Auch die Antifa-Szene unterliegt logischerweise Veränderungen. Ein Vergleich ihrer Verfaßteit von Anfang der 90er und gegenwärtig
Von Ralf
Früher war alles besser
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Fragt man Antifas, die bereits anfang der 90er am Start
waren, was sich denn gegenüber vor ein paar Jahren Antifa-mäßig
geändert hat, ist nicht selten als erster Satz zu vernehmen, daß
früher alles besser war. Und fürwahr, was da so um
91 bis 93 quantitativ ging, scheint heutzutage in
größerem Maße kaum noch vorstellbar.
Der damalige Aufwind und Zulauf bei den Nazis unterstützte für viele
Linke hinreichend die These eines wiederentstehenden vierten Reiches. Die Hetze
gegen Asylanten und Ausländerfluten ließ die
Nazis mit ihren Argumenten immer vorn dran sein: wenn Volkspolitiker von CDU,
FDP und SPD zur verbalen Brandstiftungs-Tat schritten, waren die Nazis
praktisch(!) schon viel weiter: sie zündelten und mordeten deftig drauf
los.
Weil Kohl mit 1989 nicht Hitler wurde und die Volksparteien, obschon sie
seitdem nur noch Deutsche kennen, nicht zur neuen NSDAP verschmolzen,
projizierten Linke den Großteil ihrer Aktivitäten auf die Pogrome
und den Terror der Nazis. Letztendlich war dies auch bitter nötig. Denn
niemand anderes außer den antifaschistischen und antirassistischen Linken
bot auch nur ein Fünkchen Hoffnung, daß man als Nicht-Deutscher im
neuen Super-Deutschland mit ungeschorener Haut davon kommt.
Faktisch kapitulierte die deutsche Linke in den Jahren anfang der 90er vor der
wieder möglich gewordenen Großmachtpolitik des neuen Deutschland und
dem vom Staat ausgehenden rassistischen Terror. Gründe dafür gibt es
einige: In der Geschichte der alten BRD gelang es der radikalen Linken
gegenüber dem Staat durch die Bewegungsfixiertheit mit Masse zu punkten
diese Masse jedoch gab es urplötzlich durch die Ereignisse 1989
nicht mehr. Links-Sein galt nun nicht mehr als frisch, chic und hip, sondern
unmoralischer, menschenverachtender letzter Scheiß. Der gesellschaftliche
Amoklauf speziell in Deutschland gegen jedes Zucken von
Niedriger Politisierungsgrad der Antifa-Gruppen
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Kapitalismus-, Staats- oder Nationenkritik tat sein übriges. Zudem
erwischte die jahrelange DDR-Verklärung viele Linke hart: plötzlich
fühlten sie sich ihrer eigenen Identität beraubt. Die
Zurkenntnisnahme des Scheiterns des Massenansatzes, das Wahrnehmen einer quasi
reaktionären Volkserhebung im real existierenden Sozialismus und die
Erkenntnis, daß es in der DDR faktisch gar keine relevanten linken
Gruppierungen gab und stattdessen nur Tausende staats- und
autoritätsfixierte Parteisoldaten spießigster Deutschtümelei,
ließ die Krise vollends ausbrechen. Und das war noch nicht alles.
Ehemalige linke Bürgerliche einstmals immer Bündnispartner der
radikalen Linken konvertierten zu rechten Deutschnationalen bzw. hielten
nun mit ihrer schon immer gehegten Neigung nicht mehr hinterm Berg. Eine
aktionsgeladene autonome Szene lag in ihren letzten relevanten Zuckungen als
Jugendbewegung, hatte es sich jedoch vielmehr schon längst in den als
Teilbereiche bezeichneten Nischen-artigen Ruhestätten
gemütlich gemacht. Mit ganzer Wucht erwischte der flächendeckende
Naziterror die verbliebenen Rest-Linken. So wußten sie teilweise gar
nicht, wo sie nach dem Feuerwehrprinzip zuerst hinfahren sollten, um die Nazis
militant anzugreifen oder, was eher die Regel war, Strukturen,
Privatsphären und Menschenleben von Linken, Flüchtlingen oder anderen
Nicht-Deutschen zu schützen. Nur langsam entwickelte sich eine explizite
linke Antifa-Szene, die in der Lage war, den Nazis entsprechend Paroli zu
bieten. So verlagerten die Ost-Nazis in stärkerem Maße ihre Angriffe
als Mob auf Flüchtlingsunterkünfte. Im Westen hingegen hielten sich
die Nazis in aller Regel von Beginn an von den Linken fern, fuhren stattdessen
in den Osten, um dort die neuen SA-Horden zu verstärken bzw. zu schulen
und anzuleiten, oder verübten klandestine Anschläge auf
Flüchtlingsunterkünfte.(1)
Junge Linke, die anfang der 90er über den Anti-Nazi-Kampf dazukamen,
verstanden in überwiegendem Maße ihr Links-Sein nur als reine
Anti-Nazi-Haltung, was sogar soweit führte, daß es gerade im Osten
weit verbreitete antikommunistische Ressentiments gab.(2)
Der niedrige Politisierungsgrad der vielen neu entstandenen Antifa-Gruppen
wurde nicht etwa durch Hyperaktivismus auf der Straße wett gemacht, nein,
er stellte viel mehr gar keine Notwendigkeit dar nicht einmal im
Ansatz.
