Überlegungen zu Ralfs Ideologiekritik des
Antisemitismus ohne Rassismuskritik, die die halbe Wahrheit als Ganze
proklamiert und daher vor allem eines ist: Ideologie.
Eine Linke, die... wie die Bahamas den Kampf
gegen den Antisemitismus und den gegen den Rassismus platt prowestlich
gegeneinander ausspielt, ist nichts anderes als ein Teil dieser barbarischen
Konstellation.
Roswitha Scholz, Identitätslogik und Kapitalismuskritik
Das kapitalistische System befindet sich im Stadium seiner finalen
Krise. Diese Erkenntnis muß Dreh- und Angelpunkt aller kritischen
Gesellschaftstheorie werden. Anders ist Kapitalismus als Ganzes nicht
kritisierbar. Ebenso sind Rassismus und Antisemitismus nicht ohne
Kapitalismuskritik versteh- und damit kritisierbar.
1. Antirassismus oder Multikulti?
Ohne eine fundierte Kritik des Rassismus ist eine umfassende
Kapitalismuskritik nicht möglich. Aber auch eine Auseinandersetzung mit
dem Antisemitismus ist ohne sie nicht durchführbar. Kritik des Rassismus
heißt auch zu klären, inwieweit antirassistische Positionen (z.B.
die Überhöhung des Anderen in der Multikulti-Ideologie) rassistisch
sind.
Lange Zeit ist in der linken Diskussion der Antisemitismus zugunsten des
Rassismus vernachlässigt worden. Linke AntirassistInnen kritisierten
allenthalben den Rassismus, die Diskriminierung von
AusländerInnen durch staatliche Willkür und
Einwanderungsgesetze. Dabei wurde auch Israel Ziel ihrer Attacken. Man
brandmarkte die angeblich rassistische Politik des Staates Israel
gegenüber den PalästinenserInnen. Die UNO-Resolution, die den
Zionismus als rassistisch brandmarkte oder die Konferenz von Durban(1)
legen dafür beredtes Zeugnis ab. Der theoretische Ausfluß dieses
Denkens war die Unterordnung des Antisemitismus unter den Rassismus. Die
Ablehnung von Jüdinnen und Juden wurde als Spielart allgemeiner
Diskriminierung begriffen. Waren es früher die Jüdinnen
und Juden, die unter dem Rassismus zu leiden hatten, so wären es heute die
AusländerInnen. Eine Kritik an diesem Denken war mehr als
notwendig und muß auch heute noch artikuliert werden.
Leider schießt man dabei des öfteren nicht nur über das Ziel
hinaus, sondern bricht der eigenen Kritik durch unsinnige Übertreibung die
Spitze ab. Ein typisches Beispiel dafür ist Ralfs Text in CEE IEH #82:
Der Antirassismus als Rückendeckung. In unsinniger Weise wird
hier der Antirassismus für überholt, ja für
gemeingefährlich gehalten. Der Antirassismus... ist die
theoretische Legitimierung und damit praktische Rückendeckung der
vernichtungswütigen islamistischen Schlächter... Sein falsches Bild
von der Welt... prädestiniert ihn förmlich dafür Oder:
Der Judenstaat Israel ist dem Antirassismus ein besonderes Übel,
weil er ihn allen Ernstes für ein anachronistisches Kunstgebilde
hält... Israel verkörpert für ihn die letzte Bastion des
Kolonialismus... (CEE IEH #82 S. 52f) Die theoretischen Entgleisungen
der Antiras werden unzulässig mit einem fundierten
Antirassismus gleichgesetzt. Multi-Kulti sei die zwangsläufige Konsequenz
antirassistischen Denkens. Auch wenn der linke Antirassismus
behauptet, er hätte mit Multikulti nichts mehr zu tun, hat er es doch.
Sonst gäbe es ihn nämlich gar nicht mehr (48) Ein
Antirassismus, der behauptet den Multikulti-Gedanken überwunden zu haben,
ist nicht möglich... (54) Multi-Kulti wird nicht, wie notwendig,
als rassistisch (und das wäre wirkliche Kritik daran), sondern als
antirassistisch bezeichnet. Wenn Kritik großartig, alles andere jedoch
Quark ist, dann haben wir es hierbei eindeutig mit Quark zu tun. Es wird
verkannt, daß Multi-Kulti nicht eine Äußerung des
Antirassismus, sondern, im Gegenteil, die zeitadäquate Äußerung
des Rassismus ist. Eine wirkliche Kritik des Rassismus ist auf dieser Ebene gar
nicht mehr möglich. Damit schneidet sich diese Kritik aber auch den Weg zu
ihrem erklärten Ziel ab. Ohne ein Verständnis und eine Kritik des
Rassismus ist keine Kritik des Antisemitismus zu haben. Ralfs
erklärtes Ziel, den Antisemitismus zu kritisieren, ist in seinen Text nur
bei gutwilliger Lesweise hineindeutbar. Tatsächlich schneidet er einer
wirklichen Kritik am antisemitischen Denken trotz oder gerade wegen seines
wortgewaltigen Getöses den Nerv ab. Grund dafür ist das
willkürliche Auseinanderdividieren beider Denkweisen, die doch nur
gemeinsam begriffen werden können.
Ohne eine fundierte Kritik des antisemitisch verschrobenen Antikapitalismus ist
aber auch kein revolutionärer, emanzipatorischer Antikapitalismus zu
haben. Ralfs Antirassismus als Rückendeckung schneidet somit
ebenso wie Ralfs Foucault des Werts (CEE IEH #82) (vgl. Rumsfeld
der Kritik Ralf in der neuen Unübersichtlichkeit in CEE IEH #83)
jede emanzipatorische Überwindung des Kapitalismus ab.
Um eine solche zu leisten ist eine Kritik der Ideologien des Rassismus und
des Antisemitismus nötig. Dazu ist eine Entwicklung dieser Denkweisen aus
der kapitalistischen Gesellschaft unverzichtbar. Es ist dringend nötig
theoretische Schärfe in den theorielosen Wust aus
Multi-Kulti-(Anti-)Rassisten und antideutschen Anti-Anti-Semiten á la
bahamas(2) zu bringen.
2. Rassismus und Antisemitismus
Während RassistInnen angebliche fremde Rassen zu
Untermenschen erklären, die sie verachten, erklären AntisemitInnen
ihre Opfer zu Übermenschen, vor denen sie panische Angst verspüren
und die sie bekämpfen wollen. Rassismus und Antisemitismus vollziehen
beide eine Biologisierung des Sozialen. Mithilfe antisemitischer und
rassistischer Denkweisen werden komplizierte soziale Zusammenhänge zu
biologischen Entwicklungen erklärt.
Der Rassismus dient nach Christina von Rajewski als Religionsersatz:
Ziel ist eine Sinngebung durch Vereinheitlichung des Bewußtseins.
Die Alltagsreligion läßt die chaotische Mannigfaltigkeit des Lebens
geordnet erscheinen. (Christina von Rajewski).
Rassismus wird nach diesen Erklärungen als eine Denkweise bzw. Ideologie
bestimmt. Claussen entwickelte dafür den Begriff der
Alltagsreligion. Dabei geht es nicht, wie bei Memmi, immer
ausschließlich um Abwertung, sondern: der zutiefst inhumane Kern
[des Rassismus] besteht darin, daß er Menschen ... nicht als
Persönlichkeiten mit eigenen Anlagen und Begabungen, sondern im Grunde nur
als Mitglieder ihrer »Rasse« oder ihres
»Kulturkreises« ansieht (Chr. Butterwegge:
Rechtsextremismus, Rassismus, Gewalt. Erklärungsmodelle in der
Diskussion).
Rassismus muß also als eine umfassende Biologisierung des Sozialen
begriffen werden. Aus Gründen, die noch zu klären sind, wird Menschen
etwas quasi Natürliches eine unveränderliche Rasse bzw. Kultur
angedichtet. Damit werden gesellschaftliche Verhältnisse individuell
scheinbar durchschaubarer letztendlich aber verklärt.
Historisch tendierte dabei der Rassismus zu einer Abminderung der
Rassifizierten. Sie wurden dabei in die Nähe der Natur gerückt, so
z.B. AfrikanerInnen mit Affen verglichen(3). Rassistisches Denken
konzentriert sich dabei um körperliche, oft sexuelle Zuschreibungen. So
gelten dem Rassismus Afrikaner als potenzstarke kräftige Männer
mit endlos langen Genitalien (Grigat: Die Minderwertigen). Auch
Zuschreibungen, nach denen AfrikanerInnen Rhythmus im Blut
hätten, gehören unter diese Rubrik.
In anderer Weise argumentiert der Antisemitismus. Er halluziniert sich seine
Opfer, zumeist Jüdinnen und Juden als höherwertige, quasi
übernatürliche Mächte. Der Antisemitismus behauptet die Existenz
einer jüdischen Weltverschwörung. Sehr beliebt in antisemitischen
Kreisen sind die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion
sie wurden mutmaßlich gegen Ende des 19. Jhds. von der russischen
zaristischen Geheimpolizei geschrieben und den Jüdinnen und Juden
angedichtet. Es wurde behauptet, sie seien die Manifestation einer
jüdischen Weltverschwörung, die sich das Ziel der Weltherrschaft
gesetzt habe und dazu die Nationen der Erde gegeneinander aufhetzt und
innerhalb der Nationen feindliche politische Lager schüfe(4).
Alle sozialen, politischen und wirtschaftlichen Geschehnisse auf der Erde
wurden so zum geplanten Ergebnis einer jüdischen Verschwörung
erklärt. Besonders wirtschaftliche Krisenerscheinungen, so der
Gründerkrach(5) in Deutschland gegen Ende des 19.
Jhd. wurden immer wieder Jüdinnen und Juden angelastet. Die Jüdinnen
und Juden gelten also dem antisemitischen Denken als allmächtige Gruppe,
die die Welt so lenkt, als wäre sie ihre Marionette.
Während also der Rassismus seine Opfer bevorzugt abwertete, vollzog der
Antisemitismus zumeist eine quasi Aufwertung seiner Opfer zu einer
übernatürlichen Macht(6). Dabei darf aber folgendes nicht
vergessen werden: 1) Bei der jüdischen Verschwörung sollte es sich um
eine Rasse handeln, also eine biologische Gemeinsamkeit. Kein Jude und keine
Jüdin kann nicht so handeln, wie er oder sie vom Antisemitismus
vorgestellt wird seine oder ihre biologische Disposition verlangt
gemäß antisemitischem Denken von ihr oder ihm, verschwörerisch
und schmarotzend vorzugehen. 2) Auch der Antisemitismus argumentiert mit
körperlich-sexuellen Zuschreibungen. Dabei werden Juden nicht als
potenzstarke Muskelmänner, sondern als geile, bucklige Böcke
halluziniert. Sie bestechen nicht durch Körperkraft und biologische
Vollkommenheit, sondern durch psychologisches Geschick,
Einfühlungsvermögen, perfide Überredungskunst, Weltgewandtheit
und Verführung.
Bei dieser Gegensätzlichkeit von Rassismus und Antisemitismus dürfen
ihre entscheidenden Gemeinsamkeiten nicht übersehen werden. Beide
verwenden körperlich-sexuelle Zuschreibungen ihrer Opfer. Beide nehmen
ihre unveränderliche Natur an. Beide erklären ihre Opfer somit zu
einer Rasse mit bestimmten körperlichen, sexuellen und daraus folgenden
moralischen, charakterlichen, psychischen und intellektuellen Eigenschaften.
