home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[87][<<][>>]

Konkret-Kongress Revisited: Deutscher Krieg.


Von Gaston Kirsche (gruppe demontage)

Im Neuen Deutschland bezeichnete Birgit Gärtner den Konkret–Kongress vom 26.1.02 als „antideutsche Nabelschau, auf dem wenig Neues zu hören war.“ Was sie für „das einzig erfreuliche“ hielt, die Absage an linke Kriegsbefürwortung, war wichtig, aber die Debatte auf dem Kongress ging weit darüber hinaus. Aber auch in der Jungle World gab es massive Kritik am Kongress: „So germanozentriert und verbalradikal der Titel dieser Veranstaltung, so grundlegend wird die deutsche Rolle im Kontext neuer Frontlinien verkannt“, bemängelte Matthias Küntzel vorab. Ein Woche später stöhnte Joachim Rohloff ebenfalls in der Jungle World: „Der Tag wurde lang und länger, sechs Stunden vergingen, ohne dass die Verbrechen des 11. September, der Islamismus, Israel oder der Antisemitismus auch nur einmal thematisiert worden wären“. Was der eine vor dem Kongress voraussagte, bestätigte der andere hinterher.
Küntzel selbst war nicht dort, fand aber Fürsprecher unter den knapp 800 TeilnehmerInnen. Auf dem Konkret–Kongress am 26.1.02 standen im Foyer des Hauptgebäudes der Hamburger Universität mehrere Büchertische, darunter einer der Bahamas. Die lag dort zum Verkauf aus. Dazu ein Flugblatt, in dem in der üblichen Bahamas-Diktion Hamburger Linke als „Linker Heimatschutz“ entlarvt wurden, deren ganze Niedertracht sich schon durch das Trinken von naturtrüber Apfelsaftschorle manifestieren würde. Daneben ein Stapel Umweltschutzpapier mit Kopien des Artikels „Schöne alte Welt“ von Küntzel, mit Quellenangabe: „Jungle World Nr. 5, 23. Januar 2002“.
Auf meine Nachfrage, wie den das käme, wo doch die Jungle World von der Bahamas quartalsweise mit einer Fatwa nach der anderen belegt wird, erklärte Horst Pankow, der hinter dem Stand sass: „Den Text finden wir gut, deshalb haben wir den kopiert und ausgelegt.“ Hermann Gremliza, der mit mir an dem Stand war, merkte daraufhin an, der Text sei voller Fälschungen, wozu Pankow einfiel: „Als ich den Mittwoch gelesen habe, fand ich den ganz schlüssig.“ Ob die Zitate so stimmen würden, wisse er nicht. Und der von konkret interviewte Alexander von Bülow sei doch wirklich unmöglich, hätte ja dem Mossad die Schuld am 11. September gegeben. Aber das stand doch nicht in konkret? „Nein, aber jetzt ist ja ein Interview im Tagesspiegel erschienen, da steht das drin.“ Die konkret-Redaktion ist nach Pankows Auffassung offensichtlich für das verantwortlich, was von Bülow sechs Wochen später woanders äußert: Einmal von Bülow interviewt, haftet konkret jetzt für ihn. In der neuen Bahamas findet sich eine entsprechend vermengte Textmontage von Äußerungen aus beiden Interviews. Wie die Bahamas wirft auch Küntzel in seinem Text konkret vor, antisemitische Lügen zu protegieren: „Exklusiv also und gleich auf drei Seiten konnte der ehemalige SPD-Bundesminister sich über den Mossad und die CIA verbreiten, obwohl schon sein Geheimdienste-Buch von 1998 an eine Neuinszenierung der >>Protokolle der Weisen von Zion<< gemahnt.“ Wer will, lese nach: Zwar wird in dem konkret-Interview dreimal der Mossad genannt – aber in keinster Weise als Drahtzieher des 11. September. Einmal erwähnt der Interviewer Jürgen Elsässer den Mossad, zweimal von Bülow, um über Geheimdienstwissen zu mutmassen. Das kann kritisieren wer will, aber Fakt ist, dass Elsässer in seiner einführenden Frage Mithilfe des Mossad die US-Geheimdienste kritisiert. Elsässer: „Beim Terroranschlag auf das World Trade Center ist noch vieles nicht aufgeklärt. So gab es vor dem 11. September Warnungen sowohl des französischen Geheimdienstes als auch des Mossad. Trotzdem reagierten die US-amerikanischen Behörden völlig unvorbereitet...“ Küntzel hat diese Frage nicht zitiert, sondern konkret unterstellt, sich die Sichtweise des Alexander von Bülow zu eigen zu machen. Die mögliche und berechtigte Kritik daran, dass von Bülow in dem Interview zuwenig widersprochen wird, wird durch das suggestive Zusammenrühren des konkret-Interviews mit andernorts getätigten Äußerungen von Bülows zur Denunziation. Auch andere Linke kritisieren, dass das Interview mit von Bülow in dieser Situation und überhaupt ein falsches Signal war. Nur hat sich noch niemand die Mühe gemacht, diese Kritik in eine ideologiekritische Demontage von Bülows umzusetzen – auch in der Jungle World nicht.
