Innerhalb weniger Monate hat sich die Stadt Delitzsch
(ca. 25 km nordöstlich von Leipzig) und ihr Umland zu einem Ort
entwickelt, an dem sich die Nazis mit brutalem Terror die Straßen
freiprügeln, Wohnungen und öffentliche Einrichtungen überfallen,
Jugendclubs übernehmen und alle anderen hinausdrängen konnten, die
sie getreu ihres beschränkten menschenverachtenden Weltbildes zu Feinden
auserkoren haben.
Inzwischen gilt Delitzsch als Tummelplatz, an dem die Nazis nichts
ernsthaftes zu befürchten haben. Möglich geworden ist dies durch die
Duldung und Zuarbeit der örtlichen verantwortlichen Behörden und
Politiker. Diesen Zustand nennen wir einen ungeschriebenen Pakt
zwischen örtlichen Behörden und Nazis, den wir angreifen und
zerschlagen wollen. D.h., wir müssen die Verantwortlichen zwingen, die
faktische direkte und indirekte Zuarbeit und Kooperationsbereitschaft
gegenüber den Nazis aufzukündigen. Denn nur so ist die Naziszene
wirksam zu bekämpfen.
Unvollständige Chronik von Naziübergriffen und
-aktivitäten in Delitzsch und Umgebung von Oktober 1999 bis anfang Oktober
2000
Im Oktober 1999 suchen ca. 30 Nazis mit Hunden und Baseballschlägern
bewaffnet im YOZ erfolglos nach Personen der linken Szene. Wenige Stunden
später wird die Villa, der Treff nicht-rechter und linker Jugendlicher,
überfallen. Im Café befinden sich zu der Zeit fünf Personen.
Die Täter demolieren das Treppenhaus und wollen sich Zutritt zum
Vereinscafé verschaffen. Die angegriffenen Jugendlichen rufen in ihrer
Angst die Delitzscher Polizei, die nach ca. 30 Minuten eintrifft. Die
Rechtsextremisten waren da längst verschwunden...
Quelle: Zeugenbefragungen
Im Dezember 1999 werden am Delitzscher Bahnhof mehrere Jugendliche von ca.
20 Nazis zusammengeschlagen.
Quelle: Zeugenaussagen
Im Dezember 1999 überfallen ca. 10-15 Nazis an einem Sonntagnachmittag
das YOZ den einzigen städtischen Jugendclub für
größere Veranstaltungen in Delitzsch. Die zu diesem Zeitpunkt dort
probende Band wird drangsaliert und gedemütigt, u.a. müssen sie
für die Täter spielen. Außerdem wird Equipment der Band
zerstört. Im offenen Jugendtreff wird eine Tischtennisplatte
demoliert.
Quelle: Zeugenaussagen
Seit Januar 2000 kommt es im Norden von Delitzsch am Treffpunkt der Nazis,
der Gaststätte Kuhstall, zu wöchentlichen
Übergriffen auf jugendliche Besucherinnen und Besucher des YOZ. Von der
Gaststätte Kuhstall aus agieren zu diesere Zeit
regelmäßig etwa 50-70 Nazis aus Delitzsch und der näheren
Umgebung (Bitterfeld, Sandersdorf, Roitzsch, Rackwitz, Halle, Leipzig).
Am 12.Februar 2000 wird ein Black-Metal-Konzert im YOZ überfallen. Die
ca. 30 Nazis beschädigen Autos der Konzertbesucherinnen und -besucher
sowie die Außenanlage des YOZ. Sie verletzen außerdem ca. 4
Besucher des Konzertes. Die durch die Verantwortlichen des YOZ herbeigerufene
Polizei erscheint nur mit 8 Beamten und lässt die Nazis
gewähren...
Quelle: Betroffenenberichte
In der Nacht vom 19. zum 20. Februar 2000 kommt es erneut zu Provokationen
von der Kneipe Kuhstall aus, wo sich etwa 50 Nazis aufhalten. Im
gegenüberliegenden YOZ findet zu dieser Zeit ein Ska-Konzert statt. Die
sich vor dem Jugendzentrum versammelten subkulturellen Konzertbesucher werden
von den herbeigerufenen Leipziger Bereischaftspolizisten teilweise auf
brutalste Weise angegriffen, verprügelt, beschimpft und verhaftet. 15
Konzertbesucherinnen und -besucher werden völlig unmotiviert Handfesseln
angelegt, sie müssen über 30 Minuten auf der Straße liegen
bleiben und werden dabei teilweise von den Beamten verprügelt. Es kommt zu
zahlreichen Verletzungen. Im März 2000 flattern die ersten Vorladungen
wegen Landfriedensbruch ins Haus...
Quelle: Anfrage des MdL Falk Neubert an das Sächsische Innenministerium,
Zeugenaussagen, Presseberichterstattung
In der Nacht vom 18. zum 19. Februar 2000 werden drei Jugendliche an der
Shell-Tankstelle im Westen Delitzschs von mehreren Nazis aus einer Gruppe
von 50 Nazis heraus mit Baseballschlägern zusammengeschlagen.
Quelle: Aussagen von Betroffenen und aus dem Umfeld der Opfer
In der Nacht vom 17. zum 18. März 2000 begibt sich eine Gruppe von ca.
30 vermummten Nazis mit Baseballschlägern und Morgensternen bewaffnet zum
YOZ und will sich Einlass zum dort stattfindenden DJ-Contest verschaffen. Sie
zerstören Dachrinnen am Club und schlagen mit Baseballschlägern und
Holzlatten gegen Fensterscheiben. Die informierten Delitzscher Polizisten
unternehmen nichts.
Quelle: Zeugenaussagen
In der Nacht zum 21.03. 2000 stellte die Polizei zwei Nazis auf Diebestour.
In deren Wagen fanden die Beamten nicht nur Waffen, sondern auch
rechtextremistisches Werbematerial.
Quelle: LVZ vom 22.03.00
Ein Wochenende später kommt es wieder einmal zu Aggressionen vom
Kuhstall aus. Es handelt sich um eine Gruppe von etwa 15 Nazis, die
wiederum Schaden am Gebäude anrichten. Die Delitzscher Polizisten
unternehmen mal wieder nichts.