Nur wird der Neger als geistig dumm, dafür aber als
Potenzbestie und Muskelpaket, der Jude hingegen als
schwächlich-kränklich aber hochintelligent vorgestellt. Beide
und daß ist das Entscheidende vollführen eine biologische
bzw. quasi-biologische Erklärung hochkomplexer sozial-ökonomischer
Prozesse. Rassismus und Antisemitismus vollziehen eine Biologisierung des
Sozialen. Die Ursache einer derartigen Denkweise soll im folgenden umfassend
erklärt werden.
3. Ideologie und verdinglichtes Bewußtsein
Ideologien wie der Rassismus und der Antisemitismus resultieren aus der
Gesellschaft in der sie entstehen. Die Biologisierung des Sozialen ist eine
verdinglichende Denkweise. Sie verhindert einen kritischen Blick auf
gesellschaftliche Verhältnisse und erklärt sie für biologisch
gegeben, also nicht veränderbar. Ich gehe bei der Analyse von einer
kapitalistischen Gesellschaft aus. Im folgenden möchte ich diese
näher bestimmen als eine warentauschende und wertvergesellschaftete. Die
Einheit von Rassismus und Anmtisemitismus als Ideologien der Biologisierung des
Sozialen läßt sich nur aus der Funktionsweise des Kapitalismus
nachvollziehen.
3.1. Vergesellschaftung als Warentausch
In einer kapitalistischen Gesellschaft begegnen sich Menschen als
warentauschende. Das produziert dem Kapitalismus eigene Verkehrungen: die
Produktion erfolgt nicht der Befriedigung von Bedürfnissen wegen, sondern
um Waren für den Markt zu produzieren. Die Menschen und ihre
Bedürfnisse werden zu Anhängseln des Warentausches.
Vorkapitalistische Gesellschaften kannten wie der Kapitalismus Armut, Hunger,
Elend und Katastrophen. Die Gründe dafür waren stets mangelnder
Reichtum, fehlende Nahrungsmittel, fehlendes medizinisches Wissen, fehlende
Medikamente etc.. Der Kapitalismus nun hält für die in ihm lebenden
Menschen viel größeres Elend, viel härtere Katastrophen und
Kriege bereit als es jemals in vorkapitalistischen Gesellschaften Realität
war. Doch nicht das gesteigerte Ausmaß des Elends ist frappierend,
sondern eine eigentümliche Verkehrung. Im Kapitalismus verhungern
Menschen, obwohl Lebensmittel in überreichlichem Ausmaß
produziert werden. Im Kapitalismus werden Kriege geführt, obwohl
genug Güter für alle vorhanden sind niemand um sein
Überleben kämpfen müßte. Im Kapitalismus müssen
Menschen körperlich schwer schuften, obwohl es ausreichend und
zunehmend perfektere Maschinen gibt, die ihnen die Mühe abnehmen oder
zumindest unendlich erleichtern könnten. Im Kapitalismus
müßte immer weniger gearbeitet werden, dennoch
verlängert sich der Arbeitstag auf bis zu 16 und mehr Stunden, werden
selbst Kinder zur Arbeit herangezogen.
Marxens Vermutung: Nicht obwohl soviel Reichtum im Kapitalismus geschaffen
wird, verelenden Menschen, sondern gerade weil. Genauer: Die Form, in der der
Reichtum geschaffen wird, die Warenform, ist dafür verantwortlich,
daß Menschen massiv verelenden.
Marxens Argumentation: Um Waren zu schaffen, müssen Menschen arbeiten.
Arbeiten müssen sie erstmals in der Geschichte. Vorherige Tätigkeit
der Menschen in der Landwirtschaft, im Handel oder im Handwerk läßt
sich noch nicht als Arbeit einordnen. Das kapitalistische Hineinpressen von
Menschen in einen durchgetimeten Tageslauf, die Knechtung menschlicher
Kreaturen in einem ihnen fremden maschinellen Räderwerk der Industrie ist
ein im Kapitalismus auftretendes historisch neues Faktum. Es mit vorherigen
notwendigen Tätigkeiten der Menschen auf einen Begriff zu bringen
(Stoffkreislauf mit der Natur) wären analytisch unsachlich.
Menschen arbeiten also, um Waren zu schaffen. Das tun sie im Kapitalismus nicht
etwa der Waren und auch nicht anderen Menschen zuliebe, die diese Waren
später einmal verbrauchen wollen. Sie tun das einzig und allein sich
selbst zuliebe. Sie wollen schlicht und ergreifend überleben. Genau
über diese Tätigkeit stellt sich aber im Kapitalismus Gesellschaft
her. Deshalb sagt man: Gesellschaft stellt sich im Kapitalismus durch ihr
Gegenteil her: durch Vereinzelung. Die Menschen sind am Arbeitsplatz
vereinzelte und isolierte Wesen. Durch ihre Tätigkeit werden sie immer
einsamer und verlassener(7). Sie vergesellschaften sich also durch
ihre Vereinzelung. Sie vereinzeln sich in ihrer abgetrennten, isolierten
Tätigkeit des stupiden Arbeitens am Arbeitsplatz und stellen genau
darüber den gesellschaftlichen Zusammenhang her.
Aber eben nicht direkt. Sie unterhalten sich nicht mit anderen darüber,
wie sie das tun, ob jemand ihre Produkte braucht, sie sich vielleicht anders
wünscht, ob dabei die Umwelt zerstört wird oder vielleicht die
hergestellten Waren Atombomben sind, die später an den Irak verkauft
werden und einem zwei Jahre später ins frisch renovierte Wohnzimmer
flattern.
Der gesellschaftliche Zusammenhang stellt sich im Kapitalismus erst über
den Markt, über den Austausch der Produkte, der Tätigkeiten der
Arbeitenden, der Waren, her. Erst auf dem Markt indirekt also
werden die Produkte aufeinander bezogen. Dieser Tausch der Waren ist das
wesentliche und konstituierende Merkmal des Kapitalismus.
3.2. Der Wert als Vermittler
In einer warentauschenden Gesellschaft bedarf es eines Maßstabes,
anhand dessen die Waren getauscht werden. Dieser wird nicht etwa nach
rationalen Kriterien ausgesucht, sondern hat sich mit der geschichtlichen
Durchsetzung des Kapitalismus ergeben. Der Tausch ist keine sinnvolle oder
praktische Erfindung, sondern bedingt eine Zurichtung der getauschten Waren.
Die entscheidenste Ware aber ist im Kapitalismus der Mensch, der seine
Arbeitskraft verkaufen muß, um zu überleben. Menschen müssen
sich im Kapitalismus verWERTen das heißt: sie müssen sich auf
die Bedingungen des Kapitalismus hin zurichten. Eine über den Wert
vermittelte Tauschgesellschaft kann die in ihr lebenden Menschen daher nur
verstümmeln.
Die entscheidende Frage ist nun: wie erfolgt die Vermittlung der Waren auf dem
Markt? Wie können so derartig unterschiedliche Dinge wie Plüschtiere
und Giftgasgranaten einfach mal so getauscht werden. Auf diese schwierige Frage
hatte bereits die klassische bürgerliche Nationalökonomie eine
schlüssige Antwort. Der Tausch erfolgt anhand des Kriteriums der in den
Waren vergegenständlichten Arbeit. Die durchschnittlich notwendige
Arbeitszeit, die in ein Produkt investiert werden muß, um es
herzustellen, gibt seinen Wert an. Der Markt reguliert nach Smith und Ricardo
den Tausch dieser Waren. Er sorgt dafür, daß sie auch wirklich
ungefähr zu ihrem Wert vertickt werden. Zu teure Waren kauft keiner und zu
billigen Verkauf können sich die Erzeuger nicht leisten. Auf diese
sonderbare Weise stellt sich bürgerliche Gesellschaft durch eine
invisible hand her. Jeder verfolgt sein Privatwohl, egal ob als
UnternehmerIn oder als ArbeiterIn und im Ganzen kommt eine wundersam
wohlständige, vernünftige und wohlanständige(8)
bürgerliche Gesellschaft heraus. So dachten es zumindest die klassischen
bürgerlichen Volkswirtschaftler.
Dass der Kapitalismus schon zu den Lebzeiten von Smith und Ricardo (also im 18.
und frühen 19. Jhd.) alles andere als Wohlstand brachte, ist seinen
Vordenkern noch nicht als zentrales Problem aufgefallen. Sie sahen dies zwar,
meinten aber, daß sich diese Probleme durch fortschreitende Durchsetzung
des Kapitalismus lösen würden(9). Marx war der erste, der
dieses Problem nicht als vorübergehendes, sondern als grundlegendes der
bürgerlichen Gesellschaft ansah. Um das theoretisch denken zu können,
übernahm er die Wertlehre der bürgerlichen Ökonomie, drehte sie
aber (wie vorher den Hegel) vom Kopf auf die Füße. Er entwickelte
die Wertlehre zur Wertkritik, die positive zur negativen Arbeitswertlehre.
Ging es bei Smith und Ricardo tatsächlich darum, zu bestimmen, wieviel
Arbeit denn nun in einer Ware steckt, so war dies bei Marx hingegen gar nicht
das Problem. Ihm geht es darum, aufzuzeigen, daß über den Wert,
also über die in einem Produkt sich befindende kristallisierte Arbeit,
Gesellschaft hergestellt wird oder besser: sich Gesellschaft
herstellt. Es ist nichts Gutes und Schönes, daß sich
kapitalistische Gesellschaft über den Vergleich der menschlichen Arbeiten
auf dem Markt herstellt, sondern der Grund vieler Übel und somit
ein theoretisch zu erfassender und praktisch umzuwälzender
Mißstand.
Marxens fundamentale Erkenntnis: Arbeit ist nicht etwa Wert (was
noch Smith und Ricardo dachten(10)), sondern lediglich eine besondere
Form menschlicher Tätigkeit. Was macht ihre Besonderheit aus? Sie
schafft Wert. Einerseits stellt sich Arbeit dar als konkrete,
nützliche, verwendbare Gebrauchsgüter schaffende. Andererseits
schafft sie in den Waren jenen Wert, der sie auf dem Markt tauschbar macht. In
diesem Sinne ist sie abstrakte Arbeit. Abstrakte Arbeit besteht aus
kristallisierter, toter Arbeit. Das meint Arbeit, die sich in ihrem
Produkt vergegenständlicht hat.
Also: anhand der in den Waren kristallisierten toten Arbeit werden diese auf
dem Markt verglichen. Die abstrakte Arbeit muß sich
ausdrücken. Anhand einer völlig ungreifbaren,
abstrakten Größe (wie dem Wert) wäre nämlich kein Tausch
möglich. Dieser Ausdruck erfolgt im Geld. Das Geld ist die
Darstellungsform abstrakter Arbeit. Damit ist es die Erscheinungsform des
Werts. Damit ist es verdinglichte Gesellschaft, in meiner Hosentasche, bzw.
meinem Portemonais herumklimpernde und herumknisternde Gesellschaft. Mit ihren
beiden Seiten Kopf und Zahl drückt die Münze ihr Wesen
aus: sie ist Zahlungsmittel zum Zweck des Warentauschs und sie ist Ausdruck des
Wertes, vergegenständlichter Arbeitszeit. Das sie das aber wirklich ist,
dafür garantiert der Staat, der sich auf dem Kopf der Münze in
Gestalt des Landeswappens ausdrückt. Ohne den Wert als vermittelnde
Größe oder besser Ungröße(11) wäre dieser
Prozeß nicht möglich.
