnis für die, die schuld sind am globalen Völkergefängnis und der internationalistische Imperativ von den Völkern, die die Signale hören sollen, als eine einzige große und brutale Knastrevolte, die die Verhältnisse dergestalt umkehren soll, daß die Die-da-oben jetzt von Die-da-unten in den Zellen beaufsichtigt werden.
Man kann sich wohlgemerkt gut und gerne darüber streiten, wer wohl die besseren Zuchtmeister sind, wenn man der Meinung ist, daß die Grenze zwischen Oben und Unten verläuft und die Gemeinschaft der Völker deshalb um so fester die Reihen geschlossen halten sollte. Weil der halluzinierte Klassenkampf nun mal Dampf macht, vernebelt eher die linken Hirne weltweit und wächst sich zum ekelerregenden personifizierten Ressentiment gegen Personifikationen jeglicher kapitalistischer wie bürgerlicher Art aus.
Die Linken weltweit wissen, wo sie stehen. Auch ein linker Postzionist wie Moshe Zuckermann wußte das erst jüngst mal wieder zum Besten zu geben. Als hofierter jüdischer und israelischer Kronzeuge eines linken Antizionismus sprach er mitte Mai jenen 600 deutschen Linken aus dem Herzen, die sich anläßlich eines Kongresses der BUKO zusammen fanden - einer Organisation, die sich noch vor kurzem Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen nannte, nun zur nicht weniger gruseligen Selbstbetitelung als Bundeskoordination Internationalismus überging und letztlich keinen Deut besser als die von den BUKO-Akteuren hassgeliebten ATTAC-Verrückten ist. In der Tageszeitung junge Welt ( jW), die man übrigens gerade dann nicht lesen sollte, wenn man nicht zu einer antideutschen Position gelangen will, zumal ja erst jüngst selbst die taz zu der Feststellung kam, daß eine antideutsche Position zwar reichlich Feindberührung einbringt, sozial betrachtet aber Kontaktarmut erzeugt(1), wurde über den BUKO-Kongress in der Ausgabe vom 13. Mai folgendes berichtet: Zuckermann “sprach sich entschieden dagegen aus, jegliche Kritik an Israel als antisemitisch zu diffamieren. Die Solidarität sei für die Linke eine grundlegende Angelegenheit, die für alle Unterdrückten unabhängig von ihrer Religion oder Ethnie gelte.” Diese Position ist tatsächlich das Herzstück des linken Denkens - des zugleich kitschigen und brandgefährlichen Gutmenschentums. Man weigert sich, Besonderheiten zur Kenntnis zu nehmen, indem man nicht nur “unabhängig von (...) Religion und Ethnie” auf das Allgemeine schließt, sondern sich erst gar nicht mit Kategorien wie “Religion und Ethnie” auseinandersetzt. Man läßt diese einfach gelten, weil man ja tolerant sein will. Gerade aber zwei Dinge müssen jeder Kritik der Verhältnisse zu Grunde liegen. Erstens muß das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem so bestimmt werden, daß sich das Besondere genauso erschließt wie das Allgemeine und zweitens geht es gerade darum, mit der Bestimmung von Allgemeinem und Besonderen die Kategorien wie Religion oder Ethnie nicht nur der Form nach, sondern gerade im Verhältnis von Form und Inhalt zu erfassen, um auf das Wesen und den Charakter schließen zu können.
Weil die Linken weltweit so auf den undialektischen Hund gekommen sind, werfen sie sich allen unterdrückten Völkern dieser Erde an den Hals, weil “Solidarität (...) eine grundlegende Angelegenheit” zu sein hat. Das linke Solidaritäts-Postulat der Gleichheit der Opfer korrespondiert nicht nur hervorragend mit dem Gleichheitspostulat nach gleichen Warenbesitzern, sondern ist die gleichzeitige Rückendeckung und der Flankenschutz für die Wahnsinnigen dieser Welt, in deren Mitte sich die Linken weltweit nur allzugerne tummeln.
Man muß sich nicht erst an den Abgrund linken Wahns begeben, um der Linken ihre eigene Melodie vorzusingen. Darum aber einen Bogen zu machen, weil man meint, dieser Wahn wäre Ausnahme von der Regel, verbietet sich dann, wenn man auf Grund der Fülle dieser vermeintlichen Regel eine Revision seiner Grundeinschätzung vornehmen muß: Was als Ausnahme von der linken Regel gilt, ist gar nicht die Ausnahme, sondern die Regel und man selbst, so man an der linken Identität klebt wie die Klette im Wollstrickpullover des 70er und 80er Gutmenschen-Prototyps, stellt diese Ausnahme dar.

Vom gemeinsamen Hass der linken Gutmenschen und Parteisoldaten

Tauchen wir also für kurze Augenblicke ab in den schier unüberschaubaren Sumpf der linken Weltsicht. Nichts vermag indes die Linken besser zu entlarven, als ihre Verlautbarungen zum sogenannten Nahost-Konflikt. Und es sei gleich angemerkt, daß die nachfolgende Aufführung von O-Tönen gerade wegen ihrer gewollten Willkürlich- und Unvollständigkeit repräsentativer ist als so manche systematische Untersuchung.
Eine Antiimperialistische Koordination aus Wien führte in ihrer Zeitschrift Intifada ein “Gespräch mit dem Islamischen Dschihad” und porträtierte die Selbstmordattentäterin Wafa Idris: “Es hilft zu verstehen, daß diese extreme Methode des Widerstands nur an der Oberfläche religiös motiviert ist, sondern im Grunde eine politische Antwort auf eine extreme Form der Unterdrückung unter hochgradig ungünstigen Kräfteverhältnissen darstellt”. In einem dem Selbstverständnis nach libertärem Blatt namens So oder So aus Frankfurt/Main wird festgestellt: “Die Intifada, gestern, heute und morgen, ist der natürliche und legitime Ausdruck des Widerstandes gegen die Sklaverei, die durch eine Besatzung verkörpert wird, welche durch die häßlichen Formen der Apartheid gekennzeichnet ist.” (zit. n. jW v.20.04.02 ) In der Leipziger PDS-Postille Leipzigs Neue, Ausgabe 08/02, schwadroniert die Redakteurin Maxi Wartelsteiner wie folgt: “Palästinensische Kinder (...) haben nur einen Wunsch: ein Gewehr, um ihre Familien zu rächen. Das ist entsetzlich. Das ist bitter. Aber das ist die Realität.” Warum das so ist, weiß die Wartelsteiner natürlich auch: “Die Märtyrer werden von der israelischen Armee gemacht”, schreibt sie. Woher sie das alles weiß, darauf verweist sie stolz. Es ist die in Deutschland geliebte Vorzeigejüdin Felicia Langer, eine juristisch versierte Menschenrechtlerin wie sie im Buche steht, was ihr einmal den alternativen Friedensnobelpreis eintrug. Wartelsteiner schreibt: “Juden und Jüdinnen wie Felicia Langer wissen, daß vor allem (Hrvhg. S.P.) ein Volk, das den faschistischen Massenmord überlebt hat, kein Recht auf Staatsterror und rassistische Polizeigewalt hat. (...) Scharon hat sich inzwischen der Sprache des Dritten Reiches bedient. Er sprach vom totalen Krieg.” Wenn man noch halbwegs alle Latten am Zaun hat, könnte man wissen, daß ein Scharon sich niemals als Goebbelsschnauze verdingen würde. Aber, das sei der Wartelsteiner im Gewissen Sinne nachgesehen, nichtsdestotrotz übernahmen alle großen Tageszeitungen von der SZ bis zur taz anfang April diesen wohl böswilligen Übersetzungsfehler einer deutschen Presseagentur. In der Zeitung für treudoofe Linksliberale, dem Wochenblatt Freitag, wird auf Seite eins schon am 07.12. 