Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 2001
13. Januar 2001 | VERANSTALTUNG + PARTY | ab 19:00 Uhr SO 36 | Berlin-Kreuzberg
14. Januar 2001 | ANTIFABLOCK | 10:00 Uhr Frankfurter Tor | Berlin
Kein Anstand Aufstand!
Die Herrschaft des Anti-Totalitarismus
Seit Beginn der Bundesrepublik wurde Antifaschismus unter dem Verdacht von
Kommunismus und Linksradikalismus bekämpft. Durch die Gleichsetzung von
Kommunismus und Nationalsozialismus konnte die eigene Vergangenheit relativiert
und trotzdem an ein zentrales Ideologem des Dritten Reiches, den
Antikommunismus, angeknüpft werden.
Der Antitotalitarismus war damit ein zentrales Projekt der Aussöhnung mit
der faschistischen Vergangenheit und Grundlage für ein postfaschistisches
Deutschland. Gleichzeitig war der Antikommunismus die Eintrittskarte in die
Westbindung auch hier waren bald die Verbündeten gegen Moskau
wichtiger als die Verurteilung von Kriegsverbrechern oder gar die
Entschädigung der Opfer.
Geschichte der Demo
Nachdem Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 1919 in Berlin-Friedrichsfelde
beerdigt worden waren, wurde alljährlich eine Demonstration zum Gedenken
an beiden Kommunisten und die vielen anderen Opfer der Novemberrevolution und
der Aufstände zu Beginn der 20er Jahre begangen. Diese Tradition dauerte
bis zum Beginn der Naziherrschaft 1933 an. Selbst während der 12 Jahre
Nationalsozialismus kam es immer wieder zu Spaziergängen und
Kranzniederlegungen am Friedhof der Sozialisten.
Nach 1945 wurde die Tradition der Gedenkdemonstrationen wieder aufgenommen und
später in der DDR in deren Sinne umgestaltet. Nachdem 1989 die DDR
zusammengebrochen war, waren viele überrascht, als die Tradition des
Luxemburg-Liebknecht-Gedenkens weiterhin von zehntausenden Menschen in
veränderter Form weitergeführt wurde. Einerseits gab und gibt es das
Stille Gedenken am Friedhof selbst und andererseits die
Demonstration aus Friedrichshain zum Friedhof der Sozialisten.
Seit 1996 beteiligt sich die Antifaschistische Aktion an der Demonstration.
Nachdem es 1995 zu schweren Auseinandersetzungen als Reaktion auf einen
Polizeieinsatz gegen ein Antifa-Agitprop-Theater auf dem Friedhofsvorplatz
gekommen war, versuchte die Berliner Polizei immer wieder die Demonstration zu
stören oder gar zu zerschlagen. Den Höhepunkt dieser Versuche bildete
das Verbot der Demonstration im vergangenen Jahr, nachdem es eine
Anschlagsdrohung gegen die Ehrung gegeben hatte. Trotz des Verbots kam es zu
einer Spontandemonstration durch Friedrichshain an der sich mehrere tausend
Menschen beteiligten.
Antifaschismus statt Antitotalitarismus
Trotz Modernisierung regiert unvermindert die Extremismustheorie als das
gängige Erklärungsmuster gesellschaftlicher Konflikte.
Otto Schily (Innenminister) und Joachim von Harbou (Vorstand Dresdner Bank).
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Die 68er hatten mit ihrer geschichtspolitischen Intervention erstmalig mit den
Dogmen der Totalitarismus-Diskussion gebrochen. Der
Nationalsozialismus wurde als spezifisches-kapitalistisches
Herrschaftssystem als Faschismus diskutiert. Ihre Kritik richtete
sich einerseits auf einfache personelle Kontinuitäten von
Nationalsozialismus in die Bundesrepublik, als auch auf Faschismus als
Krisenoption des Kapitalismus. Sie stellten damit den Zusammenhang
zwischen Faschismus und einer Demokratie her, die sich selbst als das absolute
Gegenteil verstehen musste.
In der Gegenüberstellung von Demokratie versus totalitäre
Regime wird nur die Verfasstheit des Kapitalismus zur Diskussion
gestellt, während er selbst als natürliche Gesellschaftsform
vorausgesetzt wird. Der Kapitalismus stellt die Individuen als freie und
gleiche gegenüber und die Demokratie schafft die rechtlichen Grundlagen,
in der diese Freiheit und Gleichheit organisiert wird. In den bürgerlichen
Rechten findet die Vorstellung von Gesellschaft lediglich als Summe einzelner
Individuen ihre Entsprechung, das heißt, sie sind in ihrem Kern
antigesellschaftlich!
