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Hilfe, ein Nachruf!
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Da baut mensch auf linke Sekundärtugenden: Unzuverläßigkeit,
Unpünklichkeit, Unordentlichkeit. Und hofft, nachdem die Zeitschrift
hilfe lange nicht mehr im Briefkasten lag, eigentlich zu lange,
darauf, daß die MacherInnen ebenjene Tugenden für sich in Anspruch
nehmen können. Vielleicht haben sie mein Abo vergessen? Oder waren lange
im Urlaub und hatten dann eine Weile keine Lust zu schreiben? Oder fängt
jemand die Post ab?(1) Wie dem auch sei. Die nächste Nummer
kommt bestimmt bald. Außerdem will ich doch die beste Zeitschrift, die
ich kenne, rezensieren und da macht sich eine aktuelle Ausgabe gut. Nach einem
Jahr warten der von der Leipziger Zeitschrift MSE gehaltene Rekord im
Nichterscheinen, der knapp über dem alten der feministischen
Anti-Biotech-Zeitschrift E.coli-bri lag, war schon überschritten
siegt die Ungeduld. Eine Internet-Recherche läßt Befürchtungen
aufkommen. Unter der im letzten Heft angegeben Domain ist nichts mehr zu
finden. Auf e-mails hin meldet sich niemand. Gibt es noch eine Hoffnung?
Ende 1996 erschien die erste hilfe, im Sommer 1999 die letzte, die sechste hilfe. Die wechselnden Untertitel, Illustrierte Theorie für das Dienstleistungsproletariat, Hysterieblatt für die absteigenden Mittelschichten, Die unsichtbare Zeitschrift u.ä., verraten noch nicht viel über Inhalt und Form. Die hilfe war das ideale Blatt für alle Postautonomen. Viele linke Zeitschriften, sofern sie nicht überregionale Bedeutung haben (und selbst da gibt es ja die interim u.ä.), sind voller schlecht layouteter Pamphlete und geklauter Texte, die sich durch ein Übermaß an Rechtschreibfehlern, pauschalen Wertungen und abstrusen Verschwörungstheorien auszeichnen. Jegliche Theorie ist zu intellektuell und über den Tellerrand zu blicken ein Sakrileg. Nun mag mensch einwenden, daß es trotzdem viele linke Zeitschriften gibt, auf die diese Beschreibung zutrifft. Die hilfe war aber nicht nur nicht so, sondern das komplette Gegenteil in jeglicher Hinsicht. Am augenfälligsten wird das beim Layout. Dagegen sind so ambitionierte Zeitschriften (im gestalterischen Sinne) wie die Arranca!, ZAG, 17OC oder alaska graue Mäuse. Es werden Stils verwendet, die mensch sonst nur aus subkulturellen Fanzines kennt, sich in der hilfe aber nicht verselbständigen oder gar gegen den Text stehen. Nie die Lesequalität beschränkend oder penetrant Aufmerksamkeit erheischend, bietet die hilfe ein Layout, welches schon beim alleinigen Durchblättern Freude verschafft.(2) Die hilfe vereint Texte zu Kultur und Politik(3), bewegt sich thematisch zwischen militanter Politik und Philosophie, zwischen kein mensch ist illegal-kompatiblen Texten und der Dekonstruktion des Internet-Hypes, beleuchtet praktische und theorethische Aspekte, bringt zum einen Texte mit Lokalbezug, die jedoch auch für Nicht-MünchnerInnen spannend sind, da die beschriebenen Entwicklungen sich in jeder Stadt wiederfinden, zum anderen allerdings auch viel zu internationalen Themen. Von zu theorielastigen Zeitschriften (Bleiwüste, Fußnotenapparat, ausufernde Nebensatzkonstruktionen, Fachbegriffe) unterscheidet sich die hilfe durch ihre zwar analytischen, aber locker zu lesenden Reportagen, Rezensionen und Interviews. So werden eben Fragen nach dem Zusammengehen von Sozialprotesten und antirassistischen Initiativen nicht abstrakt, sondern im gemeinsamen Gespräch mit AktivistInnen aus Frankreich abgehandelt. Und Johannes Agnoli wird nicht etwa rezipiert, sondern einfach interviewt. Die Beschreibung der Abschiebepraxis verliert sich weder in Zahlen oder Strukturen noch in tränenrührenden Einzelschicksalen, sondern nimmt eine Vernissage des Münchner Flüchtlingsamtes zum Anlaß, über die perfide Arbeitsteilung der Behörden zu berichten: während die Ausländerbehörden die Abschiebungen forcieren, versuchen die Ausländerbeauftragten (wie das Flüchtlingsamt in München) der ganzen Sache einen humanistischen Anstrich zu geben. Was