Statt dessen hat Konkret es offensichtlich geschafft, in der Ablehnung gegen sich Küntzel und die Bahamas zu vereinen. Der Kopienstapel mit Küntzels Text lag bis zum Ende des Kongresses am Bahamas-Stand aus, die meisten KongressteilnehmerInnen nahmen allerdings lieber die am Eingang ausliegende Jungle World komplett mit.
Küntzel macht seine Kritik an konkret neben dem Interview mit von Bülow am Ankündigungstext des konkret-Kongresses fest. Was da alles nicht drinstand, ärgerte ihn offensichtlich. Nun ist die Ankündigung zwar nur 2.000 Zeichen lang, aber die reichen Küntzel als Beweismittel, um zu kombinieren: „Der kopflose Zustand der deutschen Linken spiegelt sich in der Ankündigung des bevorstehenden konkret-Kongresses ‚Deutschland führt Krieg‘“. Er vermisst seinen neuen Lieblingsbegriff “Djihadismus”. Was er damit meint, erklärt er zwar in seinem Text mit keinem Satz, aber dafür meint er zu wissen: „Die islamistische Bewegung wird jedoch lediglich als eine Fiktion wahrgenommen, die Behauptung, sie existiere wirklich, als Kriegslüge abserviert.“ Nun ging es auf dem Kongress nicht um islamistische Bewegungen, sondern um Deutschland. Aufgabe von Linken in Deutschland ist, im Haus des Henkers vom Strick zu reden und nicht nur in anderen Häusern Stricke zu suchen. Ist das antideutsche Essential, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht, für Küntzel Schnee von Gestern? Anders ist es kaum zu erklären, dass Küntzel die Kongress-Ankündigung so missververstand. Dort heißt es: „Wer gibt sein Leben für die Umsatzrendite? Also geht es im Krieg um höheres: um die Rettung des christlichen Vater- bzw. Abendlandes vor der zaristischen Barbarei (1914-1918), vor dem bolschewistisch-plutokratischen Weltjudentum (1939-1945), vor den serbischen Völkermördern (1999), und vor der islamistischen Weltverschwörung (2001 ff.). Von Geld und Macht, von Öl und Hegemonie war und ist nie die Rede.“
In der Ankündigung geht es offensichtlich um die nationale, ideologische Formierung der Deutschen zur kriegsbereiten Volksgemeinschaft. Bei Küntzel wird daraus die Behauptung, dass konkret die Existenz einer islamistischen Bewegung leugne. Wer die Ausgaben konkret ab 10/2001 anschaut, kann dort eine Menge Texte zur Kritik des Islamismus finden. Was sich nicht finden lässt, ist eine Affirmation der deutschen Kriegsziele. Konkret unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt von der Jungle World: In den meisten Texten zum Thema wird nicht für eine antiislamistische Realpolitik plädiert, die sich als eine linke Begründung für eine Unterstützung des Bombenkrieges der USA und ihrer Alliierten, also auch Deutschlands, gegen Afghanistan lesen lassen. In die Nähe der Kriegsbefürwortung geraten viele Linke, die Ideologiekritik für das Ganze halten. Auch Küntzel verharrt ausschließlich auf der Ebene der notwendigen Ideologiekritik und verwechselt diese mit einer Kritik der politischen Ökonomie: „Nicht zufällig wird im Kongressaufruf der deutsche Vernichtungskrieg von 1939 mit dem Krieg der USA in Afghanistan auf eine Stufe gestellt und umstandslos unter die >>amerikanisch<< konnotierte Motivkette >>Geld und Macht, Öl und Hegemonie<< subsumiert.