Antirassismus: caritatives Selbstverständnis, nicht weit entfernt von christlicher Nächstenliebe
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Innerhalb der Rest-Linken, die die 89er Ereignisse relativ
unbeschadet, d. h., sich immer noch als Linke begreifend,
überstanden hatten, gab es zwei Haupttendenzen, die die radikale Linke bis
heute neben der Antifa-Ausrichtung maßgeblich bestimmen. Zum einen
begannen viele ältere Genossen explizite Antira-Politik zu machen, die
nicht mehr und nicht weniger leistet, als den Staat für seine rassistische
Ausländer- und Flüchtlingpolitik zu kritisieren und mit punktuellen
Kampagnen zumindest reformerische Erfolge zur Verbesserung der
Lebensverhältnisse der Flüchtlinge zu erlangen versucht. Dabei ist
schon seit längerem die Tendenz auszumachen, daß Gesellschaftskritik
nur noch im Rahmen eines caritativen Selbstverständnisses vorkommt und
diese noch dazu von der Praxis christlicher Nächstenliebe nicht weit
entfernt ist. Alles in allem ist hier aus der Not, dem Staat tatsächlich
radikal nicht Paroli bieten zu können, unter dem Verzicht auf eine
umfassende Gesellschaftskritik, die Tugendhaftigkeit
ehrenamtlich-sozialarbeiterischer Aufopferung im Zeichen kritischer
Gemeinwesenorientierung gemacht worden.
Eine andere, sagen wir, Strömung alter Genossen stellte die
Austreibung des Massenansatzes, sein Scheitern an der
sozial-revolutionären Ausrichtung und die Abkehr von sämtlicher
Volks- und Nationalbefreiungsorientierung dar. Diese antinationale, später
dann auch antideutsche Strömung, machte es sich zur Aufgabe, die Linke an
ihrer eigenen Nase zu packen, sie als traditionell und historisch gescheitertes
Etwas aufzumischen. Dort kultivierte sich das politische Grundverständnis,
daß zukünftig bei einer Linken weniger Menschen immer mehr zu
bedeuten hätte und daß in der Praxis alles zu vermeiden sei, was
auch nur im Ansatz dazu führen könnte, ein besseres oder
anderes Deutschland zu schaffen oder zu repräsentieren, weil
die Minimalforderung die Abschaffung Deutschlands heißen müsse. Mit
diesem Ansatz im Gepäck, verlor dieser Teil der radikalen Linken in der
Theorie und Praxis die linke antikapitalistische Grundlage aus dem Blick. So
sind gegenwärtig nicht wenige junge linke Antifas anzutreffen, die aus den
antideutschen Theorien, die insbesondere für das
Grundlagen-Verständnis von Nationalsozialismus und Faschismus nicht hoch
genug bewertet werden können, eine diffus-vulgäre antideutsche
Position gemacht haben, nach der der Deutsche ein
immerwährendes genuines Problem sei.
Jugendkultur als günstiges Mobilisierungsumfeld existiert nicht mehr
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In der Hauptsache läßt sich mit diesen beiden beschriebenen
Tendenzen feststellen, welche linke Hauptorientierung jungen Antifas als
radikal-links überhaupt möglich ist.