2001 festgestellt: Was Israel gegen die “Al Aqsa-Initifada” unternehme, sei “keine ‘Selbstverteidigung' mehr, sondern staatlich dekretierter Mord - sprich: Terror. (...) Jeder kann schließlich nachvollziehen, wie sehr die Israelis mit ihrer kolonialistisch gefärbten Siedlungs- und Eroberungspolitik den Terror der Palästinenser immer von Neuem entfachen. Wer palästinensische Häuser und Olivenhaine zerstört, bestreitet einem Volk das Existenzrecht. Wie ist das mit westlichen Wertvorstellungen vereinbar, zu denen sich ja auch Israel bekennt? Kann sich der Westen eine doppelte Moral leisten, wenn es um israelische Menschenrechtsverletzungen geht? Und wenn ja, wie lange noch? Mit diesem Widerspruch wird sich auch die politische Klasse in Deutschland auseinandersetzen müssen. Sie kann nicht weiter die Augen vor der israelischen Aggression verschließen und reflexartig den palästinensischen Terror verurteilen.” In einer Radio-Sendung der Münchener Redaktion des Gegenstandpunkt vom 10.12.01 unter dem vielsagenden Titel “Besatzungsmacht als ‘Terrorismusbekämpfung': Wie Israel die Palästinenserfrage abwickelt” - “abwickelt” wohl deshalb, um es skandalscheu nicht Lösung zu nennen -, der ja in München bekannlich immer felsenfest auch der Klassenstandpunkt allgemeiner Kritik des bürgerlichen Staates ist und Israel wie den US-Imperialismus deshalb allgemeiner als alle allgemeinen bürgerlichen Staaten in die Zange der Kritik zu nehmen gedenkt, wird festgestellt, daß die neue Intifada erstmal grundsätzlich “Widerstand gegen Unterdrückung” sei. Besonders schlimm aber ist, daß “mit der Kennzeichnug als Terrorismus (...) den Selbstmordattentaten der Palästinenser jegliche Berechtigung abgesprochen” werde. Das völkische Hausblatt frankophiler Globalisierungsgegner, die Le Monde Diplomatique, schreibt im November 2001: “Die auf dem Nationalinteresse beharrende israelische Position definiert sich heute geradezu als Gegenstück zum globalen Kosmopolitismus. Gleichzeitig-ungleichzeitig hinkt das in Kategorien des 19. Jahrhunderts verfangene Israel dem 21. Jahrhundert hinterher.” Die aufklärerische Volkstumsideologie der postmodernen Verblödung, die einem nicht nur aus diesen Zeilen förmlich anspringt, sondern überhaupt den Leitfaden für dieses Monatsblatt darstellt, entwickelt einen ganz speziellen Hass, wenn etwas wie Israel erst einmal als ein Anachronismus entlarvt ist. Da muß man dann schon den aufrechten deutschen Kommunisten Fritz Teppich herbeizitieren, der sich mittlerweile selbst “greiser Shoa-Überlebender” nennt, um eine weitere Schwelle des Hasses gegen Israel zu überschreiten. Daß für den alten Fritz die Welt des Klassenantagonismus nicht mehr ins Wanken gerät, ist in gewisser Weise verständlich. Teppich aber gehört zu jenen, die das Maul einfach nicht halten können, und so von PDS- über DKP bis Linksruck-Veranstaltungen alles mitnehmen, um die Wahrheit über den Klassenfeind unter‘s Volk zu bringen. In einem Artikel für die jW vom 14.12.01 mit dem Titel “Schuldig sind Scharon und Bush” schreibt er seiner Leserschaft ein paar Uraltkamellen als M/L-Klassiker hinter die Ohren und in die Mitgliedsbücher: “Was Juden und Araber betrifft: Beide sind semitischer Herkunft.”(2) Die etwas Eingeweihteren unter uns wissen natürlich sofort, wo der Elch hier brummt: Mit Antisemitismus seitens der Araber kann das alles gar nichts zu tun haben, denn dann würden sich ja die Araber nur selbst bekämpfen müssen. Also muß sich die ganze Sache wohl anders verhalten: “Mit Blick auf Öl- und Weltmachteroberung heizt Washington den innersemitischen Konflikt an.” Der Klassen-Kampf-Teppich, der sich hier ausrollt, weiß aber noch mehr: “Mittels gefälschter Schuldzuweisungen zu Lasten der Palästinenser soll eine möglichst breite hiesige Öffentlichkeit reaktionär aufgepeitscht werden. Einem wichtigen Stützpunkt für weit gen Fernost reichende USA-Herrschaftspläne soll Rückendeckung verschafft werden.” In der jW vom 07.05.02 darf der französische ATTAC-Aktivist Christophe Aguiton, der zusammen mit dem Bauernführer Josè Bovè, dem Trottel mit Fastfood-Trauma, für den sich tatsächlich das Sprichwort bewahrheitet, daß die dümmsten Bauern die größten Kartoffeln ernten, an einer “Friedensdelegation” in die palästinensischen Autonomiegebiete teilnahm, einen “Reisebericht (...) von Porto Alegre nach Palästina” veröffentlichen. Jener Aguiton ist ein solcher Dämlack, daß man sich fragt, ob die jW-Redaktion, die so etwas wie das Folgende zum Abdruck freigibt, wenigstens noch ein klizekleines Tässchen Verstand im Schrank hat. Zum Thema “Anschläge auf Synagogen wie in Frankreich” weiß der gute Aguiton über die Anschläge bescheid: “Sie werden benutzt als Beleg für ein neues Anschwellen des Antisemitismus.” Man ist ja über die Jahre wirklich hart im Nehmen geworden, aber es ist immer wieder verblüffend, wie bestimmte Grenzen, frei nach dem antirassistischen Motto, daß wirklich keine Grenze für immer ist, noch getoppt werden können. Man muß sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen, was dieses Drecksblatt junge Welt alles abzudrucken gedenkt: Anschläge auf Synagogen werden instrumentalisiert und ihnen antisemitische Motive angedichtet! Das steht tatsächlich, um es nachdrücklich zu versichern, in der Ausgabe vom 07.05.02. Mit im Bunde besagter “Friedensdelegation” war die Pazifistin mit Sinn und Verständnis für maßlose Vernichtung durch palästinensische Selbstmordattentate, Sophia Deeg. Deeg ist jenes deutsches Friedensengelchen, das zusammen mit ihrer Tochter sich Arafat in seinem Hauptquartier an den Hals warf und gleich bei ihm blieb. Jene Friedensaktivistin gibt der ganzen Chose mit ihren Geistesergüssen eine ganz besondere Note, in dem sie nochmal draufsattelt und der Sache eine noch umfassendere Dimension an Unterdrückung des palästinensischen Volkes herbeihalluziniert: “In all den Jahren seit Unterzeichnung des Oslo-Abkommens hat nichts so gut funktioniert wie die Zusammenarbeit zwischen israelischen, amerikanischen und palästinensischen Sicherheitskräften. Das gemeinsame Anliegen war klar: Die palästinensische Bevölkerung ist niederzuhalten, jedes Aufbegehren (...) ist zu deckeln. Doch das ist schließlich immer weniger gelungen. Die Wut und Verzweiflung der Menschen, denen keine Möglichkeit des politischen Ausdrucks zur Verfügung stand, nahm zu und entlud sich in der zweiten Intifada und in immer häufigeren Attentaten.”
Eine gemeinsame israelisch-amerikanisch-palästinensische Verschwörung ist immerhin mal ein bemerkenswerter Farbtupfer innerhalb des ansonsten doch sehr eintönigen Lügengebäudes bezüglich des “amerikanischen Kettenhundes Israel”. (Letzterer Wortlaut stammt von einem Transparent, das am ersten Mai in Berlin-Kreuzberg auf der traditionellen mittäglichen “revolutionären 1.Mai-Demonstration” mitgeführt wurde.)
