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Den KriegerInnen Deutschland erklären

Seit dem ersten September spätestens 18 Uhr wird noch nicht zurückgeschossen, obwohl man dem deutschen Staat den Krieg erklärt hat.
In Leipzig wurde an jenem Tag anläßlich eines unbedeutenden Naziaufmarsches beispielhaft vorgeführt, wieso und warum einige Linksradikale vor sich selbst versagen müssen und sich selbst gar nicht ernst nehmen können.
Eine Analyse von Ralf

„Alle, die als Repräsentanten einer anderen Ordnung der Verwirklichung deutscher Vorstellungen im Weg stehen, müssen damit rechnen, wenn dies zur Legitimation des Kampfes gegen sie notwendig erscheint, als neuer Hitler gebrandmarkt zu werden.“
(aus dem Aufruf „Deutschland den Krieg erklären“ für den 1. September 2001 des Leipziger Bündnisses gegen Rechts)

„Die Geschichte wiederholt sich als Farce: Da ist den Linken wieder die eigene markige Diktion zum Verhängnis geworden. In kürzester Zeit rufen sie beim Staat einen Aktionismus hervor, den die Faschisten schon deshalb nicht heraufbeschwören können, weil sie zu blöd sind, ihr eigenes Bedrohungspotential zu erkennen.“
(Leserbrief im Spiegel-Online-Forum zu den Ereignissen in Leipzig am 1. September 2001)

Daß es so wie man in den Wald hineinruft auch wieder herausschallt, bekommt man als züchtigende Diktion und damit als gleichzeitiges Wirklichkeits-nahes Gesellschaftsprinzip schon im Kindesalter mit auf den Lebensweg. Warum also sollte das gerade dann anders sein, wenn Halbstarke großmäulig „Deutschland den Krieg erklären“? Erwartet man dann von demjenigen, dem man dies erklärt, daß er sich dies gefallen läßt? Wohl kaum. Ginge es demzufolge nach dem Leipziger Bündnis gegen Rechts (BgR), so befindet sich selbiges seit dem ersten September 2001 im Krieg mit ganz Deutschland.
Begreift es sich dabei als eine Art gallisches Dorf im heiligen römischen Reich deutscher Nation? Nun, wenn das so wäre, bliebe die Frage zu klären, ob das BgR die Kraft der eigenen Wassersuppe mit dem gallischen Zaubertrank verwechselte und deshalb sich zu neuem Größenwahn aufzuschwingen imstande wähnt. Hat es jetzt etwa jemanden in seinen Reihen, der oder die als Kind in den Zaubertrank lebenslanger Überkraft gefallen ist? Und, last but not least: who the fuck is Asterix!?
Die Spielwiese der Schmuddelkinder, die sich selbst Linksradikale nennen, ist, wenn man so will, eine mit Kunstrasen und Rasenheizung; ein Produkt des Wohlstands erster Güte. Man wähnt sich radikal und weiß sich materiell so sicher im Hafen von bürgerlicher Rechtsprechung verankert wie Franz Josef Degenhardt es wohl nie gedacht hätte, als er einstmals ironisch vor dem Spiel mit den Schmuddelkindern warnte.
Was erwarten diese Spatzenhirne von einem Staat, dem sie höchstoffiziell den Krieg erklären? Daß der sie in Ruhe gewähren läßt? Doch wohl kaum. Wer eine Kriegerklärung abgibt, muß damit rechnen, daß diese erwidert wird – alles andere ist nun mal Quark, wie Rosa L. bekanntlich schon wußte. Eine Kriegserklärung, die sich halbstarke Maulhelden als eine solche halluzinieren, ist in Wahrheit gar keine, sondern der Ausdruck eines pyromanischen Spiels mit dem Feuer, auf das die Erwachsenenwelt stets konstatiert, daß diese Heranwachsenden nicht wissen würden, was sie tun. (Abgesehen mal davon, daß dem großen James Dean so schäbigst Unrecht getan wird.) Sie ist somit nichts als die Farce einer Ausrufung der Revolution in nicht-revolutionären Zeiten – gegen die Realität, deren wahre Reflexion ihnen unter Umständen verraten könnte, warum sie trotz bestem Bemühen einfach nicht zum Staatsfeind Nummer eins zu taugen scheinen.
