Warum wir von einem Pakt von Nazis und Behörden in Delitzsch sprechen
Von der Leipziger Antifa-AG Delitzsch
Als Leipziger Antifa-Arbeitsgruppe zur Situation in
Delitzsch sprechen wir bekanntlich von einem Pakt zwischen Nazis
und Behörden. Diesen Pakt verstehen wir nicht als einen, der
formal zu Papier gebracht wurde oder sonstwie formaljuristisch vereinbart
worden ist.
Vielmehr meinen wir damit die nachweislichen Fakten, die belegen, daß in
Delitzsch die Nazis über Monate leichtes Spiel hatten, weil
Verantwortungsträger aus den Behörden mit ihnen quasi kooperierten.
Um das zu vernschaulichen, an dieser Stelle einge Beispiele:
Mitte Februar diesen Jahres wurden Besucher des Jugendzentrums YOZ in Delitzsch
West von ca. 50 Neonazis attackiert. Die daraufhin eintreffende Leipziger
Bereitschaftspolizei griff sofort die YOZ-Besucher an, weil die sich gegen den
Naziangriff zur Wehr setzten. Es kam zu willkürlichen Festnahmen und
Verletzten auf seiten der YOZ-Besucher. Die Neonazis blieben unbehelligt. Gegen
mehrere YOZ-Besucher wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Als ein Ergebnis der ständigen Nazi-Angriffe nimmt der zweite
Bürgermeister von Delitzsch, Theo Arnold, Kontakt mit den Nazis auf. Er
bietet ihnen das YOZ als ihren Treff an, was sogar soweit geht, daß er
sie zu anmiieren versucht, dort eigene Veranstaltungen
durchzuführen. Der Öffentlichkeit erklärt Arnold das so:
Wir gehen in Delitzsch unseren eigenen Weg (...). Dafür,
daß die sonstigen YOZ-Besucher über Monate von Nazis attackiert
wurden, werden sie von Arnold gemaßregelt: Das YOZ wurde für zwei
Wochen kurzerhand geschlossen und die Gäste bekamen 14 Tage Zeit zum
Nachdenken. Gemeint war das so: Wiederkommen sollten nur die, die Nazis
im YOZ akzeptieren würden!
Wie das Einrücken der Nazis ins YOZ weiter lief, schreibt Die
Wochenzeitung Die Zeit vom 10. August 2000. Bürgermeister Arnold
begleitet sie (die Nazis) über die Staße zum Jugendhaus (YOZ).
Dort fordert er, daß sie hier auch Zutritt haben sollen. Der Auftritt
verläuft nicht ganz so, wie der Bürgermeister es sich vorgestellt
hat. Seine Jugendlichen stoßen wilde Drohungen aus und prophezeien einem
stadtbekannten Linken, ihn zwei Meter unter die Erde zu bringen.
Der Bürgermeister schüttelt traurig den Kopf: Nein, die Jungs
haben sich wirklich gar nicht gut benommen."
Die Nazis starteten ihre zahllosen Attacken und Überfälle
insbesondere aus der Gaststätte Kuhstall in Delitzsch West. Als diese
pleite ging, forderten die Nazis von der Stadtverwaltung einen eigenen Treff.
Die Zeit schreibt zu diesen Forderungen der Nazis: Es kommt zu mehreren
informellen Treffen zwischen den rechten Jugendlichen, dem Bürgermeister
(Arnold) und der Jugenddezernentin. Auch der (Delitzscher Naziführer) Maik
S(scheffler) ist dabei. Er kann sich nicht daran einnern, daß ihn jemand
gefragt hätte, was er so denke. Diskusionen über
Grundsatzfragen gab es nicht, bestätigt auch Bürgermeister
Arnold. Nur ruhig sollten sie sein, das war dem Bürgermeister wichtig.
Außerdem gebe es in Delitzsch keine rechten Jugendlichen, nur
rechts orientierte. Einen ideologischen Hintergrund hätten sie
nicht.
