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Im folgenden dokumentieren wir zwei LeserInnenbriefe zur „Reggae“-Debatte, speziell zu dem Artikel im CEE IEH #73, S. 8-11
[zum zweiten Leserbrief]

Mister K...
Wahrheit braucht keine Fremdwörter

Ich möchte mich bei m. k. recht herzlich bedanken, daß er es einem so leicht macht, seine Einfachheit bezüglich politischen Denkens zu erkennen und ihm einen entsprechenden Spiegel vorzuhalten.

Vorerst sei angemerkt, daß der Text von m. k. kaum Tatsachen enthält, die in irgendeiner Art geeignet sind, Dancehall bzw. dessen Protagonisten vom Vorwurf des Sexismus, der Homophobie oder des Rassismus freizusprechen.
Vielmehr unterstreicht er in Wortaneinanderreihungen wie „Trotzdem läßt sich Sexismus in Verbindung mit Reggae nicht abstreiten, allerdings beruht der in Jamaika auf Gegenseitigkeit der Geschlechter und nicht, wie behauptet, auf männlicher Seite.“ diesen Tenor der Kritik. Darüber hinaus ist es problematisch, über vier Seiten hinweg zu polemisieren oder gar zu beschimpfen anstatt sich mit Tatsachen auseinanderzusetzen. Erinnert sei dabei an Formulierungen wie: „Steck Dir Deinen verfickten Wesensgehalt von Bitch- und Geisha-Riddims für quer in Dein verficktes...!“; wobei das so schlau eingefügt Wort „würde“ nicht vergessen werden darf.

... und nun mal zu den Tatsachen!

1.
Es ist zwar schön, wenn m. k. uns alle daran erinnert, daß die Realität „Hunger, keinen Strom, keine Bude, kein Geld und auch die Ohnmacht gegenüber einem sinnlos und mit aller Macht aufrechterhaltenen System“ beinhaltet, aber ist die sehr dezente Art und Weise, mit der er andeutet, wie herrlich Hunger bei 30 Cdeg. im Januar ist, echt übel.

2.
Es ist entgegen m. k. Darstellung gerade nicht belanglos oder gleichgültig, welche Gesten und Codes verwendet werden.
Für das Verständnis von o.g. ist es unabdingbar, den Kontext, in dem sie entstanden sind oder verwendet werden, zu beachten; gleiches gilt auch für Begrifflichkeiten.

Leicht verkommen Begriffe aus dem Zusammenhang gerissen zu leeren Worthülsen oder werden ihres Sinnes beraubt. Bestes Beispiel im negativen Sinne ist der deutsche Hip Hop Sampler „Krauts with Attitude“. Nähere Erläuterungen dazu erspare ich mir an dieser Stelle.

Insofern kann und wird es nie funktionieren, die Spezifik Jamaikas auf unsere Breitengrade zu übertragen. Die Verwendung von speziell jamaikanischen Codes etc. wird bei näherem Hinsehen stets nur lächerlich wirken, wenn sie von weißen Mittelklasse Kids verwendet werden.

3.
Daß es obszöne Ausdrucksweisen in allen Sprachen der Welt gab und gibt, war auch nichts Neues, aber was oder wen das rechtfertigen soll, wird mir nicht so recht klar. Oder ist es gar eine nachgeschobene Rechtfertigung für das angewandte Beispiel zum Thema Slackness; wofür ein Anklopfen bei Dir auf jeden Fall gerechtfertigt wäre ...