“ Wie vorstehend zitiert, geht es im Kongress-Aufruf um die ideologische Formierung in Deutschland. Eine Aufzählung der Kriegspropaganda in Deutschland bedeutet keineswegs, die Kriege selbst gleichzusetzen. Es ist mies, konkret eine derartige Relativierung des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges zu unterstellen. Dass sich Küntzel eine Kritik imperialistischer Ausbeutungs- und Herrschaftsinteressen nur als antiamerikanische Propaganda vorstellen kann, verweist auf eine der eklatanten Leerstellen seiner Ideologiekritik: Die Beschäftigung damit, was weltweiter freier kapitalistischer Markt und seine militärische Absicherung bedeutet, kann sich Küntzel anscheinend nur als antiamerikanisches Ressentiment denken.
Wie anderen völkischen Ideologien auch, ist islamistischen Bewegungen mit der Gegenüberstellung von organischer Gemeinschaft und abstrakter kapitalistischer Warenvergesellschaftung der Antisemitismus eingeschrieben – was auch für zahlreiche andere Bewegungen im Trikont wie auch in den Metropolen gilt. Eine verkürzte Imperialismuskritik kommt so gerade in Deutschland oft als vermurkster Antiimperialismus daher, der in seiner binären Vorstellung von personalisierter Herrschaft und unterdrückten, kämpfenden Völkern zur völkischen Ideologie gerinnt. Die Fans von freiem Markt und dem fundamentalistischen Glauben, jeder sei seines Glückes Schmied, reproduzieren eh kontinuierlich antisemitische Stereotypen, um zu verdrängen, warum Kapitalismus ungerecht ist. Wer das bekämpfen will, braucht nicht virtuell auf den Feind Islamismus einzudreschen, sondern wird für das Zurückdrängen von Antisemitismus und Rassismus in der vorgestellten organischen Gemeinschaft Deutschland gebraucht. Küntzels Vorstellung von „Djihadismus“ zeugt von nicht von allzuviel Beschäftigung mit islamistischen Bewegungen und den elenden gesellschaftlichen Verhältnissen, auf welche diese Bewegungen mit einer autoritären Sehnsucht nach einer organischen Gemeinschaft reagieren. Dazu hat Bernhard Schmid bereits einiges in der Jungle World geschrieben in seiner Erwiderung auf Küntzel. Die Aufgeregtheit, mit der viele Jungle-World-Autoren und andere Linke hierzulande mit einem Jahrzehnt Verspätung den vermeintlichen “Djihadismus” entdecken, kann keine Entschuldigung dafür sein, auf eine Kritik der politischen Ökonomie, auf eine Imperialismuskritik zu verzichten. Gremliza hat in seinen letzten Kolumnen in konkret mehrmals die Notwendigkeit einer antideutschen Imperialismuskritik begründet. Es verwundert nicht, dass Küntzel eben diese Kolumnen stören. Dabei kritisiert auch Gremliza als Gegner des Afghanistankrieges die völkische Variante des deutschen Antiimperialismus, den Antiamerikanismus: „Wer ja sagt zum Kapitalismus (zur Marktwirtschaft und ihrer bevorzugten politischen Organisationsform, der >>westlichen Demokratie<<) und nein zur Außenpolitik der USA, spricht nicht als Kritiker, sondern als Konkurrent. Sein Urteil verbreitet nicht Aufklärung, sondern Ressentiment: Antiamerikanismus.“ (konkret 1/02).