die hilfe noch auszeichnete: Als Abogeschenk gab es Das Kapital virenfrei auf Diskette, angereichert mit einigen situationistischen Texten, wie z.B. Über das Elend im Studentenmilieu. Die Herausgabe einer jeden neuen Nummer wurde immer gefeiert: mit einem öffentlichen Event mit Lesungen, Vorträgen, Diskussionen und Disco. Eine Revue durch einige Ausgaben. zweite hilfe Schon das Editorial für viele Zeitschriften nur eine Pflichtübung fünfminutenvorzwölf und deswegen ungenießbar wagt einen amüsanten Rundumschlag gegen die bürgerliche Gesellschaft incl. Patentrecht, Ratgeberliteratur, Jugendlichkeit, Elitedenken. Um mit den Worten abzuschließen: adressieren wir unser Hysterieblatt an die absteigenden Mittelschichten. Das sind heute bekanntlich die gefährlichen Klassen. hilfe steht ihnen mit Rat und Tat zur Seite: Wie vermeide ich, von Mehrwertschöpfen und Amüsierarbeit ausgebrannte/r KleinbürgerIn, den Faschismus: den rohen, den gebildeten, den spaßigen, den literarischen, den politischen, den musikalischen, den gewöhnlichen, den müchnerischen und den Evita-Faschismus? Insofern ist hilfe ein Stück echte Ratgeber-Literatur. Im Heft wird der neue Kunstpark Ost in München, eine Art Shopping Mall für die Kunst, auseinandergenommen(4). Dieser Text ist, weil er Aspekte der Innenstadtpolitik und der Warengesellschaft analysiert, genauso interessant wie der anschließende über die Münchner Kinolandschaft (Multiplex und postmoderne Stadtentwicklung). Noch vor dem Aufmarsch der Nazis in München gegen die Wehrmachtsaustellung (und Jahre vor der Veranstaltung des Bündnis gegen Rechts Leipzig, welches sich mit seiner Veranstaltung zur Wehrmachtsausstellung als Vorreiter innerhalb der Linken wähnte) werden in der hilfe die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944 und deren MacherInnen von links kritisiert. Dazu passend veröffentlichen sie eine persönliche, innerfamiliäre Auseinandersetzung mit einem alten Wehrmachtssoldaten wie er als Großvater in fast jeder Familie zu finden sein dürfte.(5) Weitere Themen: Identitätskonstruktionen bei Multi-Kulti, EVITA, Deleuze, AIDS-Politik. dritte hilfe Los gehts mit Texten und Interviews mit und über die Sans-Papiers in Frankreich, den illegalisierten MigrantInnen, die mit landesweiten Aktionen ihren Forderungen Gehör verschafften. Doch neben den in der Linken breit diskutierten Themen wie der Flüchtlingspolitik, der Globalisierung, der Existenzgeld-Forderung oder Privatisierung der Öffentlichen Räume, widmet sich die dritte hilfe auch ausgiebig Themen, die bei anderen unterbelichtet sind: Gesundheitspolitik, Tourismus, Pornographiedebatte (am Beispiel des Films Die nackte Wahrheit) oder die Beratungspraxis nach dem [[section]]218. Der Artikel Nie wieder Urlaub ist ein gutes Beispiel für einen typischen hilfe-Artikel. Zu dem Thema gibt es vielleicht einige trockene Magisterarbeiten von SozialwissenschaftlerInnen, moralisierende Bücher in Verlagen der Trikont-Soli-Szene und eine gute, aber auch nicht weiter erhellende Polemik im CEE IEH #67 (Der Urlaubstip für den Sommer). Die hilfe dagegen schafft es auf gerade mal zwei Seiten einen Rundumschlag über alle Aspekte des Tourismus zu liefern: Angefangen mit dem Beginn der touristischen Epidemie im 18. Jahrhundert, über sozialutopische Vorstellungen vom Reisen, die durch die bündische Jugend und Naturfreunde gepflegt wurden, später ihre Ersetzung durch die KdF-Programme der Nazis fanden, bis hin zum Massentourismus in der heutigen Zeit incl. wirtschaftlicher und ökologischer Aspekte, und dem sogenannten Alternativtourismus, deren ApologetInnen nichts weiter als FrontsoldatInnen einer kapitalistischen Warenwelt darstellen. Und selbst über den Widerstand gegen den Wohlstandstourismus wird berichtet. Und daß in einem linken Lifestyle-Magazin, daß eigentlich dem Hedonismus frönt! vierte hilfe Unter dem Arbeitstitel Arbeitstitel beschäftigt sich die vierte hilfe schwerpunktmäßig mit der sozialen Frage. Nicht zu unrecht werden soziale Proteste, gerade in Deutschland, als nationalistischer