Quelle: Betroffenenaussagen
In den folgenden Tagen kommt es zu Verhandlungen zwischen Nazis und
Stadtverwaltung, so dass die Nazis am 30.3.2000 erstmals ins YOZ dürfen.
Vgl. Leipziger Volkszeitung (LVZ) vom 5.4.2000
In der Nacht vom 30.3. zum 1.4.2000 verprügeln Nazis einen Linken. Er
verliert einen Zahn.
Quelle: Zeugenbefragung
Am 6.4.2000 kommt es im YOZ erneut zu einer Versammlung zwischen dem zweiten
Bürgermeister, der Sozialdezernentin sowie der Stadtjugendpflegerin und
ca. 10-15 Rechtsextremisten. Auf dieser Versammlung werden Todesdrohungen gegen
zwei Antifaschisten ausgesprochen. Einen Tag zuvor bot der Bürgermeister
Arnold den Rechtsextremisten das YOZ zur Nutzung an.
Quelle: Presseberichterstattung, Zeugenbefragung
In der Nacht vom 7.4. zum 8.4.2000 randalieren 30-40 Nazis in der Stadt. Sie
kommen zum Haus eines Antifa, fordern diesen zum Herauskommen auf und
stoßen Todesdrohungen gegen ihn aus. In der gleichen Nacht wird die Villa
überfallen, Fensterscheiben zerschlagen. Sie dringen in das Gebäude
ein und randalieren.
Quelle: Opferbericht, Betreiberaussagen, LVZ vom 11.4.00
Wenige Tage später dementiert der OB Bienek die zerschlagenen Fenster
gegenüber der LVZ- Lokalredaktion Delitzsch, obwohl von der
Stadtverwaltung Delitzsch ein Auftrag zur Behebung dieser Schäden vorlag
und dieser auch ausgeführt wurde.
Quelle: LVZ-Redakteur, Betreiberinfomation
Am 2.5.2000 wird gegen 12 Uhr mittags ein Antifaschist auf offener
Straße mit einem Auspuffrohr verprügelt, nachdem es zu einer
verbalen Auseinandersetzung gekommen war. Außerdem zerstörten die
Nazis den Dienstwagen der Abeiterwohlfahrt (AWO).
Quelle: Opferbericht
In der Nacht vom 12. zum 13. Mai randalieren Nazis (Zahl unbekannt) im
Ostclub Delitzsch. Der Club Delitzsch-Ost wird zu dieser Zeit vorrangig von
sog. normalen Jugendlichen genutzt, die zu diesem Zeitpunkt nicht im Club
waren.
Quelle: Zeugenbericht
In der Nacht vom 19. zum 20. Mai versuchte eine Gruppe von 15-20 vermummten
und bewaffneten Nazis die Villa zu überfallen. Sie konnten in die Flucht
geschlagen werden. Wie bei fast allen Übergriffen war der Nazi Marcel
Hoffmann (Selli) beteiligt.
Quelle: Betreiberaussage
Ende Mai wurde das türkische Restaurant in der Dübener Strasse von
ca. 15 Nazis heimgesucht. Sie provozierten die türkischen Besitzer mit
fremdenfeindlichen Parolen.
Quelle: Opferaussage
Am 01.06.2000 fand im Villagarten ein Kinderfest statt. Gegen 14.30 Uhr
kamen etwa 8 stadtbekannte Nazis vorbei und grölten Parolen wie Heil
Hitler, Sieg Heil und Zecke verrecke. Zu diesem
Zeitpunkt befanden sich an die 15 Kinder teilweise mit ihren Müttern im
Garten der Villa. Die Kinder mussten im Inneren der Villa in Sicherheit
gebracht werden, während die Nazis weiterzogen und ihr Wiederkommen
androhten. Das Kinderfest musste daraufhin abgebrochen werden. Vier der
Täter wurden erkannt. Anzeige wurde erstattet.
Quelle: Opferaussagen
Am Samstag, den 01.07.2000 kam es am Rande des Stadtfestes im Stadtpark zu
mehreren Übergriffen gegen Personen aus dem alternativen Spektrum. Am
Vormittag verprügelten Nazis einen Punker und dessen Mutter. (Anzeige
wurde erstattet)
Die beteiligten ca. 90 Nazis riegelten den Stadtpark hermetisch ab, so dass
es für unliebsame Personen nicht möglich war, das Fest zu besuchen.
Sie waren z.T. schwer bewaffnet, u.a. mit Äxten.
Eine Frau wurde von einem Nazi geschlagen und im Gesicht verletzt. Am
späten Abend wurde eine Frau von einem vorbeifahrenden Nazi
beschossen.
Außerdem wurde der Besitzer eines Chinarestaurants von einigen Nazis
bedroht und tätlich angegriffen, so dass er aus Angst um sich und seine
Familie vom Stadtfest flüchten musste.
Des weiteren wurde ein Zivildienstleistender von Nazis zusammengeschlagen
und verletzt.
Die herangerufenen Polizisten umzingelten als Raktion auf den Naziterror den
Jugendtreff Villa.
Quelle: Opfer- und Zeugenaussagen
In der Nacht vom 08.07. zum 09.07.gegen vier Uhr morgens überfielen ca.
10 Nazis eine Frau in der Wohnung ihrer Eltern. Sie stiegen über den
Balkon ein, zerschlugen Fensterscheiben und hingen die Eingangstür aus.
Sie bedrohten die Frau und beschimpften sie als Zeckenschlampe. Des
weiteren suchten sie speziell nach einer anderen Frau aus der alternativen
Szene, einer Freundin der Überfallenen, die schon seit Wochen Drohanrufe
erhielt. Sie drohten der überfallenen Frau, sie abzuknallen
falls sie eine Anzeige mache und stahlen ihr Handy. Dem voraus ging eine Art
Demonstration der Nazis. Ca. 15 Personen sperrten die Securiusstr. in Höhe
Shell-Tankstelle ab und zogen gröhlend die Strasse entlang. Eine Anzeige
liegt vor. Die Familie ist aus Delitzsch geflüchtet.
