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Stella

Der Riß geht mittendurch.

Stella, 6.1k Stella sind auf dem richtigen Weg. Das Ziel ist zwar eher unbestimmt, aber denoch keineswegs beliebig. Mit der aktuellen Platte „Finger On The Trigger For The Years To Come“ (L’Age D’Or/Zomba) ist die Band hin- und hergerissen zwischen Hardrockanleihen (Thin Lizzy, Black Sabbath) und R’n’B im soulfulsten Sinne. Diese musikhistorische innere Widersprüchlichkeit brachte eine Platte hervor, die als eine Platte dazwischen bezeichnet werden kann – zwischen den Zeiten, an deren Ende sich m.E. Stella folgerichtig für den Soul als einen der wichtigsten Väter des Pop entscheiden werden. Dann aber ohne Ecken und Kanten und synthetisch astrein und steril genug, wie es der Neo-Bombastpop mit Zukunft (die bereits schon längst begonnnen hat) eben nahe legt.
Die neue Platte gerät in der obigen Lesart zu einem Werk, das letztlich weder Fisch noch Fleisch ist, Stella aber so repräsentiert, wie die Band gerade ästhetisch drauf ist.
Elena Langes – der Band-Vokalistin – „Gesangspalette, die sich bei Mary J. Blige, Debbie Harry, Sade und Liz Phair bedient“, nennt „die großen Themen Krieg, Ruhm und Sex beim Namen“. Daß dabei der Riß mitten durch die Band geht, belegen nachfolgende O-Töne grandios: Zur neuen Platte stellt Elena fest: „Wir haben uns für unsere Platte ein Thema herausgesucht, das seit Monaten schon wieder aus den Medien verschwunden ist: den Kosovokrieg, der kulturell, politisch, einfach ein wahnsinniger Einschnitt war.“ Doch am Beispiel des gleichnamigen Titelsongs „Finger On The Trigger For The Years To Come“ wird in einem Interview deutlich, daß die gesamte Platte zwar eine Band-Platte ist, „aber die Themen pointiert hat vor allem Elena“:
Stella, 6.7k Elena: „(...) Es geht (in diesem Song – R.) ganz konkret um diesen Krieg – und zwar um zwei Seiten. Also: mein Vater ist deutsch, meine Mutter ist Jugoslawin. Ich guck so auf einen Körper: Ich bin zweigeteilt. A quarter pounder. Ich bin 250 Gramm menschliches Fleisch auf der deutschen Seite, auf der jugoslawischen aber auch. Das heißt, der Text handelt von zwei Seiten. Einmal, wie es ist, bombardiert zu werden. (...) Auf der anderen Seite bin ich ein Pilot in einem Kampfflugzeug und habe meinen ‚Finger On The Trigger for The Years To Come‘ und fahre los.“
Daraufhin erwidert Bandmember Thies Mynther: „Also interessant, ich habe das ganz anders gelesen.“
Stellamitglied Mense Reents daraufhin: „Ich auch.“
Und der neue Bassist Hendrik Weber pflichtet bei: „Ich auch.“
Thies Mynther: „Ich dachte, es geht um diesen Widerspruch, zwischen zwei Kulturen zu leben, ganz einfach.“
Elena: „Das kann man natürlich auch so sehen.“
Thies: „Ich habe den Text schon ganz oft gehört, ich weiß wirklich Wort für Wort, was da vorkommt, und ich habe das auch aus der Perspektive eines Reisenden gelesen. Auch mit diesem Wirrwarr, diesen Flashes...“
Elena: „... Aber wie machst du das? Wie kannst du dann solche Sätze verstehen wie ‚My mother and my father have yearned to see me be one of theirs, each half made of halves, enemies of the century, and Iam equally theirs, I am fought and fight at the same time‘?“
Thies: „Ich dachte, es geht um diesen Widerspruch zwischen zwei Kulturen.“
Elena: „Ah ja, gut.“
Hendrik: „Ich finde, dieser Text verlangt einfach nur Wachsamkeit. Deshalb haben wir ihn auch zum Titel auserkoren.“
Mense: „Und weil er so schön poetisch klingt. Was meinst du mit Wachsamkeit? Fordert der Text eine Informiertheit ein?“
Elena: „Informiertheit, ja, klar, wobei ich natürlich nicht von jedem einzelnen Deutschen verlangen kann, dass er sich mit der Geschichte Jugoslawiens auseinandersetzt. Andererseits: wenn er einen Krieg befürwortet, dann sollte er sich nochmal überlegen, ob er sich nicht mit der Geschichte desjenigen Landes auseinandersetzt, das er bombardiert.“
Thies: „Mit den genauen Zusammenhängen, warum da überhaupt was stattfindet. Die Gründe, wer wie handelt. Wobei die Propaganda zu dem Zeitpunkt, als das stattfand, auch wirklich übermäßig war, muss man schon sagen.“
Elena: „Jetzt werden die Dinge langsam klar, und es gibt lauter Enthüllungen über Kriegslügen. Und immer noch sagen die Leute, dass der Krieg gerechtfertigt war. Man kann die Leute nicht erziehen, es geht nicht.“(1)