Frau Deeg spricht immerhin aus tiefstem pazifistischen Herzen und versteht so, warum die “Attentate”, wie sie verräterisch genug das blindwütige und maßlose Vernichten seitens der Palästinenser nennt, kollektiv bejubelt werden. Wie kaum anders zu erwarten, kann für eine urgemütliche Pazifistenseele wie Deeg als Grund dafür nur Bewahrung tiefster Menschlichkeit im Spiel sein: “Die Menschen, die ich in Palästina getroffen habe, (...) haben sich eine Menschlichkeit bewahrt, die entwaffnend und überraschend ist, wenn man bedenkt, wieviel Verachtung und Ungerechtigkeit sie ihr Leben lang ertragen mußten.” Man kann also froh sein, daß die Palästinenser noch so zimperlich mit den Juden umgehen. Verdient haben die das laut Frau Deeg aber keineswegs. Man ahnt schon, wo so etwas wohl abgedruckt wurde. Ja, ganz richtig, in der jungen Welt (v. 19.04.02). Aber die jW soll an dieser Stelle keineswegs schlechter gemacht werden, als sie ist - zumindest im Verhältnis zu anderen Blättern. Und so soll der Gerechtigkeit halber nicht verschwiegen werden, daß derselbe Text von Sophia Deeg ganze drei Wochen später auch im Wochenblatt Freitag veröffentlicht wurde.
Immer wieder wird die “Batustanisierung Palästinas” als Homelandstory über das israelische Apartheidsregime heraufbeschworen und so Parallelen zu Südafrika gezogen. Wieder mal ein Nobelpreisträger gibt dieser Lüge kräftig Nahrung. Der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu “habe die Demütigung der Palästinenser an den Kontrollpunkten und Straßenblockaden erlebt (...): ‘Sie litten wie wir, wenn junge weiße Polizisten uns daran hinderten, uns von einem Ort zum anderen zu bewegen.' Als Schirmherr eines südafrikanischen Holocaust-Erinnerungszentrums, sagte Tutu, sei es ihm umso weniger begreiflich, daß sich ausgerechnet Israel (Hrvhg. S.P.) einer solchen Unterdrückungspolitik schuldig mache.” (jW, 30.04.02) Am 18. April ist es für die junge Welt scheinbar an der Zeit, der Öffentlichkeit kund zu tun, daß Netanjahu und Scharon schon längst eine Art Wannseekonferenz zur endgültigen Vernichtung der Palästinenser abgehalten haben. Man zitiert Netanjahu aus einer Rede vor dem US-Senat: “‘Kein Teil des Terorrnetzes darf intakt bleiben. Denn wenn es nicht vollständig vernichtet wird, dann wird es sich, wie jedes bösartige Krebsgeschwür, neu formieren und mit größerer Heftigkeit wieder angreifen. Nur die Zerstörung des gesamten Netzes kann uns den Sieg bringen.' Wenn man ‘Terrornetz' durch ‘palästinensisches Volk' ersetzt, dann hat man das wirkliche Programm von Netanjahu und Scharon.”
“Politik, die nicht die Massen erreicht, ist allenfalls sektiererisch”, weiß der alte M/L-Haudegen Robert Steigerwald, der gegen jedwede Selbstreflexion schon deshalb immunisiert ist, weil er den Steigerwald vor lauter DKP-Massenansatz gar nicht erkennen kann. Jener Genosse Steigerwald lieferte sich ende April ein Duell mit dem nationalbolschewistischen Haus-Antisemiten der jungen Welt. Pirker ist wohlgemerkt jener, der über Israel zum Beispiel weiß, daß es “seine Existenz außerhalb des allgemein-zivilisatorischen Zusammenhanges (definiert)”, “sein Existenzrecht höher als das anderer (bewertet)”, “sein Recht auf Amoral aus dem Bewußtsein seiner moralischen Überlegenheit (zieht)” und daraus schlußfolgert: “Der Zionismus hat das kollektive Gedächtnis an die jüdische Leidensgeschichte zum religiös-chauvinistischen Kult der Auserwähltheit pervertiert.” (jW, 02.05.02) Seine bestechende Pippi-Langstrumpf-Logik bringt er in einem Text gegen Steigerwalds Zionismus-Verständnis selbst so auf den Punkt: “Ein Volk, das andere Völker unterdrückt, kann selbst nicht frei sein.” Zudem sei Israel ein “Staat aus der Retorte”, dessen “Künstlichkeit seiner Existenz evident” sei. Und überhaupt ist “Israel (...) alles andere als ein antifaschistischer Staat, sondern dessen weitgehende Negation.” (jW, 24.04.02)
Im Gegensatz zu Pirker, der Israel schlichtweg die Existenz abspricht und offen für die “Überwindung dieses Staates” plädiert (ebd.) hält Steigerwald zumindest die Existenz Israels für legitim. “Soweit es um die Darstellung der Gründe und der Geschichte des Zionismus geht, stimmen unsere Positionen überein. (...) Ich lasse keinen Zweifel daran, daß diese Ideologie und Politik zu bekämpfen ist (...), mache auf den kolonialistischen Charakter des Zionismus aufmerksam, auf seine Rolle als Speerspitze verschiedener imperialistischer Staaten.” All das merkt Steigerwald in Bezug auf Pirkers Position an. Allerdings, so Steigerwald gegen Pirker: “Die Existenz Israels ist anzuerkennen”. Frieden für Israel bedeute das aber keineswegs, denn “solange Israel seine unterdrückerische, landräuberische, UNO-Beschlüsse verletzende, menschenrechswidrige Politik fortsetzt, ist Widerstand rechtens.” (jW, 26.04.02)

Die Bewährung einer Solidarität

Was die Linken betrifft, so ist man mittlerweile nicht nur einiges, sondern schlichtweg alles gewöhnt. In diesem Sinne mußte man auch nicht unbedingt schlecht staunen, als die verantwortliche Redaktion des Autonomenblättchens für Gruppen- und Selbsttherapie, die Interim, die Ausgabe vom 09.05.02 mit einer ganzseitigen mit Wassertusche handgemalten und deshalb traditionell infantile Züge tragenden blau weißen Israel-Fahne aufmachte. “Solidarisch mit Israel” wolle man sich erklären, obwohl das “nicht repräsentativ für ‘die' Interim sei. Verzweifelt beklagt man im Vorwort zu besagter Ausgabe: “noch” wolle man “sich nicht darauf einstellen, auch in Zukunft bei anti-antisemitischen Aktionen zahlenmäßig weit unterlegen und gefährdet zu sein.” Bei genauerem Hinsehen zeigt sich recht schnell, wie sehr bei der linken Solidariät mit Israel auf halber Strecke stehen geblieben wird. Wohl kaum das schlechteste aber in Bezug auf Israel eben nur ein halbherziges Motiv stellt der Umstand dar, daß die Interim-Redaktion wie viele andere Gruppen auch, ihre Solidarität letztlich einzig und allein aus der Tatsache herleitet, daß in Deutschland der Antisemitismus virulent ist. Drei Beispiele seien dafür genannt. In besagter Interim heißt es da: “(...) Kritik an vorhandenen Mißständen in Israel (ist) auch prinzipiell zulässig, andererseits ist der Diskurs um Israel derart antisemitisch aufgeladen und wirkmächtig, daß jede Kritik an Israel funktionalisiert wird und in antisemitisches Fahrwasser gerät (...). Eine Diskursintervention, die angesichts des Antisemitismus zweifelsohne notwendig ist, muß vor diesem Hintergrund diskutiert werden.” In einer auf der Landeskonferenz in Berlin am 23.02.02 verabschiedeten Erklärung der JungdemokratInnen/Junge Linke mit dem Titel “Kein Frieden ohne Israel - Für Frieden und Demokratie im Nahen Osten” heißt es unter dem Stichwort “Antisemitismus in der Linken und in Deutschland”: “Tatsächlich muß man sich bei der Beurteilung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern im Nahen Osten des diskurspolitischen Kontextes in Deutschland, insbesondere des Nationalsozialismus, der von der überwältigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung getragen wurde, bewußt sein.” In ähnlicher Diktion argumentierte das Leipziger Bündnis gegen Rechts in seinem Redebeitrag als erklärte Solidarität mit Israel auf der abendlichen “revolutionären 1.Mai-Demonstration” in Berlin. Es sei an der Zeit, so die Antifa-Gruppe, “der weltweit entstehenden Pogromstimmung entgegenzutreten.” (Nicht unerwähnt kann bleiben, daß die Antifaschistische Aktion Berlin in vorauseilendem taktierenden Gehorsam sich von diesem Beitrag distanzierte und ebenjener Beitrag das mit Abstand Beste war, was man auf dieser Demo vernehmen konnte.)