Zu dem Delitzscher Maik Scheffler, dem hiesigen
Kameradschaftsführer der Nazis, weiß Die Zeit folgendes
zu berichten: Das ist einer der Jugendlichen, die der Bürgermeister,
die Jugenddezernentin und der Polizeichef von Delitzsch als
orientierungslos einschätzen. Als junge Leute, die noch nicht
genau wüßten, was rechts oder links bedeutet.
Im Mai diesen Jahres erstellt die Stadtverwaltung Delitzsch eine
Bedarfsanalyse. Darin heißt es: Trotz
Trägervielfalt in der Jugendarbeit der Stadt mußten wir nach
Prüfung feststellen, daß sich kein Angebot an rechtsorienierte
Jugendliche richtet. Es erscheint nicht sinnvoll, diese sich neu entwickelnde
rechte Gruppierung von Jugenlichen aus der Jugendarbeit der Stadt Delitzsch
auszugrenzen. Unter dem Punkt Zielvorstellungen steht:
Ziel des Projektes ist es, die soziale Integration im Besonderen von
benachteiligten und anders denkenden Jugendlichen zu fördern sowie
Gefährdungen von Gewalt abzubauen. Bürgermeister Arnold
fällt dazu allerdings nur ein: Wir wissen auch nicht, ob diese
Jugendlichen therapiefähig sind.
Das Projekt Treff für die Nazis nahm immer mehr Gestalt an. Die Zeit war
es wiederum, die einen weiteren Skandal ans Tageslicht beförderte.
Kameradschaftsführer Scheffler plauderte über den neuen
Treff für die Nazis: Die Stadt habe ihm sogar eine ABM-Stelle als
Sozialarbeiter im neuen Club angeboten, erzählt er. Das habe er aber
abgelehnt.
Der Delitzscher Stadtrat entschied sich mit 13 von 14 Stimmen in einer geheimen
Abstimmung aus Angst vor der Öffentlichkeit und den Nazis für
einen Nazi-Treff.
Am 14. Juli überfallen mehrere Nazis eine Wohnung und drohen der
Delitzscher Familie. Augenzeugen sagen übereinstimmend aus, daß Maik
Scheffler dabei war. Trotzdem wird gegen ihn seitens der Polizei gar nicht erst
ermittelt. Im Zusammenhang mit dem Überfall bezeichnet es der für
Delitzsch zuständige Leiter der Polizidirektion Torgau, Wolfram Thiele,
positiv und als von der Stadt Delitzsch sehr mutig, einen Klub nur
für die Nazis einzurichten.
Der Überfall auf die Familie wird zum Anlaß genommen, daß
Projekt Naziklub doch auf Eis zu legen. Warum, enthüllt die Leipziger
Volkszeitung Regionalausgabe Delitzsch vom 20. Juli 2000: Denn eine
Vereinbarung zwischen rechten Jugendlichen und der Stadtverwaltung
schließt Straftaten eindeutig aus.
Über Oberbürgermeister Bieniek recheriert die Tageszeitung junge Welt
(v. 11.09.2000): Daß in seiner Stadt Neonazis auf dem Vormarsch
sind, will er erst im Juli nach dem Überfall auf die Familie erfahren
haben. Sollte der Verfassungsschutz schon vorher etwas gewußt haben,
ist es unverzeihlich, daß die mich nicht informiert
haben. Weiter sagt Bieniek gegenüber dem Blatt: Wenn
mich meine Sekretärin anruft und mir sagt: Hier sitzen Herr
Scheffler und vier seiner Leute in heller Aufregung. Sie wollen demonstrieren.
Was soll ich tun? Dann komme ich natürlich sofort und rede mit
ihnen!
Am 03.09.2000 findet die Demo der Nazis trotz Verbot statt. Erst nach mehreren
hundert Metern werden die ca. 50 Nazis gestoppt und von einigen die Personalien
aufgenommen.
Eine linke Demonstration am selben Tag wurde ebenfalls verboten, weil sich die
Staatsgewalt außer Stande sah, die antifaschistische Demo vor den 50
Nazis zu schützen.