Als Lenin einst gegen die Kinderkrankheit des Kommunismus polemisierte, hatte er wohl nicht visionär das Leipziger BgR vor Augen und wohl auch nicht nur die eiserne proletarische Disziplin und Ordnung. Wenn er auch sonst viel falsches wußte, so wußte er zumindest aber, daß die linksradikalen Maulhelden eben meist wildgewordene spießige Kleinbürger sind.
Ihr Wunsch nach einem Kriegszustand ist in Wirklichkeit gar keiner. Ihn trotzdem zu äußern ist Ausdruck einer Existenz in der Polit-Welt der permanenten Ersatzbefriedigung. Das der Unmittelbarkeit verhaftete Denken, gegossen in die Form Politik, unterliegt dem Realitätsprinzip, das bekanntlich mit dem Prinzip der Lust kollidiert. Wer sich an dieser Stelle nicht selbst Einhalt gebietet, seine eigene Ohnmacht reflektiert, gerät folgerichtig zwischen die Mühlsteine der politischen Kultur. Man will gar nicht mehr so recht hinhören, was sie zur Rechtfertigung ihrer mit schon glühender Nadel gestrickten Kriegserklärung vorbringen: man habe das alles gar nicht so ernst gekocht, wie es gegessen wurde; gar nicht so gemeint mit dem Krieg. Eher meint man so krassen Riot und so. Eben alles nur symbolisch zu verstehen, ey. Daß nach diesem Prinzip einem Toten wie dem von Genua nur noch als statistischer Wert für’s Symbolische eine Bedeutung zukommt, entspricht klar dem Märtyrerfetisch und der Blutzollogik einer nicht etwa vom Tod, sondern nur von sich selbst bewegten Masse, die in der Bewegung über Leichen zu gehen vermag, anstatt auch nur mal für kurze Augenblicke zur Besinnung inne zu halten: die Disziplin der Bewegung als entstehende kämpfende Front, die sie die Waffe der Solidarität nennen, treibt sie hinfort und weg zum nächsten Großereignis, zur nächsten Kampagne, zum nächsten „Event“.
Man kann das Gelaber nicht mehr hören: Weil man sich selbst gar nicht ernst nimmt, wird alles zur Symbolik erklärt – neben dem Krieg gegen Deutschland ihr Denken überhaupt. Spätestens dann, wenn klar wird, daß die Konsequenz des symbolischen Denkens sich in der Abstraktion von sechs Millionen real (und nicht etwa symbolisch, weil die pathische Projektion der Nazis dies gern so wollte) ermordeter Jüdinnen und Juden selbst ad absurdum führt, müßte diese ideologische Hilfskonstruktion als Denkersatz bei einem auch nur schwindend gering ausgeprägtem Reflexionsvermögen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Daß es das wahrscheinlich nicht tut, ist, wie gesagt, das riesige Problem eines Denkmodells, das sich spätestens hier von seiner eigenen Logik abschneiden muß, will es nicht wie die deutsche Linke einst vor Auschwitz vor der eigenen deutschen Geschichte kapitulieren. Wer die Opfer der Shoa zum Symbol macht und so zur reinen Statistik, versagt vor der Geschichte – der Faktizität von Auschwitz und den wirklichen realen Opfern.
Materialistische Radikalität dagegen symbolisiert gerade nicht. Sie begreift Kritik statt als symbolisch als ein konkret ausformuliertes Produkt eines allgemeinen Weltzustandes. So pflegt sie ein dialektisches Verhältnis zu Realität und Wirklichkeit und eben kein instrumentelles. Denn sie vermag Wesen und Erscheinung nicht nur zusammenzudenken, sondern auch zu trennen.
So erhebt man sich mittels Abstraktionskraft gerade nicht blindwütig über die Verhältnisse, sondern begreift die eigene Existenzweise als genau an diese Verhältnisse gekoppelt. Wer sich damit nicht abfinden kann, macht sich zum Kanonenfutter und zur Projektionsfläche von Staat und Kapital, ohne auch nur ein Fünkchen am objektiv Ganzen geändert zu haben.
