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Der erste Mai und die Schaumsprache deutscher Medien Erster Mai im Jahre 2000. Es ist Mittag und ein wunderschöner, fast schon heisser Maientag. Im nahe Leipzig gelegenen Grimma, der Kreisstadt des landschaftlich attraktiven Muldentalkreises, sind die Straßen menschenleer. Überall stehen Polizeifahrzeuge. Ein Troß martialischer Gestalten bahnt sich seinen Weg und versucht immer mal wieder, kollektiv im zackigen Gleichschritt zu marschieren. Manche kahlköpfig, manche sehen einfach stinknormal aus. Vereinzelt sind auch Frauen unter ihnen. Einige der überwiegend jungen Leute tragen Tansparente, auf denen zum Beispiel Arbeitsplätze zuerst für Deutsche gefordert werden. Andere sind merklich angetrunken. In etwa sechshundert zählen sie alle zusammen. Mittels eines mitgeführten Lautsprecherwagens wird die idyllische Ruhe gestört. Über ihren Köpfen reiht sich ein Plakat an das andere. Angebracht wurden sie an Laternenmästen von engagierten Grimmaer Bürgern. Darauf ist zu lesen: Die Welt ist bunt nicht schwarz-weiss! Ganz am Rand laufen vereinzelt gelangweilte Polizisten, die wahrscheinlich darüber sinnieren, warum sie hier bei dieser Wärme in so einer schweren Uniformkluft umherlaufen müssen. Alles in allem bietet sich ein friedliches Bild voller Widersprüche: bedrohlich auf der einen und fast schon komisch auf der anderen Seite. In der Nähe des Grimmaer Bahnhofs ein anderes Bild. Ein bunter Haufen, in dem die Farbe schwarz überwiegt, demonstriert entschieden gegen Nazis. Die meisten der rund vierhundert sind blutjung. Die Polizei ist dem Zug immer dicht auf den Fersen. Sie ziehen gegen Nazis durch die Strassen und skandieren Sprüche gegen die anwesende Polizei. Angestachelt werden sie immer wieder aufs neue über Lautsprecher. Die meisten von ihnen stammen aus Leipzig. Genauer gesagt aus Connewitz, dem Stadtteil der Autonomen, Alternativen und Punks ... ... Und so weiter und so fort bla, bla, bla. Liebe Leserin, lieber Leser. Haben Sie es gemerkt? Das Obere ist frei erfunden. Aber es könnte hierzulande jedem x-beliebigen Medium entnommen worden sein. Achten Sie mal darauf. Kennen Sie diese Sprache? Nun, es handelt sich hier um den standardisierten Reportagen-Duktus, den ehrenwerte Leute wie Egon Erwin Kisch einst gegen die bürgerliche Hofberichterstattung in Stellung brachten und der heute von Spiegel bis Spex, von Zeit bis Jungle World als Farce fortbesteht. Er ist quasi codierte Gildensprache des Journalismus schmalzig, kitschig, parteiergreifend und nichtssagend. Es lohnt allemal, sich diesen Sprachduktus näher anzuschauen und seine Tendenzen und suggestiven Lesarten zu reflektieren. Man lernt dann nämlich, dass das Leben auch ohne linke Medien weiter gehen kann, was wiederum linke Medien vor falschen Kompromissen bewahren könnte. Jene Medien muss es dann nämlich nicht auf Gedeih und Verderb geben, und trotzdem kann man zu einer linken Meinung und Position kommen. So. Und jetzt noch ein fiktives Beispiel zur Veranschaulichung. Vorweg: Sie werden die nachfolgende Szene nirgends in deutschen Massenmedien dargestellt finden, obwohl der Duktus derselbe, die Intention hier aber nicht die des deutschen Journalisten ist: Unweit des Zuges nationaler Glückseligkeit steht ein alter klappriger Mann um die 80. Einsam und verlassen steht er da. Mit einer Hand umklammert er den Lenker seines Fahrrades. Das Fahrrad jedoch scheint eher ihn auf den Beinen zu halten. Angesichts des Aufzuges zittert er am ganzen Körper. Mit der anderen hält er krampfhaft eine Trillerpfeife im Mund und entlockt ihr kurze, immer wieder verstummmende Laute des Protests, die kaum bis zum Zug der Demonstranten gelangen. Wohl aber bis zur begleitenden Polizei. Offensichtlich hat der arme Mann nicht mehr genügend Puste. Zwei der Polizisten, erfreut über die Abwechslung, amüsiert das. Der lebt doch eigentlich gar nicht mehr, sagt der eine zum anderen...(1)
Die ernüchternden Fakten nach dem ersten Mai sind keine neuen: Nazis können mehr oder weniger ungestört aufmarschieren. Rund 3 500 an der Zahl taten dies bundesweit an verschiedenen Orten. Offensichtlich wurde dabei wieder einmal das Ost-West-Gefälle: Waren es im Osten fast aussschliesslich die autonomen Antifas, die, mehr oder weniger auf sich alleingestellt, den Nazis entgegentraten, waren es im Westen quantitativ relativ breite Bündnisse, die sich auf die Straße begaben. Sicherlich läßt sich bei letzteren über deren Effizienz und auch Motivation streiten, aber Fakt ist und bleibt, dass in den Weststädten immerhin ein von breiten Kreisen getragenes Anti-Nazi-Klima herrscht, das die Entscheidung über die Lufthoheit in allen Fällen schon im Vorfeld zu Ungunsten der Nazis ausgehen läßt. Die Gründe dafür sind mittlerweile so oft genannt worden, dass man sie kaum noch auf der Computertastatur klimpern