Eine Plakataktion der PDS (Nazis raus aus den Köpfen)
kommentierte der OBM Bieniek mit den an die örtlichs PDS gerichteten
Worten: Sie wissen doch genau, daß im Tiergarten (Ort in Delitzsch)
rechtsorientierte Jugendliche arbeiten, die sich durch das Plakat provoziert
fühlen.
Mit derselben Begründung verbot die Stadt ein Konzert Gegen
Faschismus im YOZ. Es würde die Nazis bloß provozieren. Erst
per Gerichtbeschluß konnte das erfolgreich durchgeführte Konzert
durchgesetzt werden. Ensprechend abfällig und diffamierend
äußerte sich Bieniek: Es seien ihm ekelerregende
Szenen geschildert worden über besoffene und vollgefixte
Personen, die in Ecken herumlagen. Da habe ich kein Interesse, da
noch hinzugehen, erwiderte er auf die Kritik, daß führende
Kommunalpolitiker sich bei dem Konzert nicht hätten blicken lassen.
(Leipziger Volkszeitung, Regionalausgabe Delitzsch v. 16.10.2000)
Welch gefährlich kleingeistiges Stammtischkaliber OBM Bieniek ist, bewies
er gegenüber der Berliner Zeitung vom 05.09.2000. Der teilte er angesichts
mehrerer hundert wohnhafter sogenannter russischer Aussiedler im
Plattenbaugebiet Delitzsch West mit, die da seit Wochen von Neonazis
drangsaliert wurden: Ich muß doch hier noch sagen dürfen,
daß die Aussiedler in Delitzsch-West provokativ ständig Russisch
sprechen. In ihrer alten Heimat sprachen sie doch deutsch. Wo liegt denn da der
Grund, daß sie überhaupt hergekommen sind? (...) Sie sollten sich so
benehmen, wie sich das gehört.
Der Initiator des Delitzscher Runden Tisches gegen Gewalt und
Rechtsextremismus, der evangelische Pfarrer Wolfgang Krauß, irrt
schwerwiegend, wenn er öffentlich bekundet, es tue not, sich dagegen zu
verwahren, daß sich hier Leute von außerhalb zu einem Problem
artikulieren, daß nur die Delitzscher etwas angeht. (Leipziger
Volkszeitung, Regionalausgabe Delitzsch vom 26.10.2000)
Angesichts der schier erdrückenden Faktenlage war und ist es mehr als
notwendig, mit dem Finger auf die Delitzscher Verhältnisse gezeigt zu
haben bzw. zu zeigen.
Bekanntlich wurde der Demonstrationsanmelder und sein Mitarbeiter sowie wie wir
als Arbeitsgruppe Delitzsch vom Landrat Czupalla, OBM Bieniek sowie dem Chef
der Torgauer Polizeidirektion, Wolfram Thiele, wegen des Verweises auf die
Faktenlage in Delitzsch angezeigt.
Weil wir von einem Pakt von Nazis und Behörden
sprechen, würden wir verleumden, ehrverletzen und zu Gewalt gegen Personen
und Sachen aufrufen.
Allein diese Dreistigkeit ist bezeichnend und sie wird, so sie denn unbedingt
wollen, vor Gericht quasi vom Rechtsstaat zu Fall gebracht werden. Von jenem
Rechtsstaat, den sie bemühten, um unsere Demonstration gegen ihr
paktierendes Vorgehen zu verhindern.
Auch wenn wir es als linke und linksradikale Antifaschistinnen und
Antifaschisten nicht als unsere Aufgabe ansehen, Povinzfürsten in
Kommunal-Politik und Verwaltung Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie zu
geben, so werden wir doch auch in Zukunft zivilisatorische Standards einklagen,
damit dieser Selbstherrlichkeit, wie sie hier in Delitzsch vorherrscht, Riegel
vorgeschoben werden.
Arbeitsgruppe Delitzsch c/o Infobüro Bornaische Straße 3d 04277 Leipzig
Fax: 0341-3013269 E-Mail: agdelitzsch@gmx.de Internet: www.nadir.org/bgr
Aber uns gibts auch!
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