Gleichzeitig muß der Kapitalismus sein eigenes Freiheitsideal wieder
einschränken: Der Verwertungsstandpunkt ist der im Kapitalismus
entscheidende, die gesellschaftlichen Prozesse und damit die
Entfaltungsmöglichkeiten der Einzelnen bestimmende. Eingeschränkt
durch die Notwendigkeit des Profits können die
Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen nur im Verhältnis der
Konkurrenz gedacht werden. Sozialdarwinismus und Rassismus können als
ideologische Übersetzer dieses Verwertungsstandpunktes verstanden
werden.
In Krisenzeiten (die sowohl in sozialen Unruhen als auch in immanenten
Problemen wie Absatzkrisen bestehen können) kann die Bedeutung der
demokratischen Verfasstheit der Gesellschaft zugunsten unmittelbarer und
rigider Durchsetzung von Kapital-Interessen zurücktreten: dies meint die
Formulierung der Krisenoption Faschismus.
Hinter dem Faschismus steht das Kapital?
Welche geseschaftliche Funktion haben Nazis?
Der alte biologistische Rassismus hat ausgedient. Deutschland ist
Einwanderungsland, das mußte inzwischen auch die CDU einsehen.
Etabliert wird das neue Bild des Deutschen. Aber deutsch muß er schon sein.
Die Werbekampagne Deutsche gegen Rechte Gewalt von Scholz & Friends versucht,
mit Nationalismus gegen Rassismus anzugehen.
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Die Frage, ob die Nazis für die bundesrepublikanische Gesellschaft eine
Krisenoption im faschistischen Sinne erfüllen, muss wohl derzeit verneint
werden. Ihre gesellschaftliche Funktion liegt viel eher auf der unmittelbar
politischen Ebene. Es gelingt ihnen bisweilen, sich als Volkszorn
darzustellen, auf den die Politik zu reagieren hat oder als Tabubrecher in der
Diskussion um verschärfte Asylgesetzgebung, Ausländerhetze und
Rassismus. Extreme rechte Bewegungen haben unter den heutigen Bedingungen in
Europa vor allem dann Erfolg, wenn es ihnen gelingt, an Umstrukturierungen
innerhalb der Nationalstaaten und der Nationalstaaten selbst anzuknüpfen.
Sie treten einerseits als neoliberale Sanierer auf (wie zum Beispiel die
FPÖ in Österreich) andererseits bieten sie sich den Wählern in
den entsprechenden Ländern mit ultranationalistischen Programmen als
Lösung für verstärkte Verteilungskämpfe an. Diese Rolle
haben in der Bundesrepublik Schritt für Schritt die etablierten Parteien
übernommen. Gleichzeitig hat sich die extreme Rechte zur Naziszene
entwickelt, deren politische Konzepte nicht mehr mit den Anforderungen eines
modernen kapitalistischen Staates vereinbar scheinen.
Dabei liegt es sicherlich in der Logik der Standort-Debatte, den
Diskurs über nützliche und unnütze
Ausländer tabufrei führen zu können. Dennoch gehen die
wirtschaftlichen Interessen offensichtlich nicht einfach Hand in Hand mit den
Nazis, wenn schon der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Industrie sich im
Bündnis gegen rechts engagiert: Die Unterscheidung zwischen
unnützen und nützlichen Ausländern ist
im Kern rassistisch; wenn die Nazis sich allerdings als Bedrohung für die
nützlichen Ausländer und damit als Hindernis
kapitalistischer Modernisierung erweisen, sind sie offensichtlich nicht auf der
Höhe der Zeit und das bekommen sie zu spüren. Die Politik soll in
Deutschland nicht auf der Straße gemacht werden.
Dabei werden sie zum nützlichen Idioten, indem ihre Aufmärsche, die
den Anständigen in In- und Ausland zum Anstoß gereichen, zum Anlass
eines Demokratie-Abbaus genutzt werden, der sich ebenfalls in Zeiten
globalisierter Wirtschaft und neoliberaler Standort-Politik als Hemmnis
gesellschaftlicher Reproduktion darstellt. Demokratie ist in zweierlei Hinsicht
aus der Mode geraten: einerseits vermindert sich im globalisierten
Neoliberalismus real der Bereich, auf den demokratische Entscheidungsfindung
noch Einfluss nehmen kann, gleichzeitig ist die Funktion von Politik in immer
stärkeren Maße die Organisation des Standortes und in dieser
Hinsicht auch von Ruhe und Ordnung Demokratie wird dabei oft
als Standortnachteil diskutiert. Demokratie ist als systemfunktionale
politische Form der kapitalistischen Gesellschaft nicht zwingend.
