home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[80][<<][>>]

review-corner, 2.7k

Verblendungszusammenhang

Dass all jene Deutsche, die Jakob Arjouni in seinem Romanen kritisiert, – und das sind alle Deutschen! – ihn über den grünen Klee loben, dürfte eine Folge der „Verblendung in der Kulturindustrie“ sein. Er gibt sich allerdings redlich Mühe, das Klientel von FAZ und taz fertig zu machen. Und es ist wahrlich ein Genuss, dies zu lesen – selbst wenn die Angegriffenen das gleiche behaupten.
Cover, 13.0k

Jakob Arjouni:

Magic Hoffmann

Diogenes: 1997, ISBN 3-257-22951-8, DM 16,90

, 0.0k

Auf dem Kongress in Göttingen („2001. das jahr in dem wir kontakt aufnehmen“) stritten sich die Antifas und Antiras um die korrekte Beschreibung der deutschen Gesellschaft. Während die einen einen „rassistischen Konsens“ konstatierten, meinten die anderen, es wäre besser, von einer „Dominanzgesellschaft“ zu reden. Was es wirklich mit Deutschland auf sich hat, bringt Jakob Arjouni fast jedes Jahr aufs Neue auf den Punkt. Er benötigt zwar jedesmal einen ganzen Roman dazu, kommt dafür aber auch nicht so dröge und schulbuchhaft daher. Außerdem sind Nationalismus und Rassismus ein komplexes Phänomen, so daß es nicht verwundert, daß der „Punkt“ Taschenbuchformat hat.

Da sein neuester Krimi „Kismet“ – dieses Genre eignet sich vortrefflich, um die „wahren Menschheitsverbrechen“ zu beschreiben, weil die als kriminell geächteten Menschen so schön die positiven Helden abgeben – schon ausführlich besprochen wurde (siehe z.B. jungle World Nr. 19/2001), wollen wir uns „Magic Hoffmann“, seinem Werk aus dem Jahr 1996, zuwenden.

Bankraub, so wissen wir seit Va Banque (siehe CEE IEH #73), lohnt sich eigentlich. So dachte sich auch Fred Hoffmann. In Dieburg, einem Kaff, irgendwo, wird man eh nur Spießer oder Bankräuber. Seine Freundin Annette und sein Freund Nickel sind mit von der Partie. Die Zeichen stehen gut. Selbst die vier Jahre Knast können Fred, der als einziger erwischt wird und die anderen nicht verpfeift, nichts anhaben. Immerhin weiß er das Geld in Sicherheit und denkt an die Abmachung, die die drei vor dem Überfall getroffen haben: Sie gehen mit dem Geld nach Kanada.
Nach vier Jahren, inzwischen ist ’89 „geschehen“, kommt Fred aus dem Knast. Die gesellschaftlichen Veränderungen wirkten zwar bis in den Knast (der Anstaltsleiter hält feierliche Ansprachen und Gefangene singen inbrünstig die deutsche Nationalhymne, nur Fred wird blöd angeguckt, als er das „Freiheit“ im Refrain so betont – die Gefangenen sind scheinbar plötzlich stolz, deutsche Gefangene zu sein...), aber Fred erklärt es sich damit, daß es im Knast keine Frauen gibt, und belächelt das ganze: „Aber irgendwie komisch, daß oft dieselben Leute nicht mal das bißchen Volk ausstehen konnten, was ihr Zellennachbar war.“

Als er vorm Knast nicht von Annette und Nickel abgeholt wird und erfährt, daß sein stotternder Klassenkamerad von Dieburger Nazis angegriffen wird (in Dieburg gibt’s halt keine Ausländer, da müssen die „Behinderten“ herhalten) beunruhigt Fred das kaum. Er nimmt es nicht wahr. Er will nach Berlin, wo er sein Geld vermutet. Und danach möglichst schnell nach Kanada. Dafür sind beides Symptome der Entwicklung, die er im Knast verschlafen hat. Was ihm am Anfang nur auffällt ist, daß seine Kleidung und Frisur nicht mehr paßt, seine Lieblingsdisko in eine „urdeutsche“ Karibik-Bar umgestylt wurde und alle mit Basecaps rumrennen, obwohl sie gar nicht zu einem Baseball-Spiel wollen.

Den Nazis soll Fred in Berlin dann ständig begegnen. Sie tauchen aber nicht als Schreckgespenster auf, die das „böse Deutschland“ repräsentieren. Vielmehr dienen sie als dramaturgisches Mittel, die der Geschichte von Fred einen neuen Lauf geben. Die von bürgerlicher Seite geübte Kritik, daß „Arjouni sich (zwar...) kritisch zur Auseinandersetzung mit dem rechten Terror in Deutschland äußert, (aber) seine Schilderung kaum über die in einem gewöhnlichen Tatort-Krimi hinaus“ (http://www.uni-duisburg.de/DINGS/ref/Frank/Milieus.html) ginge, stimmt zwar einerseits, geht aber völlig am Thema vorbei. Denn Arjouni ist schlau genug zu wissen, daß die Nazis nicht das Problem sind, auch wenn sie einem viele Probleme bereiten und letztendlich dran Schuld sind, daß Fred mit seinem Geld nicht nach Kanada fahren kann, sondern weitere drei Jahre im Knast und anschließend im Edeka von Dieburg landet.

