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Im Folgenden dokumentieren wir einen Redebeitrag der Leipziger übergreifenden Arbeitsgruppe Delitzsch welcher am 4. November in Delitzsch, auf der Demonstration „Delitzsch und Umland nicht in Nazihand“ gehalten wurde.
Und es gibt ihn doch! (frei nach Galileo Galilei)
Warum wir von einem „Pakt“ von Nazis und Behörden in Delitzsch sprechen
Von der Leipziger Antifa-AG Delitzsch

Balken, 48.6k
Als Leipziger Antifa-Arbeitsgruppe zur Situation in Delitzsch sprechen wir bekanntlich von einem „Pakt“ zwischen Nazis und Behörden. Diesen „Pakt“ verstehen wir nicht als einen, der formal zu Papier gebracht wurde oder sonstwie formaljuristisch vereinbart worden ist.
Vielmehr meinen wir damit die nachweislichen Fakten, die belegen, daß in Delitzsch die Nazis über Monate leichtes Spiel hatten, weil Verantwortungsträger aus den Behörden mit ihnen quasi kooperierten.
Um das zu vernschaulichen, an dieser Stelle einge Beispiele:
Mitte Februar diesen Jahres wurden Besucher des Jugendzentrums YOZ in Delitzsch West von ca. 50 Neonazis attackiert. Die daraufhin eintreffende Leipziger Bereitschaftspolizei griff sofort die YOZ-Besucher an, weil die sich gegen den Naziangriff zur Wehr setzten. Es kam zu willkürlichen Festnahmen und Verletzten auf seiten der YOZ-Besucher. Die Neonazis blieben unbehelligt. Gegen mehrere YOZ-Besucher wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Als ein Ergebnis der ständigen Nazi-Angriffe nimmt der zweite Bürgermeister von Delitzsch, Theo Arnold, Kontakt mit den Nazis auf. Er bietet ihnen das YOZ als ihren Treff an, was sogar soweit geht, daß er sie zu anmiieren versucht, dort „eigene“ Veranstaltungen durchzuführen. Der Öffentlichkeit erklärt Arnold das so: „Wir gehen in Delitzsch unseren eigenen Weg (...).“ Dafür, daß die sonstigen YOZ-Besucher über Monate von Nazis attackiert wurden, werden sie von Arnold gemaßregelt: Das YOZ wurde für zwei Wochen kurzerhand geschlossen und die Gäste bekamen „14 Tage Zeit zum Nachdenken“. Gemeint war das so: Wiederkommen sollten nur die, die Nazis im YOZ akzeptieren würden!
Wie das Einrücken der Nazis ins YOZ weiter lief, schreibt Die Wochenzeitung Die Zeit vom 10. August 2000. Bürgermeister Arnold „begleitet sie (die Nazis) über die Staße zum Jugendhaus (YOZ). Dort fordert er, daß sie hier auch Zutritt haben sollen. Der Auftritt verläuft nicht ganz so, wie der Bürgermeister es sich vorgestellt hat. Seine Jugendlichen stoßen wilde Drohungen aus und prophezeien einem stadtbekannten Linken, ihn ‘zwei Meter unter die Erde zu bringen’. Der Bürgermeister schüttelt traurig den Kopf: ‘Nein, die Jungs haben sich wirklich gar nicht gut benommen’."