3.3. Fetisch-Verhältnis und subjektlose Herrschaft
Eine über den Wert vermittelte Gesellschaft ist von Menschen nicht
kontrollierbar. Sie entwickelt sich nach eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Sie gestaltet die in ihr lebenden Menschen nach ihrem Bilde sie richtet
sie nach den Erfordernissen ihrer eigenen Bewegung der rastlosen und
sinnlosen (da nicht an Bedürfnisse gebundenen) Produktion, zu. Demzufolge
gibt es in einer kapitalistischen Gesellschaft keine Herrschenden. Im
Kapitalismus herrscht das Kapital. Das aber sind keine Menschen, sondern ein
abstrakter Systemzusammenhang.
Der Kapitalismus als warentauschende Gesellschaft ist zwangsläufig
eine wertvergesellschaftete Gesellschaft. Als solche ist er zwangsläufig
auch eine fetischistische Gesellschaft.
Eine fetischistische Gesellschaft ist eine solche, die sich subjektlos, also
hinter dem Rücken ihrer Akteure vollzieht(12). Diese subjektlose
Vollziehung geschieht im Kapitalismus vermittelt über den Markt. Dieser
Markt ist aber nicht etwa kapitalistische Steuerungsinstanz vielmehr ist
die Bewegung auf den Märkten nur eine Erscheinung des Werts. Der Markt ist
in dieser Gesellschaft Steuerungsinstanz nur in dem Sinne, indem sich auf ihm
der Wert verwirklicht, er erscheint. Geschaffen wird er hingegen in der
Produktion.
Der Kapitalismus ist nicht die erste fetischistische Gesellschaft. Vielmehr
vollzog sich die Ablösung der Menschheit von der Natur bereits in
fetischistischer Form (vgl. dazu
Robert Kurz: Subjektlose Herrschaft; oder,
umfassend:
Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, darin: Begriff der
Aufklärung und Odysseus oder Aufklärung und Moral). Um überhaupt
erstmal von der Natur loszukommen, mußten Menschen sie in ihrer
Subjektlosigkeit und Grausamkeit nachahmen. Mit zunehmender Entwicklung geht
dann der Mythos ... in die Aufklärung über. Die Menschen
bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber
sie Macht ausüben. Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie
der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren
kann. (DdA, S,15) Oder, noch heftiger: Die wiederkehrenden, ewig
gleichen Naturprozesse werden... als Rhythmus der Arbeit nach dem Takt von
Keule und Prügelstock eingebläut... . (Dda, S. 27). Kurzum:
Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, gerät desto tiefer in den
Naturzwang hinein (19). Wer also die Natur aus der Haustür jagt, dem
kommt sie durchs Fenster mit verdoppelter Macht wieder herein. Wenn sich also
heute in der Krise des kapitalistischen Systems ausgelöst durch
Roten Knopf und Zahlencode das atomare Inferno auslöst, haben wir
es mit einer irrwitzig gesteigerten Naturmacht zu tun. Naturmacht nicht nur
weil spaltbares Material der Natur entspringt, sondern weil die Anwendung der
Kernsprengköpfe, zumal in Zeiten, wo jeder psychotische Knallkopf nach
Belieben über sie verfügen kann (und auch an den Regierungen mehr und
mehr Exemplare dieser so seltsamen wie häufigen Gattung Mensch zu finden
sind) keiner vernünftigen Kalkulation entspringt, sondern sich quasi wie
eine Naturmacht ähnlich einem Erdbeben über die
Köpfe der Menschen hinweg vollzieht. Fetischistische Verhältnisse.
3.4. Warenform und Denkform
Menschen sind in eine fetischistische Gesellschaft
hineingestellt ohne sie beeinflussen zu können (das bedeutet
nicht, daß sie keine Entscheidungen treffen könnten zwischen A oder
B, daß sie völlig determiniert wären...). Sie
können auf die grundlegende ökonomische Entwicklung keinen
Einfluß nehmen. Das betrifft den Obdachlosen wie den Manager von
Daimler-Benz. IN EINER DERARTIGEN GESELLSCHAFT ENTWICKELN SICH BESTIMMTE
DENKWEISEN: IDEOLOGIEN, MIT DENEN SICH MENSCHEN DAS LEBEN IN EINER DERARTIG
GRUNDLEGEND SINNWIDRIGEN GESELLSCHAFT ERKLÄREN UND DIE GLEICHZEITIG DEN
ERHALT DES GANZEN NICHT NUR STABILISIEREN, SONDERN ÜBERHAUPT ERST
ERMÖGLICHEN.
In schlecht-marxistischer Tradition stehende Linke wie die Redaktion der
Zeitschrift wildcat verkennen den Fetisch völlig. Damit heben
sie sich positiv von noch schlechteren Marxismen ab, die das Fetisch-Problem
gar nicht erst zur Kenntnis nehmen wollen (SPDPDSDKPThomasEbermannLinksruck).
Der Fetisch verkommt bei ihnen zur bloßen Einbildung. Die Menschen
würden doch ihre Geschichte selbst machen. »Geschichte wird
gemacht«. Die Menschen wüßten es bloß noch nicht. Durch
die aufklärerische Wirkung unserer MarxistInnen können sie aber ihre
historische Mission erkennen und sich den Fetisch aus dem Kopf schlagen durch
politische Aktion.
In Abgrenzung zu dieser kruden und abstrusen Interpretation muß das
Fetisch-Problem anders gefaßt werden. Die Verhältnisse sind nicht
rational und werden von handelnden Subjekten lediglich irrational
wiedergespiegelt. Sie sind als solches bereits irrational. Der Tausch, auf dem
die kapitalistische Gesellschaft wesentlich gründet funktioniert
nur, weil der Wert sich in den Köpfen der Menschen befinden. Geld
funktioniert nur, weil es gedacht wird. Wäre ich der einzige Mensch auf
der Welt, der weiß was Geld ist und wozu man es benutzt, wäre dieses
Wissen falsch. Es ist richtig, weil es sich in allen Köpfen befindet. Der
Wert wurde zur materiellen Gewalt, weil er die Massen ergriff. Nicht anders
verhält es sich mit anderen fetischistischen Institutionen (also allen),
wie dem Staat. Marx bezeichnete daher das fetischistische Denken zutreffend als
richtige Wiederspiegelung falscher Verhältnisse.
Kapitalismus kann nur funktionieren, weil er in den Köpfen ist,
weil er gedacht wird. Die kapitalistische Gesellschaft dringt in den einzelnen
Menschen ein. Damit wird der einzelne sich unabhängig wähnende Mensch
zum bürgerlichen Subjekt.
In der Folge ist nun zu fragen, wie bestimmte Denkweisen in den Köpfen
der bürgerlichen Subjekte entstehen genauer: wie Rassismus und
Antisemitismus als gegensätzliche Formen der Biologisierung des Sozialen
in den bürgerlichen Subjekten als Denkweisen sich herausbilden.
4. Das bürgerliche Subjekt
4.1. Natur und Kultur der Wert ist der Mann
Die in der kapitalistischen Gesellschaft voll sich durchsetzende und ins
Bewußtsein vordringende Trennung von Natur und Kultur, die sich im
Geschlechterverhältnis wiederspiegelt (Frau wird in der bürgerlichen
Ideologie gleich Natur gesetzt), ist wesentlich für das Verständnis
von Zuständen, welche antisemitisches und rassistisches Denken
hervorbringen. Um in der kapitalistischen Gesellschaft leben und funktionieren
zu können, muß sich das menschliche Individuum zum bürgerlichen
Subjekt zurechtquetschen. Furchtbares hat die Menschheit sich antun
müssen, bevor das männliche, identische Selbst entstand
formulierten Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung. Das
versucht auf den Punkt zu bringen, wie sehr der von der kapitalistischen
Gesellschaft hervorgebrachte und in ihr funktionierende Mensch ein
zugerichtetes Wesen ist. Dem aktiven, seine Umwelt und sich selbst zurichtenden
bürgerlichen Mann als Träger des männlichen Prinzips
der bürgerlichen Gesellschaft entspricht das Gegenbild der
hingebungsvollen Frau. Auf sie wurde zunächst das Natürliche, das der
Mann an sich nicht dulden wollte (obwohl oder besser: gerade weil selbst 100%
Natur) abdelegiert. Auf diese Weise entstand das Bild von der Frau als
gefährliches, ungezügeltes Wesen, daß gemäß
biblischem Mythos schon Adam im Paradies zum Bösen verführte. Die an
die Frau abdelegierte wilde Natürlichkeit mußte dann
abermals männlich zugerichtet werden: auf diese Weise entstand zum einen
das Bild und die Realität der Frau als entsexualisiertes Heimchen,
zuständig für Kinder, Küche und Kirche und zum Anderen das Bild
und die Realität der Karriere- und Powerfrau, die nur noch eines vom
männlich-bürgerlichen Subjekt unterscheidet: sie ist nicht so
perfekt.
Das bürgerliche Subjekt kommt als gespaltenes Wesen zur Welt
und zwar in doppelter Hinsicht. Zunächst mußte es sich mit dem
heraufdämmernden Kapitalismus von der Natur lösen. Während man
in vorkapitalistischer Zeit aß und trank wenn man Hunger oder Durst hatte
(bzw. wenn was zu beißen oder trinken da war) und schlief, wenn es dunkel
wurde oder man müde wurde oder man gerade nichts tun hatte, wird der
Zyklus der Mahlzeiten und des Wachens und Schlafens im Kapitalismus von der Uhr
geregelt und mit dem Rhythmus von Stunde, Minute und Sekunde der Tag in gleich
große Einheiten zerhackt (vgl. Götz Eisenberg, Wer nicht arbeitet,
soll auch nicht essen, in Kurz, Trenkle, Lohoff: Feierabend: Elf Attacken gegen
die Arbeit). Ebenso kannten vorkapitalistische Gesellschaften das
Sauber-werden der Kinder nicht(13). Man denke an die ganz
und gar nicht hygienischen Verhältnisse in mittelalterlichen Städten.
Der kapitalistische Mensch, also das bürgerliche Subjekt, unterscheidet
sich grundlegend von seinen Vorfahren durch seine Triebbeherrschung, monogame
Lebensweise und Ausrichtung auf einen gegliederten Tagesablauf(14).
Das heißt indes keineswegs, daß vor dem Kapitalismus befreite
Gesellschaft und Triebfreiheit herrschte. Vielmehr ist die Geschichte des
Menschen als eine Geschichte von Fetischverhältnissen (Kurz)
zu verstehen. Den unbegriffenen barbarischen Verhältnissen des
Mittelalters folgten die noch barbarischeren und noch unbegriffeneren des
Kapitalismus. Und doch sind zwei fundamentale Unterschiede zwischen beiden zu
erkennen.1) Im Kapitalismus kommt die Unbewußtheit derart zu sich selbst,
daß es am Ende nur noch die Wahl zwischen Übergang zum
Bewußtsein oder Rückfall in krudeste Mythologie gibt. 2) Der
Kapitalismus schuf, indem er den Menschen Arbeit und abstrakte Zeit
einhämmerte, die materiellen und gesellschaftlichen Verhältnisse
für einen Zustand, indem tatsächlich mit Bewußtsein begabte
Menschen wirklich den ganzen Tag in Saus und Braus leben können und sich
sinnvolleren Tätigkeiten als der immerwährenden Geldvermehrung
hingeben können.