Mit dem Diktum, „ich finde, man kann auch mit Schönheit Politik machen“, bringt Elena den Charakter der Band auf einen Punkt, der weniger damit zu tun hat, daß Schönheit ja bekanntlich immer relativ ist, als daß hier vielmehr das 80er Konzept des New Wave weitergeführt wird, an dessen politischen Rändern Ästheten wie Heaven 17 einem Salonmarxismus frönten, dem zumindest der Lustgewinn durch Konsum eigen war, ansonsten aber durch Abwesenheit im „wirklichen“ politischen Leben zu glänzen wußte.
Überhaupt lag ja das Scheitern von New Wave als (teilweise) ästhetische Verabschiedung und Konsequenz von und aus Punk neben der Vereinnahmung auf dem kapitalistischem Markt, der sich nie ernsthaft entzogen werden sollte, insbesondere an der Verselbstständigung der zur Subversion verklärten Künstlichkeit, die sich so vom „wirklichen“ Leben zusehends folgerichtig entfernen mußte.
Laut Kerstin Grether(2)lebten Stella „eine Streitkultur um feministische Themen so selbstverständlich, als sei Männerbündelei nie der blinde Fleck in Deutschlands Dikurspopwelt gewesen.“ Was sie damit meint, bringt insbesondere auch Diedrich Diederichsen auf den Punkt, wenn er die Lage hinsichtlich der Eroberung „einer Selbstverständlichkeit in der popkulturellen Artikulation von Frauen als eine immer noch ausstehende und ungelöste Aufgabe“ beschreibt. Die Lage sei, so Diederichsen, „schon grotesk: Jede komplizierte Sub-Spezialisierung hat heute in jeder Großstadt einen Plattenladen, unzählige Web-Sites, Fanzines und Label – nur die Einführung einer von Frauen kontrollierten, selbstverständlichen Artikulation in der Popkultur läßt auf sich warten.“(3)
Daß Stella ein einschlägiges Problembewußtsein dafür besitzen, sei unbenommen. Trotzdem oder gerade deshalb aber bleibt z.B. Elenas Feminismusverständnis fragwürdig: „“Feministin sein“, so sagt sie, „ist für eine Frau wie Essen, Trinken, Schlafen. Feministin sein muß man! Für wen ist man denn sonst, wenn nicht für sich selber und seine Geschichte? Frauen werden ganz einfach mit bestimmen Mechanismen unterdrückt, das ist so, und warum soll man nicht für seine eigenen Rechte seiner Geschlechterklasse eintreten? Sich nicht als Feministin zu bezeichnen, das ist so, als würde man sagen: Ich verachte mich selber.“
Nicht nur, daß hier menschliche (glücklicherweise) geschlechtslose Grundbedürfnisse („Essen, Trinken, Schlafen“) geschlechtsspezifisch metaphorisiert werden und ein Klassenbegriff Verwendung findet, von dem eigentlich gemeinhin angenommen werden sollte, daß er nun wirklich Schnee von gestern ist, offenbart sich hier bei Elena die klassisch verfehlte Selbstaffirmation aus der reinen Opferperspektive, bei der bisher immer die Geschlechteridentität zum Politikersatz verkam, weil die Frau so als Wert an sich gesetzt wurde.(4)
Ausserdem ist Elenas vergleichende Feststellung, daß sich selbst „nicht als Feministin zu bezeichnen“ quasi dazu führen würde, sich selbst zu verachten, eine Verkennung sozialpsychologischer Muster: nicht das Unbewußtsein führt – möglicherweise, nicht automatisch (!) – zum Selbsthass, zur Verachtung, sondern erst das Bewußtsein (hier: das feministische).(5)
Ralf
(1)teilweise Wiedergabe des Interviews aus Intro 09/2000
(2)damals noch in Spex 02/1998
(3)in: Diedrich Diederichsen, Der lange Weg nach Mitte, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1999
(4)Dieser feministische Essentialismus ist selbst in der feministischen Theorie schon vielmals harsch kritisiert worden. (Vergleiche dazu in CEE IEH #69 den Beitrag „Die Pat.-Situation“).
(5)Diese Gefahr auf der sozialpsycholgischen Ebene, die der feministischen Identitätsbildung (natürlich nicht nur ihr!) tatsächlich immanent ist, ist m.E. in der feministischen Theorie bisher sträflich unterbelichtet geblieben.


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last modified: 28.3.2007