Es läßt sich konstatierten, daß sich eine linke Solidarität mit Israel fast ausschließlich aus der Realität des Antisemitismus legitimiert. In der Grauzone verbleibt dabei genau jene Notwendigkeit, an der sich eine Solidarität mit Israel bewähren muß. Die Verteidigung des militärischen Vorgehens, die Politik gegenüber den Autonomiegebieten und das Verhältnis zu mulitlateralen Institutionen wie der UNO.

Alter Kitt für alte Fugen

Geht es um die Bewertung der israelischen “Operation Schutzschild”, so taugen zwei Fragen zum allgemeinen Lackmustest. Zum einen ist das die Frage, was man der israelischen Armee grundsätzlich zutraut und zum anderen die nach der Legitimierung palästinensischer Selbstmordattentate.
Tatsächlich ist der existente Standpunkt für eine Antwort der alles entscheidende. Wer der israelischen Armee zutraut, daß Palästinenser sich in Reih und Glied aufstellen mußten, um dann von israelischen Panzern überrollt zu werden (vgl. SZ v.17.04.02) oder mit Vorsatz Zivilisten unter den Trümmern von durch Bulldozer zum Einsturz gebrachter Gebäude lebendig begraben wurden, der traut nicht nur der Armee des jüdischen Staates alles zu, sondern auch der israelischen Gesellschaft in ihrer westlich-demokratischen Verfaßtheit. Wer zum zweiten die Selbtmordattentate für verhältnismäßig, gerechtfertigt, erklärlich oder gar legitim hält, akzeptiert damit den völlig projektiven kollektiven Opfermythos der Palästinenser, denen Selbstkritik und Selbstreflexion mittlerweile so fremd ist wie ihnen die pathische Schuldzuschreibung an Juden und Amerikaner selbstverständlich. Darüberhinaus beweist man so zugleich gegenüber der Tatsache vollkommene Faktenresistenz, daß gerade nicht die angeblichen materiell verarmten und sozial notleidenden Menschen aus Verzweiflung zu Tätern werden.(3)
Es ist schon sehr verwunderlich, daß man der israelischen Armee derzeit allenthalben skandalisierend unterstellt, sie würde nicht vor Zivilisten inklusive Kindern halt machen, zugleich aber kaum ein Sterbenswörtchen darüber verlieren mag, daß das Töten von Zivilisten inklusive Kindern nicht nur vorrangiges Ziel, sondern geradezu charakteristisch für den palästinensischen Terror ist - ganz abgesehen von dem menschenverachtenden Umgang und der Erziehung der Kinder durch Eltern und palästinensische Gesellschaft. Will man den Palästinensern derzeit ernstlich helfen, so muß man sie hart aber gerecht genau dafür kritisieren, daß sie zur Selbstkritik unfähig sind, daß sie kaum Reflexionsvermögen besitzen, um überhaupt eine Diskussion über ihre Fehler in Gang zu bringen. Alles wird seitens der Palästinenser auf “die Juden” projiziert. Dieser Reflexionsausfall ist Ausdruck einer unter Palästinensern herrschenden Alltagsreligion, die sie gegen wirkliche Kritik völlig immun gemacht hat und stattdessen einer narzißtischen Blut-und Boden-Mythologie verhaftet ist.
Eine, die sich insbesondere nach dem Massaker vom 11. September als antiimperialistische Vordenkerin nicht nur für die Ulrich Wickerts dieser Welt hervortat, indem sie den USA die Schuld an den Anschlägen zuschrieb, ist die Schriftstellerin Arundhati Roy. Ihr Verständnis von Heimat und Scholle entspricht haargenau dem Prozess der weltweiten völkischen Regression als homogenisiertem Weltprotest, der sich zwar universell gibt, aber romantisch verklärend genau das Gegenteil bewirken möchte. In einem aktuellen Essay über die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Hindus in Indien fragt Roy: “Können wir uns nicht entdecken, daß wir einer alten uralten Zivilisation angehören anstatt nur einer eben erst entstandenen Nation?” (vgl. FAZ v.13.10.02) Genau diese Frage, die Roy bezüglich Indien geltend macht, treibt die Antiimperialisten und Antirassisten von Porto Alegre und Durban weltweit an. Regression des Bewußtseins als Sehnsucht nach der Wurzel des prämodernen Seins, nach der Harmonie der Scholle, nach der konkreten Herrschaft von Menschen über Menschen statt der abstrakten des Kapitals, das die Menschen durch doppeltfreie Freiheit zur Freiheit als ewiggleiche Warenbesitzer verdammt - das und nichts anderes ist das Programm der Globalisierungsgegner.
Diese universalistische antirassistisch-antiimperialistische Ideologie läßt sich gut am universellen Flüchtlingsbegriff verdeutlichen: Dabei liegt derzeit nirgends die affirmierte völkische Konnotation, die ihm zu Grunde liegt, so deutlich zu Tage wie im Falle der Palästinenser. Die universelle Kategorie Flüchtling ist heutzutage nichts anderes als Blut- und Boden-Mystifikation, das ideologische Geifern nach der Scholle der Urprungsidentität, nach “ethnischer Zugehörigkeit”.
Schaut man sich darüberhinaus einmal an, was im Falle der Palästinenser als Flüchtlingslager deklariert ist, so läßt sich nur feststellen, daß es sich dabei um einen reinweg affirmierten ideologischen Begriff handelt, der sich im doppelten Sinne als falsch und realitätsverfälschend erweist. Denn weder läßt sich ein Flüchtlingstatus vererben - es sei denn, man anerkennt das völkische Blutsrecht - noch sind die palästinensischen Siedlungen mit einer entwickelten Infrastruktur auf durchschnittlich städtischem Niveau so etwas wie Lager. Beide Begriffe aber sind internationales Standardrepertoire, wenn es um die Bezeichnung von Ortschaften in den palästinensischen Autonomiegebieten geht. Zum einen geht das auf arabisch-palästinensische Propaganda zurück, zum anderen aber auch auf die gerade in Europa bestehende Unfähigkeit, überhaupt in anderen denn diesen ethnisch-völkischen Kategorien zu denken.
Im weiteren ist das palästinensische Selbstverständnis in den Autonomiegebieten wie auch in Jordanien oder Südlibanon davon geprägt, eine subjektive Verbesserung des Lebensstandards, etwa durch freiwilliges, jederzeit mögliches Verlassen der sogenannten Flüchtlingslager, so etwas wie schwerster Volksverrat, Verrat am kollektiven Schicksal der arabischen umma, der einer Kollaboration mit den Juden gleichkommt.
Im Gegensatz dazu befähigt simple bürgerlich-westliche Rationalität, also jene, die sich säkular versteht, gegen kollektiven Zwang rebelliert, sich subjektiv der Verwertung unterwirft und so ganz egoistisch nach materiellem Wohlstand strebt, zur völkischen Resistenz durch bürgerliche Ich-Stärke. Festhalten läßt sich in diesem Zusammenhang auch die unumstößliche Gewißheit, daß die bürgerliche Ich-Stärke zugleich die als objektive Gedankenform (Marx) erzeugte Ich-Schwäche hinsichtlich eines transzendentalen Bewußtseins ist. Materialistisch geerdet aber läßt sich das Verhältnis von Ich-Stärke und -Schwäche nicht anders bestimmen, als daß die bürgerliche Ich-Stärke, also das Aufgehen in der bürgerlichen Subjektform als Citoyen-Bourgeois und die damit einhergehende, über das Bestehende nicht hinaus gehende Ich-Schwäche des menschlichen Individuums Bedingung jeder Möglichkeit von Emanzipation, Überwindung oder Aufhebung ist. Das ist der gedankliche Kern einer wirklichen Dialektik der Aufklärung, die sich nicht selbst unterläuft, indem sie das Verhältnis von bürgerlicher-Ich-Schwäche und emanzipativer Ich-Stärke einseitig auflöst. Dieser Zeitkern einer Gesellschaftskritik ist solange wahr, wie die falschen Verhältnisse in ihrem Wesen fortbestehen, für die er gilt.