Kurz gesagt: mit der Lösung des Menschen von der Natur im Neolithikum (der
frühen Steinzeit) begann die Geschichte als unbewußte,
fetischistische. Mit dem Übergang der Menschheit zum Kapitalismus wurde
ihnen die Loslösung von der Natur bewußt. Sie begannen sich dann
auch begrifflich von ihr abzusetzen. Erst zu diesem Zeitpunkt begann das Wort
Natur das zu bedeuten, was es heute bedeutet, und das Wort
Kultur/Zivilisation das entsprechende Gegenteil dazu.
Mit der Durchsetzung kapitalistischer Verhältnisse wurde den Menschen also
ihre Trennung von der Natur bewußt(15). Gleichzeitig steigerte
sich diese ins Unermeßliche. Dabei darf stets nicht nur die
äußere Natur, sondern muß stets auch die innere Natur in die
Betrachtung einbezogen werden. Mit Durchsetzung des Kapitalismus begannen alle
Menschen gleichermaßen Gefühl/Trieb/Instinkt vom Verstand zu
trennen. Damit war das bürgerliche Subjekt mitsamt seiner
protestantischen Ethik aus dem Geist des Kapitalismus
geboren (Weber). Aber: ER schuf sie als Mann und Weib (Altes
Testament, 1.Mose, 1.27). Der bürgerliche aufgeklärte Mann brauchte
stets zum Gegenbild die Frau. Der Mensch, vorher Gefühl und Verstand in
einem, mußte jetzt als Mann nur noch durchrationalisiertes Wesen
sein(16). Dazu mußte der Mensch als Frau zum rein sinnlichen,
rein natürlichen Wesen verklärt werden. Mit der Durchsetzung des
Kapitalismus war der aufgeklärte, sich die Welt untertan machende Mann
geboren ebenso jedoch sein Gegenstück, die sinnliche,
hingebungsfreudige aber auch sexuell gierige und ungezügelte, daher
hochgefährliche Frau.(17)
Überhaupt konnte sich die abstrakte Arbeit, die den Wert schafft, nur
durch die Durchsetzung dieser Spaltung entwickeln. Es mußte emotionale,
hingebungsfreudige, warmherzige Frauen geben, damit sich das kalte
männliche Prinzip der wertschaffenden Arbeit durchsetzen konnte. Damit
Männer ganztätig in die Produktion abwandern konnten, mußten
andere die Kindererziehung übernehmen. Damit der Arbeitstag des Mannes
einigermaßen erträglich wurde, mußte zu hause die sich
sehnende und dabei Haus und Kinder versorgende Frau auf den Plan treten. Daher
ist Roswitha Scholz zuzustimmen, wenn sie schreibt: Der Wert ist der Mann.
Diese Abspaltung muß als der Versuch einer Integration der Natur gedacht
werden. Nachdem das patriarchale Denken den durchrationalisierten Mann als
Maschine geschaffen hat, mußte die emotional-sinnliche Frau als Gegenbild
und Mittel der Identitätsfindung geschaffen werden. Gleichzeitig
mußte diese abgespaltene Natur aber auf irgendeinem Wege wieder
hereingeholt werden. Das männliche (Un)Bewußtsein
schickte sich also zu einer Rückholung des Weiblichen an. Damit
verdeutlicht sich die Unmöglichkeit einer völligen Lösung von
der Natur (was sich im sexistischen Haß auf die Frau
wiederspiegelt da die Frau durch die natürlichen
Eigenschaften, die ihr zugeschrieben wurden, an die gehaßte Natur
erinnert.). Gleichzeitig wird die Frau aber eben auch gebraucht, gerade weil
die Lösung von der Natur nicht vollständig möglich ist. Im
Gegenteil: je vollständiger die scheinbare Lösung, desto fester der
Naturzwang. Daher kam es zu Versuchen der Integration des
weiblich-natürlichen: Das geschah im Wesentlichen auf
zweierlei Art und Weise: entweder durch 1) die Reduktion des
Natürlichen der Frau, auf die Funktion des Gebährens und anderer
reiner Reproduktionsfunktionen wie Essenszubereitung und Kindererziehung
oder durch 2) die Umerziehung der Frau zum Mann: Frauen sollen das Bild
des Mannes nachahmen, indem sie Powerfrauen bzw.
Karrierefrauen werden. Ihr Weibliches besteht dann
immer noch darin, daß sie in den männlichen Bereichen schlechter
sind als der Mann. Eine Frau hat es bei aller Emanzipation
unendlich schwieriger sich in den Männerdomänen Arbeit, Politik und
Wissenschaft durchzusetzen. Nach wie vor sitzen in der Politik zu über 90%
Männer. Nicht anders sieht es im Wissenschaftsbetrieb oder in den
Chefetagen der Konzerne aus. Im ersten Fall wird Natur (die wilde,
ungezügelte, unberechenbare) domestiziert und verhausschweint. Im zweiten
Fall wird sie qualitativ angeglichen das Natürliche zeigt sich dann
nur noch als der quantitative Unterschied des schlechter-seins. In beiden
Fällen darf es dem männlichen Denken als beherrscht gelten.
Die männliche Beherrschung des Weiblich-Natürlichen
vollzog sich also auf zweierlei Art und Weise. Einmal als Verstümmelung
und Kanalisierung zur Gebärfähigkeit und dem Kult um sie
und einmal als Angleichung ans Männliche.
In diesen Kontext gehört die Entsexualisierung der Frau, die im 18./19.
Jahrhundert einsetzte. Die spätere bürgerliche Moderne definiert die
Frau nicht mehr als hemmungslos sexuelles Wesen, sondern als Ausgeburt der
Unschuldigkeit und Sittlichkeit und dagegen dann den Mann als Potenzwesen. Die
Natur erscheint jetzt als erfolgreich domestizierte, der bedrohliche Trieb
wurde scheinbar erfolgreich verhausschweint. Das männliche
Potenzwesen betrachtet Sexualität nur noch als
sexualökonomische Triebabfuhr mit dem Ziel des inneren Ausgleichs und des
möglichst perfekten Funktionierens im Verwertungsprozeß und die Frau
als Heimchen am Herd.
Es stellt sich nun die Frage nach der Bedeutsamkeit des
Geschlechterverhältnisses für die Herausbildung der Ideologien des
Rassismus und Antisemitismus. In bizarr verkehrter Art und Weise trifft Ralf in
seinem Text den Punkt: Antirassismus ist gleich Antisexismus. Beide
sind in der Ideologie wesensgleich (CEE IEH #82, S. 56). Nur ist es
vielmehr Ralfs Ideologie, in der beide gemäß der Logik seines
Denkens verkannt werden. Beide werden bei Ralf in ihrer Wichtigkeit
nicht zur Kenntnis genommen, weil er den ideologischen Zusammenhang von
Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Antisemitismus nicht zu fassen vermag.
Die Trennung von der Natur, die im patriarchalen Geschlechterverhältnis
ihren Ausdruck findet, ist die Grundlage der Herausbildung des
bürgerlichen männlichen Subjekts, welches diese Ideologien aus sich
heraus hervorbringt.
4.2. Bourgeois und Citoyen
Das von seiner Natur und seinem weiblichen Gegenbild getrennte
bürgerlich-männliche Subjekt ist seinerseits wesentlich ein
gespaltenes, selbstwidersprüchliches Wesen. Es muß als
Privatbürger (Bourgeois) einerseits um sein Privatwohl streiten und
andererseits als Staatsbürger (Citoyen) sich fürs Gemeinwohl, die
öffentlichen Angelegenheiten seines bürgerlichen Staates engagieren.
Es war stets der Trugschluß der bürgerlichen Ideologie, daß
sich diese gegensätzlichen Seiten vereinbaren lassen. Statt dessen
gräbt der Bourgeois im Subjekt dem Citoyen im selben Subjekt permanent das
Wasser ab. Die Einheit des Subjekts ist die Einheit von Dr. Jekyll und Mr.
Hyde. Die Tendenz zum krisenhaften Zerplatzen ist dem bürgerlichen Subjekt
von Anbeginn mitgegeben.
Auf der Grundlage der fundamentalen Abspaltung des bürgerlichen
Menschen von der/seiner Natur kommt das bürgerliche Subjekt nochmals und
zwar in anderer Hinsicht gespalten zur Welt: als Vertreter seines Privatwohls
und als Vertreter des Gemeinwohls kurzum: als Bourgeois und Citoyen. Die
vorher geschilderte Spaltung in Natur und Kultur, die die bürgerliche
Sphärentrennung und damit die Abgrenzung des bürgerlichen Mannes von
der Frau nach sich zieht, ist als Vorstufe, logische Grundlage der Spaltung in
Bourgeois in Citoyen zu betrachten. Sie ermöglicht abstrakte Arbeit,
Wertvergesellschaftung und den Warentausch und bringt damit die
fetischistischen Verhältnisse des Kapitalismus zur Welt. Erst innerhalb
dieses Rahmens kann die Teilung des bürgerlich-männlichen Subjekts in
Bourgeois und Citoyen betrachtet werden.
Nach den Vorstellungen der Vordenker des Kapitalismus, Smith und Ricardo,
sollen die beiden Seiten des bürgerlichen Subjekts, Privatwohl und
Gemeinwohl, perfekt ineinanderspielen. Das sollte so gehen: ich sorge
ausschließlich für mich und damit erledigt sich das Gemeinwohl quasi
von selbst. Der Unternehmer investiert ausschließlich in seinem eigenen
Interesse, schafft dabei aber Arbeitsplätze und produziert nützliche
Waren, die andere dann kaufen und verbrauchen können. Der Arbeiter geht
ausschließlich in seinem eigenen Interesse arbeiten, um sich und seine
Kinder mit Geld zu versorgen. Damit ist er gleichzeitig produktiv tätig,
stellt nützliche Güter her. So und ähnlich sollte die
Übereinstimmung funktionieren. Smith und Ricardo sahen bereits, daß
ein derart perfektes Zusammmenspiel von Privat- und Gemeininteresse oft nicht
erfolgt. Sie gingen jedoch davon aus, daß ein normales Funktionieren des
Kapitalismus zum Ausgleich führt. Also: die Weiterentwicklung des
Kapitalismus und ein größtmögliches Heraushalten des Staates
aus dem Wirtschaftsgeschehen sollen für ein reibungsloses und v.a.
krisenloses Funktionieren sorgen.
Erst Marx erkannte (und zwar bereits in seinen Frühschriften, wie der
Abhandlung Zur Judenfrage), daß zwischen dem Privat- und dem
Gemeininteresse des bürgerlichen, d.h. männlichen Subjekts
(Bösch) ein unlösbarer Widerspruch klafft. Das brachte Marx dazu,
seine Kritik der politischen Ökonomie die er im
Kapital entfaltet, als eine Krisentheorie zu
konzipieren(18).