Quelle: Presseberichterstattung, Gedächtnisprotokoll,
Opferberichte
Am 14.07.2000 gegen 17.30 Uhr überfielen 9 Nazis einen 13-jährigen
Punk, wobei dieser mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus in Leipzig
eingeliefert werden mußte. Des weiteren haben die Nazis dem Opfer die
Stiefel geklaut. Der Junge war mit dem Bruder der überfallenen Frau
befreundet, ihm wurde gesagt, den kriegen wir auch noch!.
Quelle: Berichte aus dem Umfeld
Am 15.07.2000 gegen 23.50 Uhr überfielen 10 Nazis, davon 4 besonders
aktiv, einen behinderten Deutschen vietnamesischer Herkunft und dessen Vater in
der Höhe Securiusstr.-Shelltankstelle. Die Opfer mussten wegen
Schnittverletzungen behandelt werden. Die Täter entkamen unerkannt, obwohl
ein Streifenwagen vor Ort war und dieser zum Einschreiten aufgefordert wurde.
Dies lehnten die Polizisten ab, da erst auf Verstärkung gewartet werden
müsse.
Quelle: Presseberichte, ZeugInnenbefragung
Im YOZ erschienen am 28.07.2000 ca. 30 Neonazis. Die anwesenden
BesucherInnen gingen aufgrund des aggressiven Verhaltens der Rechtsextremisten
im wesentlichen in die Villa. An den Nazis wurden Symboliken wie White
Power und Blood & Honour festgestellt. Hausverbote wurden
nicht ausgesprochen.
Quelle: Betroffenenaussagen
Gegen 19.30 Uhr am 31.07.2000 wurde ein 13-Jähriger in Delitzsch-West
von 4 Neonazis angegriffen und zusammengetreten. Das Opfer blutete und die
Kleidung wurde stark beschädigt.
Quelle: Infos aus dem Freundeskreis des Geschädigten
Am 04.08.2000 wiederholte sich das Schauspiel vom 28.07.2000 im
YOZ, wobei weitere Symboliken, wie white resistance, CLUB
88, Nazi zu den schon am 28.07.2000 erwähnten Symbolen
festgestellt wurden. Ein Kamerateam von FOCUS TV wurde angegriffen.
Die anwesenden Polizisten griffen auch auf Bitten der Betroffenen nicht ein.
Hausverbote wurden nicht ausgesprochen.
Personen wurden massiv verbal, aber auch körperlich bedroht. Die Nazis
kündigten an, ihre Besuche solange fortzusetzen, bis sie ein eigenes
Jugendhaus hätten.
Quelle: Focus-Bericht vom 06.08.00; Opfer- und ZeugInnenaussagen
Zwischen dem 4. und 5. August wurde der Dönerladen in der
Bismarkstraße von zwei Nazis überfallen. Sie beschimpften den
Besitzer mit rassistischen Parolen, bedrohten ihn und zerstörten
Einrichtungsgegenstände.
Quelle: Befragung des Opfers
12./13.08.00; Am Wochenende gab es Angriffe von ca. 50 Neonazis auf
russische Spätaussiedler. Ein junger Mann wurde mit einem Messerstich
schwer verletzt, als er einem anderen Opfer helfen wollte. Ca. 40 Polizisten
verhinderten außerdem den Angriff auf Wohnungen von Aussiedlern. Zwei der
Nazis sollen ebenfalls verletzt worden sein. Die Staatsanwaltschaft Leipzig
erhob gegen den Messerstecher in der Zwischenzeit Anklage wegen versuchten
Mordes.
Quelle: Pressemeldungen
18.08.00; Zum Todestag des Hitlerstellverteters Rudolf Hess stellte die
Polizei in Delitzsch Plakate und Handzettel sicher, die in der Nacht zum 17.
geklebt wurden.
Quelle: LVZ regional vom 18.08.00
19.08.00; Am Abend versuchten insgesamt ca. 100 Neonazis, sich zu einer
Demonstration zu formieren, welche die Polizei auflöste. Viele versuchten
anschließend, nach Delitzsch-West zu gelangen, um Aussiedler zu
klatschen. Zahlreiche PKWs wurden beschädigt, rassistische wie
nazistische Losungen skandiert. Am Anfang der Ereignisse des Abends wurden im
oder vor dem YOZ drei Jugendliche angegriffen und zusammengeschlagen. Die
Polizei war vor Ort, schritt aber erst bei der Demo und den
anschließenden Übergriffen ein. Die Polizeidirektion Torgau spielt
die Ereignisse nicht nur zahlenmäßig herunter, sie spricht zudem von
verfeindeten Gruppierungen.
Quelle: taz-Journalistin, Berichte von Jugendlichen, Zeugen in Delitzsch-West
(Anwohner)
20.08.00; Ca. 40 Nazis zogen vom YOZ nach Delitzsch-West. Sie führten
ein Transparent mit sich, auf dem stand : Keine Gewalt gegen
Deutsche! Dieses wurde später von der Polizei beschlagnahmt.
Ansonsten alles wie am Vorabend.
Quelle: ZeugInnen in Delitzsch-West (AnwohnerInnen)
26./27.08.00; Wieder schwere Ausschreitungen in Delitzsch-West. Nach
Darstellung von Zeugen und einem dem ZDF übergebenen Video eindeutig
aufgrund schwerer Provokationen einer alkoholisierten Gruppe von ca. 40-50
Neonazis, die auch nicht vor Angriffen auf ältere Menschen und Frauen Halt
machten.
Hassparolen wie Wir sind der nationale Widerstand, Wir
kriegen euch alle! U.ä. wurden unaufhörlich skandiert. Die
Polizei forderte erst anderthalb Stunden nach Einsetzen der Ausschreitungen
Verstärkung an. Die drängten dann lediglich massiv die erregten
Aussiedler zurück, wobei es zu einer Verletzten kam.
Quelle: LVZ regional vom
29.08.00/Videomitschnitt/ZeugInnenbefragung
VON NUN AB SIND STÄNDIGE VIDEOÜBERWACHUNG
UND STARKE POLIZEIPRÄSENZ AN DEN WOCHENENDEN IN
DELITZSCH-WEST VORGESEHEN!
01.09.00; Hetzflugblätter der Nazis werden in Delitzsch-West auf die
Hausbriefkästen und auf der Straße verteilt. Sie rufen zu einer Demo
am 03. September auf. Aus dem Inhalt: Ist man als Deutscher jetzt
Freiwild in Delitzsch-West?