möchte. Sie reichen bekanntlich von der deutscheren DDR nebst ihrer Bevölkerung über die kollektive Scheisserei (Pfeifer) bis zu einem pervertierten Demokratieverständnis inklusive Atifaschismustrauma. Es wird insbesondere im Osten immer offensichtlicher, dass diejenigen, die den Nazis nicht die Straße überlassen wollen, in der Öffentlichkeit nicht etwa nur mit den Nazis gleichgesetzt werden, sondern sie als das eigentliche Problem gelten. Diese sich immer mehr zur Normalität verfestigende Situation muss man erst einmal begreifen und setzen lassen. Es gibt eine gewisse Wechselwirkung zwischen dem tatsächlich gestiegenen Problembewußtsein bei sagen wir klassischen antifaschistischen Organisationen und Institutionen wie den Gewerkschaften, den Kirchen, den Grünen und besonders der PDS von anderen wollen wir gar nicht erst reden und der zunehmenden Anfeindung, der sich autonome und linksradikale Antifas ausgesetzt sehen. Es ist bei aller Betrachtung unerlässlich, immer darauf zu insistieren, dass, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ausschliesslich autonome bzw. linksradikale Antifa-Gruppen die Situation und die Nazidominanz landauf landab problematisiert haben. Und niemand sonst. Die Abfolge gleicht sich tätsächlich allerorten: Antifa-Gruppen müssen powern ohne Ende, bis mal ein antifaschisisches Zucken von anderen zu verspüren ist. Der Grund dafür ist letztlich so simpel wie richtig: Antifaschismus ist in Deutschland nicht das Feld, wo man Blumentöpfe (Andre Brie, PDS) von der Bevölkerungsmehrheit überreicht bekommt, sondern im Zweifelsfall an den Kopf geschmissen! Es liegt in der Logik von tatsächlichen oder von Möchtegern-Massen-Organisationen und ihrer Funktionäre, dass man sich somit auf dem Feld von Antifa keine Freunde machen kann: wer seine Pfründe langzeit-sichern will, muss dem Volke folgerichtig aufs Maul schauen und kann somit auf Dauer keine Maulschellen austeilen. Es wissen inzwischen alle von Bundestagspräsident Thierse bis Sachsen-PDS-Chef Porsch: die Nazis kommen aus der Mitte der Gesellschaft und finden dort auch ihren Rückhalt. Und weil sie es wissen, zerbrechen sie sich den Kopf darüber, denn mit der Mitte ist ja ihre Wählerschaft, ihr Klientel gemeint. Es müssen also Hilfskrücken her, um sich etwas zurechtlügen zu können. Dazu muss man erst einmal die über die Klinge springen lassen, die einem eh nur lästig sind die autonomen Antifa-Gruppen nämlich. Bei denen ist ohnehin Hopfen und Malz verloren und ihre gesellschaftliche Stigmatisierung und Isolation prädestiniert sie geradezu dafür. Klaro, für alle ist es nicht einfach, redet man zu viel mit diesen autonomen Antifaschisten oder läßt sich gar in Kooperationen mit denen verstricken, bröckeln die Feindbilder, die ja gerade her müssen und sich verfestigen sollen. Ist man erst einmal derlei gestählt, schreitet man dann zur Tat wie die PDS-Chefin des Muldentalkreises, Kerstin Köditz.
Wie eine Stadt und ihre Bevölkerung der Vernichtung entkam
Wie soll es nun weitergehen? Offensichtlich kehrt sich autonome Antifa-Politik im Osten dann gegen sich selbst, wenn diejenigen sich profilieren wollen oder müssen, die durch Antifa-Gruppen als Bündnispartner erst hochgepäppelt wurden. Spätestens dann geraten autonome zu Gegnern der wahren und wirklichen Antifaschisten, die in aller Regel vor Ort Wurzeln geschlagen haben, nicht von aussen einfach so daherkommen und auch keine selbsternannten Antifaschisten sind, sondern solche, die es ausschliesslich kraft ihres Amtes wurden. Es wird in nächster Zeit unter Antifa-Gruppen darüber zu diskutieren sein, unter welchen Umständen eine Niederlage vorprogrammiert ist und nicht abzuwenden. Grimma am ersten Mai war ein solcher Präzendenzfall, der über die Niederlage hinaus eher Schaden angerichtet hat als genützt. Nach Grimma waren alle frustiert. Das heißt wiederum, dass solcherlei Frustrationen, wenn sie sich weiter häufen, geradewegs zu einer Situation für die Antifa-Szene führen, die kaum noch über Mobilierungskraft verfügt. Sicherlich können Antifa-Gruppen nicht besser sein, als es ihre gesellschaftliche Stigmatisierung zuläßt. Daraus jedoch müssen realistische Konsequenzen gezogen werden. Wenn den Nazis das Feld überlassen werden muß, liegt das schon seit geraumer Zeit weniger an der Antifa-Szene selbst, sondern an den gesellschaftlichen Realitäten. Eine meines Erachtens punktgenaue ernüchternde These zum Ende: Es ist mittlerweile in Deutschland einfacher und erfolgreicher, eine Nazi-Demonstration durchzuführen als eine Antifa-Demo. Das meine ich nicht hinsichtlich des Faktes einer Demo, sondern hinsichtlich der gesellschaftlichen Wirkung, die erzielt wird.(2) Ralf
(1) Diese Darstellung beruht auf der Schilderung eines Augenzeugen,
der die Szene in Grimma am ersten Mai beobachtete. |
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