Es zeigte sich nämlich, daß der Kapitalismus mit seiner
fortschreitenden Entwicklung zunehmend in zyklische Krisen(19)
verfällt. Deren Ursache ist genau dieses Auseinanderklaffen von Gemein-
und Privatwohl. Und das geht so: Ein Unternehmer muß, um im
kapitalistischen Wettbewerb mithalten zu können, immer mehr
Arbeitsplätze einsparen, also seine Produktion rationalisieren. Damit
schafft sich der Kapitalismus systematisch seine Substanz, die Arbeit ab. Der
Unternehmer dient dann gar nicht mehr dem Gemeinwohl der kapitalistischen
Gesellschaft, sondern er zerstört sie systematisch. Ebenso setzt der
Arbeiter an seinem Arbeitsplatz eben diese Rationalisierung durch seine
produzierende Tätigkeit um(20). Auch er dient nicht dem
Gemeinwohl, sondern gräbt seinem eigenen Arbeitsplatz und dem seiner
Klassenbrüder und -schwestern und damit letztendlich der gesamten
kapitalistischen Gesellschaft ebenso systematisch das Wasser ab. Genau das
jedoch muß er tun, genau wie der Unternehmer, um sich selbst in Lohn und
Brot zu versetzen. Der ideale Kapitalismus erweist sich also als eine
ideologische Fiktion die Krise hingegen als Wahrheit und
Zu-sich-selbst-kommen des Kapitalismus.
5. Bürgerliche Ideologien: Biologisierung des Sozialen und Einfacher Warentausch
5.1. Biologisierung des Sozialen
Ideologien sind einerseits geschlossene Denkweisen des bürgerlichen
Subjekts, die ihm seine Selbstwidersprüchlichkeit und Zerrissenheit
verschleiern und erträglich machen. Andererseits tragen diese Ideologien
unmittelbar jene Strukturen, die sie stabilisieren. Ideologien stiften oft
Gemeinschaften. So läßt sich die Wolfseinsamkeit und innere
Zerfetzung des bürgerlichen Subjekts am besten ertragen in der wohligen
Gemeinschaft, z.B. der Nation. Hier kann die innere
Selbstwidersprüchlichkeit auf eine halluzinierte Fremdgruppe abdelegiert
werden. Man behält die eine Seite des Widerspruchs bei sich und dichtet
die andere der Fremdgruppe an. Diese Fremdgruppe wird also nicht
gefürchtet, weil sie fremd ist, sondern gleichzeitig gebraucht und
gehaßt, weil sie zum eigenen Selbst gehört. Eine wesentliche
Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft ist die der Biologisierung des
Sozialen. Fremdgruppe und Eigengruppe werden als unveränderliche
biologisch gegebene Gemeinschaften betrachtet. Wenn man sonst auch rein gar
nichts ist, so ist man immer noch Mann und deutsch und
zwar von Natur aus es kann einem also keiner
nehmen. Ideologien und Gemeinschaften sind immer gefährlich.
Die Ferneren sind es, welche Eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und
schon wenn Ihr zu fünfen miteinander seid, muß immer ein sechster
sterben (Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra).
Der sozialistische Klassenkampf-Marxismus betrachtete Ideologien als
Denkweisen, die die bürgerliche Klassenherrschaft stützen. Eine
wertkritische Reformulierung der marxschen Theorie als Krisenlehre
läßt jedoch eine gleichzeitige Erweiterung wie begriffliche
Schärfung des Ideologiebegriffs zu. Ideologien sind so nicht mehr
Denkweisen, die die Klassenherrschaft stützen, sondern Denkweisen, die den
krisenhaften und fetischistischen Charakter des Kapitalismus verschleiern. Die
Ideologien behaupten dann, daß die krisenhafte Entwicklung dem
kapitalismus nicht weseneigen ist, sondern daß die Krise irgendwie von
außen oder durch persönliches, individuelles Verschulden von
Einzelpersonen zustande kommt. Sie behaupten also, daß man den
Kapitalismus schon in den Griff kriegen wird entweder durch
besonderes volkswirtschaftliches Geschick oder indem man einzelne Personen am
Ausleben ihrer Bereicherungssucht (die als Ursache der Krise
gesehen wird) hindert.
Doch zurück zum Kapitalismus in der Krise. Aus dem Gegensatz von Bourgeois
und Citoyen ergab sich die krisenhafte Logik des Kapitals. Die bürgerliche
Ideologie will nun diese krisenhafte Tendenz nicht wahrhaben. Sie macht daher
bestimmte Menschen für sie verantwortlich. Die krisenhafte Tendenz wird
abdelegiert. Es soll also bestimmte Menschen geben, die sich zwar als Bourgeois
aber nicht als Citoyen eignen. Juden sollen gemäß antisemitischer
Ideologie zwar gut für ihr eigenes Wohl sorgen können aber sich durch
ihr jüdisches Blut und ihren jüdischen Charakter nicht als
Sorgetragende für das Gemeinwohl eignen(21). Die Jüdinnen
und Juden werden somit zu Verantwortlichen für die Krise der
kapitalistischen Gesellschaft erklärt. Sie seien eben jene, die durch ihre
persönliche Bereicherungssucht und ihre priviligierte Stellung im
Finanzsystem die Krise auslösen würden.
Da das bürgerliche Subjekt einerseits als gespaltenes Wesen das Licht der
Welt erblickt und andererseits eine prekäre Existenz führt, lebt es
in einer permanenten Angst eine es bis tief in sein Mark durchdringenden
Existenzangst. Die Ursache seiner prekären Existenz besteht in der
Tatsache, daß es nicht weiß, ob es ihm gelingen wird, seine in der
Produktion geschaffenen Werte auch tatsächlich auf dem Markt realisieren
zu können. Als UntermnehmerIn weiß es nicht, ob es seine oder ihre
Produkte je wird verkaufen können und als ArbeiterIn weiß es nicht,
ob es seine Arbeitskraft, die es verkaufen muß, um zu überleben, je
wird verkaufen können.
DER RASSISMUS ALS BÜRGERLICHE IDEOLOGIE Um dieser Angst HERR zu
werden, versucht es sich nach zwei Seiten hin abzugrenzen. Als Bourgeois
muß es sich betriebswirtschaftlich durchrationalisieren, um für sein
eigenes Wohl sorgen zu können. Es muß dem Kapital beweisen,
daß es ein fleißiger Arbeiter ist, eine positive Einstellung zur
Arbeit hat und über eine starke Gesundheit verfügt. Dazu muß es
sich erfolgreich von seiner inneren Natur, seiner Instinkt- und Triebwelt
abgrenzen und ihnen entsagen. Es muß klarstellen, daß es ein Wesen
ist, daß früh am Morgen nicht dem Instinkt frönt, lieber doch
im Bett zu bleiben, sondern lieber in alter Frische am Arbeitsplatz
erscheint.
Als Bourgeois muß sich das bürgerliche Subjekt somit von der Natur
absetzen. Durch Mechanismen der Projektion entsteht dadurch der Haß auf
die minderwertigen Fremdrassigen, die »Neger« und
»Wilden«. Der Fremdrassige wird vom bürgerlichen
Bewußtsein auf Natur reduziert und in panischer Angst verfolgt.
»Der Neger« ist dabei eigentlich die innere Realität des
Menschen, der sich zum Bourgeois verstümmeln mußte, seine Trieb- und
Gefühlswelt in sich niedermachen mußte.
DER ANTISEMITISMUS ALS BÜRGERLICHE IDEOLOGIE: Als Citoyen
muß sich das bürgerliche Subjekt nunmehr »vom Juden«
absetzen. Daß das Gemeinwohl nicht dergestalt funktioniert, wie es es
sich erträumt, dafür müssen in panischer Angst andere
verantwortlich gemacht werden. Der Jude, angeblich unfähig dazu, sich mit
anderen zu vergesellschaften, wird zum Verantwortlichen für
gesellschaftliche Krisenerscheinungen erklärt, die doch in Wirklichkeit
nur aus der inneren Funktionsweise des bürgerlichen Subjekts und seines
kapitalistischen Systems resultieren.
Der abstrakte gesellschaftliche Zusammenhang, der sich fetischistisch
jenseits des Willens des bürgerlichen Subjekts vollzieht und zur Krise
tendiert, wird also biologisiert in Gestalt des Juden. Rassismus und
Antisemitismus erweisen sich somit als zwei Seiten ein und derselben
Biologisierung des Sozialen. Das bürgerliche Subjekt setzt aus sich heraus
den Haß auf halluzinierte potenzstarke Muskelpakete wie auf
gleichermaßen halluzinierte geheimnisvolle Verschwörer und
Verführer kurz: es setzt aus sich heraus den Haß auf
»den Neger« und »den Juden« zu denen die
Halluzinationen verdinglicht werden.
Das bürgerliche Subjekt wünscht sich die kapitalistische
Gesellschaft nicht als krisenhaftes prekäres Gebilde, sondern als
wohlgeordnetes harmonisches Gefüge als einen sozialen Organismus.
»Neger« und »Juden« werden so zu Fremdkörpern
in diesem ganzheitlichen Gefüge die seine angeblich
vollkommene Ordnung zu gefährden drohen. Damit wird weghalluziniert,
daß der Kapitalismus als System in Wahrheit gar nicht harmonisch und
vollkommen, sondern im Gegenteil: Selbstwidersprüchlich von Anbeginn ist.
Die Biologisierung des Sozialen umfaßt also nicht nur die
Anderen, die »Neger« und »Juden«,
sondern auch das Eigene die als ganzheitlich gewünschte
organisch geordnete Volksgemeinschaft. Auch der Kapitalismus selbst wird
wiederum als organisch-biologisches Gefüge betrachtet.
5.2. Die Krise als Wahrheit des Kapitals
Selbstwidersprüchlichkeit und Zerrissenheit ist die Wahrheit der
bürgerlichen Gesellschaft auf all ihren Ebenen. Das bürgerliche
Subjekt beruht auf der Trennung von der Natur, obwohl es selbst nichts als
Natur ist. Sein Funktionieren gründet auf dem unauflöslichen
Gegensatz zwischen Privatwohl und Gemeinwohl. Aufgrund ökonomischer
Gesetzmäßigkeiten schlittert auch das kapitalistische System als
solches unaufhaltsam ins Stadium seiner es beendenden Krise.
Man wünscht sich einen Kapitalismus ohne Banken und Börse, ohne
zinstragendes Kapital, die zur Ursache der krisenhaften Entwicklung gesponnen
werden. Daß es eine Entwicklung des Kapitalismus jenseits von Zins und
Kredit gar nicht geben kann, bleibt der bürgerlichen Ideologie
verborgen(22). Daher soll es im Folgenden erklärt werden.
Auf einer bestimmten Entwicklungsstufe des kapitalistischen Systems waren
Banken erforderlich, um eine Weiterentwicklung in wert- und warenförmiger
Gestalt zu ermöglichen. Kapitalismus geht nur bei quasi unbegrenztem
wirtschaftlichen Wachstum. Auf jener Stufe und die war gegen Ende des
19. Jhd. erreicht, war es einzelnen Unternehmern nicht mehr möglich,
derartig hohe Investitionsummen aufzubringen. Sie mußten sich daher
Anleihen von den entstehenden Banken nehmen den Kredit. Damit
verändert der Kapitalismus sein Wesen. Das Kapital teilte sich auf in
Realkapital und zinstragendes Kapital. Das Realkapital ist das
produzierende, das zinstragende das Geldleihende. Damit entsteht neben einem
Waren- und Arbeitsmarkt nun auch ein Geldmarkt. Das Geld wird zur Ware und
bekommt seinen Preis den Zins.