03.09.00; Ca. 100 Neonazis treffen sich in insgesamt fünf Gruppen in
der Stadt. Vom Bahnhof aus marschieren ca. 50 Nazis von der Polizei
völlig unbehelligt in die Innenstadt. In der Nähe des
Bürgerhauses dem eigentlichen angegebenen Ausgangspunkt der Demo
greift die Polizei dann endlich ein. 15 Platzverweise, einige
Personalfeststellungen;
Quelle: eigene Beobachtungen, Zeugenaussagen, ansonsten LVZ vom 4.9.00
13.9.00; Jugendliche randalieren mehrmals an der Grundschule Delitzsch-Ost;
Anzeige gegen unbekannt gestellt; hinterlassene NPD-Aufkleber geben Aufschluss
über die Täter. Der Schulleiter: Es ist überall
dasselbe...
Quelle: LVZ regional, 14.9.00
16.09.00; Brandstifter zerstören den Löbnitzer Jugendclub, einen
Bauwagen. Mutmaßliches Motiv ist die Abgrenzung der Jugendlichen gegen
rechte Tendenzen; Unter den Tätern, Personen aus Bitterfeld;
Quelle: Berichte der Jugendlichen; LVZ-online vom 17.09.00
23.09.00; Zwei 19jährige Silvio D. und Alexander K.
schlagen in einem Treppenhaus in Delitzsch-West den 23jährigen Aussiedler
Sven zusammen.
Quelle: BILD vom 24.09.00, LVZ vom 25.09.00
In der Nacht vom 30.09. zum 01.10.00 waren zum Rummel in DZ eine unbekannte
Anzahl an Nazis, die u.a. mindestens zwei Personen (14 und 17 Jahre)
zusammenschlugen. Die Polizei nahm Personalien von Beteiligten auf. Mit dabei
war eine größere Anzahl Faschos aus Leipzig.
Quelle: LVZ v. 02.10.2000, Zeugen
02.1.00; Bei einem Bürgerspaziergang gegen Gewalt und für
Toleranz, der von den Pfarrern der katholischen und evangelischen Kirche
organisiert wurde, provozieren ungefähr 40 Nazis. Die Polizei muß
massiv Präsenz zeigen.
Quelle: Teilnehmer, Zeugen
|
Die lokale Dimension:
Der Delitzsch-Pakt eine Spitze eines Eisbergs
Im Deutschland wurde seit der Wiedervereinigung vor zehn Jahren ein
lokalpatriotischer Reflex kultiviert, der lokale Verantwortungsträger von
Behörden und Politik in die Lage versetzt, Nazis und deren Strukturen vor
Ort auf lokaler Ebene nicht unbedingt wahrnehmen zu müssen. Und das
funktioniert so: Alle wissen zwar, daß es in Deutschland Nazis und
entsprechende Strukturen gibt, nur werden diese nur allzu selten eben vor Ort
wahrgenommen. Schweift der Blick des verantwortlichen Lokalpatrioten in die
deutsche Ferne, so wird recht schnell klar, daß es Neonazis gibt bzw.
geben muß. Es steht in der Zeitung, es kommt im Fernsehen und es wird
auch in der einen oder anderen Sonntagsrede von Bundespolitikern erwähnt.
Nun aber der Effekt. Wenn der Blick dann auf die lokalen Begebenheiten
fällt, verändern sich die ausgemachten Nazis peu a peu in jene, die
dann allzugern als unsere Kinder bezeichnet werden: Aus den
hartbesaiteten Neonazis der Ferne werden bemitleidenswerte
Mitläufer und nette Menschen von nebenan.
Getreu diesem Schema gibt es mal mehr mal weniger lokales
Problembewußtsein. Genau dieses einschlägige Problembewußtsein
ist es, so hat es sich über die Jahre gezeigt, das vorgibt, welcher
qualitative Nährboden den Nazis vor Ort bereitet wird. Und so gibt es bei
aller flächendeckenden Problemlage gerade in Ostdeutschland
braunere und weniger braune Flecken.
Ein Ort, der sich in Windeseile auf der Landkarte zum braunen Fleck entwickelt
hat, ist Delitzsch bei Leipzig.
Eine gebündelte Form von Ignoranz, Unfähigkeit, Verlogenheit und
direkter Zuarbeit seitens der verantwortlichen Behörden und Politiker hat
den Nazis hier lokal eine Relevanz verschafft, von der sie wahrscheinlich noch
vor geraumer Zeit nicht mal zu träumen wagten.
Innerhalb weniger Monate hat sich Delitzsch und Umgebung zu einem Ort
entwickelt, an dem sich die Nazis mit brutalem Terror die Straßen
freiprügeln, Wohnungen und öffentliche Einrichtungen überfallen,
Jugendclubs übernehmen und alle anderen hinausdrängen konnten, die
sie getreu ihres beschränkten menschenverachtenden Weltbildes zu Feinden
auserkoren haben.
Inzwischen gilt Delitzsch in der Naziszene als in. Entsprechend treffen sich
Nazis aus nah und fern Woche für Woche in der Stadt ein
Tummelplatz, an dem die Nazis nichts ernsthaftes zu befürchten haben.
Delitzsch ist inzwischen der Ort, an dem Opfer von Naziüberfällen von
der Polizei zusammengeschlagen werden und mit Ermittlungsverfahren
überzogen, wo gegen Nazis trotz Zeugenaussagen nicht ermittelt wird, wo
die Stadtverantwortlichen die Nazis zu Gesprächen aufsuchen und einladen,
wo ihnen zur Belohnung für die vielen Überfälle und Angriffe ein
eigener Club (nur für die Rechten) angeboten wird, in dem als
Krönung einer der führenden Delitzscher Nazis, Maik Scheffler, auch
noch als zuständiger Sozialarbeiter durch die Stadt angestellt werden
sollte, wo der Naziterror zum Phänomen von allgemeiner Gewalt
verklärt wird, wo trotz Verbotes Neonazis in Ruhe eine Demonstration
durchführen können und linke Demos deshalb verboten werden, weil sie
durch die Staatsgewalt nicht gegen Naziübergriffe
geschützt werden könnten, der Oberbürgermeister
Bienek von den Ausländern verlangt, daß sie sich
gefälligst in Deutschland so zu benehmen hätten, wie es sich
gehört, wo der Ausländerbeauftragte für den
Landkreis den Neonaziterror als vielmehr Streit zwischen Jungs, wo der
eine dem anderen das Mädchen ausspannt verharmlost, wo Konzerte
gegen Faschismus und Plakataktionen selbst der PDS mit der Begründung
verboten werden, daß sie nichts weiter als Provokationen
gegenüber den Nazis darstellen würden und so weiter und so fort.