Was nur läuft schief in den pro-palästinesischen Köpfen weltweit? Und vor allen Dingen, wie läßt sich so ein autistisch anmutendes Denken gerade rücken? Daß es mit einer ideologischen Komponente zusammenhängen muß, verdeutlichte die ehemalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Schmalz-Jacobsen, mit einer Analogie: zu den am 13. April abgehaltenen größten antisemitischen Aufmärschen in Deutschland seit ‘45 am sogenannten Tag des Bodens merkte sie an, “daß eine NPD-Demonstration ähnlichen Kalibers (...) vermutlich schleunigst aufgelöst worden” wäre (Zeit v.18.04.02).
Vom emanzipatorischen Standpunkt aus betrachtet, stellt es sich als eine Art Glück im Unglück dar, daß derzeit nicht etwa ideologische Soli-Welten eines “nationalen Befreiungskampfes” und eine antisemitisch-völkische Blut-und Boden-Ideologie aufeinanderprallen, sondern endgültig zueinander finden. Nach ‘89 kommt hier somit zu sich, was zu sich kommen mußte: ein linker Internationalismus, der nicht etwa aus den Fugen gerät, sondern diese vielmehr uneingeschränkt antisemitisch und völkisch kittet. Ganz richtig nennt Andrei S. Markowits diesen seit Jahren stattfindenden Prozess “Islamisierung des Antisemitismus”, welcher, wie er meint, mit “Begeisterung” von den Europäern übernommen wird. (vgl. taz v.11.05.02)

Von Jenin nach Jeningrad

Der Literatur-Nobelpreisträger José Saramago witterte schon über Ramallah im März dieses Jahres instinktiv “den Geist von Auschwitz” und stellte fest: “Dieser Ort wird in ein Konzentrationslager verwandelt.” (vgl. FAZ v.27.03.02) Das war noch vor den Geschehnissen in Jenin, das die Palästinenser mittlerweile in Anlehnung an Stalingrad liebevoll “Jeningrad” nennen.
In einem Brief an George W. Bush erklärte der ägyptische Literatur-Nobelpreisträger Nagib Mahfuz, “daß er wie alle seine Landsleute die ‘Greueltaten' der Israelis an den Palästinensern verurteile. (...) Namentlich die umstrittenen Geschehnisse von Jenin erinnerten ihn an das, was Hitler den Juden in Europa angetan habe.” Und Mahfuz Brief gipfelt in den Worten: “Die Selbstmordattentäter haben eine sehr großartige Sache vollbracht.”
Was sich unter dem Stichwort Jenin sukzessive öffentlich einprägt, brachte die antizionistische Tageszeitung junge Welt unfreiwillig auf den Punkt: Jenin sei der Ort, “wo die israelische Armee nach Medienberichten ein Massaker an hunderten Palästinensern angerichtet” hätte. Bemerkenswert ist an dieser Feststellung nicht, daß hier etwas kolportiert wird, was einer idellen Seriösität zuwiderliefe. Nein, bemerkenswert ist, daß jene Medienberichte, auf die sich berufen wird, niemals recherchierte Medienberichte waren, die ein Massaker belegten, sondern in jedem Fall nichts weiter als wiedergegebene Erzählungen aus zweiter Hand. Die Meldung der jungen Welt vom 19.04.02 belegt eindrucksvoll, wie sich eine Normativität des Faktischen durch Verschiebungen in der Wiedergabe selbst einstellt. Was in den Meldungen vor kurzem noch als Wiedergabe vom Hören-Sagen gekennzeichnet wurde, befindet sich jetzt schon in dem Stadium eines Faktums - eines glaubhaften Medienberichtes. Und man kann sich denken, daß nicht allzu viel Zeit vergehen mußte, bis aus dem Medienbericht eines Faktes a posteriori ein Faktum a priori wird. Und so heißt es dann auch in einem junge Welt-Beitrag vom 15.05.02 über “gängige Darstellung (...) in den amerikanischen Medien”: “Um das Massaker an palästinensischen Männern, Frauen und Kindern durch die israelischen Streitkräfte (IDF) im Flüchtlingslager von Jenin zu rechtfertigen, unternehmen die prozionistischen amerikanischen Medien außerordentliche propagandistische Anstrengungen.”
Der Schriftsteller Uri Avnery, einer jener Israelis, die von antizionistischen deutschen Linken als Kronzeugen eines anderen Israels instrumentalisiert werden, schrieb zu den Ereignissen in Jenin: Dort “versammelte sich eine Gruppe von Palästinensern aus allen Organisationen zu einer Abwehrschlacht, der ihr den Platz in den Herzen der Araber für immer gesichert hat. (...) Wenn die internationalen Medien sich nicht mehr draußen halten lassen und die Schreckensbilder veröffentlicht sind, werden sich wohl zwei Sichten herausschälen. Jenin als die Geschichte eines Massakers, ein zweites Sabra und Schatila - und Jenin, das palästinensische Stalingrad, eine Geschichte unsterblichen Heldentums. Die zweite wird mit Sicherheit überwiegen.” (vgl. jW v.18.04.02)
Die Folge dessen, was Avnery da benennt, ist eindeutig die, daß man der israelischen Armee “an sich” nicht mal mehr unterstellen muß, daß es ein Massaker in Jenin gab. Vielmehr fand eben das Massaker “an sich” statt und die Israelis als die Täter hätten dies gegebenfalls zu widerlegen. Unter diesen Bedingungen einer quasi Selbstbewegung hin zum Faktischen erhält die journalistische Auswahl von für zulässig gehaltenen Behauptungen und Dementis entscheidende Bedeutung. Diese Auswahl unterliegt Kriterien, die es zu hinterfragen gilt. Insofern ist die qualitative Ausgewogenheit einer Medienmeldung ein Anspruch, dem man niemals gerecht werden kann. Unter solchen Vorzeichen wird es dann zweitrangig, ob eine Zeitung wie die Süddeutsche darauf verweist, daß es den Palästinensern in Jenin darum ging, “Scharon in eine Falle zu locken - um ihn als ‘Schlächter' zu entlarven, um die Weltöffentlichkeit zum (...) Eingreifen (...) zu bewegen.” (SZ, 17.04.02) Oder in der taz (v.17.04.02) festgestellt wird, daß die Palästinenser die Ereignisse von Jenin widersprüchlich zugleich als “Massaker” und als “heroischen Kampf” bezeichnen, obwohl das eine das andere ausschließt. Als gar nicht erst relevant gilt, daß Scharon Jenin als “das Zentrum des Selbstmord-Terrorismus” bezeichnete, weil von dort nicht nur rund die Hälfte aller Attentäter stammen, sondern auch alle übrigen dort kurz vor ihren Anschlägen den “Segen” (FAZ) erhielten. Denn der “Irre von Jerusalem” (jW ) gilt in Deutschland weitläufig nur noch als Goebbelsschnauze, seit man ihm mittels deutscher Übersetzung den NS-Begriff des “totalen Krieg” in den Mund legte, obwohl man sich, ist man nur einigermaßen bei Trost, wohl denken kann, daß er einen solchen Terminus niemals gebrauchen würde. Und so gilt, was in Jenin seitens der Israelis unternomen wurde, als “barbarisch” und mit “maßloser Zerstörungswut” angerichtet. (Le Monde Diplomatique 17.05.02)
“Die Welt hat sich bereits ihre Meinung gebildet und es ist zu spät, diese noch zu ändern”, sagte ein israelischer Militärsprecher gegenüber der Zeitung Ha'aretz.
Adorno bezeichnete den Antisemitismus als “das Gerücht über die Juden”.(4) Außenminister Schimon Peres beklagte, daß man Israel “nach Gerüchten und nicht nach Fakten beurteilt”.