Antifaschismus und Antikapitalismus
Machen wir uns selber dumm?
Die Positionen der 68er waren für die radikale Linke bis in die 90er Jahre
ein Bezugspunkt, wenn auch die möglichen gemeinsamen
Interessen von Kapital und Faschismus oft vereinfacht wurden auf unmittelbare
Zusammenarbeit von Nazigruppen und dem deutschen Staat. Es ist vielfach nicht
gelungen, die spezifische Kritik am postfaschistischen Deutschland,
nämlich die personelle und institutionelle Kontinuität der Nazis in
die Bundesrepublik hinein, von der Systemkritik zu trennen. Damit
ist der Linken eine zentrale Funktion der Nazis und der extremen Rechte
zugunsten von Verschwörungstheorien verloren gegangen, die hinter der
kleinen Glatze von nebenan das Kapital hat am Faden ziehen sehen.
Vereinfachte Vorstellungen über den Zusammenhang von Faschismus und
Kapitalismus, hinter dem Faschismus steht das Kapital wörtlich
genommen, können keine brauchbaren Anleiter linker Politik sein. Der
Begriff des Revolutionären Antifaschismus ist programmatisch
zu sehen, er bezeichnet den Anspruch, dass die Wurzeln faschistischer
Herrschaft und Ideologie im kapitalistischen Gesellschaftssystem zu suchen, zu
kritisieren und zu bekämpfen sind. Das Problem, daß man
gesellschaftliche Verhältnisse nicht persönlich angreifen
kann, ist nicht dadurch umgangen, daß Nazis einfach zu ihren Vorreitern
definiert werden. Antifaschistischer Kampf ist nicht automatisch der
Kampf ums Ganze und wenn er es sein soll muß diese Position
erarbeitet und verteidigt werden. Wer gedacht hat, mit dem Kampf gegen die
Glatzen die Gesellschaftskritik bereits eingekauft zu haben, hat sich
getäuscht.
Deutsche Selbstfindung auf rot-grün
Gegen Nazis als Staatsideologie?
Dass gerade die Vertreter der 68er Generation sich zum Vorreiter eines
scheinbaren Antifaschismus machen, die doch letztlich die Debatte nur auf den
Stand der Zeit bringt, hat schließlich für viele (radikale) Linke zu
einer Verunsicherung geführt, die ganz unangebracht ist. Gerade die
Position der Ex-Kritiker erlaubt der rot-grünen Regierung im Interesse
eines gesellschaftlichen Konsenses eine neue Definition des Antifaschismus zu
pushen, die den alten Antikommunismus nicht mehr ganz so nötig hat (obwohl
die Extremismusthese unverringert regiert), der dennoch den Kampf gegen eine
Nazipartei verbindet mit verschärfter Asylpolitik und Abbau demokratischer
Rechte.
Dabei wäre es falsch zu behaupten, die rot-grüne-Regierung vertrete
dieselbe Position im Hinblick auf die Nazis wie die derzeit abgehalfterten
Konservativen nur eben in neuem Gewand. In der Diskussion um
Rechtsextremismus präsentieren sie ihren modernisierten
Ideologie-Mix, der die Veränderung der deutschen Selbstsicht illustriert.
Seit Beginn der Diskussion ist das Thema Rechtsextremismus bzw.
rechtsextreme Gewalt das Ticket, auf dem Demokratieabbau, Verschärfung des
Versammlungrechtes, Innere Sicherheit, Videoüberwachung etc. durchgesetzt
werden. Das Problem rechter Hegemonie in vielen gesellschaftlichen Bereichen,
nicht zuletzt in der Jugendkultur von Ostdeutschland, ist mit einem
Parteiverbot nicht zu bekämpfen. Der weit verbreitete Rassismus der
Bevölkerung wird von den Politikern angegriffen, die mit der
Kriminalisierung von Ausländern und ihrer Diskriminierung
durch Sondergesetze, Lagerunterbringung und Abschiebung in Folter und Tod
Repräsentanten des staatlichen Rassismus sind.
Die rot-grüne Geschichtspolitik hat mit der Bewältigung
durch Ausblendung und Verharmlosung der Nazi-Vergangenheit in der konservativen
Ära gebrochen und ist zu Bewältigung durch Historisierung
übergegangen. Indem der deutsche Faschismus und die Shoa in die Geschichte
der Deutschen eingeordnet wird, aus der man gelernt hat, wird es möglich,
den Bezug zur nationalen Identität zu normalisieren,
Patriotismus scheint plötzlich wieder ein vertretbares Anliegen zu sein.