Dieser Zustand bezeichnet jenen unausgesprochenen und nicht zu Papier
gebrachten Pakt, von dem hier im Motto dieses Aufrufes die Rede
ist. Es ist der Pakt zwischen örtlichen Behörden, lokalen
Politikern und Nazis.
Daß eine Situation wie in Delitzsch nur eine Spitze eines Eisbergs ist,
wissen in Deutschland spätestens seit diesem Sommer auch die letzten
Deppen. Umso unglaublicher ist es, was hier in Delitzsch zu erleben ist.
Ziemlich deutlich zeigt sich im Falle Delitzsch, welches Gefälle nach wie
vor zwischen Wort und Tat besteht: auch in Delitzsch sind natürlich alle
im Sinne des angesagten Zeitgeistes gegen Rechts, gegen
Intoleranz usw. Doch daraus folgt automatisch nicht nur nichts, sondern
es kann sogar aktives Dulden und Hofieren herauskommen, wie es eben in
Delitzsch zu erleben ist.
Erst das Verhalten der Verantwortlichen in Delitzsch hat den Nazis jene
Relevanz verschafft, die sie nun innerhalb der Naziszene besitzen: die Nazis in
Delitzsch haben in der Szene inzwischen einen Ruf zu verlieren, den es zu
verteidigen gilt, denn die Delitzscher Kameradschaft zählt
mittlerweile etwas in Kameradenkreisen.
Wie anders als eine Art von Kopfgeld für genügend Opfer müssen
die Delitzscher Nazis das Angebot verstanden haben, ihnen zur Belohnung
für den brutalen Terror einen eigenen Club von Stadtseite zur
Verfügung stellen zu wollen?!
Mehrere Gesprächsangebote gab es seitens der Stadt Delitzsch nach
jedem neuerlichen Höhepunkt brutaler Übergriffe wurde dieses Angebot
erneuert. Man müßte mit ihnen reden, man dürfte sie nicht
einfach ignorieren, sie dürften nicht kein Witz
augegrenzt werden, so hieß es offiziell. Nicht eine
ähnliche Verlautbarung oder Angebote dieser Art gab es an die Opfer der
Nazis. Nicht ein einziges Mal hat der Oberbürgermeister oder sein
Stellvertreter sich die Mühe gemacht, mit den Opfern des Naziterrors
überhaupt zu sprechen.
Da kam es ihnen wohl mehr als gelegen, als sich die in Delitzsch in
Plattenbauten ghettoisierten sogenannten Aussiedler aus Rußland die
alltäglichen Pöbeleien und Angriffe der Nazis nicht mehr gefallen
lassen wollten und zum Selbstschutz griffen. Als Problem mit
rivalisierenden Jugendbanden war von nun an nur noch offiziell die
Rede.
Nicht unerwähnt darf bleiben, daß genau jene sogenannten
Rußlanddeutschen, die ja nur über das völkische Blutsgesetz des
deutschen Staatsbügerrechtes zu Deutschen gemacht werden und nur deshalb
in den Genuß einer Einreise und Einbürgerung gelangen dürfen,
letztlich überhaupt nur ins Visier der Delitzscher Nazis gelangen konnten,
weil sie von den Verantwortlichen eben ghettoisiert werden, quasi isoliert von
der Restbevölkerung einquartiert wurden. So erst wurde das Fremde
produziert, das als störend und lästig empfunden wird. Der kausale
Zusammenhang zwischen denen, die das Fremde erst machen (die Behörden und
die Politik) und denen, die diese Fremden dann bekämpfen (die Nazis und
ihre Sympathisantinnen und Sympathisanten) muß immer wieder benannt und
verdeutlicht werden. Nicht von ungefähr zeigt der Oberbürgermeister
nur allzudeutlich, was er von jenen besagten Aussiedlern hält, wenn er
gegenüber der Berliner Zeitung (v. 05.09.2000) erklärt:
Ich muß doch hier noch sagen dürfen, daß die Aussiedler
in Delitzsch-West provokativ ständig russisch sprechen. In ihrer alten
Heimat sprachen sie doch deutsch. Wo bleibt denn da der Grund, daß sie
überhaupt hergekommen sind? Diese Äußerung offenbart nur
allzudeutlich, warum der Oberbürgermeister Bienek selbst über
Rücktrittsforderungen an ihn seitens der Landes-PDS nur arrogant
schmunzeln kann: er wähnt sich fest im Amtssattel.
In Delitzsch herrscht eine allgemeine Hysterie. Überall gehe
Gewalt um, man könne sich nicht mehr auf die Straße
trauen usf. In dieser Hysterie wird aber nicht nach Ursachen gesucht, sondern
folgerichtig nur Symptome benannt. Denn wer ein Neonaziproblem nicht sehen
will, kann es auch nicht orten, sondern nur an der Oberfläche
herumstochern. Genau dieses Herumstochern aber schürt noch mehr
Ängste und führt zu verstärkten Rufen nach Sicherheit und
Kontrolle. Und so wird das subjektive Scherheitsempfinden recht schnell zu
einem Sicherheitsbedürfnis, das innerhalb der sogenannten
Normalbevölkerung wechselseitig geweckt und in die Höhe geschraubt
wird. Ausdruck davon ist die inzwischen installierte Überwachungskamera in
Delitzsch-West an der dortigen Shell-Tankstelle DER nächtlichen
öffentlichen Erlebnis-Oase einer ostdeutschen Kleinstadt und die
Schließung derselben an den Wochenenden von abends bis morgens.
In Delitzsch wird sich erst wirklich etwas ändern, wenn der Druck die
Verantwortlichen zum Handeln und Umdenken nötigt. Anders scheint es auch
in Delitzsch nicht zu funktionieren.