4.
Ohne auf den Sinn und Unsinn von Religion eingehen zu wollen, sei zum von m. k. dargestellten und hochstilisierten „typisch jamaikanisch religiösen Kontext“ und zur Ablehnung der sogenannten babylonischen Gesellschaft folgendes angemerkt.
Zwar ist es richtig, daß die Religion auf die Musik anfangs einen starken Einfluß hatte, aber änderte sich dies mit dem Wahlsieg der rechtslastigen Jamaican Labour Party, in dessen Zug die Rastafari-Bewegung an Bedeutung und Anziehungskraft verlor. Die Rastas hatten auf alles nur noch eine Antwort „One Love“. Eine gesellschaftliche Änderung war mithin von ihnen nicht mehr zu erwarten.
„Darüber hinaus ist Reggae zu diesem Zeitpunkt auf seine Art im Diesseits angekommen. An die Stelle des religiösen Mythos ist der Mythos des Alltags getreten. Das Leben so wie es ist und nicht so, wie es sein sollte, ist das Thema. Statt den spirituellen Auszug aus dem kapitalistischen Babylon wird das Recht auf Teilhabe eingefordert, der ‘clevere’ Umgang mit den Sachzwängen ist die einzige gültige Ideologie, ohne daß sie für eine solche gehalten wird. Momentan löst sich selbst die letzte Form der Verweigerung, das nur taktische Mitmachen, auf“ (vgl. Günter Jacob, Agit-Pop, Seite 138).
Diese Wandlung ging einher mit Losungen wie „Proud about Jamaika!“, die die Hinwendung zum neuen nationalistischen Heimatkult charakterisiert.
Zugute gehalten werden kann der Idee der physischen Rückkehr nach Afrika die damit verbundene Abkehr vom sogenannten babylonischen System, welches repräsentativ für das vermittels einer auf Geld und Privateigentum beruhenden Ökonomie die Menschen zerstört und entfremdet.
Die in der o.g. Wandlung liegenden bzw. sich daraus ergebenden Nationalismen sind aber in keinster Weise gerechtfertigt oder hinnehmbar. Vielmehr soll nachfolgendes Textbeispiel die volksmusikalische Hitparadenreife eines Textes dieser Zeit zeigen: „Oben in den Bergen/wo der Fluß so kühl ist/schwimmen die Leute im Wasser/drei Ziegen und drei Widder/Plantagen mit Bananen und Yam/wenn du mich fragst, Gott/nirgends ist es schöner als zu Hause“ ... ja, da bleibt wohl kein Auge trocken!

5.
Die Erklärung dafür, daß nur derjenige die Zeichen der Zeit erkannt hat, der die in Jamaika nicht selten existierenden rassistischen Ressentiments verteidigt, bleibt uns m. k. schuldig.

m.k., gibt es nunmehr den guten und den bösen Rassismus?
Den guten, vertreten vom Farbigen und den bösen, praktiziert vom „Weißbrot“?
Sind bestimmten Bevölkerungsgruppen zugeschriebene Verhaltensweisen und Eigenschaften nunmehr richtig, wenn sie nicht vom weißen mitteleuropäischen heterosexuellen Mittelklassemann ausgehen?
„Rasism sucks everywhere!“ … dafür muß nicht einmal ein theoretischer Rundumschlag geführt werden.

6.
Die größten Possen hat m. k. aber zum Thema Homophobie und Sexismus in Jamaika gerissen.

Abgesehen davon, daß m. k. es uns erspart, Erklärungsversuche zum Problem Homophobie in Jamaika zu liefern, versucht er, uns auch noch Morddrohungen der unterschiedlichsten Art und Weise als Reggae-Style und die coolste Sache der Welt zu verkaufen und spätestens da hört der Spaß endgültig auf.
Fakt ist, daß Homophobie ein Teil der Gesellschaft und der Linken ist!
Fakt ist, daß Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit (verbaler oder physischer Art) keine Ausnahmeerscheinungen des täglichen Lebens sind!
Fakt ist, daß es, selbst wenn es ein Erklärungsmuster für Homophobie gibt, dieses nicht dafür sorgt, daß Homophobie nunmehr ein begrüßenswerter Teil der Zeit ist. So what!?
Als eher peinlich ist dann schon der Versuch zu bezeichnen, den Begriff „Batty Boy“ anders zu verwenden oder ihm einen anderen Inhalt zuzuordnen.
Bei den meisten Argumenten in seinem Text versucht m.k., den Bezug zu Jamaika herzustellen und Authentizität herauszukehren, aber wenn es um den Begriff „Batty Boy“ geht, dann will er ihn stets anders verstanden und benutzt wissen als in Jamaika.
Dort steht er unmissverständlich für Schwule und taucht in Texten auch nur im Zusammenhang mit der „Geringschätzung“ dieser auf. Der Begriff ist ein fester Bestandteil jamaikanischer Homophobie, aber m. k. löst diesen ganz easy peacy aus jeglichem Zusammenhang und ... na ja, nachlesen könnt ihr es ja selber (CEE IEH, Nr. 73, Seite 11).
Das ist fast so, als ob man sein Kind mit einem KKK-Kostüm und brennenden Kreuz zum Karneval schickt und auf Nachfrage antwortet, damit wolle man nur auf die beschauliche Kleiderordnung in Nordamerika hinweisen.
Für Äußerungen wie: „God almighty himself hates homosexuals“ (Shabba Ranks) wird m. k. wohl auch noch eine jamaikanisch-deutsche Erklärung finden.

