Jakob Arjouni:
Magic Hoffmann
Diogenes: 1997, ISBN 3-257-22951-8, DM 16,90
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Auf dem Kongress in Göttingen (2001. das jahr in dem wir kontakt
aufnehmen) stritten sich die Antifas und Antiras um die korrekte
Beschreibung der deutschen Gesellschaft. Während die einen einen
rassistischen Konsens konstatierten, meinten die anderen, es
wäre besser, von einer Dominanzgesellschaft zu reden. Was es
wirklich mit Deutschland auf sich hat, bringt Jakob Arjouni fast jedes Jahr
aufs Neue auf den Punkt. Er benötigt zwar jedesmal einen ganzen Roman
dazu, kommt dafür aber auch nicht so dröge und schulbuchhaft daher.
Außerdem sind Nationalismus und Rassismus ein komplexes Phänomen, so
daß es nicht verwundert, daß der Punkt
Taschenbuchformat hat.
Da sein neuester Krimi Kismet dieses Genre eignet sich
vortrefflich, um die wahren Menschheitsverbrechen zu beschreiben,
weil die als kriminell geächteten Menschen so schön die positiven
Helden abgeben schon ausführlich besprochen wurde (siehe z.B.
jungle World Nr. 19/2001), wollen wir uns Magic Hoffmann, seinem
Werk aus dem Jahr 1996, zuwenden.
Bankraub, so wissen wir seit Va Banque (siehe CEE IEH #73), lohnt sich
eigentlich. So dachte sich auch Fred Hoffmann. In Dieburg, einem Kaff,
irgendwo, wird man eh nur Spießer oder Bankräuber. Seine Freundin
Annette und sein Freund Nickel sind mit von der Partie. Die Zeichen stehen gut.
Selbst die vier Jahre Knast können Fred, der als einziger erwischt wird
und die anderen nicht verpfeift, nichts anhaben. Immerhin weiß er das
Geld in Sicherheit und denkt an die Abmachung, die die drei vor dem
Überfall getroffen haben: Sie gehen mit dem Geld nach Kanada.
Nach vier Jahren, inzwischen ist 89 geschehen, kommt Fred aus
dem Knast. Die gesellschaftlichen Veränderungen wirkten zwar bis in den
Knast (der Anstaltsleiter hält feierliche Ansprachen und Gefangene singen
inbrünstig die deutsche Nationalhymne, nur Fred wird blöd angeguckt,
als er das Freiheit im Refrain so betont die Gefangenen sind
scheinbar plötzlich stolz, deutsche Gefangene zu sein...), aber Fred
erklärt es sich damit, daß es im Knast keine Frauen gibt, und
belächelt das ganze: Aber irgendwie komisch, daß oft dieselben
Leute nicht mal das bißchen Volk ausstehen konnten, was ihr Zellennachbar
war.
Als er vorm Knast nicht von Annette und Nickel abgeholt wird und erfährt,
daß sein stotternder Klassenkamerad von Dieburger Nazis angegriffen wird
(in Dieburg gibts halt keine Ausländer, da müssen die
Behinderten herhalten) beunruhigt Fred das kaum. Er nimmt es nicht
wahr. Er will nach Berlin, wo er sein Geld vermutet. Und danach möglichst
schnell nach Kanada. Dafür sind beides Symptome der Entwicklung, die er im
Knast verschlafen hat. Was ihm am Anfang nur auffällt ist, daß seine
Kleidung und Frisur nicht mehr paßt, seine Lieblingsdisko in eine
urdeutsche Karibik-Bar umgestylt wurde und alle mit Basecaps
rumrennen, obwohl sie gar nicht zu einem Baseball-Spiel wollen.
Den Nazis soll Fred in Berlin dann ständig begegnen. Sie tauchen aber
nicht als Schreckgespenster auf, die das böse Deutschland
repräsentieren. Vielmehr dienen sie als dramaturgisches Mittel, die der
Geschichte von Fred einen neuen Lauf geben. Die von bürgerlicher Seite
geübte Kritik, daß Arjouni sich (zwar...) kritisch zur
Auseinandersetzung mit dem rechten Terror in Deutschland äußert,
(aber) seine Schilderung kaum über die in einem gewöhnlichen
Tatort-Krimi hinaus
(http://www.uni-duisburg.de/DINGS/ref/Frank/Milieus.html) ginge, stimmt zwar
einerseits, geht aber völlig am Thema vorbei. Denn Arjouni ist schlau
genug zu wissen, daß die Nazis nicht das Problem sind, auch wenn sie
einem viele Probleme bereiten und letztendlich dran Schuld sind, daß Fred
mit seinem Geld nicht nach Kanada fahren kann, sondern weitere drei Jahre im
Knast und anschließend im Edeka von Dieburg landet.
Das eigentliche Problem ist z.B. die Berliner Polizei, deren Verhalten der
asiatische Hotelbesitzer folgendermaßen beschreibt: Hier
könnte die Bude in die Luft fliegen, und ne Streife würde nicht
mal von der Wurstpappe aufsehen. Die Säure haben wir selber ausgekippt,
weiß der Teufel, warum. Und daß wir uns inn Hof
schmiern, daß wir verrecken sollen, ist kulturelle Eigenart.
Oder die PassantInnen in der U-Bahn, die den Nazis schweigend zuschauen.