Erst wenn absolut klar ist, daß mit Nazis nicht geredet wird, daß
ihnen kein eigener Club zugestanden werden darf, daß ihnen nicht die
sogenannte akzeptierende Jugend- und Sozialarbeit zuteil werden kann, sie
rigoros ausgegrenzt werden müssen und von ihren Mitläufern isoliert
gehören, die potentiellen Opfergruppen mit ihren Problemen in den
Mittelpunkt der Politik rücken müssen, nur antifaschistische und
antirassistische Ansätze jeglicher Coleur entsprechend bewertet und
gefördert werden können es sozusagen einen tatsächlichen
politischen Paradigmenwechsel in Delitzsch gibt, der die Nazis als wirkliches
Problem betrachtet, bekämpft und zurückdrängt und die
Verbindungen zwischen der Normalbevölkerung dem sogenannten
Stammtischrassismus und den Neonazis in die Politik-Konzepte explizit
einbezieht und eben nicht so tut, als würden Nazis vom Himmel fallen, nun
erst dann wird sich überhaupt eine Problemlösung abzeichnen.
Die nationale Dimension:
Deutschland im Griff der Nazis oder der Berliner Republik?
Wer immer noch der Annahme ist, die sogenannte Berliner Republik von
Schröder und Fischer wäre die Bonner Republik von Kohl und Genscher
(wahlweise Kinkel), muß sich eines besseren belehren lassen. Das
derzeitige öffentliche Spektakel gegen Nazis, den
Rechtsextremisten, ist weniger ein Sommerlochtheater als zu
vermuten steht. Trifft also in diesem Fall der alte Kalauer, daß alles
eine Ende hat und nur die Wurst zwei, wirklich den Punkt? Nun, Figuren wie
Scharping, Naumann, Fischer, Schily, Schröder, Vollmer oder Trittin sind
tatsächlich die Kronzeugen eines zur Staatsdoktrin gewordenen
Anti-Faschismus, wie er im laufe der Zeit Ergebnis des praktizierten Marsches
der einstmaligen 68er IN die Institutionen des heutigen Deutschlands wurde.
Dieser neue Charakter der sogenannten Berliner Republik ist natürlich
nicht ohne Kohl und Co. und den intellektuellen Vordenkern der deutschen
Berliner Zeiten wie Enzensberger, Walser, Botho, Strauß u.a. oder Figuren
wie Habermas und Ernst Nolte denkbar. Sie haben bereits 1982 mit der
losgetretenen geistig-moralischen Wende in der alten Bundesrepublik
die Saat ausgebracht, deren prachtvolle Ernte erst durch die Wiedervereinigung
und dem Ende des sogenannten Real-Sozialismus eingefahren werden konnte.
Insofern läßt sich vereinfacht konstatieren: die von der CDU/CSU/FDP
auf den Weg von Bonn nach Berlin gebrachte Bundesrepublik, ist folgerichtig im
Zielbahnhof Rot/Grün angekommen.
Die ehemaligen 68er und Staatstragenden von heute mußten z.B. im
Gegensatz zu Helmut Kohl niemals ihre eigene (z.B. HJ-) Vergangenheit mit dem
Verweis auf die Gnade der späten Geburt schönreden.
Genau in diesem Bereich zwischen Gesellschaft und individuellen Biografien
liegt auch ein entscheidender Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland
begründet, dessen untrüglicher Ausdruck heute die quantitativen und
qualtiativen Unterschiede des Neonazi-Terrors zwischen Ost- und Westdeutschland
sind. So gab es in der DDR neben dem vom Grundsatz her richtigen sogenannten
verordneten Antifaschismus nicht zu viel, sondern zu wenig Antifaschismus,
wodurch eine individuelle Auseinandersetzung gerade in der eigenen Familie, der
eigenen Biografie viel viel zu kurz kam und in dem Maße auch gar nicht
erwünscht war. In der Bundesrepublik hingegen gab es weder eine Form von
verordnetem Antifaschismus noch eine andere vergleichbare. Stattdessen gab es
ein Verstecken hinter dem Marshallplan, der Ludwig Erhardschen Parole vom
Wohlstand für Alle und der zunehmenden Anerkennung der
gleichmacherischen Totalitarismusthese. Erst die 68er, empört über
den damaligen Vietnam-Krieg, entwickelten ein neues antifaschistisches
Unrechtsbewußtsein, das neben der revolutionären
Verbalradikalität in Teilbereichen auch gesellschaftstragende Instanzen
wie Familie, Schule, Universitäten, die Justiz oder die Armee ins Visier
der Kritik nahm. Die 68er erschufen gerade auf dem Feld eines
antifaschistischen Unrechtsbewußtseins eine gesellschaftliche
intellektuelle Schicht, die sich selbst als linksliberale Öffentlichkeit
begriff und begriffen wurde. Es ist also zu konstatieren: Im Vergleich zwischen
BRD und DDR wurde in ersterer eine teilweise individuelle Auseinandersetzung
mit der NS-Vergangenheit durch die 68er erkämpft und dadurch in breiteren
gesellschaftlichen Kreisen ein Problembewußtein erzeugt. Eine
antifaschistische Staatsdoktrin wie in der DDR wenn auch dort eine sehr
verengende und monopolisierende gab es jedoch in der Bonner Republik
nie. (Oder anders: Im Vergleich zu Österreich wäre es beispielsweise
für eine Person wie Jörg Haider im heutigen Deutschland um einiges
schwerer, an die Macht zu kommen. Eine totale Verdrängung der
NS-Vergangenheit wie in Österreich kam nicht zustande nicht zuletzt
dank 68er.)