Zu jeder männerbündischen Gesellschaft gehört unvermeidlich die Diskriminierung von Lesben und Schwulen, die in letzter Konsequenz auf gewaltsame Angriffe hinausläuft, die von einem regelrechten „Antigay Reggae“ gerechtfertigt werden.
Die Diskussion, ob da nun die Morddrohung („Send for the automatic Uzi. Shoot them now come let me shot them!“) am Ende des Liedes steht oder schon in der Aussage „Boom bye bye“ liegt, ist keinen Fliegenschiß wert. Erstens weil sie über die homophobe Intention des Buju Banton nicht hinweghilft und zweitens reinen Formalismus darstellt, der dem Thema nicht angemessen ist.

Die im Raggamuffin’Reggae zum Ausdruck kommende Homophobie findet festen Rückhalt in der jamaikanischen Gesellschaft. Von allen Ländern der Karibik spielt auf Jamaika eine ausgeprägte Zwangsheterosexualisierung und Homophobie die größte Rolle.
Als Beispiel sollen an dieser Stelle nur die strafrechtlichen Sanktionen gegen homosexuelle Praktiken benannt werden.

Raggamuffin’Reggae ist eine male dominated world, was im Pop nicht einzigartig ist, aber der hier betriebene machismo zeigt seine Geringschätzung der Frauen offener, ist unmittelbarer als der „übliche“ Durchschnittsmachismo (vgl. Agit-Pop, S. 146). Dieser Machismus besteht aber nicht losgelöst von gesellschaftlichen Leitbildern, sondern ist fest im staatlichen und staatlich organisierten Sexismus verankert.
Das hat die Folge, daß Frauen, die sich gegen die rituelle Beschneidung in Afrika wenden als „antiafrikanisch“ abgetan werden und jamaikanische Feministinnen als letzten Ausweg nur die Auswanderung nach Nordamerika sehen.

Das m. k. zu guter letzt Textil- und FKK-Strände mit expliziten Sexismus gleichsetzt und männlichen Sexismus und mutmaßlich existierenden weiblichen Sexismus gegeneinander aufwiegt, kann an dieser Stelle getrost unbeantwortet bleiben, weil diese Wirrnisse so platt sind, daß selbst ein Sack Badewannenstöpsel lachen muß.

Über seine Verquickung von Überwachungsstaat und Kritik am Drogenkonsum, kann ich letztendlich nur noch ein Lächeln übrig haben und so bleibt mir nur die letzte Anmerkung, m. k.:

... wenn ich Dich das nächste Mal auf der Straße treffe und Dich anpinkle, dann soll das natürlich kein Ausdruck mangelnden Respekts gegenüber Deiner Person sein, sondern ein Ansporn für Dich... nicht zum Pinkeln, nein, sondern zum Denken!

JEE

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„Ihr könnt hier nicht schwul tanzen...!“

Eine wahre Geschichte aus der:
Distillery-Schriftzug, 1.2k – einem Leipziger Danceclub.