Das eigentliche Problem ist z.B. die Berliner Polizei, deren Verhalten der asiatische Hotelbesitzer folgendermaßen beschreibt: „Hier könnte die Bude in die Luft fliegen, und ‘ne Streife würde nicht mal von der Wurstpappe aufsehen. Die Säure haben wir selber ausgekippt, weiß der Teufel, warum. Und daß wir uns in’n Hof schmier’n, daß wir verrecken sollen, ist kulturelle Eigenart.“ Oder die PassantInnen in der U-Bahn, die den Nazis schweigend zuschauen. Während die Polizei mit „jüdischen“ Hotel-Teilhabern zu überlisten ist (immerhin geht es um den guten Ruf im Ausland), hilft bei den PassantInnen nix. Deswegen kann auch der Hotelier Herr Cohn, der seiner „asiatischen Konkurrenz“ so freundlich die Teilhaberschaft zur Erzwingung von Polizeischutz anbietet, in seinem eigenen Hotel als Geschäftsführer nur einen Deutschen einstellen, den er so beschreibt: „Laß das ‘Geschäfts-’ weg, und du weißt, wie er ist“. Würde er selbst in seinem Hotel sichtbar auftreten, könnte er auch gleich „in Hellersdorf ‘n koscheren Imbiß aufmachen“.

Aber auch diese Geschichten sind nur Beiwerk. Vielmehr kotzen Arjouni (und somit in diesem Roman: Fred) die „guten Deutschen“ an. Das wären: AkademikerInnen, Linksalternative, KünstlerInnen, AussteigerInnen, Antifas etc. Und die bekommen so richtig ihr Fett weg, wie sie es auch verdient haben. Annette z.B., die alte Freundin und Bankräuberin, will vom Dorftrottel Fred nichts wissen, weil sie sich dünkt, was besseres zu sein. Schließlich ist sie nicht nur in Berlin, der neuen Hauptstadt gelandet, sondern dazu noch in der Filmbranche. In der alternativen. Außen am Haus hängen noch Transpis mit Worten wie „Solidarität“ und „Kampf“, drinnen tummeln sich Selbstverwirklichungs-Fuzzis, die es plötzlich wichtig finden, Filme über „Identität und Herkunft“, „über Volk als Familie“, über „deutsche Wurzeln“, aber natürlich auch über Nazis, Sex, Nichts oder sich selbst zu drehen. Sie halten sich für den Mittelpunkt der Welt und beschimpfen Fred als Rassisten, nur weil er ihre Coolness nicht versteht und ihr Multi-Kulti-Gehabe durchschaut.

Annette schwärmt vom „urbanen Lebensgefühl beim Biß in einen Kebab“ und bedauert, daß es in Dieburg so wenig AusländerInnen gibt: „Es hat mir richtig was gefehlt.“ In der Kebab-Bude schuften allerdings nur berlinernde Deutsche und Fred kontert: „Aber komisch, daß sie nach so langer Zeit immer noch kein richtiges Deutsch sprechen...“ Ein Witz, der unverstanden bleibt – Annette verbittet sich rassistische Witze, „ausgerechnet hier“. Als Fred zum Test einen wirklich rassistischen Witz über die „kriminellen AusländerInnen“ reißt, muß Annette allerdings schmunzeln. Es funktioniert also.

Nach der Enttäuschung Annette – sie will nicht mit nach Kanada und nicht mal mit ihm schlafen –, versucht es Fred bei Nickel, der auch das Geld vom Bankraub haben soll. Doch Nickel, der linke Rebell aus Dieburg, ist Germanist geworden, hat Frau und Kinder, ein Haus im Osten (wegen den Quadratmeterpreisen) und das Geld für Jahre auf der Bank gewinnbringend angelegt – er kann es also nicht mal auszahlen. Bei einem vegetarischen Abendbrot kommt man schnell auf rumänische Banden, russische Atomwaffenschmuggler und andere wichtige Themen zu sprechen: „Natürlich sind wir für Multikultur, aber wenn man sieht, was sich überall in der Welt zusammenbraut – also da bin ich froh, daß unsere Grenze für Fanatiker dicht ist (...) Und wenn sich jemand vor Fanatikern schützen muß, dann ja wohl wir – mit vernünftigen Einwanderungsgesetzen wäre Hitler jedenfalls nicht Kanzler geworden...!“
Einhergehend mit diesem nationalistischen Taumel, der selbst die linken Punks erfaßt, die zwar auf ihren T-Shirts „Deutschland verrecke“ stehen haben, es aber wichtig finden, sich mit der deutschen Politik und den deutschen Nazis zu befassen, geht eine Spießigkeit durch alle gesellschaftlichen Schichten. Die verloren geglaubten Kinder versöhnen sich mit ihren Eltern und den staatlichen Institutionen: linke StudentInnen finden es korrekt, andere bei der Polizei zu verpfeifen und streiken für bessere Bildungschancen am Standort Deutschland. Die Kinder fahren jedes Weihnachten zu ihren Eltern nach Dieburg und gründen eigene Familien. Nostalgisch wird es nur an wenigen Stellen des Buches, wenn als Gegenbild zum neudeutschen Selbstverwirklichungsmilieu alte Sauf-Opis oder die russische Mafia herhalten muß. Trotzdem gilt: Während Feridun Zaimoglu seinen Büchern dem deutschen Nationalismus eine (ebenso sexistisch aufgeladene) türkische Ghetto-Identität entgegensetzt (siehe Besprechung von „Kanak Sprak“, CEE IEH #65) gelingt es Jakob Arjouni in seinen Büchern jegliche Identitäten anzugreifen, ohne zu vergessen, welche die gefährlichste ist.

Fred hat auf all das Elend schon am Anfang des Buches die entsprechende Antwort. Von Annettes Film-KollegInnen gefragt, was er sich „unter deutscher Kultur vorstellt“, muß er nur kotzen. Nicht weil er sich damit „auseinandergesetzt hätte“, nein, nur weil er einfach zu viel gesoffen hat. Gesoffen, um diese Zustände zu ertragen – was er anfangs für eine erfolgreiche Strategie hielt.

Lesen!

Paul


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[80][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007