Tatsächlich drückt sich darin der Unterschied zwischen sogenannter
Bonner und Berliner Republik aus. Ob uns das nun paßt oder nicht: Diese
neue deutsche Republik ist von einem anti-faschistischen Konsens getragen, der
zwar nicht links oder einfach rechts, sondern ein instrumenteller, tendenziell
europäischer im Sinne der EU-Politik ist. In erster Linie liegt diesem
Konsens nicht die Bewältigung von Geschichte, als vielmehr ihre
Einordnung (Zitat Steffen Heitmann, noch unter Kohl 1994 mit dieser
Prämisse als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gescheitert)
zu Grunde. Daß dabei diese Form von Einordnung den Nazismus
in Deutschland als Betriebsunfall begreift, der sich eben nicht
mehr trotz, sondern gerade wegen dieses geschichtlichen
Ausrutschers wunderbar benutzen und instrumenalisieren
läßt, verdeutlicht erst das Problem: Im Namen dieses neuen deutschen
anti-faschistischen Konenses, um angeblich ein zweites Auschwitz
immer und überall zu verhindern, wird ein somit humanistisch
und menschenrechtlich legitimierter Angriffskrieg gegen die
Republik Jugoslawien geführt, dessen Sinn nur verstehen kann, wer den
neuen alten imperialistischen Charakter des Berliner Deutschlands im
Großmachtstreben und in Konkurrenz zu den anderen kapitalistischen
Großmächten verortet. Daß diesen Krieg im Kosovo in dieser
todbringenden, zerstörerischen brutalen Konsequenz eben keine
Kohl-Regierung hätte führen können, macht letztlich in dieser
Hinsicht einen Unterschied ums Ganze ebenso wie hinsichtlich der
Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter, dem sogenannten
Holocaustdenkmal, zu dem die Deutschen gerne gehen können
sollen (Gerhard Schröder) oder die Rede des Schriftstellers Martin Walser
anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen
Buchhandels, zu der der erste Bundeskanzler der neuen Berliner Republik nur
feststellte, daß ein Schriftsteller das sagen können
(müßte), ein Bundeskanzler aber nicht. D.h., auf keinem
anderen Feld ist der Unterschied zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün, wenn
überhaupt wahrnehmbar, so eklatant wie auf dem hier beschriebenen.
Letztlich nur in dieser beschriebenen Lesart läßt sich die
derzeitige Kampagne gegen die deutschen Neonazis begreifen. Sie offenbart,
daß der Vorwurf der geheuchelten Betroffenheit als Sommerlochtheater nur
zum Teil stimmt. Wie schon gesagt, hätte diese Kampagne nicht so ohne
weiteres von Kohl und Co. ausgehen können.
Darüberhinaus muß festgestellt werden, daß der rechte Konsens,
wie er noch vor Jahren gerade von linksradikalen Antifagruppen immer wieder
propagiert wurde, in der abgewandelten Form, daß die Neonazis eben aus
der Mitte der Gesellschaft kommen, zum Allgemeingut selbst eines jeden
parlamentarischen Hinterbänklers und von Sozialarbeitern geworden ist.
Dieses neue Problembewußtsein führt in aller Regel zu einer
geänderten Alltagspraxis gegen Nazis, deren von Law and Order
(Tony Blair, englischer Premierminister) gekennzeichneter Charakter erst in
zweiter Linie ein spezifisch deutscher, von sogenannten traditionellen
deutschen Sekundärtugenden wie Ordnung, Fleiß oder Disziplin
geprägter ist. Der ökonomisierte Blick auf die Nazis unter den
Bedingungen der sogenannten Globalisierung läßt selbige im
verstärkten Maße zum störenden Problem, also störenden
Standort-Faktor werden. Möglicherweise ist die quasi von Oben
von staatlicher Seite verordnete Kampagne gegen die Nazis eine
Art Zäsur, die die verantwortlichen Politiker wie alle anderen
Anhänger und Verfechter der sogenannten Zivilgesellschaft nachhaltig dazu
anhalten soll, nach dem Prinzip vom globalen Denken und lokalen Handeln
tatkräftig an der europäischen Harmonisierung im Sinne einer
staatlichen Monopolisierung von Rassismus zu werkeln nach dem Motto:
Schöner unsere Städte und Gemeinden innerhalb der Festung
Europa, in die so gut wie kein Flüchtling mehr eindringen soll und darf,
damit der Wohlstand zumindet auch für die Mehrheit der Deutschen und
anderen Europäer reicht. Diese Monopolisierung von Rassismus,
geprägt vom vielzitierten neuen Europäischen Geist der EU,
drückt sich zum Beispiel in der Praxis von zunehmender Abschottung,
eingeschränktem Asylrecht, Abschiebungen, Kriminalisierungen,
schärferen Gesetzen oder der Einschränkung und Abschaffung von
bürgerlichen Gundrechten aus.
In Anbetracht dieser Entwicklung stellen sich folgende Fragen: Benötigt
der vor Jahren apostrophierte rechte Konsens von Nazis, Behörden und
Bevölkerung trotz regionaler und lokaler Ausformungen die Nazis noch in
dieser Qualität wie noch anfang der 90er, als die Nazis quasi von
staatlicher Seite zur faktischen Abschaffung des Asylrechts intrumentalisiert
wurden und deshalb unbehelligt morden und brandschatzen konnten? War die
Toleranz der Kohl-Regierung und die anfängliche von Rot-Grün eine Art
Bonus für die nützlichen Nazi-Idioten, der jetzt endgültig
aufgebraucht ist? Begreift die sogenannte Mitte der Gesellschaft nun, daß
Nazis in ihrer Reihe keinen Platz haben dürfen und sich der Schoß
der Gesellschaft, aus dem die Nazis kriechen, in dieser Hinsicht ändern
muß?
Wir dürfen bei der Beantwortung dieser Fragen keinen falschen Zynismus
entwickeln: Die alltäglichen Fakten sprechen eine brutale,
menschenverachtende Sprache, die solche gestellten Fragen selbstredend und
vordergründig ad absurdum führen. Aus dem zwingenden Interesse an
einer linken und linksradikalen gesellschaftskritischen antifaschistischen
Politik müssen wir uns diese aber dennoch stellen, wenn wir unseren
eigenen zu setzenden politischen Spielraum ausloten wollen und gar hinsichtlich
eines möglicherweise veränderten gesellschaftlichen
Problembewußtseins unsere eigene Existenzberechtigung als linke und
linksradikale Antifaschistinnen und Antifaschisten gar zur Disposition stellen
müssen.