Wenn Küntzel auf dem konkret-Kongress gewesen wäre, hätte er dort Gremlizas Ausführungen zum „Showdown in Partnership“ hören können. Er legte dar, dass das Verhältnis USA und Deutschland parallel und zeitgleich von gegenseitiger Konkurrenz und gemeinsamen Interessen geprägt ist: Wo die BRD kann, setzt sie sich ab von den USA und konkurriert mit ihr wie bei der Zerstückelung Jugoslawiens; wo es vorteilhafter ist sich unterzuordnen, wird gemeinsam gekämpft wie in Afghanistan. Das gilt auch auf dem Gebiet der Ökonomie: So hat sich Daimler die Gelegenheit, den US-Konzern Chrysler zu übernehmen, nicht entgehen lassen, aber gleichzeitig ist die BRD-Ökonomie darauf angewiesen, dass die Ausbeutungsverhältnisse der weltweiten kapitalistischen Marktwirtschaft von den USA militärisch abgesichert werden. Er widersprach damit seinem Vorredner Georg Fülberth, der ausführte, dass die Außenpolitik der BRD sich weitgehend den USA unterordnen würde.
Günther Jacob führte anschließend aus, warum diejenigen, die sich marktschreierisch als die wahren Antideutschen gerieren würden, real nur noch „Ex-Antideutsche“ seien: Jacob wies auch auf einen zweiten wesentlichen Punkt hin: Unabhängig davon, ob dem Anschlag auf das World Trade Center auch antisemitische Absichten zugrunde lagen – wovon Jacob ausgeht – sei doch entscheidend, dass der Anschlag in den USA und Deutschland antisemitisch rezipiert werden würde. So würde in den USA mittlerweile eine überwiegende Mehrheit bei Umfragen dafür plädieren, sich von Israel zu distanzieren, weil dessen Politik diesen Anschlag provoziert hätte. Auch in Deutschland werde der Anschlag genutzt, um Israel eine Mitschuld zu geben. Durch diese Debatte wie durch die Symbolik des World Trade Centers als angeblichem Zentrum des Finanzkapitals sei der Anschlag antisemitisch. Das sei aber keinesfalls eine Begründung, um für den Krieg zu sein. Vielmehr gehe es darum, gerade unter der Prämisse, dass der Anschlag auch antisemitisch sei, vehement gegen die Kriegsapologetik der Ex-Antideutschen einzutreten.
Auch deshalb greife der Ansatz von Rainer Trampert und Thomas Ebermann, die wirtschaftlichen Interessen der BRD und der USA in Zentralasien zu analysieren, zu kurz: Sie würden mit einem Pseudomaterialismus rationalisieren und objektivieren, den er ablehne: „Sie sprechen über Öl, anstatt über das World Trade Center“. Und über den antisemitischen Charakter des Anschlages würden sie kein Wort sagen.
Daneben sprach Jacob auch über die zwei Register bzw. Codes „Klassischer ML“ und „Holocaust/Antisemitismus“, über die Rohloff schrieb. Rohloff hob hervor, dass die beiden Register partout nicht zu vereinigen seien. Bei Jacob klang das etwas widersprüchlicher, zumal er die These aufstellte, Linke würden öfters zwischen diesen Registern oder Codes hin und her wechseln. Damit hat er die Möglichkeit offengelassen, dass es für eine moderne antideutsche Subversion genau darauf ankommt, hier durch Codeswitching eine Verbindung herzustellen, welche die innere Spannung zwischen klassischem Marxismus und kritischer Theorie nach der Shoah aushält. Als gruppe demontage sprechen wir deshalb von kosmopolitischem Kommunismus.