„(...) Die Geschwisterschaft der ganzheitlichen Selbstver-wirklicher, deren Abneigung gegenüber allem, was Kritik und Theorie heißt, bei der Begegnung mit Kritischer Theorie zu Haß gerinnt; die, angetan mit allen Accessoires des Alternativspießers, Adorno den Mund mit seinen Spitzendeckchen stopfen wollen“ (Hermann L. Gremliza), stellt die Grauzone dar, in dem sich eine Gruppe wie das BgR bewegt; oder besser: bewegen möchte. Es ist jenes Milieu, das jede gesellschaftliche Bewegung als mit sich selbst identisch setzt, in dem es sich nur der unterschiedlichen Oberflächenphänomene versichern will anstatt diese zu hinterfragen. So gerät jeder Erklärungsansatz einer fein säuberlich nach den unterschiedlichsten „Herrschaftsverhältnissen“ aufgedröselten Welt – von Faschismus über’s Patriarchat bis zum Rassismus – zur projektiven Selbstvergewisserung eines guten, richtigen und moralisch integeren Ismus – ob nun Antirass-, Antisex-, Antikapital-, Antifasch- oder wie auch immer.
Allenthalben wird unbewußt von der Materialität kapitalistischer Verhältnisse geschwiegen, weil man lieber klugscheißend über anderes wie z.B. „postimperialistische Dominanzverhältnisse“ (O-Ton BgR) schwafelt. Weder die fortwährende Naturverhaftetheit des Menschen als Teil der ersten Natur und die damit verbundenen natürlichen Unterschiede von Mann und Frau, schwarz oder weiß innerhalb der Gattung Mensch, dem vernunftbegabten Tier, können so auch nur ansatzweise erfasst werden, noch die Kommunikation als bloße Form der substantiellen Materialität der Lebensverhältnisse statt als freischwebender good will event. Die Bewegungslinke, insbesondere die antirassistische und antifaschistische, ist seit Jahren auf dem Holzwege (Heidegger) der Ideologie der Eigentlichkeit. Der bloße Wille als das Eigentliche des Menschen an sich ist pure Ideenhuberei – also bloßer Idealismus. Daß diese Linken es nicht wissen aber tun, kann wohl kaum der Einwand gegen die Kritik dieser Ideologie sein.
In dem Aufruf des BgR zum ersten September („Deutschland den Krieg erklären! – Den zivilgesellschaftlichen Militarismus und die Neue Weltordnung angreifen!“) liest sich das so: „Gegenüber einem sympathischen aber realitätsfernen Antideutschtum (...) rückt für uns mit der Ablehnung eines Bündniszwanges, dem die BRD unterliegen soll, eine Kritik der deutschen Zivilgesellschaft als Subjekt des politischen Willens zum Krieg ins Zentrum der Antikriegspolitik. Diese Gesellschaft ist es schließlich, die durch ihre Zustimmung zum Projekt der europäischen Zentralmacht Deutschland die Militäreinsätze im Rahmen der Nato erst möglich macht.“
Daß dieser Beitrag das Niveau einer Pfaffenpredigt nicht übersteigt, liegt nicht etwa an der selbstvorführenden Charakterisierung seines eigenen Tuns als „Antikriegspolitik“. Vielmehr wird hier der bloße „politische Wille“ gegen das wesentliche der Verhältnisse gewendet. Der abstrakte Zwang der gleichmachenden Warenproduktion wird ignoriert und damit der kristallklaren Frage nach einer jeweiligen Sprecherposition untergeordnet. Das aber heißt nichts anderes, als daß der Wille „der deutschen Zivilgesellschaft als Subjekt“ sich über die materiellen Verhältnisse erheben könnte. Und weil es genau das heißt, entfaltet sich hier beispielhaft in ganzer Pracht die Bankrotterklärung einer Bewegungslinken hinsichtlich radikaler Gesellschaftskritik. Durch die Fetischisierung des freischwebenden Willens löst man folgerichtigerweise das Ticket zum Mitmachen beim pluralistischen demokratischen Meinungsbildungsprozess.
Wer das „Subjekt des politischen Willens“ in den Mittelpunkt der Welt stellt, wird statt zum kritischen Theoretiker zum Verfassungspatrioten und Kommunikationsexperten. Und da fängt dann auch spätestens die nagende Kritik der Habermäuse an zu wirken, die sich bekanntlich selbst aufgefressen hat.