Unter diesen Bedingungen sollen an dieser Stelle ein paar Fakten und O-Töne im Stile einer Gegeninformation zusammengetragen werden, die ja vielleicht die eine oder andere Argumentationshilfe darstellen können. Laut Spiegel 16/02 fand in Jenin eine der blutigsten Schlachten der israelischen Armee “seit dem Einmarsch in den Südlibanon 1982” statt. Der israelische Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser sagt zu den Ereignissen in Jenin: “Wir hätten das Lager auch bombardieren können. Aber nein, wir haben uns mit Rücksicht auf die Zivilbevölkerung von Haus zu Haus durchgekämpft. Das hat 23 Soldaten das Leben gekostet. Überall waren Sprengfallen gelegt.” (Spiegel 18/02) Israels Staatspräsident ergänzt dazu, daß die toten israelischen Soldaten darauf zurückzuführen seien, daß “wir die Regeln einhielten.” (Spiegel 16/02) Die Jüdische Allgemeine Zeitung vom 25.04.02 zitiert aus der rechstkonservativen israelischen Zeitung Maariv die Worte: “Wir haben zurückhaltend gehandelt, wir haben weder das Lager durch Flächenbombardements aus der Luft ausradiert, noch haben wir die Häuser mit Artillerie beschossen.” Israel habe bei der Schlacht “viele Soldaten gerade deshalb verloren, weil wir uns human und ethisch verhalten haben, und weil wir versuchten, Unschuldige zu verschonen.” Absolut unstrittig ist, daß die israelische Armee die Bewohner von Jenin vor Beginn der Kämpfe wiederholt und eindeutig zum Verlassen des Ortes aufgefordert hat. Laut FAZ vom 15.04.02 sind diesen Aufforderungen von den rund 15 000 Bewohnern 13 000 nachgekommen, “bevor die Armee einrückte”. Unter Berufung auf einen israelischen Major schreibt die FAZ weiter: “Danach hätten die (palästinensischen - S.P.) Kämpfer die Häuser und Straßen vermint und sich für den Kampf verschanzt. Mindestens 2 000 Menschen seien also noch im Lager gewesen. Mindestens 500 davon hätten sich ergeben. Viele andere seien entkommen.” Die Zeit vom 18.04.02 zitiert eine Bewohnerin von Jenin, die der Aufforderung der IDF nicht nachgekommen ist, mit den Worten: “Die Männer im Lager waren auf den Kampf vorbereitet.” In der Ausgabe vom 02.05.02 desselben Blattes läßt die Zeitung Suhair al-Manasreh, den palästinensischen Gouverneur von Jenin, zu Wort kommen: “Das war keine Schlacht. (...) Eine Schlacht ist ein Kampf von Soldaten gegen Soldaten. (...) Was will die Welt noch mehr sehen, bevor sie einschreitet, wie damals im Kosovo? Ein Flüchtlingslager wurde angegriffen. Das war organisierter Staatsterror.” Wie glaubwürdig jener al-Manasreh ist, läßt sich gleich darauf im selben Beitrag herausfinden: “Was soll man von der Antwort des Gouverneurs auf die Frage halten, wieviele Verletzte es während der Invasion gegeben habe?”, fragt Die Zeit und zitiert den Mann wie folgt: “Es gab keine. (...) Wissen sie denn nicht warum? Die Israelis haben keine Krankenwagen durchgelassen. Wer verletzt war, ist gestorben.” Gegenrecherchen des Blattes ergaben allerdings etwas anderes: “Tatsächlich wurden im Krankenhaus von Jenin 220 Verletzte eingeliefert.” Sehr aufschlußreich ist auch ebenda das Interview mit dem 23jährigen Assaf, der in Jenin als IDF-Soldat dabei war: “Wir erwarteten keinen Widerstand. Wir dachten, in zwei oder drei Tagen sind wir durch.” Der Befehl seiner 50er Einheit lautete, “alle Häuser im Lagerviertel nach Waffen und Sprengstoff zu durchsuchen.” Über die Situation während des Kampfes sagt Assaf weiter: “(...) In Jenin wurde nur schmutzig gekämpft. Es war schockierend. Die Muezzins feuerten ihre Leute über die Moschee-Lautsprecher mit fanatischen Schreien an: ‘Kämpft, kämpft! Tötet die Juden! Ergebt euch nicht!' Auf Hebräisch schrien sie uns zu: ‘Kommt Soldaten! Wir haben Überraschungen für Euch!' Alle Gassen waren mit kaum sichtbaren Drähten vermint. Die verminten sogar ihre eigenen Gefallenen! Als 13 unserer Leute in einen Hinterhalt gerieten, überlebten drei Mann die Explosion. Die Hamas-Kämpfer schleppten sie in ein benachbartes Haus, zogen sie aus und brachten sie um. Wir mußten von da an ständig damit rechnen, daß drei Gegner israelische Waffen und Uniformen trugen. (...) Ich schwöre Ihnen, daß wir nicht ein Zehntel von dem getan haben, was uns angelastet wird. Wir forderten die Zivilbevölkerung immer wieder auf, den Kampfplatz zu verlassen. Die meisten taten das auch. Aber die andere Seite hielt viele fest. (...) Die versteckten sich hinter ihren Brüdern und Schwestern, weil sie genau wissen, daß wir nicht auf unbewaffnete Zivilisten schießen.” Es war also ein schmutziger Kampf. Wer in einer solchen Situation gedenkt, den israelischen Soldaten vorzuwerfen, daß sie sich nicht wie Mauerblümchen verhalten haben, ist nicht ganz bei Trost. Unter solchen Bedingungen läßt sich tatsächlich nicht ausschliessen, daß, wie die taz vom 18.04.02 meldet, “es Praxis der israelischen Armee gewesen sei, palästinensische Zivilisten als lebende Schutzschilde zu verwenden.” Selbiges räumt auch ein beteiligter Soldat gegenüber der Ha'aretz ein: “Wenn ein palästinensischer Scharfschütze einen Freund sieht, dann schießt er nicht.” (ebenda) Auch in der FAZ (18.04.02) findet sich ein Hinweis darauf - welch Wunder -, daß die israelische Armee tatsächlich aus Individuen, und zwar vornehmlich männlichen, besteht und nicht aus ferngesteurten gestählten Kampfmaschinen: “(...) Bei einzelnen Soldaten scheint die Stärke und Disziplin der israelischen Armee in das Gefühl umgeschlagen zu sein, den Krieg gegen den Terror doch nicht gewinnen zu können. Wenn aber der militärische Sieg unmöglich ist, dann solle, so meint diese kleine Minderheit, der Gegner zumindest gedemütigt werden.”
Obwohl insbesondere bezüglich der “Operation Schutzschild” die “Einsatzbereitschaft der Soldaten in die Höhe” stieg, wie die Jüdische Allgemeine Wochenzeitung vom 08.05.02. meldete, klingt obige Situationsbeschreibung durchaus realistisch. Allerdings lassen sich daraus gerade keinerlei Belege für den angeblichen unmenschlichen und brutalen Charakter der IDF ziehen. Ganz im Gegenteil bestätigt sich so vielmehr indirekt einmal mehr die generelle Eindeutigkeit der Befehlslage nach westlichen Konventionen und die generell intakte Befehlsstruktur nach demokratischem Muster.