Mit der weiteren Entwicklung des Kapitalismus teilte sich dann auch das
Realkapital nochmals auf. Es gibt nun nicht mehr einzelne Unternehmer, die
Investitionen durchführen, sondern es kommt zur Herausbildung von
Aktiengesellschaften. Das Realkapital gehört dann nicht mehr einem
einzelnen Kapitalisten, sondern einer Gruppe von Aktionären. Sie haben am
Kapital ihre Aktien, es gehört ihnen also nur anteilig. Die Aktie
ihrerseits wirft einen doppelten Gewinn ab. Einerseits den realen Gewinn durch
reale Produktion, der sich in der Aktie wiederspiegelt die
Dividente. Andererseits wird die künftige Entwicklung, die
vorausgeahnte und vorausgehoffte Produktionssteigerung zum Objekt der
Spekulation die sich im Aktienkurs ausdrückt. Damit
entsteht die Börse, an der über künftige
ökonomische Entwicklungen spekuliert wird.
Die Aktiengesellschaften ihrerseits stellen nun wiederum ein Management,
daß mit der Verwaltung und betriebswirtschaftlichen Durchrationalisierung
der Produktion beauftragt wird, ein(23).
Diese Entwicklung entspringt unmittelbar dem Wesen des Kapitalismus. Ohne
Börse ist moderner Kapitalismus nicht funktionsfähig. An dem Punkt
aber, an dem die reale Produktion hinter der erhofften Entwicklung
zurückbleibt, droht das kapitalistische System aus seiner immanten
Krisendynamik heraus zu zerbrechen. Einen Eindruck davon vermittelte der
Gründerkrach in Deutschland am Ende des 19. Jhd. Die Unternehmen konnten
das geliehene Kapital nicht mehr zurückzahlen, die Kredite erwiesen sich
als faule und die Finanzblase zerplatze. In der Folge gingen die Unternehmen
bankrott, die reale Produktion die am Tropf der Banken hing, brach in sich
zusammen.
Die Ursache der Krise wurde aber nicht aus dem Kapitalismus selbst
erklärt, sondern eben jenen Banken angelastet. Und dieses abstrakte und
undurchschaute Bankensystem wurde wiederum »im Juden«
personifiziert.
Daraus entstand die Wahnvorstellung: Der Kapitalismus sollte von seiner
Krisenhaftigkeit, also von Bank und Börse befreit werden, indem zur
Vernichtung der Jüdinnen und Juden aufgerufen wurde, die man zu den
Verantwortlichen der Krise halluzinierte.
Die beschriebene Wandlung des Kapitalismus muß als ein fortgesetztes
Zu-sich-selbst-kommen des Kapitalismus interpretiert werden. Das die konkreten
UnternehmerInnensubjekte verschwinden, abstrakten Aktiengesellschaften und
einem zu LohnempfängerInnen degradierten Management Platz machen, stellt
eine weitere Durchsetzung und Verschärfung fetischistischer
Verhältnisse dar. Damit wird das Management zu einem neuen Feindbild der
bürgerlichen Ideologie. Für krisenhafte Erscheinungen wird dann nicht
mehr der Kapitalismus selbst, sondern die Nieten in Nadelstreifen
verantwortlich gemacht. Ihr ungeschicktes managen bzw. ihre Unmenschlichkeit
(weil sie Arbeitskräfte entlassen) wird dann für krisenhafte
Entwicklungen als Erklärung herangezogen. Dabei erledigen Manager nichts
als ihren Job, den sie nun mal im Kapitalismus tun müssen(24):
Betriebe durchrationalisieren, damit sie marktfähig bleiben.
Diese weitere Durchsetzung fetischistischer Verhältnisse gibt dann den
Anreiz zu weiterer biologistischer Verklärung der Gesellschaft. Mit
der Durchsetzung des zinstragenden Kapitals und der Börse als Zentrum
kapitalistischer Wirtschaft wird der Kapitalismus immer schwerer geistig
durchdringbar. Der und die einzelne werden zu unbedeutenden Rädchen in
einem System. Damit kommt es auch zu einer ideologischen Rückbildung. War
die ArbeiterIn des 19. Jahrhunderts noch vom Glauben an eine sozialistische
Gesellschaft beseelt, die durch politischen Kampf durchgesetzt werden
könnte, womit es individuell nötig wurde sich politisch und
philosophisch zu bilden, so entfällt dem arbeitenden Menschen des 20.
Jahrhunderts diese Notwendigkeit. Er erkennt, daß er nichts mehr
ausrichten kann und damit verfällt gleichzeitig sein Bewußtsein.
Warum sich bilden, wenn man sowieso nichts erreichen kann? Ebenso geht es dem
bürgerlichen Unternehmersubjekt. Der gebildete Selbstständige wird
zum Teil abstrakter Aktiengesellschaften, die Notwendigkeit selbst gebildet zu
sein, entfällt. Gleichzeitig wächst in diesen völlig
subjektlosen Verhältnissen das Bedürfnis, sich die Welt
irgendwie zu erklären. Es wächst das Bedürfnis nach
obskuren Heilslehren und bizarren religiösen Denksystemen wie der
Esoterik. Gesellschaft wird immer weniger wirklich wie Gesellschaft, dafür
immer mehr wie Natur erfahren. Der Grund: die Möglichkeiten individueller
Einflußnahme nehmen rapide ab. Denksysteme, die sich die Gesellschaft als
Natur erklären, gewinnen demzufolge an Boden, da sie wirkliches Denken und
Fühlen des Menschen in einer Gesellschaft, die sich unabhängig von
ihnen, also wie Natur vollzieht, aufgreifen. In diesem Kontext gewinnen
Rassismus und Antisemitismus als Ideologien der Biologisierung des Sozialen an
Massenbasis.
5.3. Kapitalismus ohne Bank und Börse? Einfacher Warentausch
Die Krisenlogik des kapitalistischen Systems wurde von seinen
BefürworterInnen stets geahnt aber nie wirklich zur Kenntnis genommen
(leider ist das die bindende Klammer linker und bürgerlicher
Gesellschaftstheorien nur das die Linken meist noch nicht
einmal eine Ahnung von Krise haben von wenigen löblichen Ausnahmen
abgesehen). Dieser Widerspruch war der Anreiz diverser Wirtschafts- und
Gesellschaftstheorien, die darauf abzielten, den Kapitalismus ohne Krise zu
schaffen, obwohl doch die Krise sein Wesen ist. Oft laufen diese darauf hinaus,
Gesellschaft zu biologisieren und zu personalisieren und die Ursache der Krise
nach außen, auf eine Fremdgruppe zu verlagern, die dann mindestens
ruhiggestellt werden muß.
Eine ihrer wichtigsten Ausprägungsformen ist die Ideologie des
einfachen Warentauschs. Das Bedrohliche am Kapitalismus soll in ihm
ausgeschaltet werden, dabei aber der Kapitalismus selbst beibehalten werden. Es
geht ihr um einen Kapitalismus ohne die vorherrschende Rolle der Banken und des
Zinses/Kredits. Das war der Kern des nationalsozialistischen Programms der
Brechung der Zinsknechtschaft.
Allerdings blieb diese Ideologie keineswegs auf die extreme Rechte
beschränkt, sondern drang bis weit in linke und linksradikale
Gesellschaftskonzepte vor. Es war ebenso Kern der sozialistischen
Ökonomie, die die Produkte zu ihrem wirklichen Wert tauschen wollte
und den ArbeiterInnen einen gerechten Lohn durch staatliche
Unternehmen versprach.
Da das Wesen der Kritik darin besteht zunächst die Wahrheit des
Kritisierten zu erkennen, muß zunächst festgestellt werden,
daß die Ideologie des einfachen Warentauschs die Teilung des Kapitals in
reales und zinstragendes erkennt. Dann aber hebt sie ab. Sie stellt sich in
Folge willkürlich auf die eine Seite des Widerspruchs: die glorifiziert
das reale (=schaffende) und denunziert das zinstragende (=raffende) Kapital.
Sie verkennt, das moderner Kapitalismus diese Spaltung zu seiner Fortexistenz
notwendig braucht. Sie erträumt sich einen quasi vormodernen Kapitalismus,
in dem zwar Waren produziert und getauscht, in dem gearbeitet wird aber
sie will die Schattenseiten dieser Entwicklung abschaffen. Sie will die Arbeit
ohne die Arbeitslosigkeit, sie will die betriebwirtschaftliche Gestaltung der
Produktion aber sie will nicht durch sie auf die Straße geworfen werden.
Sie will den Kapitalismus ohne die Krise. Sie will das Wertvolle und
Wertschaffende aber sie will nicht vom Wert an der Wand zerdrückt werden.
Sie will den Pelz waschen, ohne ihn naß zu machen.
Diese Ideologie des Einfachen Warentauschs ist eng mit rassistischem und
antisemitischem Denken verquickt und ohne dieses nicht zu denken. Sie steht
für das bürgerliche Subjekt, daß sich als Citoyen panisch von
Banken und Börse den unheimlichen Mächten des Kapitalismus
abgrenzt und seine Arbeitsfähigkeit und marktwirtschaftliche
Tüchtigkeit als Bourgeois permanent unter Beweis stellen will. Daß
es gesamtgesellschaftlich nicht klappt, wie es kleinbürgerlich vom
gesunden Menschenverstanderträumt wird, dafür werden
andere schuldig gemacht. In seinem Haß auf Juden und Neger ist das
bürgerlicher Subjekt mit seiner eigenen Endlichkeit und logischen
Unmöglichkeit konfrontiert. Die Sozialschmarotzer und Absahner egal
ob als Nichtstuer und Versager in den Chefetagen oder als ebensolche in den
Wartezimmern der Sozial/Arbeitsämter und in den AsylbewerberInnenheimen
stellen der BürgerIn die theoretische Unmöglichkeit und praktische
zeitlich befristete Existenz entgegen. Das »Andere«
erweist sich dem bürgerlichen Subjekt als das Andere seiner selbst und
Rassismus und Antisemitismus als logische Konsequenzen bürgerlicher
Gesellschaft.
6. Thesen und Abschluß
Unser Ausgangspunkt war die Notwendigkeit antirassistischer Kritik
als Teil einer Kapitalismuskritik. Gerade das Herunterkommen von
Antirassismus zu Multikulti ist ein Grund, um auf einer tiefgehenden Kritik des
Rassismus zu bestehen. Ohne sie ist eine Überwindung des Kapitalismus
nicht zu haben. Die Kritik an ihm wäre sonst eine verkürzte und in
ihrer Einseitigkeit latent gefährliche.
Rassismus und Antisemitismus verhalten sich spiegelbildlich
zueinander. Eines ist ohne das andere nicht zu haben und auch nicht zu
kritisieren. Keine Antisemitismuskritik ohne Rassismuskritik.
Während der Rassismus Angehörige fremder Rassen zu
Untermenschen erklärt, halluziniert sich der Antisemitismus Jüdinnen
und Juden zu gemeingefährlichen Verführern und Verschwörern.
Rassismus und Antisemitismus sind begrifflich gemeinsam als Biologisierung
des Sozialen zu fassen sie verklären gesellschaftliche
Vorgänge zu natürlichen. Sie sind Ideologien und resultieren
als solche aus der kapitalistischen Gesellschaft. Nur aus ihr heraus
können sie verstanden werden.