Möchtegern-Gesellschaftskritiker, die ganz dekonstruktivistisch sprach- oder männerkritisch von „sozialen Konstrukten“ wie Rasse oder Geschlecht daherlabern, ohne sich zu eigen zu machen, daß das gesamte Zusammenleben der Menschen eine einzigste soziale Konstruktion ist, haben von dem Verhältnis des Menschen zur Natur und seinem Stoffwechsel mit ihr in seiner Tätigkeit als Praxis ungefähr soviel begriffen, wie das intelligenteste Schwein beim Blick ins Uhrwerk. Den Stoffwechselprozeß des Menschen mit der übrigen Natur zu verleugnen bedeutet, sich selbst zur zweiten Natur zu machen. Begriffliche Realabstraktionen, die sich gesellschaftlich und damit materiell wirkungsmächtig durchgesetzt haben, sind definitiv etwas anderes als pure Denkabstraktionen einzelner Menschen oder Menschengruppen. Bewegungslinke politische Theorie aber kommt nicht über die Erkenntnis von Denkabstraktionen hinaus. Dieser wesentliche Unterschied in der Bestimmung des Charakters ihres pseudo-gesellschaftskritischen Selbstverständnisses kann nicht oft genug betont werden.
Das bürgerlich-idealistische Gleichheitsstreben ist Ausdruck gesellschaftlich objektiv produzierter Ich-Schwäche. Dieses Konstrukt muß als Produkt der materiellen Verhältnisse verstanden werden, ohne die Dialektik von Gleichheit und Differenz, das heißt das mittelbar Vorbedingende der menschlichen Gleichheit zu negieren. So ist das wesentliche der bürgerlichen Gesellschaft gerade, daß sie nicht etwa Differenzen hervorbringt, sondern Indifferenz als gleiche Warenbesitzer und -produzenten. Die Konkurrenz setzt die Gleichheit der Konkurrierenden, also aller Menschen in der Weltgesellschaft, voraus – in dieser entfremdeten Konstellation werden die Menschen dann ein weiteres mal als Konkurrenten von- und zueinander entfremdet. Konkurrenz hat also die Gleichheit als Wurzel. Wer deshalb zum Beispiel von beliebigem „Differenzrassismus“ (BgR) labert, verrät damit, daß ihm die totale Unterwerfung unter die kapitalistische Produktionsweise unbewußt zum Ideal geworden ist. Aus dem bürgerlichen Zwang zur Gleichheit immanente Differenzen als Identitäten abzuleiten, reproduziert, ja verdoppelt somit durch die menschlichen Individuen hindurch die bürgerliche Herrschaft – ob nun gewollt oder nicht. Wer also von Differenzen – sprich Ungleichheit als wesentlichen Ausdruck der modernen warenproduzierenden Gesellschaft redet, hat sein persönliches Funktionieren als zugerichtetes bürgerliches Subjekt nicht reflektiert und kann sich an Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten dieser Welt abarbeiten anstatt genau diese unkritischen Postulate zu hinterfragen und zu überwinden.
Die Einlösung des Gleichheitsversprechens innerhalb bürgerlicher Verhältnisse von Staat und Kapital ist nicht etwa die Lösung des bürgerlichen Problems, sondern gerade die Vertiefung desselben: die abstrakte Gleichheit verhindert die Entfaltung hin zum besonderen individuellen Menschen, in dem es ihn vollends ins Zwangsverhältnis moderner Warenproduktion verbannt. Begreifen muß man, daß zum einen Citoyen – die Konkretion bürgerlichen Vernunftstrebens – und Bourgeois – die Konkretion des Chaotischen und Ungebändigten – getrennt betrachtet aber zusammen gedacht gehören, weil die bürgerliche Vernunft des Staatsbürgers mit all seinen Rechten und Pflichten als Rechtssubjekt eben die notwendige Begleitmusik des aggressiven und brutalen Kapitals ist, und zum anderen, daß eben im Zweifelsfall der politischen Ökonomie nicht der Citoyen über den Bourgeois, sondern umgedreht der Bourgeois über den Citoyen triumphiert: es herrscht der Bourgeois über den Citoyen! Wer dieses abstrakte hierarchische Gesellschafts-Verhältnis entweder personifiziert bzw. daran glaubt, daß die bürgerliche Vernunft über dem Kapital stünde, verliert sich in der bürgerlichen Ideologie, die ihre Abstraktheit insofern kaschiert, als sie den Menschen dieses Verhältnis als ein konkretes zurückspiegelt. Eine materielle Emanzipation von den Verhältnissen ist individuell nicht möglich. Und eine geistige nur bedingt. Denn vor jedem Denken ist das Handeln als konkrete gesellschaftliche Tat, die in Wahrheit gerade abstrahierte Tat ist. Das ist die Herrschaft des Abstrakten über den konkreten Menschen, denn abstrakte Menschen gibt es in Wirklichkeit nicht, sondern nur konkret natürliche und besondere. In der bürgerlichen Gesellschaft aber werden Individuen zu völlig gleichen und doppelt freien Arbeitsbehältern zugerichtet – das ist die einzige Existenzweise von Menschen, die das Kapital als gesellschaftliche Macht zuläßt.