“Die israelische Armee hat (...) nicht wahllos auf wehrlose Zivilisten geschossen und auch nicht mutwillig halbzerstörte Häuser mit Bulldozern beiseite geschoben, ohne zuvor Verschüttete zu bergen. Von einem Massaker läßt sich deshalb nicht sprechen.” So daß Fazit der FAZ vom 02.05.02. Weiter heißt es ebenda: “Die israelischen Soldaten bombten sich an den Häusern von Wand zu Wand durch das Lager. Sie stießen auf erhebliche Gegenwehr. Zahlreiche Sprengfallen waren aufgebaut worden. In einem Hinterhalt kamen innerhalb weniger Minuten fünfzehn Soldaten ums Leben. Auf diesen Blutzoll war die Armee nicht gefaßt, sie reagierte darauf mit wenig professioneller Wut und Vergeltung. (...) Bei den Kämpfen in den engen Gassen des Lagers setzte die Armee Panzer ein, die mehr zerstörten als militärisch nötig war.” Ergänzend dazu hieß es schon am 18.04.02 im selben Blatt: “(...) Die Panzer sind nicht für den Straßenkampf in den Gassen des Flüchtlingslagers geschaffen. (...) Damit erklärt sich ein Teil der großen Zerstörung. Die israelische Merkawa-Panzer bahnten sich ihren Weg durch enge Gassen. Im Schutz der Panzerrohre, die feuern und beim Drehen die Häuserwände durchstoßen, rücken die Soldaten von Haus zu Haus. Die Wände fallen ein, entweder weil sie durchschossen oder weil die Panzer dagegen gestossen sind.” Den Rest der Zerstörung richteten die Bulldozer an, über deren Einsatz der israelische Soldat Yonathan Wolff, der in Jenin dabei war, gegenüber der taz (18.04.02) sagte: “Wir mußten die Häuser zerstören, weil wir keine andere Wahl hatten. Wir konnten nicht in die Häuser reingehen, weil sie voll mit Sprengstoffallen waren, also mußten die Bulldozer ran.”
Trotz all dieser Fakten hatte der UN-Gesandte für den Nahen Osten, Terje Roed-Larsen, nichts besseres zu tun, als in die Welt hinaus zu posaunen, die Bilder von Zerstörungen in Jenin seien “so entsetzlich, daß sie über jede Vorstellungskraft hinausgehen”. (Jüdische Allgemeine Wochenzeitung v. 25.04.02) In den Augen der Israelis hatte sich Larsen damit selbst disqualifiziert und “als Vermittler untauglich erwiesen”, so Vizeverteidigungsministerin Dalia Jizik. (taz, 22.04.02) Jessica Barry vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes sagt über das Vorgehen der israelischen Armee, es handele sich dabei um eine “unzulässige Kollektivstrafe” an den Palästinensern. (Spiegel 17/02) Amnesty International-Sprecher Javier Zungia teilt bezüglich der Geschehnisse in Jenin mit: “Wir sprechen hier von Kriegsverbrechen”. (jW 23.04.02) Die geplante UN-Untersuchungskommission für die Geschehnisse in Jenin, der sogar trotz großer Bedenken die israelische Regierung anfänglich grundsätzlich zustimmte, was längerfristig betrachtet ein gefährlicher “Schritt zur Internationalisierung” (FAZ 10.05.02) hin zum verallgemeinerten Menschenrechtskonflikt bedeutet und genau ins taktische Kalkül der Palästinenser zur Schwächung der israelischen Position paßt, kam letztlich glücklicherweise nicht zustande. Bei der Kommission handelte es sich ohnehin um Leute “mit politischem und humanitärem Hintergrund, ohne Sachverstand hinsichtlich der objektiven und professionellen Betrachtung der Tatsachen”, so Ha'aretz. Und das lasse “noch nicht einmal die Hoffnung aufkommen, daß die Untersuchung unparteiisch sein könnte.” (taz, 03.05.02 ) Selbst der postzionistische Historiker Benni Morris von der Ben-Gurion Universität in Beerschewa “kann die Sorge der israelischen Regierung vor den Folgen einer UN-Untersuchung verstehen.” (ebenda)
Verständlich wird die diesbezügliche abwehrende Zurückhaltung der Israelis erst Recht, wenn man sich den UN-Beschluss von 1975 vor Augen führt, wo der Zionismus zum Rassismus erklärt wurde, und sich vergegenwärtigt, daß erst letztes Jahr auf der sogenannten Antirassismus-Konferenz der UN im südafrikanischen Durban nur mit Biegen und Brechen seitens der USA und Israels verhindert werden konnte, den Zionismus erneut mit Rassismus gleichzusetzen.
Weltweit haßt man die Juden für die Idee des Zionismus. Nicht nur weil man sie wegen Feigheit vor dem Antisemitismus anklagt, dem sie sich zu entziehen versuchten, sondern vor allem, weil sie sich gegen die völkische Universalisierung der Menschenrechte zu sperren versuchen. Menschenrechte sind heutzutage die antiimperialistischen Waffen geworden, mit denen man gegen Kosmopolitismus, Kulturindustrie, Entwurzelung, Vertreibung, Egoismus und für Gemeinschaft, Verzicht, Ursprünglichkeit zu Felde zieht. Das Adjektiv humanitär ist jene Chiffre für das ethnische Reinheitsgebot von (spätestens) 1989, das als neuer Weltgeist den Juden dieser Erde und dem american way of life den Kampf ansagt.
Noch kann man der guten Laune wegen darüber hinwegsehen, daß eine Gabriele Zimmer, ihres Zeichens Vorsitzende der antiwestlichen Volkstumspartei PDS, Ohrfeigen an Juden verteilt:“Israel hat sich in Jenin nicht als demokratischer Staat verhalten”, wetterte Zonen-Gabi. (jW, 25.04.02)
Was bisher in der trauten antizionistischen Runde niemand so richtig hinbekam, das hat man der Le Monde Diplomatique vom 17.05.02 zu verdanken. Nun, was hat wohl noch in der Sammlung der Haßtiraden gefehlt? Na klar, der Vergleich Israels mit der Talibanherrschaft. Schließlich unterwerfen sich ja die Juden einem ebensolchen Bilderverbot, wie es die Taliban dem eigenen Volk aufzwangen: “Zu Recht löste bei der Unesco die Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan Entsetzen aus. Will man nun ungerührt zusehen, wie Palästina in Schutt und Asche gelegt wird, mit all seinen archäologischen Stätten und seiner landschaftlichen Schönheit?” Tatsächlich kann man festhalten, daß Israel das bildungsbürgerliche Brauchtum der Pflege des Weltkulturerbes immens beeinträchtigt. Und man kann erahnen, wieviel Leid die Juden mit ihrer Besatzungsherrschaft Jahr für Jahr vielen unbescholtenen westlichen Bürgern zufügen, in dem sie ihnen ständig einen Strich durch die bildungshungrige Urlaubsplanung machen. So konnten gar viele von ihnen Jerusalem noch nie in ihrem Leben besuchen und es geht die panische Angst um, sie müßten allesamt mit Bildungslücken versehen irgendwann ins Gras beißen.
Wie man gedenkt, Israel in den nächsten Jahren internationalistisch korrekt den Garaus zu machen, brachte der Vertriebenenbeauftrage der taz, der Vordenker Erich Rathfelder, der immer noch auf die Verleihung des internationalen Völkischen Verdienstorden wartet, in seiner Zeitung am 02.05.02 auf den Punkt. Angesichts des glücklichen Scheiterns der Einsetzung einer UN-Untersuchungskommission für Jenin stellt Rathfelder fest: “Wieder einmal bleiben im Geflecht der Machtfragen Menschenrechte auf der Strecke.” Und gegen Israel gerichtet poltert er: “Während der Kriege auf dem Balkan und im schwächeren Maße in Ruanda kristallisierten sich grundlegende Prinzipien für eine internationale Realpolitik heraus. Angesichts des Genozids in Bosnien sollte nicht mehr dem Stärkeren Recht gegeben werden.” Was das konkret heißen soll, zumal Rathfelder hier wohl ganz bewußt von “Realpolitik” schwafelt, läßt sich unschwer erahnen. Das Zauberwort heißt humanitäre Intervention nach dem Modell Jugoslawien. “Der Rückfall in die von nationalen Interessen geprägte Machtpolitik ist ein zivilisatorischer Rückschritt und gefährdet das schon Erreichte”, so Rathfelder weiter. Zur Erinnerung: der das schreibt ist jener Rathfelder, der nicht oft genug die nationalen Interessen von Kroaten, Slowenien, Bosniern und Kosovo-Albanern herbeischreiben konnte, als es um die Zerschlagung und ethnische Parzellierung Jugoslawiens ging. Und damit dürfte endgültig klar sein, was dieser Mann im Schilde führt, wenn er an Israel denkt: es wäre ein grundsätzlicher “zivilisatorischer Rückschritt”, wenn man dem “Stärkeren Recht” gibt ...