Die Nazis starteten ihre zahllosen Attacken und Überfälle insbesondere aus der Gaststätte Kuhstall in Delitzsch West. Als diese pleite ging, forderten die Nazis von der Stadtverwaltung einen eigenen Treff. Die Zeit schreibt zu diesen Forderungen der Nazis: „Es kommt zu mehreren informellen Treffen zwischen den rechten Jugendlichen, dem Bürgermeister (Arnold) und der Jugenddezernentin. Auch der (Delitzscher Naziführer) Maik S(scheffler) ist dabei. Er kann sich nicht daran einnern, daß ihn jemand gefragt hätte, was er so denke. ‘Diskusionen über Grundsatzfragen gab es nicht’, bestätigt auch Bürgermeister Arnold. Nur ruhig sollten sie sein, das war dem Bürgermeister wichtig. Außerdem gebe es in Delitzsch keine rechten Jugendlichen, nur ‘rechts orientierte’. Einen ideologischen Hintergrund hätten sie nicht.“
Zu dem Delitzscher Maik Scheffler, dem hiesigen „Kameradschaftsführer“ der Nazis, weiß Die Zeit folgendes zu berichten: „Das ist einer der Jugendlichen, die der Bürgermeister, die Jugenddezernentin und der Polizeichef von Delitzsch als ‘orientierungslos’ einschätzen. Als junge Leute, die noch nicht genau wüßten, was rechts oder links bedeutet.“
Im Mai diesen Jahres erstellt die Stadtverwaltung Delitzsch eine „Bedarfsanalyse“. Darin heißt es: „Trotz Trägervielfalt in der Jugendarbeit der Stadt mußten wir nach Prüfung feststellen, daß sich kein Angebot an rechtsorienierte Jugendliche richtet. Es erscheint nicht sinnvoll, diese sich neu entwickelnde rechte Gruppierung von Jugenlichen aus der Jugendarbeit der Stadt Delitzsch auszugrenzen.“ Unter dem Punkt „Zielvorstellungen“ steht: „Ziel des Projektes ist es, die soziale Integration im Besonderen von benachteiligten und anders denkenden Jugendlichen zu fördern sowie Gefährdungen von Gewalt abzubauen“. Bürgermeister Arnold fällt dazu allerdings nur ein: „Wir wissen auch nicht, ob diese Jugendlichen therapiefähig sind.“
Das Projekt Treff für die Nazis nahm immer mehr Gestalt an. Die Zeit war es wiederum, die einen weiteren Skandal ans Tageslicht beförderte. „Kameradschaftsführer“ Scheffler plauderte über den neuen Treff für die Nazis: „Die Stadt habe ihm sogar eine ABM-Stelle als Sozialarbeiter im neuen Club angeboten, erzählt er. Das habe er aber abgelehnt.“
Der Delitzscher Stadtrat entschied sich mit 13 von 14 Stimmen in einer geheimen Abstimmung aus Angst vor der Öffentlichkeit und den Nazis – für einen Nazi-Treff.
Am 14. Juli überfallen mehrere Nazis eine Wohnung und drohen der Delitzscher Familie. Augenzeugen sagen übereinstimmend aus, daß Maik Scheffler dabei war. Trotzdem wird gegen ihn seitens der Polizei gar nicht erst ermittelt. Im Zusammenhang mit dem Überfall bezeichnet es der für Delitzsch zuständige Leiter der Polizidirektion Torgau, Wolfram Thiele, positiv und als von der Stadt Delitzsch „sehr mutig“, einen Klub nur für die Nazis einzurichten.
Der Überfall auf die Familie wird zum Anlaß genommen, daß Projekt Naziklub doch auf Eis zu legen. Warum, enthüllt die Leipziger Volkszeitung Regionalausgabe Delitzsch vom 20. Juli 2000: Denn „eine Vereinbarung zwischen rechten Jugendlichen und der Stadtverwaltung schließt Straftaten eindeutig aus.“
Über Oberbürgermeister Bieniek recheriert die Tageszeitung junge Welt (v. 11.09.2000): „Daß in seiner Stadt Neonazis auf dem Vormarsch sind, will er erst im Juli nach dem Überfall auf die Familie erfahren haben. Sollte der Verfassungsschutz schon vorher etwas gewußt haben, ‘ist es unverzeihlich, daß die mich nicht informiert haben’.“ Weiter sagt Bieniek gegenüber dem Blatt: „Wenn mich meine Sekretärin anruft und mir sagt: ‘Hier sitzen Herr Scheffler und vier seiner Leute in heller Aufregung. Sie wollen demonstrieren. Was soll ich tun?’ Dann komme ich natürlich sofort und rede mit ihnen!“
Am 03.09.2000 findet die Demo der Nazis trotz Verbot statt. Erst nach mehreren hundert Metern werden die ca. 50 Nazis gestoppt und von einigen die Personalien aufgenommen.
Eine linke Demonstration am selben Tag wurde ebenfalls verboten, weil sich die Staatsgewalt außer Stande sah, die antifaschistische Demo vor den 50 Nazis „zu schützen“.