Der vom BgR im Aufruf zur Kriegerklärung vom ersten September beklagte „Menschrechtsimperialismus“ oder „imperialistische Antifaschismus“ ist also nichts anderes als die zwanghafte bürgerliche Gleichmacherei, die man in „Großmachtpolitik“ übersetzt und damit nur verklärt. Weil man genau diese Übersetzungsleistung zur Grundlage des betriebenen Politik-Geschäftes macht und sich etwas anderes als verdinglichte subjektive politische Willenskraft als gesellschaftliche Triebkraft und Dynamik nicht vorstellen kann, liegt genau in diesen gesetzten Politik-Prämissen das Problem, das so jeden noch so lobenswerten Analyseansatz unmittelbar verhunzt und in Intentionen wie die nachfolgend aus dem Aufruf zitierte umbiegt: „Für uns kommt es gegenwärtig vor allem darauf an, damit zu beginnen, den Widerstand gegen die neue Großmachtpolitik zu organisieren.“
Was, bitteschön, ist in der Konsequenz der „imperialistische Antifaschismus“ anderes als der Multikulti-Antirassismus der Linken jeglicher Coleur? Man will allen Menschen die gleiche Rechtssubjektivität aufbrummen („Gleiche Rechte für alle“) anstatt genau dieses bürgerlich-idealistische Denken überwinden zu wollen. So bestimmt Unmittelbarkeit der Tat die Unmittelbarkeit des Denkens wie auch umgedreht. Aus dieser Tautologie gibt es kein Entkommen, weil sie gerade nicht durchbrochen werden soll. Damit verkommt Kritik zur Politik.
Der Politisierungswahn ist die Reproduktion von Herrschaft und nicht ihre Kritik. Über das politische Organisieren von sich selbst und regelmäßigen „Events“ als Selbstvergewisserung, daß man aber noch mit Haut und Haaren seine existenzielle politische Identität besitze, soll nichts gehen. Das gibt jenen Halt durch Unmittelbarkeit von geistiger und körperlicher Arbeit, die von dem Betreiben eines reinen politischen Handwerks zeugt. Man ist längst auf den Bourdieu gekommen. Denn es geht einzig und allein um den Gewinn an öffentlicher Distinktion. Das steht im politischen Geschäft unserer Tage vor allem Denken schon immer fest. Der Selbstbeweis ist es, der alleinig zählt: ich handle, also bin ich. Nicht was man macht oder wie man handelt, sondern daß man es überhaupt tut knüpft die Identitäts-Bande. Statt des kritischen Gedankens obsiegen so die schmutzig gemachten Hände als Zugehörigkeitsbeweis. Das ist fürwahr die Verlängerung des Protestantismus in die immerhin beanspruchte Gesellschaftskritik. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen und ohne Moos nichts los. Die Arbeitsteilung der modernen Gesellschaft wird in der kleinen Polit-Zelle zum übersichtlich erlebbaren reproduzierten Gemeinschaftsgefühl des falschen Lebens. Man gehört im doppelten Sinne dazu – zum einen zur Gesellschaft und zum anderen zur verschworenen Gemeinde, die gegen sie ist – und das ist es doch wohl was letztendlich zähle. Man halluziniert sich Relevanz – „gesellschaftliche“ –, weil man genau weiß, daß man keine besitzt. Vor allem Inhalt kommt die mediale Inszenierung, die man bauernschlau aus der Analyse der Gesellschaft als Medien- und Informationsgesellschaft abgeleitet und damit sich immerhin selbst ausgedacht hat. Der Wille zur Distinktion ist der Verzicht auf den Inhalt, der mit leeren Worthülsen verstellt wird: „Widerstand! Gegen imperialistischen Antifaschismus und die Zivilgesellschaft“, so liest sich das dann. Man will also auch gegen die Zivilgesellschaft was machen, die man durch die Vorstellungskraft des gesellschaftlich Anderen sich als den Gegensatz zu sich selbst halluziniert: Ich bin, was ich nicht bin und die Zivilgesellschaft ist, was sie nicht ist. Nichtidentität wird zur Identität pervertiert. Man macht sich so zum guten Menschen, aus dem das Böse entflohen ist. Stattdessen