Die Verschiebung der alten Bluts-Rechts-Vorstellung (deutsch ist, wer deutscher
Abstammung ist), wird zugunsten einer deutschen Leitkultur gebrochen. Der
Fortschritt verschwindet hinter der funktionalen Modernisierung des
Nationenbegriffs ganz nebenbei ein Schlag gegen die Vorstellungen der
offenen Grenzen und der gleichen Rechte für alle.
Toleranzgelaber ist widerlich!
Die neue Rethorik der Demokraten
40.000 ins Gesicht gepißt sollen laut Berliner Polizei AntifaschistInnen
durch ihre Störkationen des Aufstand der Anständigen am 9. November 2000 in Berlin.
Keine Toleranz gab es gegen das Transparent Nazis morden, der Staat schiebt ab!,
das vor der Bühne gezeigt wurde.
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Das neue Kollektiv stellt sich auch im Aufstand der
Anständigen her. Die Politik leugnet einfach ihre Verantwortlichkeit
für Rassismus und rechte Ideologien und fordert vom Volk mehr Toleranz.
Toleranz muss nur dem gewährt werden, der keine Rechte hat, die er
einfordern kann. die passiven Opfer, die zu tolerieren sind,
bleiben als die Anderen Projektionsfläche rassistischer und
diskriminierender Zuschreibung. Eine politische Artikulierung der Opfer ist
nicht gewünscht, ist ihnen in vielen Fällen auch nicht erlaubt. Die
Unterscheidung in diejenigen, die zu tolerieren sind und die, die tolerieren
und dazu auch von Geburt berechtigt sind, wird verstärkt. Gleichzeitig
wird von politischen Gestaltungsmöglichkeiten geschwiegen: die Regierung
fordert Toleranz von der Bevölkerung, statt die Abschiebeknäste zu
schließen, die Grenzen zu öffnen, gleiche Recht für Alle zu
realisieren, die Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Faschismus zu
pflegen, die Obdachlosen von der Straße zu holen...
Zusätzlich werden die Regulationsinstanzen der Menschenrechte, die nicht
zuletzt aus der Erfahrung des deutschen Faschismus geschaffen worden sind,
geschwächt. Sie werden ersetzt durch eine machtverflochtene Definition,
die die Beschwörung der Menschenrechte immer dann zum Tragen kommen
läßt, wenn mit Hilfe von einer allgemeingültigen
Moral Einzel- oder Teilinteressen (zum Beispiel
Standort-Deutschland-Interessen) durchgesetzt werden müssen.
Soziale Bewegung, Antikapitalismus, Reform und Revolution
Funktion der Radikalen Linken ist es, Widersprüche zuzuspitzen.
Symbolische Aktion gegen rassistische Abschiebepraxis bei einer Demonstration gegen
die Bundeszentrale der NPD in Köpenick. AntifaschistInnen versuchen bei der
Zwischenkundgebung den Abschiebeknast zu stürmen.
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Die derzeitige weltweite Neuorganisierung der kapitalistischen
Verhältnisse muss auch eine neue politische Regulation schaffen, die die
Menschen fürs Kapital organisiert. Wie diese politische Form aussehen
wird, ist im Moment noch nicht entschieden und selber eine politische
Auseinandersetzung. Es ist kein Fakt, sondern eine politische Entscheidung, ob
wir den Kampf um eine bessere Gesellschaft aufnehmen oder bleiben lassen und
uns im Ende der Geschichte einrichten. Gesellschaftliche Veränderung
entsteht aus sozialer Bewegung und einer theoretisch fortgeschrittenen Fassung
des aktuellen Stadiums des Kapitalismus. Beidem muss sich jeder linksradikale
Ansatz heute stellen.
Politik und Kritik sind kein Gegensatz, sondern es ist eine Aufgabe, die
zersetzende und durchaus praktische Kritik zu organisieren. Die Radikalen haben
sich in der Linken immer als Zuspitzer gesehen, als diejenigen, die auf die
Begrenztheit reformerischer Perspektiven aufmerksam machen. Die Perspektive
radikaler Kritik bleibt die befreite Gesellschaft, in der das Denken,
Fühlen, Wünschen der Menschen nicht der Verwertung unterworfen ist
genauer ist es zur Zeit leider nicht zu haben. Die Probleme einer
planerischen Utopie haben sich in den staatlichen Sozialismen des letzen
Jahrhunderts überdeutlich gezeigt. Unsere Position bleibt zu sagen, dass,
solange keine gesellschaftliche Umwälzung in Sicht ist, die die
reformerischen Ansätze in einer freien Gesellschaft aufhebt, wird sich die
Reform immer wieder im gleichen Mainstream wiederfinden.
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