Eine Plakataktion der PDS („Nazis raus aus den Köpfen“) kommentierte der OBM Bieniek mit den an die örtlichs PDS gerichteten Worten: „Sie wissen doch genau, daß im Tiergarten (Ort in Delitzsch) rechtsorientierte Jugendliche arbeiten, die sich durch das Plakat provoziert fühlen.“
Mit derselben Begründung verbot die Stadt ein Konzert „Gegen Faschismus“ im YOZ. Es würde die Nazis bloß provozieren. Erst per Gerichtbeschluß konnte das erfolgreich durchgeführte Konzert durchgesetzt werden. Ensprechend abfällig und diffamierend äußerte sich Bieniek: „Es seien ihm ‘ekelerregende’ Szenen geschildert worden über ‘besoffene und vollgefixte Personen’, die in Ecken herumlagen. ‘Da habe ich kein Interesse, da noch hinzugehen’, erwiderte er auf die Kritik, daß führende Kommunalpolitiker sich bei dem Konzert nicht hätten blicken lassen.“ (Leipziger Volkszeitung, Regionalausgabe Delitzsch v. 16.10.2000)
Welch gefährlich kleingeistiges Stammtischkaliber OBM Bieniek ist, bewies er gegenüber der Berliner Zeitung vom 05.09.2000. Der teilte er angesichts mehrerer hundert wohnhafter sogenannter russischer Aussiedler im Plattenbaugebiet Delitzsch West mit, die da seit Wochen von Neonazis drangsaliert wurden: „Ich muß doch hier noch sagen dürfen, daß die Aussiedler in Delitzsch-West provokativ ständig Russisch sprechen. In ihrer alten Heimat sprachen sie doch deutsch. Wo liegt denn da der Grund, daß sie überhaupt hergekommen sind? (...) Sie sollten sich so benehmen, wie sich das gehört.“
Der Initiator des Delitzscher Runden Tisches gegen Gewalt und Rechtsextremismus, der evangelische Pfarrer Wolfgang Krauß, irrt schwerwiegend, wenn er öffentlich bekundet, es tue not, sich dagegen zu verwahren, daß „sich hier Leute von außerhalb zu einem Problem artikulieren, daß nur die Delitzscher etwas angeht.“ (Leipziger Volkszeitung, Regionalausgabe Delitzsch vom 26.10.2000)
Angesichts der schier erdrückenden Faktenlage war und ist es mehr als notwendig, mit dem Finger auf die Delitzscher Verhältnisse gezeigt zu haben bzw. zu zeigen.
Bekanntlich wurde der Demonstrationsanmelder und sein Mitarbeiter sowie wie wir als Arbeitsgruppe Delitzsch vom Landrat Czupalla, OBM Bieniek sowie dem Chef der Torgauer Polizeidirektion, Wolfram Thiele, wegen des Verweises auf die Faktenlage in Delitzsch angezeigt.
Weil wir von einem „’Pakt’ von Nazis und Behörden“ sprechen, würden wir verleumden, ehrverletzen und zu Gewalt gegen Personen und Sachen aufrufen.
Allein diese Dreistigkeit ist bezeichnend und sie wird, so sie denn unbedingt wollen, vor Gericht quasi vom Rechtsstaat zu Fall gebracht werden. Von jenem Rechtsstaat, den sie bemühten, um unsere Demonstration gegen ihr paktierendes Vorgehen zu verhindern.
Auch wenn wir es als linke und linksradikale Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht als unsere Aufgabe ansehen, Povinzfürsten in Kommunal-Politik und Verwaltung Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie zu geben, so werden wir doch auch in Zukunft zivilisatorische Standards einklagen, damit dieser Selbstherrlichkeit, wie sie hier in Delitzsch vorherrscht, Riegel vorgeschoben werden.

Arbeitsgruppe Delitzsch • c/o Infobüro • Bornaische Straße 3d • 04277 Leipzig
Fax: 0341-3013269 • E-Mail: agdelitzsch@gmx.de • Internet: www.nadir.org/bgr

Aber uns gibt’s auch!



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last modified: 28.3.2007