Auf dem Kongress hat Ebermann eine leidenschaftliche Lanze dafür gebrochen, dass die Kritik der islamistischen Bewegungen ohne eine Imperialismuskritik innerhalb deutscher Herrschaftslogik verbleibt. Anhand zahlreicher Zitate aus der Bahamas wie auch aus dem Artikel Unter Bauern von Justus Wertmüller (konkret 1/02) wies er nach, dass sich diese Leute in chauvinistischer Manier nur mit der Sonnenseite des Kapitalismus beschäftigen und so tun, als sei der Wohlstandskapitalismus ohne das Elend und die Überausbeutungsverhältnisse im Trikont denkbar.
Leider wurde dieser Teil der Debatte in dem Kongressbericht von Joachim Rohloff nicht einmal erwähnt. Rohloff beschränkte auf einige wenige Referate und widmete sich vor allem einer von antielsässerischem Ressentiment getragenen Kritik an ebendiesem. Wer nachlesen will, was Elsässer gesagt hat, sei auf seinen Artikel Bauchfrei in Kabul (konkret 2/02) verwiesen, der in etwa seinem Vortrag entspricht. Rohloff unterstellt Elsässer, dessen Interesse an einer Antikriegsfront in Deutschland sei ein Bündnisangebot an die deutsche Friedensbewegung mit ihren Augsteins, Grönemeyers, Campinos und Vollmers. Elsässer bezog sich positiv auf einen Anti-Kriegs-Appell der IG Metall und gab damit Rohloff die Vorlage für diese Unterstellung. Dabei war aus seinem Beitrag erkennbar: Elsässer will eine antideutsche Bewegung gegen den Krieg und die deutsche Beteiligung daran. Nicht ganz einsichtig erscheint mir, warum er dafür den französischen Staat anpreiste, für dessen Handeln der Freiheitsruf der französischen Revolution heute noch wegweisend sei. Rohloff nutzt dies als Gelegenheit, um Elsässer lächerlich zu machen, indem er darauf herumreitet, dass Elsässer die französische Revolution wegen ihrer Postulate der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hochhält, aber die amerikanische genau wegen ihrer Parole des Pursuit of Happiness kritisiert. An keiner Stelle nennt Rohloff aber die entscheidende Schwachstelle von Elsässers Thesen: Dass auch er hier die Legitimation des Staates für das gesellschaftliche Ganze hält und nicht zwischen Legitimationsideologie und gesellschaftlicher Realität unterscheidet. Aber an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Elsässer hat Rohloff offensichtlich kein Interesse. „Obwohl man gewarnt war, überraschte die dickste Pfeife im antiimperialistischen Register dann doch. Jürgen Elsässer, der neuerdings jeden Unfug zu glauben scheint, den er im Internet findet...“, beginnt Rohloff seine Ausführungen zu Elsässer, wer das liest, soll wohl schonmal wohlig erschauern, ob dessen, was folgt.
Demgegenüber wird ein anderer Redner von Rohloff als Mahner in der antiimperialistischen Öde eingeführt: „Erst Thomas von der Osten-Sacken wies die Veranstalter auf ihren Irrtum hin. Und er war schon der vorletzte Redner. Der antideutsche Widerstand gegen eine vermeintliche Mehrheit der Landsleute, der schon während des ganzen Kongresses als eine entbehrliche Zugabe zum Antiimperialismus ältester Schule erschienen war, musste sich nun sagen lassen, dass es in Deutschland längst eine mächtige Antikriegsfront gibt.“
Von der Osten-Sacken kritisierte dann ausführlich die deutsche Friedensbewegung und den rechten Antiimperialismus. Seiner Meinung nach würde Horst Mahler das in sich logischste Konzept von Antiimperialismus vertreten, als völkische Gegnerschaft gegen die USA. Der linke Antiimperialismus sei gescheitert und nach dem Ende der Sowjetunion erledigt. Er vertrat die Ansicht, das die USA Kabul befreit hätten von den Taliban mit ihrem Krieg. Als sein Vorredner Jacob ungläubig nachfragte „Befreit?“, antwortete er: Ja, nicht absolut befreit, aber erst jetzt, wo die Taliban weg seien, gebe es die Möglichkeit, Politik in Afghanistan zu machen. Jacob warf auch die Frage auf, ob der Vorwurf an Deutschland, sich nicht genug am Krieg zu beteiligen, nicht letztlich darauf hinauslaufe, dass die Bundeswehr im Nahen Osten „gegen den Antisemitismus“ als Friedenstruppe kämpfen solle.