soll das Böse in der Zivilgesellschaft zu finden sein – immer und überall. Was aber ist ihnen diese Zivilgesellschaft anderes als die falsche oder unechte Zivilgesellschaft, der sie nur die richtige und echte entgegensetzen wollen? Sie sind für die echte, weil sie die jetzige als verlogen und korrupt ansehen. Ihr Begriff von Zivilgesellschaft faßt noch weniger als der von der „civil society“ des Marxisten Gramsci. Er ist die radikaldemokratische Kritik am Kommunitarismus, dem angeblich der falsche Gemeinschaftsgedanke zugrunde liegen würde. Er ist somit eines ganz gewiß nicht: ein Plädoyer für Kommunismus. Denn man sieht die Zivilgesellschaft gerade nicht als Ausformung eines Ganzen an, das Kapitalismus heißt, sondern begreift sie als eine Art neuen praktisch gewordenen Totalitarismus. Damit unterminiert man von vornherein jegliche Erkenntnis eines totalen Ganzen. Zornig werden so die Früchte kritisiert und gelogen, daß man sich darüberhinaus ihnen auch noch ideell verweigern würde, als ginge es um einen Sündenfall im Paradies. Anstatt sich Gedanken über das Ausreißen der gesellschaftlichen Wurzel zu machen, verkommt Radikalität so zum verbalen Schnellschuß, der objektiv verpuffen muß. Radikalität, die sich darüberhinaus an Militanz bestimmt, ist pure bürgerliche Ideologie weil so der bürgerliche Gewaltbegriff affirmiert und reproduziert wird. Jener Gewaltbegriff also, der die wahren Gewaltverhältnisse – die Herrschaft des Kapitals – verschleiert. Radikalität bemißt sich dagegen an der Fähigkeit, das gesellschaftliche Fundament – die Wurzel, wie Marx sagt – zu erfassen und an dem Bewußtsein, es aushebeln zu müssen, um die Verhältnisse umzuwälzen. Kennt man ein solches Fundament erst gar nicht, so kann es keine Radikalität geben, denn eine Wurzel ist gerade kein Rhizom (Deleuze)!
Unter diesen Vorzeichen die Zivilgesellschaft einseitig als „imperialistisches Projekt, das zur Definition von Situationen genutzt werden kann, in denen kapitalistisch-bürgerliche Ordnung militärisch durchgesetzt werden soll“ (aus dem o.a. Aufruf des BgR zum ersten September) zu brandmarken, als trüge sie keinen Doppelcharakter gemäß der Dialektik der Aufklärung in sich, erklärt, warum sie nicht begreifen, daß es der „zivilgesellschaftliche Antifaschismus“ (BgR), den sie „angreifen“ wollen, war, der den Deutschen 1945 die Niederlage beibrachte und die „kapitalistisch-bürgerliche Ordnung militärisch durchgesetzt“ hat. Auch hier muß man ihrer Logik konsequenter folgen als sie es selbst tun, um dem Denken auf die Schliche zu kommen, dem sie verfallen sind: Die Konsequenz ihres hypostasierten Kampfes gegen die Zivilgesellschaft ist nicht nur, daß sie so ödipal gegen ihre eigene historische Existenzgrundlage ankämpfen, sondern vor allem, daß sie so früher oder später zur folgerichtigen Gegnerschaft gegen Aufklärung, Universalität und Kosmopolitismus führen muß – also zu Antiamerikanismus und Antizionismus verkommen (Ein Indiz dafür ist, daß Adorno vom BgR an anderer Stelle als „ausgewiesener Zivilgesellschafter“ an den Pranger gestellt wird – siehe dazu auch das Gremliza-Zitat weiter oben.) Und gegen solches Denken hilft dann wirklich nur noch eindeutige kompromißlose Parteinahme für Israel und gegen den Islam. (Die Kriegerromantik – „Deutschland den Krieg erklären“ –, die aus ihnen spricht, könnte da den Kreis gefährlich schließen. Nachtigall, ick hör dir tapsen: Man muß nicht mal annähernd feministisch denken und erst recht nicht den Theweleit entstauben, um jene Männerphantasien herauszulesen, die selbst ein Kokettieren mit der Al-Aqsa-Intifada, ja selbst mit den Freiheits-kämpfenden Taliban und ihrer als archaisch begriffenen Kampfesweise nicht ausschließen.)
