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Im Folgenden dokumentieren wir einen Redebeitrag vom BgR (Bündnis gegen Rechts Leipzig) welcher am 4. November in Delitzsch, auf der Demonstration Delitzsch und Umland nicht in Nazihand gehalten wurde. |
Für eine radikale Linke - Alles andere ist Käse! |
Seit Anfang letzten Sommers der Ruf nach Zivilcourage durchs Land hallte und der deutsche Mob zum Aufstand der Anständigen antrat, schlägt sich diese Stimmung vielerorts auch in Demonstrationen und Kundgebungen gegen die von nun an verfemte NPD und deren Naziumfeld nieder. Man könnte meinen, das Bild, welches die Berliner Republik dem Ausland präsentiert, sei inklusive der praktischen Umsetzung ein gänzlich anderes geworden. Auf den ersten Blick stimmt das auch, aber die Gründe, die dahinter stecken, sind alles andere als antirassistische oder antifaschistische. Mit der Debatte um die Entschädigungszahlungen für ehemalige ZwangsarbeiterInnen des Dritten Reiches war ein vorläufiger Höhepunkt einer abschließenden Geschichtsschreibung erreicht, nämlich der, der es Deutschland von nun an ermöglichen sollte, seine historische Schuld als Rechtsnachfolger des 3.Reiches als getilgt zu betrachten. Wurde der deutsche Truppeneinsatz auf dem Balkan von Fischer & Konsorten mit dem Verhindern eines neuen Auschwitz begründet, so sollten von nun an die deutschen Kriegsgewinnlerfirmen für alle Tage vor imageschädigenden Klagen ehemaliger ZwangsarbeiterInnen geschützt werden. Dieses Bild des geläuterten, neuen Deutschlands sollte nicht durch Meldungen gejagter, mißhandelter oder gar getöteter MigrantInnen, Obdachloser oder Punker getrübt werden. Schließlich hatte man zumindest für Flüchtlinge eine nahezu perfektionierte Abschiebungsmaschinerie geschaffen. Zufällig oder nicht fielen in diesen Zeitraum die Diskussionen über die Zuwanderung von Computerspezialisten und die Green-Card-Initiative zur Rentenreform. Im Zuge dessen wurde festgestellt, daß die Bevölkerungsentwicklung für die nächsten 30 Jahre prognostizierbar einen rückläufigen Anteil an Erwerbstätigen gegenüber einem steigenden Anteil RentnerInnen aufweist, was bei aller zu erwartender Deregulierung des Sozialstaates das finanzielle Aus für das Rentensystem bedeuten wird. In führenden Wirtschaftskreisen und auf bundespolitischer Ebene reifte die Erkenntnis, das perspektivisch Arbeitskräfte und da vor allem SpezialistInnen ins Land geholt werden müssen, um den Wirtschaftstandort Deutschland zu stärken und im Zuge der fortschreitenden Globalisierung wettbewerbsfähig bleiben zu können. Der Einsicht, daß die Zuwanderungsbereitschaft in hohem Maße von den zu erwartenden Sicherheiten im Gastgeberland abhängig ist, bedurfte nicht erst der Absagen vieler der avisierten Computer-Inder vor allem an die neuen Bundesländer. Da klar zu sein scheint, daß Deutschland, will es wirtschaftlich im Chor der Großen weiter mitsingen, auf Arbeitsmigration angewiesen ist, stellen sich auch in dieser Beziehung Nazis eher als ein ernstzunehmendes Hindernis dar. Doch sollte jetzt niemand vorschnell auf die Idee kommen, mit der öffentlichen Verfemung der Nazis hätte sich wirklich etwas in den Denkweisen der staatlichen Anti-Nazi-StrategInnen gegenüber MigrantInnen geändert. Der Ton, der angeschlagen wird, wenn sich um ein Zuwanderungsgesetz für die Bundesrepublik auseinandergesetzt wird, spricht eine klare Sprache. So titelte der Spiegel vor kurzem unmißverständlich: Einwanderung: Wie viele Ausländer braucht das Land?. Die massenkompatible Antwort auf die Frage: wer soll rein, wer muß raus, ward schnell gefunden. Und raus sollen folglich alle unnützen MigrantInnen und rein sollen zukünftig nur noch alle nützlichen Arbeitswilligen. Offenkundiger können die zugrundeliegenden ökonomischen Interessen nicht geäußert werden. Wie Eingangs bereits erwähnt, demonstrieren in letzter Zeit zuhauf Leute, die die soeben genannten Meinungen vertreten, im antifaschistischen