Der Kapitalismus als wertvergesellschaftete Gesellschaft ist
zwangsläufig fetischistisch. Fetischistische Gesellschaften werden
nicht bewußt von ihren Mitgliedern gestaltet. Sie vollziehen sich hinter
den Rücken ihrer Mitglieder und unterwerfen diese sich. Der Kapitalismus
ist eine Herrschaft ohne Herrschende. Eine Fetisch-Gesellschaft ist eine vom
Menschen geschaffene zweite Natur eine unkontrollierbare
Macht.
Die Durchsetzung des Prinzips der abstrakten Arbeit, daß im
Kapitalismus bestimmend ist, setzt sein Gegenteil voraus: die sinnliche und
hingebungsvolle Frau. Bürgerliche Gesellschaft basiert auf radikaler
Trennung von der Natur, die gleichsam unerträglich ist und von ihren
Mitgliedern immer wieder aufs neue versucht wird, zu meistern. Die
fundamentale Trennung von der Natur und das patriarchale
Geschlechterverhältnis können als Urgrund der Ideologie der
Biologisierung des Sozialen begriffen werden: die abstrakte Ablösung der
bürgerlichen Gesellschaft von der Natur bedingt ihr blindes naturhaftes
Sich-Vollstrecken und als Ideologie die biologistische Verklärung
gesellschaftlicher Verhältnisse. Eine Gesellschaft, die sich wie Natur,
also unkontrolliert vollstreckt, bringt logischerweise Denkweisen
hervor, die Gesellschaft für Natur halten.
Auch das bürgerliche Subjekt als Funktionseinheit der
Fetisch-Gesellschaft selbst ist wiederum von Anbeginn gespalten. Jedes
bürgerliche Subjekt enthält den unauflösbaren Widerspruch von
Privatwohl und Gemeinwohl, der das kapitalistische System zur Krise
treibt. Auch diese wird von der bürgerlichen Ideologie wieder rassistisch
und antisemitisch gedacht. Die Ideologie der Biologisierung des Sozialen
wünscht sich einen Kapitalismus von seinen krisenhaften Elementen
»bereinigt«.
Die Ideologien des Rassismus und Antisemitismus resultieren unmittelbar
aus der kapitalistischen Gesellschaft. Es sind Denkweisen des bürgerlichen
Subjekts, die dieses zu seiner Abgrenzung benötigt.
1) Gegen angebliche geheimnisvolle Mächte: die unverstandene
kapitalistische Gesellschaft, also die menschlich geschaffene zweite Natur: Als
Citoyen (Staatsbürger) muß sich das bürgerliche Subjekt von den
angeblich unheimlichen zersetzenden Mächten abgrenzen, die im
»Juden« verdinglicht werden.
2) Gegen den eigenen (psychischen) Zerfall: als Bourgeois (Privatbürger)
muß das bürgerliche Subjekt beweisen, daß es arbeitsfähig
ist und sich von seinen Trieben und seinem psychischen Zerfall abgrenzen
wobei es dies über Absetzung von den als naturhaft gedachten
Fremdrassigen zu realisieren versucht.
Als Funktionseinheit der Fetisch-Gesellschaft bringt das
bürgerliche Subjekt zwanghaft Ideologien der Biologisierung des Sozialen
in seinem Denken hervor.
Abschließend noch ein paar Gedanken zum Antirassismus als
Rückendeckung von Ralf. Deshalb ist der Antirassismus als
unfreiwilliger Propagandist der Kapitalherrschaft zu kritisieren. Er will nicht
etwa die Verhältnisse umwälzen, sondern sie in eine veränderte
Form bringen, die aber objektiv nicht mal eine veränderte ist.
(55) Rassismuskritik wäre also laut Ralf nur etwas, was dafür Sorge
trägt, daß sich alle gleichermaßen verWERTen können.
Schauen wir also, was der Ralf an Alternativen zu diesem Programm zu
proklamieren weiß: Gerade diese ganze bürgerliche
Herrschaft zu denken, verlangt nicht etwa Neutralität, sondern die
Verteidigung der Aufrechterhaltung des Glücksversprechens. Die
Verwirklichung dieses Versprechens ist nur durch das bürgerliche
Glücksversprechen hindurch und nicht etwa an ihm vorbei
möglich. (57) Wer Kapitalismus am eigenen Leibe erfährt,
muß über die Bedeutung dieser Sätze aufgeklärt werden. So
ohne weiteres kommt man nämlich nicht darauf, in der Durchsetzung des
Kapitalismus ein Glücksversprechen hineinzudeuten. Aber genau
so ist es tatsächlich gemeint. Die Verwandlung der Erde in eine Wüste
durch die sich über sie hinwegwälzende Selbstverwertung des Wertes,
also die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die
körperliche Verstümmelung von Menschen in der kapitalistischen
Maschinerie und das maßlose weltweite Elend, in das das kapitalistische
System die Menschheit stürzte, weiß uns der Ralf also als
Glücksversprechen zu deuten.
Die Terroranschläge vom 11. September besiegeln die Grenze und
damit das Ende des Antirassismus und seines Multikultiprogramms. Sie verlangen
als Konsequenz eine Parteinahme ohne Lamento für westliche Werte
(59)
Es ist also augenscheinlich nicht der Antirassismus, der die Verhältnisse
nicht umwälzen will, sondern vielmehr der Ralf. Das einzige, was dieser
uns als Kapitalismuskritik empfiehlt ist nämlich die Verteidigung der
westlichen Werte und das barbarische Durchbomben irgendeines
Glücksversprechens der kapitalistischen Gesellschaft. Da
bleibt uns wohl nur noch die sehnsüchtige Hoffnung, daß wir von der
Erfüllung des Glücksversprechens des Ralf verschont bleiben.
Martin D.
Fussnoten:
(1) In Durban fand gleichzeitig zur Dritten Weltkonferenz gegen
Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz ein
Gegengipfel von 3000 NGOs statt. Dieser wollte die Stimme der
unterdrückten Völker in anderer Weise zu Gehör bringen,
Solidarität mit den Palästinensern bekunden. Damit wollten sie
Israel zum Hauptangeklagten der Konferenz machen. (Le Monde
Diplomatique, zitiert nach CEE IEH #82, S. 52)
(2) Die praktischen und theoretischen
Leistungen der Bahamas
bei der Kritik antisemitischer Tendenzen in der Linken und bei der Verteidigung
des Staates Israel die heute dringender denn je nötig ist
soll mit dieser Aussage nicht geschmählert werden. Andererseits zeigen die
Äußerungen der Bahamas über Sexismus (Infantile
Inquisition), ihre Beschäftigung mit Rassismus und Antirassismus sowie mit
den Ereignissen nach dem 11. September 2001, daß die Bahamas
hinter einer kritischen Theorie der Gesellschaft immer weiter
zurückfällt. So falsch die Diffamierungen des Blattes als
biologistisch-rassistisch-sexistisch durch Artikel in der
Interim auch immer sein mögen, so richtig ist doch, auch in dieser
Kritik den wahren Kern zu suchen.
(3) erste Rassenklassifikationen, z.B: nach Karl von Linné,
bestimmen die afrikanische Rasse als triebgesteuert im Unterschied zum
vernunftgeleiteten Europäer. Andere Abhandlungen mutmaßen über
die Entstehung der afrikanischen Rasse durch Kreuzungen zwischen weißen
Frauen und Menschenaffen.
(4) So war es Teil der NS-Ideologie Marx, den Juden, zu bezichtigen,
er habe die Klassen und somit den Klassenkampf »erfunden« um
Zwist in die Volksgemeinschaft zu tragen.
(5) Als Gründerkrach bezeichnet man den 1873
erfolgten Zusammenbruch zahlreicher in der vorangegangenen
Gründerzeit (1871-1873) gebildeten Unternehmen.
Ursächlich für den Zusammenbruch sei die wilde
Spekulation gewesen, hinter der vor allem das als jüdisch gedachte
zinstragende Kapital gestanden hätte. In der Folge dieses Kraches kam es
zur Entstehung einer starken antisemitischen Massenbewegung in Deutschland und
einer regen antisemitischen Theoriebildung (vgl. hierzu: Losemann, Volker:
Rassenideologien und antisemitische Publizistik in Deutschland im 19. und 20.
Jahrhundert, in: Benz/Bergmann: Vorurteil und Völkermord.
Entwicklungslinien des Antisemitismus).
(6) Die antisemitische Brandmarkung von Jüdinnen und Juden als
Untermenschen steht dem nicht im Wege. Ihr angebliches
Untermenschentum wurde mit ihrer körperlichen Schwäche, ihrer
angeblichen Unfähigkeit zur Arbeit begründet. Die immensen
intellektuellen Stärken und ihre Verschwörungen benutze sie angeblich
zum Ausgleich dieser Schwäche.
(7) Das sie anfangs so etwas wie eine Klassensolidarität
entwickelten widerspricht dem nicht. Diese war zur krassen Durchsetzung des
Kapitalismus geradezu notwenig. Die ArbeiterInnenbewegung war ein wesentlicher
Modernisierungsfaktor im Kapitalismus. Das Verschwinden der
ArbeiterInnenbewegung nach dem zweiten Weltkrieg ist aber keine Wiederlegung
der marxschen Ideen (nach dem Motto: es gibt doch gar keine Klassen mehr, also
kann es auch keine Revolution geben pp.). Erstens gibt es diese Klassen auch
ohne jegliches Klassenbewußtsein und zweitens spricht die Durchsetzung
des Gefühls und der Realität der Vereinzelung (und zwar einer
völligen und totalen Vereinzelung) gerade für die marxsche
Analyse.
(8) Nicht nur Wohlstand, sonder auch Anstand ist nach Smith Ergebnis
des kapitalistischen Wirtschaftens. Der Begriff des Wertes hat bei
Smith bereits seine ihm eigentümliche Doppelbedeutung. Neben seinem
Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen schrieb er auch eine
Theorie der moralischen Gefühle. Nicht nur Produkte haben bei
Smith Werte, sondern auch Menschen. Alles Gerede vom Wert der Sittlichkeit, des
Anstandes, der Selbstbestimmung ist also schon bei Smith zu finden.
(9) Die Phase großen Wohlstandes in Nordamerika (hier allerdings
nur teilweise), Japan (auch hier angesichts von Tod durch
Überarbeitung Karoshi nur teilweise) und der EU (wenn
man mal von Großbritannien, Irland, Spanien, Portugal, Griechenland und
Süditalien absieht) schien solche Vermutungen zu bestätigen. Heute
scheint es eher so auszusehen, als ob die Forderungen der Arbeitenden nach
gleichen Löhnen in Ost und West sehr wohl eingelöst
würden aber zuungunsten des Ostens wie des Westens
nämlich durch Lohnsenkungen im Westen
(10) Teilweise, ja sogar überwiegend dachte es sogar noch Marx
selbst und die Marxisten nach ihm sowieso. Tatsächlich
war Marx nur selten auf der Höhe seines eigenen Denkens. In Anlehnung an
Robert Kurz Aufsatz Postmarxismus und Arbeitsfetisch bezieh
ich mich ausschließlich auf einen esoterischen (wert- ,
fortschritts- und arbeitskritischen) gar nicht auf einen
exoterischen, Klassenkampf-, Arbeits- und Fortschrittsmarx, also
jenen der DDR, Sowjetunion, China etc.