Kritik kann sich nicht über die verwaltetete Welt erheben, der sie gänzlich verhaftet ist und bleibt. Sie kann aber belegen, daß Kritik möglich ist. Radikale Kritik ist keine Frage von Öffentlichkeit, sondern von Inhalt – das ist eine simple und unumstößliche Wahrheit. Das heißt, die Abfolge Inhalt vor öffentlichem Agitieren darf sich nicht umkehren, weil sonst nur folgerichtig die Kritik ihren Realitätssinn gegenüber den Verhältnissen einbüßt. Daß es keine fertige und absolute Kritik geben kann, sondern – in diesem Falle gegen Marx – nur eine kritische Kritik, ist dem natürlich vorausgesetzt.
Im Gegensatz zur radikalen Kritik der Verhältnisse reduziert Politik und ihr vermittlungswahnsinniger Charakter Erfolg auf das Kriterium von Öffentlichkeit als Medienpräsenz. Und so heißt gute und erfolgreiche Politik machen vor allem Inhalt professionelles Funktionieren als Event- und PR-Agentur. Gesagt ist damit nichts über den jeweiligen gesellschaftskritischen Charakter dieser Agenturen immerwährend falscher Kompromisse, sondern nur über den gesetzmäßigen warenförmigen Skandalisierungseffekt, nach dem die Medienöffentlichkeit jede Information als Produkt aufkauft, um sie gewinnbringend weiter zu verkaufen. Somit ist die Politik als notwendige warenförmige Effekthascherei nichts anderes als der Ausdruck herrschender gesellschaftlicher Praxis: man muß sie verkaufen können.
Am ersten September zeigte sich der Aufstand der Anständigen (Gerhard Schröder) in Leipzig als konkrete Erscheinung des staatlichen Perpektivwechsels bezüglich der Nazis kaum überraschend im lokalpatriotischen Gewand. Vom Bürgermeister bis zum Chef-Pfaffen stellte man klar, daß man sich seit dem Antifa-Sommer 2000 das Monopol auf verordneten Antifaschismus nicht mehr nehmen läßt. Für die autonome Antifa, die man sich in Kreisen des BgR als eine Art radikale Linke an sich zurechthalluziniert, weil „die radikale Linke, die sich in den letzten Jahren maßgeblich als Antifabewegung definiert hat“ in der stark verkürzten Sicht auf die Dinge eben auch nichts anderes sein kann und sie sich eben auch deshalb nicht zu wundern braucht, daß bei solchen offerierten höchst bedenklichen Ausschlußkriterien kritische Linke zuhauf sich ihnen lieber verweigern als sich mit ihnen rumzuärgern, ist damit die jahrelange Spielwiese des Antifaschismus namens Bündnispolitik nur noch unter Aufgabe der eigene Gruppenidentitäten zu betreten. Aus der Deckung des „Teilbereiches“ (wie es immer so schön heißt) Antifaschismus die eigenen verbalradikalen Worthülsen für ausreichend scharfe Munition für die Mär vom „revolutionären Antifaschismus“ zu halten, erlaubte der Staat bis voriges Jahr. Dieser Tummelplatz für Wildgewordene ist aber inzwischen abgesperrt und die Antifas von diesem vertrieben. Nicht zuletzt das läutete das endgültige Ende als sogenannte „Antifabewegung“ ein. Daß eine Gruppe wie das BgR in hellen Momenten sogar zu reflektieren versteht, was mit ihnen gesellschaftlich vor sich geht, liest sich in besagtem Aufruf durchaus richtig so: „Deutschlands aktueller Antifaschismus, der nach außen getragen wird, muß auch im Innern gelten, sonst würde er jede Glaubwürdigkeit einbüßen.