“Das Problem heißt Israel”. (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v.09.12.01) Wenn man auch sonst nichts weiß, soviel ist zumindest sicher. Daß man im Zweifel für den Angeklagten zu sein hat, dieser bürgerliche Grundsatz spielt in Deutsch-Europa wenn es um Israel geht, nur deshalb eine Rolle, damit man ihn genau umdrehen kann. “Wer anderer Leute Länder besetzt, darf sich nicht wundern, wenn die sich wehren. (...) Ich glaube, daß die Amerikaner klug beraten sind (...), das der Europäischen Union zu überlassen.” (ebenda) Wandel durch Handeln. Das ist bei weitem nicht nur der Traum des Jürgen Möllemann, von dem der obige O-Ton stammt und dessen Deutsch-Arabische Gesellschaft einer Erklärung des Konvertiten Jamal “Ich bin auch Semit” Karsli unter der Headline “Israelische Armee wendet Nazi-Methoden an!” ihre “uneingeschränkte Unterstützung” zusicherte. (vgl. Focus 18/02)
Der ehemalige israelische Premier Ehud Barak, der sich im übrigen klar an die Seite Scharons stellte - “Ich hätte genauso versucht, gegen den Terror vorzugehen” (taz 1704.02) - brachte die Position der Europäer bezüglich der Palästinenser so auf den Punkt: “Nachzugeben ist, als ob man Krokodile füttert, es regt ihren Appetit an. Aber Europa tut gut genau das und sagt: Na ja, wenn die Krokodile noch nicht satt sind, müssen sie noch ein bißchen mehr bekommen.” (ebenda)
Über Jenin ist das Urteil längst gefällt: Im Zweifel für den Ankläger. Das ist die Unschuldsvermutung nach humanitären Maßstäben. “Das Mißtrauen, Scharon habe etwas zu verbergen, bleibt.” (Leipziger Volkszeitung v. 30.04.02) “Viele fragen sich: Was soll hier vertuscht werden?” (Berliner Kurier 02.05.02) Wie meinungsbildend jener humanitäre common sense ist, verdeutlichte unfreiwillig die FAZ vom 11.05.02. Angesichts der Beendigung der Besetzung der Geburtskirche durch palästinensische Kämpfer kommentiert das Blatt mit leichter Hand: Diesmal sei die Sache “gütlich abgegangen, ohne Massaker.” Es ist die Vorstellungskraft, die Böses schafft. Nur fällt diese eben nicht so einfach vom Himmel, sondern benötigt den ideologisch bereiteten Bodensatz, um fruchten zu können.
Seitdem Arafat sich durch den israelischen und amerikanischen Druck mitte April genötigt sah, erstmals einen palästinensischen Terrorakt zu verurteilen, kann er nicht mehr zurück. Unmißverständlich hat ihm das der US-Präsident verdeutlicht: “Arafat hat Terror verdammt - jetzt nehmen wir ihn beim Wort.” (taz, 20.04.02) Mit einer Art Flucht nach vorn versucht Arafat seitdem seine Haut zu retten. “Es ist Zeit für Veränderungen und Reformen”, ist sich das verlogene Stehaufmännchen plötzlich bewußt. “Wir müssen unsere Politik dringend neu bewerten und unseren Marsch in Richtung nationaler Unabhängigkeit korrigieren.” (FAZ 16.05.02) Schon das reicht aus, um Arafat in den Augen der übergroßen Mehrheit der Palästinenser als judenfreundlichen Lakeien und Schergen anzusehen. So mußte zum Beispiel ein geplanter Besuch in Jenin mitte Mai aus Sicherheitsgründen ausfallen. “Der Volkszorn”, so die taz vom 16.05.02, sei “nicht zu unterschätzen”.

Das Verhältnis von Zionismus und Kommunismus

“Es ist das Los der Juden, von uns geschlachtet zu werden, denn Allah hat geschworen, sie zu unterdrücken bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, an dem sie schmerzvolle Marter ertragen werden. Nachdem Europa die Juden gemartert hat, haben wir es jetzt übernommen, die Juden zu martern. Denn es ist das Los der Juden, gemartert zu werden.” Diese Zeilen gehören zum Standardrepertoire der Hamas-Indoktrinationen an Schulen und Universitäten. (vgl. FAZ v.11.05.02)
“Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ‘wie es denn eigentlich gewesen ist'. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.”(5) Diese Worte Walter Benjamins lassen erahnen, in welchem Zustand sich die israelische Gesellschaft seit dem Beginn der zweiten Intifada befindet. Und das ist kein philosophisches Gedankenspiel: Die bittere Realität heißt, daß in Israel kein Jude seines Lebens sicher sein kann. Was das für einen Juden bedeutet, kann man als Nichtjude vielleicht meinen zu wissen, aber wirklich nachempfinden kann man es nicht.
Nur eine militärische Schwäche oder falsche politische Entscheidung und Israel ist futsch. Die Israelis spielen ganz und gar nicht mit dem Feuer, wie ihnen die Antimilitaristen dieser Welt und ihre Freunde beständig vorwerfen, denn die Brandmale dieser Gesellschaft haben nicht mal die Zeit zu vernarben.
Scheinbar kann man es nicht oft genug wiederholen: Der Zweck des Zionismus bestand und besteht nicht in der Vertreibung der arabischen Bevölkerung, sondern in der Antwort auf den modernen Antisemitismus der bürgerlichen Gesellschaft. Er ist somit Produkt des Versagens derselben. Die bürgerliche Gesellschaft ist an sich selbst gescheitert - an ihrem aufklärerischen Anspruch. Diese historische Wahrheit verkörpert die zionistische Idee in all ihren Spielarten. Somit ist die Idee des Zionismus zugleich die immanente Kritik eines gesellschaftlichen Zustandes, der aus sich heraus notwendig den antisemitischen Wahn erzeugt. Und genau da bestehen die Parallelen zwischen einer Kritik der politischen Ökonomie sowie deutschen Ideologie nach Marx und der zionistischen Idee. Beide singen auf ihre Art dem falschen Ganzen die eigene Melodie vor. Und das ist und bleibt die Grundbedingung jeder Möglichkeit eines Aktes der Befreiung, der die Verhältnisse zum Tanzen zwingen kann.
Es gibt keine Kritik der politischen Ökonomie ohne Kritik deutscher Ideologie. Es gibt keine Kritik deutscher Ideologie ohne Kritik der politischen Ökonomie. Das ist der historische Wahrheitsgehalt der kommunistischen wie auch der zionistischen Idee. Und diesen gilt es gegen seine unzähligen Feinde zu verteidigen: Wer also Israel verteidigt, verteidigt zugleich nichts geringeres als die wirklich Verdammten dieser Erde und die emanzipatorische Idee des Kommunismus. Oder phrasendrescherisch formuliert: f.d.K statt f.d.H. - für den Kommunismus statt friß die Hälfte.

Fußnoten:
(1) taz vom 15.05.2002. Unter der Überschrift “Zur Bahamas-Front” wird dort über “die Antideutschen - gruppiert um die drei- bis viermal jährlich erscheinende Zeitschrift Bahamas” berichtet. In der Unterüberschrift des Artikels heißt es: “Es ist nicht einfach, die ‘Antideutschen' zu verstehen. Aber eines muß man den ‘Linkskommunisten' lassen: Freunde brauchen sie nur wenige”
(2) Zu der insbesondere auch von Arabern gerne kolportierten Mär, daß man ja selbst Semit sei, wenn der Vorwurf des Antisemitismus erhoben wird, sei an dieser Stelle der Aufsatz Die arabische Polemik von Léon Poliakov empfohlen; nachzulesen in: Ders., Vom Antizionismus zum Antisemitismus, Freiburg 1992, S. 93-102
(3) vergleiche zu dieser These u.a. Daniel Pipes, Imame in Nadelstreifen, in: Die Zeit Nr.06/02 v. 31. Januar 2002
(4) Theodor W. Adorno, Minima Moralia, Frankfurt/Main 1969, S.141
(5) Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: ders. Illuminationen, Frankfurt/Main 1974, S.253


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last modified: 28.3.2007