Gewand gegen Nazis und vor allem gegen die NPD. Selten nur noch wird von autonomer Seite dieser Vereinnahmung des Terminus Antifaschismus erfolgreich etwas entgegengesetzt. Wird heute medial von antifaschistischen Aktivitäten berichtet, so werden autonome Antifagruppen, die nach wie vor oft den personell größten Anteil bei solchen Anlässen ausmachen, bestenfalls im Nebensatz als sonstige Initiativen erwähnt. Was bedeutet das nun für die autonome Antifa als solche? Kann sie dieser Vereinnahmung etwas entgegensetzten und wenn ja, wie? Sie kann und sie muß und das möglichst schnell! Antifaschistisches Engagement ist und bleibt vielerorts existentiell für all diejenigen, die nicht ins Weltbild der Nazis passen. Das bedeutet, daß die Auseinandersetzung mit der dominanten rechten Alltagskultur auch in absehbarer Zeit unumgänglich bleibt. Es spricht nicht generell etwas dagegen, Initiativen gegen Nazis gemeinsam mit BündnispartnerInnen beispielsweise aus dem Parteien- und Gewerkschaftsspektrum durchzuführen, doch muß dabei immer auf die eigene Akzentsetzung geachtet werden, d.h. daß die ökonomischen Interessen, die hinter einem Engagement gegen Nazis stecken können, genauso scharf von links kritisiert werden müssen, wie die Imagepflege, die womöglich von einigen beabsichtigt wird. Nur dann, wenn diese Kritiken radikal von links formuliert werden, ist es überhaupt noch möglich, sich im Sinne des Antifaschismus vor ungewollter Vereinnahmung abzugrenzen und nicht unter das bessere, anständige Deutschland subsumiert zu werden. Unter diesen Maßgaben und unter Berücksichtigung der spezifischen Situation vor Ort ist es nach wie vor wichtig, wie in Delitzsch gegen Nazis zu demonstrieren. Ein Schritt in die falsche Richtung ist dabei unserer Meinung nach das Bündnismotto der heutigen Demonstration. Unbestritten demonstrieren wir hier gegen die Nazisstrukturen und deren damit einhergehenden Vertreibungsmechanismen gegenüber MigrantInnen, Rußlanddeutschen und all den anderen, die von den Nazis durch die Straßen gejagt und angegriffen wurden. Aber mindestens genauso schwer fallen in dieser Situation die Verharmlosungstrategien der Behörden und die zum Teil offensichtliche Hofierung der Nazis durch diese ins Gewicht. Daß dabei hinter Standards im Umgang mit Nazis zurückgefallen wird, die von der Bundespolitik vorgegeben wurden, darf dabei nicht all zu sehr verwundern. Trotz der Eingangs beschriebenen neuen Imagegebung der Berliner Republik klafft ein großes Gefälle zwischen einer am Fitmachen für die Globalisierung orientierten Bundespolitik und der jahrelang gehegten regionalen Identität, vor allem hier im Osten. Dort, wo am liebsten bei einem von uns, nämlich im Konsum das Produkt von hier gekauft wird, werden Begrifflichkeiten wie Europäisierung und Globalisierung wohl noch eine ganze Weile mit Argwohn betrachtet werden. Diese Ressentiments und die in breiten Bevölkerungsteilen historisch verankerte Ideologie des völkischen Rassismus werden durch die vor kurzem im Rahmen des CDU-Wahlkampfes entfachte Debatte um eine deutsche Leitkultur bedient und gefördert. Auch wenn der Ausgang dieser Debatte noch unklar erscheint, dürfen wir keinesfalls aus den Augen verlieren, daß die staatlichen Anti-Nazi-Ambitionen einerseits ernst gemeint sind, aber eine Greencard eben keinen Schutz vor rassistisch motivierten Überfällen garantiert. Für uns, die wir uns als linksradikale AntifaschistInnen verstehen, steht fest, daß wir im Kampf gegen Rassismus und dessen gesellschaftliche Verankerung dieses System gänzlich in Frage stellen müssen! Nur die radikale linke Kritik der gesellschaftlichen, besonders der politischen und ökonomischen Interessen, die hinter den instrumentellen staatlichen Anti-Nazi-Ambitionen stecken, bewahrt uns vor der Vereinnahmung als das bessere Deutschland.
Organisiert Euch in linksradikalen antifaschistischen Gruppen! |
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