Wohlstandschauvinismus charakterisiert. Nur wenige ernstzunehmende linke Gruppen (wie die FelS, HerausgeberInnen der Arranca!) beziehen sich positiv auf Arbeitskämpfe und die Existenzgeldforderung. Ansonsten bleibt die Thematisierung der sozialen Frage Sekten wie den Wildcat-Gruppen vorbehalten. Die ersten Artikel der hilfe beschreiben die Produktionsbedingungen in den Maquilas das sind Weltmarktfabriken in Lateinamerika, wo mit geringem Kapitaleinsatz und unter großem Verschleiß menschlicher Arbeitskraft Produkte vor allem der Textilindustrie gefertigt werden. Die Bedingungen in diesen Fabriken, die durch ein Interview mit einer Vertreterin eines feministischen Zusammenschlusses in einer solchen Fabrik in Nicaragua veranschaulicht werden, werden der Imageproduktion des Nike-Konzern gegenübergestellt. Außerdem werden Initiativen wie die Kampagne für saubere Kleidung reformistisch kritisiert. Im Anschluß folgen Untersuchungen zum Zustand der Gewerkschaften in den USA und der BRD, eine Auseinandersetzung mit dem Operaismus in Italien usw. Die ideologischen Funktionen der Arbeit werden anhand einer Analyse verschiedener Filme beschrieben. Zur Debatte um Innere Sicherheit und Innenstadtpolitik erscheinen zwei Artikel, die einen feministischen Blick darauf werfen: Im ersten geht es um die Frage, wie die Werbung für Damenbinden ein Bild vermittelt, daß Frauen suggeriert, daß sie eine ständige latente Bedrohung für die öffentliche Hygenie darstellen. Diese Botschaften fallen auf fruchtbaren Boden, wie die Autorin feststellt, da sich bei der Aneignung öffentlicher Räume schon bei Kindern geschlechtsspezifische Unterschiede herausbilden. Im zweiten Artikel wird die Kampagne Aktiv gegen Männergewalt kritisiert. Mit Bezugnahme auf die Innere Sicherheit und unter tatkräftiger Mithilfe von Polizei und einigen Frauenprojekten wurde diese Kampagne in München initiiert, die von Patriarchat nichts wissen will, aber die betroffenen Frauen als arme Opfer und die Männer als verrückte Einzeltäter klassifiziert, die polizeiliche Mittel als einziges Allheilmittel gelten läßt und Plakate klebt, auf der ein Minirock mit der Aufschrift Kein Grund für eine Vergewaltigung zur Vernunft mahnen soll. Hier ist die Frau also keine Bedrohung für den öffentlichen Raum, wie im ersten Fall, sondern wird selbst vom öffentlichen Raum bedroht. Sie bleibt also besser zu Hause... fünfte hilfe Die Auseinandersetzung um Arbeit und Faulheit setzt sich im nächsten Heft der hilfe fort. Nach einem Blick nach Großbritannien und Frankreich wird die SchülerInnen-Initiative zu ihren Protesten gegen Sozialabbau, den Perspektiven der Jugend-Antifa und Leistungsdruck befragt. Im Beitrag Freizeitdress wird die linke Auseinandersetzung mit dem Arbeitswahn kritisiert. Während K-Gruppen, PDS und andere Parteien ungebrochen mehr Arbeit für alle fordern, ziehen sich alle anderen auf die Position Arbeit ist Scheiße zurück und propagieren die Faulheit. Am Beispiel des Manifests der Glücklichen Arbeitslosen wird erläutert, daß deren zum Teil esoterischen Forderungen wenig mit Politik zu tun haben und ein Einrichten in der eigenen Prekarisierung propagieren. Zum Schluß sei noch angemerkt, daß selbst ich als Kulturbanause das erste Mal mit Interesse Texte über die Wiener Elektronik-Szene, die ja diesen Monat zu Gast im Conne Island sein wird, über Dokumentarfilmfestivals, Tanzperformances, verschrobene KünstlerInnen, die den Art Strike propagieren und Les Robespierres gelesen habe. sechste hilfe Helft euch selber: Alte Ausgaben der hilfe können bis auf die vergriffene Nr. 1 unter: http://www.hilfekonzern.de bestellt werden! P.S. Und wo bleibt die Kritik, mögt ihr jetzt enttäuscht fragen. Tja, sie ist mir abhanden gekommen. Aber das nächste Mal wieder! Wenn ein stinknormales Buch oder eine typische Zeitschrift besprochen wird. Bernd Fußnoten
(1) Nicht, daß ich paranoid bin. Außerdem ist die
hilfe dem Verfassungsschutz viel zu intellektuell. Nein, aber vielleicht gefiel
sie ja dem Briefträger oder der Briefträgerin. |