Anfang der 90er waren Antifa-Szene und die Hardcore-Jugendkultur sehr nahe
beieinander. Antifa-Gruppen hatten das Glück, mit der Jugendsubkultur
Hardcore ein Mobiliserungsumfeld vorzufinden, daß durch die
Hardcore-Szene und deren Dunstkreis sehr groß war. Was im Gegensatz dazu
Hardcore (HC) heute für die mittlerweile dritte und gar vierte Generation
ausmacht, ist nicht mehr als reine inhaltlsleere Konsum- und
Marktorientierung.(3)
Festzustellen bleibt, daß eine Jugendkultur als günstiges
Mobilierungsumfeld für Antifa-Gruppen in der Vielzahl von
jugendkulturellen Selbstverständnissen, Orientierungen und der vollends
professionalisierten Vermarktung faktisch nicht mehr existiert. Gleichzeitig
sind gerade Mitte der 90er viele aktionistische Antifa-Gruppen
auseinandergefallen und deren Mitglieder in die unterschiedlichsten Szenerien
und Nischen sowie auf Karriereleitern auf nimmer Wiedersehen entschwunden, weil
gerade zu dieser Zeit die unmittelbare Nazi-Bedrohung auf der Straße
abrupt zurück ging.(4)
Insgesamt muß leider konstatiert werden, daß das rebellische und
diffus linke und fortschrittliche Potential, das vormals scheinbar jeder
Jugendkultur inne wohnte, gänzlich aus allen relevanten Jugendsubkulturen
verschwunden ist. Dieser Fakt macht es insbesondere schwierig, weiter auf die
traditionelle Eigendynamik von Jugendkultur als sozusagen Vorfeldszenerie
für linksradikale Antifa-Gruppen zu setzen.
Gleichzeitig gibt es im Unterschied zu Anfang der 90er ein anderes
Verständnis von der alltäglichen Normalität der Nazi-Szene: was
anfang der 90er noch als anormaler Zustand vehement bekämpft wurde,
nämlich daß es überhaupt Nazitreffs, Nazi-Konzerte und
-aufmärsche gibt, gilt für die heutigen Jugendkulturen ebenso wie bei
den Antifa-Gruppen nicht mehr als unumgänglich verhinderungswürdig.
Die Terrains zwischen den straßen- und viertelbeherrschenden
Jugend-Szenen gelten als abgesteckt und legitimiert das eine Viertel
für die Rechten und das andere für die
Linken. Dieser Status Quo, das alle ihr Terrain besitzen
sollten, wird von niemanden mehr, ob nun linksradikale Antifa, Bullen oder
Es ging zu Großteilen um männerdominierte machomäßige Klopperei
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verantwortliche Politik, bestritten. Parallel dazu hat auch die direkte
Bedrohung von mutmaßlich oder tatsächlichen Einrichtungen immens
nachgelassen. Schließlich haben die Nazis im Alltag das durchgesetzt, was
für sie das Ziel war und ist: Territorien, die sie für sich
reklamieren können und denen sie ihren Image-Stempel aufgedrückt
haben.(5)
Gerade die Gewöhnung an Nazi-Konzerte und Aufmärsche führte
durch die zunehmende Fülle zu einem Kräfte-Haushalten bei
Antifa-Gruppen, denn jedes Hinterherhecheln und Verhindern hat natürliche
Grenzen, die gerade bei einer um vieles kleiner gewordenen Aktivistenschar
kräftig und nachhaltig zu Buche schlägt.(6)
Es ist den Nazis in den 90ern gelungen, was ihnen bei der wenn man so
will ersten 89er Nazi-Generation noch nicht gelang: drifteten
große Teile der Mitläufer und Aktivisten der Nazis noch regelrecht
aus der Nazi-Szene ab, so passiert dies heutzutage nicht mehr in diesem
Maße die Nazis bleiben vielmehr in den eigenen Strukturen aus
Tattoo-, Klamotten-, Plattenläden, Kneipen, Fanzines, Labels oder
Versände hängen, sozusagen bei der Stange. Einige der entscheidensten
Gründe liegen in der parallel zur Nazi-Ideologie und -Organisationen
entstandenen lebendigen Jugendsubkultur, die sich eigene Codes geschaffen hat,
mit denen man den üblichen gegenseitigen Identifikations- und
Wiedererkennungseffekt auf der Straße hinbekommt und mit dem man sich vom
Rest der Gesellschaft auch symbolisch im Alltag abgrenzen kann.
Für die Antifa-Szene muß, im direkten Vergleich zu Anfang der 90er,
ein spürbarer Militanzverlust konstatiert werden. Ein Grund dafür
läßt gleichzeitig einen Großteil der Verfaßtheit der
Antifa-Szene von Anfang der 90er auffliegen: Es ging zu Großteilen um
männerdominierte machomäßige Klopperei, die kaum weitergehende
politische Motive aufwies, außer daß einem Nazi n paar
aufs Maul gehört. Daß genau diese Leute heute zu großen
Teilen nicht mehr dabei sind und nur noch dann den Arsch hochbekommen, wenn ihr
umittelbares Lebensumfeld, die Nischen, in denen sie sich inzwischen
gemütlich eingerichtet haben, in der Ruhe gestört wird,
läßt sich somit recht simpel und schlüssig erklären.