Wenn Rohloff nicht vor der abschließenden Podiumsdiskussion schon abgereist wäre, hätte er einen heftigen Disput verfolgen können. Von der Osten-Sacken differenzierte seine Position nochmal: Er selbst komme ja aus der Solidarität mit Befreiungsbewegungen, aus der Nicaragua-Solidarität. Es sei für ihn ein Dilemma, dass heutzutage Interventionen der USA eine Verbesserung der Lage für Menschen im Trikont bedeuten würde, wie jetzt in Kabul, wo durch die USA Bedingungen für eine Befreiung von den Taliban geschaffen worden seien. Dass sei nicht gut, aber die Linke müsse das einfach sehen. Von mehreren anderen Podiumsteilnehmern – Ebermann, Jacob und Elsässer – wurde ihm vorgeworfen, mit seinen Äußerungen und einigen Artikeln in der Jungle World würde er eine Intervention der USA im Irak legitimieren, ebenso wie in Afghanistan. Von der Osten-Sacken bestritt, zu einer Intervention der USA und ihrer Alliierten im Irak oder Afghanistan aufgerufen zu haben. Leider wurde er trotzdem für Positionen kritisiert, die nicht er, sondern die Bahamas oder andere von Günther Jacob treffend als „Ex-Antideutsche“ bezeichnete Kriegsbefürworter vertreten.
Darum ging es von der Osten-Sacken nicht: Er hat die Positionen der irakischen Opposition vorgestellt, die einen Sturz von Saddam Hussein durch Einmischung von Außen befürworten würden. Deutschland würde an Husseins Regime festhalten, während die USA mittlerweile für seinen Sturz seien. Es sei wichtig zu analysieren, dass die USA jahrzehntelang Hussein zuerst aufgebaut und dann, nach dem Golfkrieg 1991, toleriert hätten, sich dies aber seit dem 11. September verändert hätte.
Auf dem Kongress wurde so eine wichtige Frage gestellt, die im Schlagabtausch nicht geklärt werden konnte: Wie können Linke in der BRD sich verhalten, wenn die USA im Irak intervenieren und die BRD dies wegen der eigenen ökonomischen Interessen im Irak ablehnt? Einmal mehr herrscht doppelte Lawinengefahr im tiefen Tal der Linken: Einerseits kann antiimperialistische Solidarität mit dem Hussein-Regime eine Lawine der Affirmation deutscher ökonomischer Interessen im Irak auslösen. Dabei steht das irakische Regime mit seiner antiimperialistischen Baath-Staatsideologie und
-praxis vor allem für die definitive Eliminierung jeder emanzipatorischen Perspektive aus der Idee antikolonialer und „nationaler Befreiung“. Andererseits kann antideutsche Realpolitik, in der notwendigerweise grundsätzlich antideutsche wie antiherrschaftliche linke Kritik untergeht, eine Lawine der Affirmation der Politik der USA als Konkurrenten Deutschlands auslösen. Die USA sind aber gleichzeitig Verbündete Deutschlands - wodurch antideutsche Realpolitik auf einer doppelt fragwürdigen Grundlage steht: Weder eindeutig antideutsch noch antikapitalistisch.
Für antideutsche Subversion wird dagegen eine Imperialismuskritik gebraucht, welche die innere Spannung zwischen klassischem Marxismus und kritischer Theorie nach der Shoah aushält. Wer sich einlässt auf antideutsche oder antislamistische Realpolitik, gibt die notwendige Utopie, die wir in der gruppe demontage kosmopolitischen Kommunismus nennen, auf. Wer meint, sich in den laufenden imperialistischen Kriegen auf eine Seite positiv beziehen zu können anstatt negativ auf den deutschen Imperialismus, verzichtet zugunsten vermeintlicher Sachzwänge oder Bündnispartner auf die notwendige radikale Kritik der Verhältnisse.