Dieser Artikel bezieht sich auf das Problem von Mister K. (CEE IEH #73, „reggae nah need nutt’n“), zu verstehen, daß es immer noch Leute gibt, die Rotzlöffel’s Hifi, ihn selbst oder andere VertreterInnen seines Genres bezüglich vermeintlicher Homophopie „offensichtlich unbegründet anficken“
.
Im folgenden dazu zunächst ein Vorfall, der sich am 22.12.00 auf der Mentality Freibeuters Tour in der Distillery ereignete. Rotzlöffels Hifi legen auf der Party von etwa 15-20 Leuten auf. Als zwei Schwule die einzigen auf dem Floor sind, die noch tanzen (rumknutschend!!!), fängt der MC an, das Paar in seinen Lyrics zu dissen. Als die beiden daraufhin eine Pause einlegen, wird ihnen durchs Mikro zugerufen: „Benehmt euch mal! Reißt euch zusammen!“ Kurz darauf wird einer der beiden direkt vor dem Plattenteller (Dose legt auf) angerempelt und von drei Typen (einer davon Mister K) angegangen: „Haut ab! Ihr seid Scheiße! Ihr könnt hier nicht schwul tanzen, wenn der Typ hier andauernd gegen Schwule singt!“ (dies wirklich O-Ton). Taten sie dann auch nicht mehr und verließen lieber den Club, bevor es zu schlimmeren Auseinandersetzungen kommen konnte.

Wenn jemand einerseits Schwule auf diese Weise angreift, anderseits Sätze wie „Schwulenfeindlichkeit sollte in einem aufgeklärtem Land wie dem unseren kein Thema sein“ äußert, ist das nicht zu begreifen. Daß man kaum fassen kann, was der Mensch in seinem Artikel abläßt, gilt auch für den Rest seines (im übrigen auch völlig sexistischen) Artikels. So erklärte Herr K. zum Beispiel, warum die Aufregung um homophobe Inhalte von Lyrics ganz einfach überflüssig ist, damit: bei Reggae geht’s um Style.
Dieser „Style“, der seiner Ansicht nach von der Wirkung abgetrennt ist, fungiert für Mister K. anschließend auch als Alibi, um die an Lesben und Schwule gerichtete Morddrohung des Tunes „Boom Bye Bye“ nicht für ein inhaltliches Problem zu halten. Schließlich, so die Logik, sind Morddrohungen, gleich welcher Art, eben auf jamaikanischen Clash-Tapes üblich. Damit fallen sie für ihn in die Kategorie Style und sind harmlos, ganz gleich, wem sie gelten.

Allerdings bleibt auch Mister K. am Ende seines Artikels nicht verborgen, daß Musik schon einen gewissen Einfluß auf die ZuhörerInnen hat, indem sie sich nämlich auf die Stimmung auswirkt. Solte es also doch einen Zusammenhang zwischen Style und Wirkung geben und: relativiert sich ein Inhalt mit der Häufigkeit seines Vorkommens? Ist es irgendwie legitim, sich homophobe Äußerungen (angeblich nur) zum Style zu machen, solange es bei einem beschissenen Gehabe und verbaler Gewalt bleibt...?

Auch nicht klar ist mir, wie Mister K drauf kommt, daß es nicht von Belang ist, „welche Gesten, Codes oder Klamotten irgendwelcher Protagonisten“ sich bedienen (außer bei Glatzen, da ist ihm die Sache mit dem Style und der Wirkung dann plötzlich klar). Auch entschärft es die Lyrics der Rotzlöffels, speziell den Ausdruck „Batty Boy“ kaum, daß sie mit dem Ausdruck, ja „nicht immer Homosexuelle an sich“, sondern eigentlich Arschlöcher, wie z.B. Stoiber, Bullen, Bush (...) meinen.

Bei allen Unklarheiten ist jedenfalls offensichtlich, daß nicht nur die KritikerInnen, die alten „propagandistischen Dreckshälse“, bei Rotzlöffels Hifi homophoben Inhalt (zu) finden (glauben), sondern auch Leute, die mit auf deren Bühne stehen oder zu ihrem Publikum gehören. Letztere verstehen eben doch eine schwulenfeindliche Message als das, was sie ist, schlimmstenfalls wie im oben genannten Fall als Handlungsanweisung.

Juel



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last modified: 28.3.2007