“ Man kommt also durchaus selbst darauf, was einem als Antifabewegung da ereilte. Nur richtige Schlüße scheint man daraus kaum ziehen zu wollen. Schön ist in jedem Fall, daß jetzt, nachdem es leider überflüssig ist, die ihren Geist aufgebende Antifa-Szene auch ihr eigenes Fanzine namens Phase 2 als regelmäßig alle paar Monate erscheinendes Druckerzeugnis zu haben scheint. Dort versichert man sich gegenseitig meinungspluralistisch und postmodern der Binsenweisheiten und Allgemeinplätze, über die man aber um Himmels Willen nicht hinauskommen möchte, um sich’s nicht mit sich selbst, das heißt seiner Identität, zu verderben und sich nicht selbst in Frage stellen zu müssen. Daß dieses Fanzine gleich mal wieder den Alleinvertretungsanspruch für alle radikalen Linken erhebt – „Die radikale Linke in Diskussion, Theorie und Praxis“, so heißt es im Untertitel – läßt sich zielgenau mit dem Realitätsverlust erklären, außer sich eben nichts anderes zu wähnen oder gar praktisch (sic!) zu dulden. Fest steht zumindest, daß nicht zuletzt wegen der Frechheit, daß ganze zwei Antifa-Grüppchen (neben dem BgR, die Göttinger M) nun gleich mal die gesamte radikale deutsche Linke repräsentieren wollen, das Blatt schon jetzt nur folgerichtig vor sich hindümpeln muß. Der Reformulierung einer Gesellschaftskritik oder der Rekonstruktion eines Projektes wie das der Radikalen Linken hilft das ganze Unterfangen nicht die Spur weiter – ganz im Gegenteil.
Solange in der Bewegungslinken, insbesondere der Antifa, der Irrtum nicht reflektiert wird, daß Militanz nicht die Bohne mit Radikalität zu tun hat, sondern ausschließlich mit der Befriedigung des eigenen Egos auf der Grundlage des bewußten Unbehagens der unbewußten Ohnmacht gegenüber dem Ganzen als dem Unwahren, kann sich dort nichts ändern. Radikalität geht an die Wurzel der Verhältnisse. Dorthin also, auf deren Grundlage die Nazis hervorgebracht werden wie die Fetischkonstitution von Vernunft, Zivilgesellschaft und bürgerlicher Freiheit. Solange es Kapitalismus gibt, wird es Nazis geben. Solange wie es Kapitalismus gibt, wird es das hierarchische Geschlechterverhältnis als historisch entstandene Form, innerhalb derer kapitalistische Produktionsweise herrscht, geben. Solange es Kapitalismus gibt, wird es Rassismus geben. Und diese Erkenntnis ist nicht einfach aus dem Kapitalverhältnis abzuleiten, sondern als objektive historische Kategorie zu denken, die die unaufgehobene Bedingung der Entfaltung kapitalistischer Produktionsweise ist, in der sich diese historische Genese immer wieder abstrakt reproduziert. Denn konkrete Gesellschaftsgeschichte hat sich in der bürgerlichen Gesellschaft real abstraktifiziert. Und erst wenn die Herrschaft des Abstrakten durch die Menschen hindurch in der Gesamtheit endet, dann wird sich daran grundlegend etwas ändern.
Den letzten Mohikanern der abgedankten Antifa allerdings soll hier abschließend etwas anderes mit auf den Weg gegeben werden: Eine deutsche Antifa, die sich nicht nur von den Nazis alles diktieren ließ und genau daran mitentscheidend zu Grunde ging, die nicht mal im Ansatz bereit ist, sich der Dimension des Postfaschismus so zu stellen, daß es sie selbst als Teil dieser postfaschistischen deutschen Gesellschaft einschließt, muß jämmerlich versagen. Mit der gleichzeitigen Entschuldigung bei Max Horkheimer für die hier an dieser Stelle mitgemachte inflationäre Verhunzung seines ohnehin verkürzten Ausspruches bleibt nur zu sagen: Eine Antifa, die vom Postfaschismus und den objektiven Verhältnissen nicht reden will, sollte von Menschenrechten, Imperialismus und Zivilgesellschaft schweigen.



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last modified: 28.3.2007