In der Diskussionsrunde zum Abschluß des Kongresses wurde sehr deutlich, dass eine Bekämpfung des Antisemitismus zum Selbstverständnis von Konkret gehört. Als eine deutsche Friedensfreundin fragte, warum denn kurz vor dem Einschlag des ersten Flugzeugs die jüdischen Angestellten aus dem World Trade Center verschwunden seien, brach ein Sturm der Entrüstung los. Gremliza stellte vom Podium klar: „Diese Art von Fragen wird hier nicht beantwortet.“ Und als sich Rainer Balcerowiak in seinem Beitrag aus dem Publikum als Redakteur der jungen Welt vorstellte, schob er sofort nach, dass er „gewisse antisemitische Artikel von Werner Pirker auch ablehne“. Unmutsäußerungen gab es trotzdem. In dem Artikel von Balcerowiak in der jungen Welt über den Kongress fehlt diese Episode. Dafür suggerierte er dort, dass es zu einer Trennung von konkret und Antideutschen komme: „Doch von dererlei Diskursen über die Ursache der aktuellen imperialistischen Kriegshandlungen und die Rolle Deutschlands dabei haben sich andere ‘Linke’ schon längst verabschiedet. Mit dem konkret-, Bahamas- und Jungle World-Autor Thomas von der Osten-Sacken war auch ein Vertreter der sogenannten Antideutschen auf dem Podium vertreten.“ Von der Osten-Sacken ist keineswegs ein Bahamas-Autor. Die junge Welt musste eine Gegendarstellung von ihm abdrucken, wo er das klarstellte und betonte, er sei nicht für eine Intervention der USA eingetreten. Von den sieben Referenten ist mir nur von einem bekannt, dass er das Logo „antideutsch“ nicht gerne tragen würde. Georg Fülberth ist gleichzeitig Abgeordneter für die DKP im Kreistag Marburg-Biedenkopf und regelmäßiger konkret-Autor, der des öfteren freundschaftliche Kritik am „antideutschen Stammtisch“ geäußert hat, womit er die konkret-Redaktion meinte. Der ganze Kongress war der Kritik sowohl der deutschen imperialistischen Außenpolitik wie auch deutsch-nationaler Positionen aus der Friedensbewegung gewidmet, also antideutsch.
Dass eine Bekämpfung des Antisemitismus von konkret ernstgenommen wird, fiel Birgit Gärtner auf, die in ihrem Beitrag für das Neue Deutschland am Schluß meinte hervorheben zu müssen: „Die Antisemitismusphobie vieler deutscher Linker habe sie zutiefst erschreckt, sagte eine türkische Teilnehmerin.“ Gärtner demonstrierte so eindrücklich, wie sich traditionslinke Friedenspolitik mit einer Geringschätzung der Gefährlichkeit von Antisemitismus verbinden kann. Beide Fehler wurden auf dem konkret-Kongress nicht gemacht. Das ND dagegen hat sich nicht nur vom Register „ML“ verabschiedet, sondern das Register „Shoah“ auch links liegen gelassen. Was bleibt, ist eine linksdeutsche Beliebigkeit, in der sogar die Wortschöpfung „Antisemitismusphobie“ gedruckt wird und vom deutschen Imperialismus wenig die Rede ist.

Im März erscheint als konkret-Texte Band Nr. 32 „Deutschland führt Krieg“ das Buch zum Kongress mit Texten der Referenten. Herausgeber ist Jürgen Elsässer. ISBN 3-930786-37-0.
Die Artikel von Matthias Küntzel „Schöne Alte Welt“ (Jungle World 05/02), von Joachim Rohloff „Give Peace A Chance“ (Jungle world 06/02) und von Bernhard Schmid „Denken statt Draufhauen“ (Jungle World 07/02) stehen im Internet unter www. jungle-world.com. Als Kurzfassung dieses Textes erschien „Doppelte Gefahr im tiefen Tal“ in Jungle World 09/02.


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[87][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007