Gleichfalls müssen sich Antifa-Gruppen genau überlegen, wofür
sie mobilisieren. Zum einen weil der Aufwand einer Mobilisierung ungleich
höher als noch Anfang der 90er ist und jeder Mobilisierungs- oder
Aktionsflop starke Auswirkungen auf die quantitative Beteiligung bei den
darauffolgenden Ereignissen hat. Zudem ist die Spontanität einer genaueren
inhaltlichen Auseinandersetzung und Abwägung sowie logistisch besseren
Vorbereitung zwar nicht gewichen, aber ihr wird summasumarum viel mehr Patz
eingeräumt als noch vor Jahren.
Fast alle Antifa-Gruppen stehen vor dem Problem, sich in viel zu starkem
Maße an den Aktivitäten der Nazis ausgerichtet zu haben. Bekommen
die meisten noch eine Defnition von Antifa hin, wird es bei der Frage nach den
linken Inhalten brenzlig. Diese sträfligste Vernachlässigung hat zur
Folge, daß ältere Antifas heute rat- und
orientierungslos nach der eigenen Motivation fragen oder vielmehr suchen.
Kaschiert wird das insbesondere mit einem inzwischen kultivierten Abwehrreflex,
der sich insbesondere gegen die richtet, die das Linksradikale im Antifabegriff
explizit betonen. Jene füllen damit eine Lücke aus, die bei anderen
nur den Futterneid fördert, weil sie sich von den Antifatrögen
verdrängt fühlen. Gleichzeitig reagieren viele von denen genervt, die
eine Neuausrichtung oder zumindest Erweiterung des Antifa-Begriffes
praktizieren: diejenigen, die da kritisieren, seien Szenehoschis,
Antifas heute fragen rat- und orientierungslos nach der eigenen Motivation
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die durch ihr traditionell autonom geprägtes Politikverständnis eh
nicht mehr blicken würden, was gesellschaftlich passiert und wie darauf zu
reagieren sei.
Ein besonderes Steckenpferd der Antifa-Arbeit war gerade anfang der 90er die
Nazi-Recherche. Diese gibt es zwar immer noch auf hohem Niveau, doch haben sich
leider jene, die diese leisten und jene, die sie für ihre Antifa-Politik
gut gebrauchen könnten, in quasi Parallelwelten eingerichtet, die viel zu
wenig Kooperation zur Folge haben. Punktum: sogenannte Rechercheantifa und der
daraus folgende Aktionismus gehörten vor Jahren in viel stärkerem
Maße zusammen als das heute der Fall ist.
Mit der Bündelung der Kräfte in der NPD, ob nun durch die Repression
des Staates oder freiweillig sei mal dahingestellt, und dem gleichzeitig
stärkerem Abstand von voherigen Thematisierungen des
Geschichtsrevisionismus wie z.B. noch unter Kühnen und Deckert gelang den
Nazis ein entscheidender Kräftezuwachs, der die Antifa-Gruppen vor eine
neue Stufe der Herausforderung stellte.
Dieser Herausforderung mußten und müssen sich die Antifa-Gruppen
angesichts eines perfektionierten Bullen- und Repressionsapparates gegen
Antifas stellen. Massenverhaftungen sind im Gegensatz zu Anfang der 90er heute
an der Tagesordnung. Die Schwelle des Eingreifens Seitens der Polizei ist
inzwischen so immens niedrig, daß schon die kleinste Nichtigkeit in der
Regel ein Strafverfahren zur Folge hat. Inzwischen ist die Antifa-Szene mit
solchen Bagatellverfahren flächendeckend überzogen. Das hat zur
Folge, daß sich niemand mehr Hals über Kopf in den Kampf gegen die
Nazis stürzt, ohne genau abwägen zu müssen, was das nach sich
ziehen könnte. Ensprechend unattraktiv hinsichtlich Abenteuer und Action
muß sich der Prototyp vom linksradikalen Antifaschisten geben.
Außerdem werden Verbote von antifaschistischen Aktionen heutzutage mit
leichter Hand vollstreckt. Das wiederum macht die Notwendigkeit von
Bündnisarbeit dringender denn je. Die Tendenz, ausschließlich
linksradikale Aktionen grundsätzlich mit Verboten zu belegen, ist
unverkennbar.
Und dennoch läßt sich konstatieren, daß die tendenziell stark
zunehmende Antifa-Orientierung auf eigene linke und linksradikale Inhalte und
Aktionen genau der richtige Weg ist, um Nazis wie Staat Paroli zu bieten. ...
Packen wir es an! |