(11) Der Wert ist eben nicht meßbar, also etwa in Zahlen
(5 Wert) oder Kilogramm (in diesem Kartoffelsack stecken 20
kg Wert). Er ist eben wesentlich ein gesellschaftliches, abstraktes,
nicht-greifbares Etwas. Daher ist er eher eine Ungröße als eine
Größe.
(12) Daß sich Gesellschaft jenseits des bewußten Handelns
der Menschen vollzieht, wußte bereits die bürgerliche Ökonomie
(Smith, Ricardo) und Philosophie (Hegel). Sie dachten eine sich jenseits des
Handelns vollziehende Vernunft in der Geschichte. Entgegen der Vorwürfe
gegen ihn und entgegen der Verstümmelungen von Marx durch die MarxistInnen
entdeckte er das genaue Gegenteil nicht vernünftig, sondern gerade
unvernüftig und sinnwidrig entwickelt sich der Kapitalismus. Erst seine
Überwindung kann vernünftige gesellschaftliche Zustände
schaffen, in denen nicht um Profitmaximierung sondern der
Bedürfnisbefriedigung wegen produziert wird, die Ökonomie also nicht
mehr den Menschen bestimmt, sondern der Mensch die Ökonomie.
(13) Das kindliche Beherrschen der Ausscheidungsfunktion wird von
Freud als grundlegend für den Eintritt in die menschliche Zivilisation
gefeiert (Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie) und
gleichzeitig als wesentliche Ursache für das psychische Erkranken in
dieser entschlüsselt (Das Unbehagen in der Kultur).
(14) Das soll nicht heißen, daß der Tagesablauf eines
mittelalterlichen Bauern nicht unter Umständen auch gegliedert war. Aber
er war nach anderen Gesichtspunkten gegliedert als der des heutigen Menschen.
Er war nach der Produktion des Bauern für Bedürfnisproduktion (und
sei es der Bedürfnisse der Lehnsherren) gegliedert. Für den Anbau der
Pflanzen war es unerheblich, für wen sie angepflanzt und abgeerntet
wurden. In der kapitalistischen Landwirtschaft geht es hingegen gar nicht mehr
um Bedürfnisbefriedigung. Hier steht einzig und allein die
Profitmaximierung im Mittelpunkt. In der kapitalistischen Landwirtschaft werden
Kartoffeln von Bauern weder für den Anbauenden noch für den Besitzer
des Feldes oder wen auch immer angebaut, sondern nur für die
Erwirtschaftung von Geld, welches immer und immer wieder nur einem einzigen
Zweck dienen wird: neue Kartoffeln anzubauen.
(15) Dass bedeutet nicht, daß es bereits vorher Denkweisen gab,
die diese Trennung auf den Punkt brachten. Die Schöpfungsgeschichte des
Alten Testaments und die griechischen Philosophie mögen als Beispiele
genügen. Die Frage ist aber, wie sehr diese Schriften im Bewußtsein
der Menschen verankert waren.
(16) Freilich ist keine Frau völlig sinnlich-emotional und kein
Mann rein rational. Vielmehr mußte sich der bürgerliche Mann
verhalten, als ob er 100% rational sei und es wurde gemeinhin auch
geglaubt. Erst Nietzsche und nach ihm Freud entschlüsselten die
bürgerliche Rationalität als triebgesteuerte
nur das dies gemeinhin nicht bewußt ist: Die
intellektuelle Tätigkeit ragt tief ins Triebleben der Menschen hinein.
Das, was herkömmliche Erkenntnistheorie Denkvermögen nennt, ist nur
die nach außen gekehrte Firnisschicht eines inneren Vorgangs, von dem der
Erkennende unmittelbar kein Bewußtsein hat und ohne den er nie zu
Bewußtsein käme (Christoph Türcke: Der tolle Mensch
Nietzsche und der Wahnsinn der Vernunft, S.: 84)
(17) Man wird mir hier entgegenhalten, daß es Frauen
und Männer schon vor dem Kapitalismus gab. Das ist richtig.
Und es gab auch schon ein Patriarchat, sowie eine brutale und bestialische
Frauenunterdrückung. Aber es gab nicht die klaren, eindeutigen
charakterlichen Zuschreibungen des rationalen Mannes und der irrationalen,
emotionalen Frau. Man kann mir wiederum entgegenhalten, daß die Frau auch
in der Bibel schon dergestalt dargestellt wird. Und hat damit abermals recht.
Aber: nochmals wie verbreitet waren diese Bilder? Luther schuf am
Morgengrauen des Kapitalismus seine Bibelübersetzung aus dem Lateinischen
ins Deutsche. Vorher waren diese Texte dem gemeinen Volk nicht zugänglich.
Auch die ersten deutschen Predigten fanden erst nach Luther in deutscher
Sprache statt. Es verhält sich also so, daß das Bild von Mann und
Frau in der Bibel erst mit Beginn kapitalistischer Vergesellschaftung von den
breiten Massen rezipiert wurde.
(18) Das heißt nicht, daß Das Kapital auch
immer als Krisentheorie aufgegriffen wurde. Im Gegenteil: Der traditionelle
Marxismus dachte die marxsche Lehre als krude Fortschrittslehre. Überhaupt
war der traditionelle Marxismus nichts besseres als ein
Klassenkampf-Liberalismus für ArbeiterInnen (also letztlich eine Ideologie
des sich immer weiter durchsetzenden Kapitalismus). Zwar sprach auch die
alte Sozialdemokratie (August Bebel zum Beispiel) von der Krise: dem
großen Kladderadatsch. Dieser wurde aber keineswegs als
Zusammenbruch der kapitalistischen Ökonomie, sondern als deren
umfassendere und perfektere Fortführung unter proletarischer Führung
gedacht. Also nicht als Ende der betriebswirtschaftlichen Logik, sondern als
Beginn einer noch perfekteren, noch effizienteren, noch totaleren
Gesellschaftsordnung.
(19) Nach Marx vollzieht sich die Entwicklung des Kapitalismus in Form
zyklischer Krisen. Sie treten periodisch auf. Die Geschichte des Kapitalismus
ist also ein Abfolge von Phasen des Wachstums und darauf folgenden Phasen des
Zusammenbruchs. Diese Krisen verschärfen sich mit zunehmender Durchsetzung
des Kapitalverhältnisses. Da immer umfassendere Bereiche der Gesellschaft
durchkapitalisiert werden, werden auch immer größere Teile der
Gesellschaft von der Krise umfaßt. Während also anfangs nur
Teilbereiche der Wirtschaft von der Krise erfaßt werden, weitet sich ihre
durchschlagende Kraft immer weiter aus. Das geht immer so weiter, bis
schließlich die gesamte Gesellschaft vom Kapitalverhältnis
erfaßt wird und dann auch als Ganzes von der nunmehr nicht nicht mehr
zyklischen sondern vielmehr finalen Krise erfaßt wird.
(20) Die ArbeiterInnen selbst sind es schließlich, die durch
ihre Tätigkeit jene Rationalisierung, die sie auf die Straße wirft,
umsetzen. Die ArbeiterIn in der Computerfirma entwickelt selbst jene
Technologien, die ihren Arbeitsplatz schließlich überflüssig
macht.
(21) Ein jüdischer Charakter wurde über die
Abstammung der Jüdinnen und Juden von einem nomadisch lebenden
Wüstenvolk begründet. Ihr Wesen sei das freie, ungezügelte
Umherschweifen. Die Deutschen hingegen seien ein mit ihrer angestammten Heimat
verwurzeltes Waldvolk mit inniger Fühlung zum Bodenständigen. Ein
friedliches Nebeneinanderleben von Deutschen und Jüdinnen/Juden wurde auf
diese Weise für unmöglich erklärt. Die Jüdinnen und Juden
könnten nicht ihrer Heimat dienen, da sie so etwas wie Heimat gar nicht
kennen, es ihrem jüdischen Wesen fremd sei.
(22) Die AnhängerInnen des Kapitalismus unter den
WirtschaftswissenschaftlerInnen haben freilich nichts gegen Zins und Kredit.
Aber sie erkennen auch nicht die krisenhafte Tendenz, die ihnen innewohnen
sie definieren das Problem einfach weg.
(23) Die Entstehung von Management und Aktiengesellschaften wurde und
wird immer wieder zur angeblichen Widerlegung der marxschen Theorie
herangezogen. Überhaupt wird damit jede mögliche kommunistische
Veränderung der Gesellschaft für unmöglich erklärt. Die
Begründungen dafür drehen sich immer wieder um denselben Punkt. Es
gäbe keine KapitalistInnen und Ausgebeutete mehr, da sich ja an den
Aktiengesellschaften jeder durch Aktienkauf beteiligen könne.
Überhaupt stehen sich nicht mehr zwei unversöhnliche Klassen
entgegen, die bestimmte Interessen vertreten. Unverbesserliche
TraditionsmarxistInnen schicken sich an, derartige Argumente zu wiederlegen,
indem sie gebetsmühlenartig wiederholen, daß es doch trotz der
Aktiengesellschaften immer noch irgendwelche Leute gäbe, die einen
Großteil der Aktien besitzen und demzufolge ein unerschütterliches
Klasseninteresse an der Erhaltung des Kapitalismus und am Klassenkampf gegen
die ArbeiterInnen hätten. Und ohne Klassen keine revolutionäre
Veränderung etc..Tatsächlich kommt gerade in der Durchsetzung
abstrakter und subjektloser Verhältnisse der Kapitalismus zu sich selbst
und die Marxsche Theorie zu ihrem Recht. Wie oben erklärt, ist der
Kapitalismus eben wesentlich eine fetischistische Gesellschaft. Die Vorstellung
von Klassen, die ihn in ihrem Kampf gegeneinander bewußt gestalten
wiederspricht also seinem Wesen, wie es Marx darstellte. Ein Kapitalismus als
Gesellschaft, in dem der Klassenkapf wesentliches Moment ist, ist also
lediglich ein noch nicht voll ausgereifter Kapitalismus. Kapitalismus in seinem
Endstadium kennt zwar noch Klassen, in dem Sinne, daß es immer noch
UnternehmerInnen und Arbeitende gibt. Allerdings führt Klassenkampf auf
politischer Ebene (mit Kampf um Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhung
etc.) im voll entwickelten Kapitalismus zu keinem Ergebnis mehr, weil die
politischen Verhältnisse sowieso von niemandem mehr beeinflußt
werden, sondern sich nur noch subjektlos, jenseits des Willens von
Einzelpersonen vollziehen. Das ist genau der von Marx im Kapital
analysierte Kapitalismus. Es trifft also nicht zu, daß die Marxsche
Analyse mit fortschreitender Entwicklung des Kapitalismus veraltet wäre.
Vielmehr bewahrheit sie sich erst jetzt wo es keinen Klassenkampf mehr
gibt (jedenfalls nicht in nennenswertem Ausmaß).
(24) Damit soll individuelles Handeln nicht entschuldigt werden.
Überhaupt ist dieser Text nicht dazu gedacht, das Handeln von Menschen als
etwas ferngesteuertes zu betrachten. Das wäre nur eine neue Spielart
fetischistischen Denkens. Ich sage lediglich: wenn Menschen den Kapitalismus
wollen, dann müssen sie auch so und so handeln. Man kann nicht den
Kapitalismus wollen und gleichzeitig das Management wegen seiner
Unmenschlichkeit kritisieren.
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