Während die Polizei mit jüdischen Hotel-Teilhabern zu
überlisten ist (immerhin geht es um den guten Ruf im Ausland), hilft bei
den PassantInnen nix. Deswegen kann auch der Hotelier Herr Cohn, der seiner
asiatischen Konkurrenz so freundlich die Teilhaberschaft zur
Erzwingung von Polizeischutz anbietet, in seinem eigenen Hotel als
Geschäftsführer nur einen Deutschen einstellen, den er so beschreibt:
Laß das Geschäfts- weg, und du weißt, wie er
ist. Würde er selbst in seinem Hotel sichtbar auftreten, könnte
er auch gleich in Hellersdorf n koscheren Imbiß
aufmachen.
Aber auch diese Geschichten sind nur Beiwerk. Vielmehr kotzen Arjouni (und
somit in diesem Roman: Fred) die guten Deutschen an. Das
wären: AkademikerInnen, Linksalternative, KünstlerInnen,
AussteigerInnen, Antifas etc. Und die bekommen so richtig ihr Fett weg, wie sie
es auch verdient haben. Annette z.B., die alte Freundin und Bankräuberin,
will vom Dorftrottel Fred nichts wissen, weil sie sich dünkt, was besseres
zu sein. Schließlich ist sie nicht nur in Berlin, der neuen Hauptstadt
gelandet, sondern dazu noch in der Filmbranche. In der alternativen.
Außen am Haus hängen noch Transpis mit Worten wie
Solidarität und Kampf, drinnen tummeln sich
Selbstverwirklichungs-Fuzzis, die es plötzlich wichtig finden, Filme
über Identität und Herkunft, über Volk als
Familie, über deutsche Wurzeln, aber natürlich auch
über Nazis, Sex, Nichts oder sich selbst zu drehen. Sie halten sich
für den Mittelpunkt der Welt und beschimpfen Fred als Rassisten, nur weil
er ihre Coolness nicht versteht und ihr Multi-Kulti-Gehabe durchschaut.
Annette schwärmt vom urbanen Lebensgefühl beim Biß in
einen Kebab und bedauert, daß es in Dieburg so wenig
AusländerInnen gibt: Es hat mir richtig was gefehlt. In der
Kebab-Bude schuften allerdings nur berlinernde Deutsche und Fred kontert:
Aber komisch, daß sie nach so langer Zeit immer noch kein richtiges
Deutsch sprechen... Ein Witz, der unverstanden bleibt Annette
verbittet sich rassistische Witze, ausgerechnet hier. Als Fred zum
Test einen wirklich rassistischen Witz über die kriminellen
AusländerInnen reißt, muß Annette allerdings schmunzeln.
Es funktioniert also.
Nach der Enttäuschung Annette sie will nicht mit nach Kanada und
nicht mal mit ihm schlafen , versucht es Fred bei Nickel, der auch das
Geld vom Bankraub haben soll. Doch Nickel, der linke Rebell aus Dieburg, ist
Germanist geworden, hat Frau und Kinder, ein Haus im Osten (wegen den
Quadratmeterpreisen) und das Geld für Jahre auf der Bank gewinnbringend
angelegt er kann es also nicht mal auszahlen. Bei einem vegetarischen
Abendbrot kommt man schnell auf rumänische Banden, russische
Atomwaffenschmuggler und andere wichtige Themen zu sprechen:
Natürlich sind wir für Multikultur, aber wenn man sieht, was
sich überall in der Welt zusammenbraut also da bin ich froh,
daß unsere Grenze für Fanatiker dicht ist (...) Und wenn sich jemand
vor Fanatikern schützen muß, dann ja wohl wir mit
vernünftigen Einwanderungsgesetzen wäre Hitler jedenfalls nicht
Kanzler geworden...!
Einhergehend mit diesem nationalistischen Taumel, der selbst die linken Punks
erfaßt, die zwar auf ihren T-Shirts Deutschland verrecke
stehen haben, es aber wichtig finden, sich mit der deutschen Politik und den
deutschen Nazis zu befassen, geht eine Spießigkeit durch alle
gesellschaftlichen Schichten. Die verloren geglaubten Kinder versöhnen
sich mit ihren Eltern und den staatlichen Institutionen: linke StudentInnen
finden es korrekt, andere bei der Polizei zu verpfeifen und streiken für
bessere Bildungschancen am Standort Deutschland. Die Kinder fahren jedes
Weihnachten zu ihren Eltern nach Dieburg und gründen eigene Familien.
Nostalgisch wird es nur an wenigen Stellen des Buches, wenn als Gegenbild zum
neudeutschen Selbstverwirklichungsmilieu alte Sauf-Opis oder die russische
Mafia herhalten muß. Trotzdem gilt: Während Feridun Zaimoglu seinen
Büchern dem deutschen Nationalismus eine (ebenso sexistisch aufgeladene)
türkische Ghetto-Identität entgegensetzt (siehe Besprechung von
Kanak Sprak, CEE IEH #65) gelingt es Jakob Arjouni in seinen
Büchern jegliche Identitäten anzugreifen, ohne zu vergessen, welche
die gefährlichste ist.
Fred hat auf all das Elend schon am Anfang des Buches die entsprechende
Antwort. Von Annettes Film-KollegInnen gefragt, was er sich unter
deutscher Kultur vorstellt, muß er nur kotzen. Nicht weil er sich
damit auseinandergesetzt hätte, nein, nur weil er einfach zu
viel gesoffen hat. Gesoffen, um diese Zustände zu ertragen was er
anfangs für eine erfolgreiche Strategie hielt.
Lesen!
Paul
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