Der deutsche Alltag ist von Naziterror bestimmt, den ein Verfassungsschutz (VS)
nach wie vor unendschuldbar schön redet: So meldete der VS 1991 insgeamt 1
483 rechte Gewalttaten der Nazis, heute heißt es in offiziellen Angaben,
es seien nur 849 registrierte Fälle. Für 1994 werden nach
dem gleichen Schema 705 Fälle weniger ausgewiesen. Insgesamt 3 953
Gewaltverbrechen von Nazis, in der Zeit von 1989 bis 1999, können in
dieser Übersicht des Bundesamtes als spurlos verschwunden gelten (Angaben
nach: Neues Deutschland vom 20.09.2000). Daß darüberhinaus
ohnehin eine Dunkelziffer existiert, prägt das Verständnis vom
alltäglichen Naziterror und gerät dadurch allzu leichtfertig aus dem
Blick.
Die unzähligen Pöbeleien, Übergriffe und Diskriminierungen
scheinen nur dann im Alltag aufzuhören, wenn die Nazis ihre ausgemachten
undeutschen Feinde vertrieben haben oder so eingeschüchtert,
daß diese nicht mal mehr Mucks zu sagen sich getrauen, ihnen also die
realen konkreten Feinbilder getreu ihrem rassistisch-völkischem Weltbild
so abhanden gekommen sind. Insofern ist jede vermeintliche Ruhe in einer
Gemeinde, in einer Stadt, in einer Region, wo noch vor kurzem eine starke
Naziszene zu Werke ging, genau unter diesem Aspekt zu betrachten. Nach dem
Motto: Ist die angebliche Ruhe nicht gerade deshalb eine, weil den Nazis die
Feinde ausgegangen sind?
Und alle zusammen:
Die Linke, Delitzsch und wir
Wenn in Delitzsch demonstriert werden soll, dann nicht zuletzt deshalb, weil es
trotz deutscher Anti-Nazi-Stimmung von Oben bitter nötig ist, sich mit den
wenigen vor Ort Aktiven solidarisch zu erklären, die den Nazis und der
dortigen Situation die Stirn bieten. Damit soll jenen der Rücken
gestärkt werden, die auch in Delitzsch eine kleine Minderheit darstellen.
Ihnen soll verdeutlichet werden, daß sie im Kampf gegen Nazis, Rassismus
und Antisemitismus nicht auf sich allein gestellt sein müssen.
Uns als linke und linksradikale Antifaschistinnen und Antifaschisten geht es
immer auch um das Aufzeigen des Zusammenhanges zwischen bürgerlicher
Gesellschaft und Faschismus. Es ist der bürgerlichen Gesellschaft eigen,
das hat die Geschichte gezeigt, daß sie den Faschismus als Option zur
Bewältigung einer hausgemachten Krise benötigen kann, in dem der
Ausweg in der Barbarei des Faschismus enden soll.
Wir wissen, daß all jene, die für eine couragierte Zivilgesellschaft
eintreten, diesen Zusammenhang negieren oder im Glauben an die Allmacht der
bürgerlichen Demokratie nicht sehen können. Das heißt aber
absolut nicht, daß wir nicht jedes Engagement gegen Faschismus, Rassismus
und Antisemitismus unterstützen und akzeptieren würden.
Die Perspektive einer zeitgemäßen radikalen Linken ist derzeit eine
der spannendsten Fragen für uns. Dabei müssen wir die Frage
klären, ob Links-Sein weltweit mehr ist als ein zivilgesellschaftliches
Feigenblatt der sogenannten Globalisierung, das dazu verdammt ist,
Mißstände aufzuzeigen, damit der Kapitalismus diese in seinem Sinne
zwar ausmerzen oder wegbügeln kann, sie aber nicht grundlegend beseitigen
muß. Nach zehn Jahren weltweitem Siegeszug des Kapitalismus und nach zehn
Jahren neuer Großmacht Deutschland ist die radikale Linke kaum noch
wahrnehmbar. Am ehesten noch im Anti-Nazi-Kampf, wo sie seit Jahren jene
Lücke an fehlender Zivilcourage ausfüllt, die der deutschen
Gesellschaft mit dem Ende der linksliberalen Öffenlichkeit anfang der 90er
abhanden gekommen zu sein scheint. Und dieser kräftezehrende
Anti-Nazi-Kampf hat uns gerade in letzter Zeit klar gemacht, daß wir neue
radikale linke Akzente setzen müssen, um nicht an eigener Profillosigkeit
einzugehen.
Deshalb bedeutet uns der Kampf gegen die Nazis und ihre Duldung auch mehr. Denn
unser Kampf ist kein Kampf für ein besseres Deutschland. Wir treten ein
für eine Gesellschaft ohne nationale Grenzen, ohne Kapitalismus, dessen
Charakter immer von Ausbeutung, Unterdrückung und Profitgier
gekennzeichnet war und sein wird.
Die Demo in Delitzsch
Die antifaschistische Bündnisdemonstration am vierten November steht unter
dem gemeinamen Motto: Gegen Nazis in Delitzsch und Umgebung.
Über dieses von uns getragene und unterstüzte Motto wollen und
müssen wir eigene politische Akzente setzen.
Deshalb ziehen wir aus der entstandenen Situation in Delitzsch folgende
politisch notwendige Konsequenz, der wir wie folgt Ausdruck verleihen:
Delitzsch nicht in Nazihand den Pakt von Nazis und Behörden angreifen!
Wir wissen, daß dieses Motto auch im Demobündnis strittig ist. Die
erfolgten diesbezüglichen öffentlichen Distanzierungen können
wir aushalten und müssen wir akzeptieren.
Unser Verständnis von antifaschistischer Bündnispolitik beruht auf
der Gemeinsamkeit, die unterschiedliche inhaltliche Gewichtungen zulassen
muß und nicht deckeln darf. Wir denken, daß unsere gemeinsame
Demonstration nur so zum politischen Erfolg führen kann.
Weg mit der Naziszene und ihrer Duldung in Delitzsch!
Organisiert Euch in linksradikalen Antifa-Gruppen!
Wir kämpfen für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung,
Herrschaft und Unterdrückung.
Deshalb:
Leipziger übergreifende Arbeitsgruppe Delitzsch
Leipzig im Oktober 2000
Kontakt:
Arbeitsgruppe Delitzsch
c/o Infobüro
Bornaische Str. 3d
04277 Leipzig
Fax: 0341-3013269
|