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Vielfalt als Einfalt.

Die anfang Juni diesen Jahres in 15 Städten stattgefundenen Innenstadt-Aktionen verpufften so ziemlich in ihrer Wirkung. Warum, darüber sagt der folgende Text nichts aus.

Spätestens mit der 1993 erlittenen Niederlage der deutschen Linken, die faktische Abschaffung des Rechtes auf Asyl nicht verhindert zu haben, wuchs sich das mögliche Ende jeglicher radikaler Interventionspolitik auf dem Feld des sogenannten Teilbereiches zu einem Trauma aus.(1) Das zirkulierende Dilemma zwischen mikropolitischer Eingriffsnotwendigkeit und generaliter Kritik an den kapitalistischen, sukzessive deutschen Verhältnissen polarisiert sich seitdem als Zynismusvorwurf auf der einen und Reformismusanrüchigkeit auf der anderen Seite.
bankbesetzer, 10.1k
„Für das Recht auf Party, überall und jeder Zeit“ – Kurzzeitige Besetzung einer Bankfiliale im Rahmen der Innenstadtaktionen.
In dieses Spannungsfeld gerieten selbstverständlich auch die Ausrichter der „Innenstadtaktionswoche – gegen Privatisierung, Sicherheitswahn und Ausgrenzung“ vom 2.-8. Juni diesen Jahres, die dezentral in 15 Städten mit den unterschiedlichsten Aktionen stattfand. Geheilt vom „Post-Wohlfahrtsausschuß-Kater“(2) ging der Hauptanschub von einem mittelbar identischen Personenkreis aus, der auch schon bei den Aktivitäten des inzwischen der Geschichte angehörenden Wohlfahrtsausschuß-Unterfangens federführend war.
Die Selbstbezüglichkeit, die einer über Jahre gepflegten Politik der ersten Person anhaftet, sollte aus mehrerlei Gründen vermieden werden, um überhaupt das Aktionsfeld Innenstadt legitimieren zu können.(3) Denn Tatsache ist, daß Innenstädte für die Linke eine sehr marginale Bedeutung besitzen, weil sie als Betätigungsfeld maximal zum Demonstrationstreffpunkt taugen. Nichtsdestotrotz hegten die Initiatoren anfänglich tatsächlich die Hoffnung, in aktionistischen Kontakt mit den „Submilieus“ der Obdachlosen, Alks, Dealern, Usern, jungen Migranten oder was es sonst noch so an Stigmata für die eigentlichen Betroffenen der Stadtpolitiken gibt, zu kommen. Nicht schwer zu erraten, daß sie da enttäuscht wurden.(4)
spiegel-cover, 18.0k
„gemäß der Verwertungsmaßstäbe“ – SPIEGEL-Titel vom 07.07.1997
So nahm die Sache ihren gewohnten linken Lauf und alle beteiligten Gruppen und Einzelpersonen frönten ihrer Politikform oder dem, was sie dafür halten. Ein übliches Sammelsurium aus Straßentheater, Happening, Demo und Party kam dabei heraus und vollbrachte das ziel-ungenaue thematische Zusammenklatschen des Kampfes „gegen die Ausgrenzung von Obdachlosen, Junkies und SozialhilfeempfängerInnen und die Forderung eines konsumfreudigen Kulturpublikums nach Parties immer und überall“.(5) Somit zeigte sich wieder einmal die tolle Vielfalt als Einfalt der Linken.(6) Sicherlich kann niemand ernsthaft in Abrede stellen, wie notwendig eine Intervention auch gegen den Ordnungswahn heutiger Stadtpolitiken ist. Dafür braucht man auch nicht erst zum inflationären Gebrauch des „berüchtigten Satzes“ (SPIEGEL) der inkarnierten Goebbels-Schnauze Landowsky, seineszeichens CDU-Fraktionschef im Berliner Senat, überzugehen.(7)
Das Ende keyneseanistischer Politik der künstlich erzeugten Staats-Nachfrage á la Wohlfahrtsmodell läßt unter dem Pseudonym Deregulierung all jene über die Klinge springen, die dank Staatsrückzug in die Ordnungspolitik ihre Profitabilität für den maximierten Gewinn gemäß der Verwertungsmaßstäbe nicht nachweisen können. Und somit trifft es – wohlgemerkt – nicht jene, die beispielsweise im Rahmen der Aktionswoche in Berlin den Vorraum einer Bankfiliale für dreißig Minuten zum Club umfunktionierten und dafür die Parole ausgaben: „Für das Recht auf Party überall und zu jeder Zeit“.(8)
Solange eine deutsche Linke aus dem Desaster des de facto unmöglichen Zusammengehens mit tatsächlich gesellschaftlich Marginalisierten und Diskriminierten in aller Regel immer nur den Schluß zieht, die „Massen“ oder die „liberale Öffentlichkeit“ für die tatsächlichen Opfer dieser Gesellschaft zu „sensibilisieren“ oder gar gewinnen zu wollen, anstatt diese Volksmehrheit zu bekämpfen, wird es wohl immer nur so enden können, wie es während der Aktionswoche in Wuppertal der Fall war: Als eine Theater-Aktion gegen die schwarzen Sheriffs, einer dortigen äußerst brutalen Innenstadt-Security, stattfand, fragte ein „schwarzer Jugendlicher“, der tagtäglich mit der rassistischen Brutalität der Schläger-Sheriffs konfrontiert ist, die linken Aktionisten: „Kommt ihr auch, wenn uns die schwarzen Sheriffs das nächste Mal anpacken?“ Woraufhin die Antwort kam: „Ruft doch dann im Infoladen an.“(9)
Der Spiegel beschreibt das grundlegende gesellschaftliche Klima in Deutschland als „stille Bitte um ein bißchen mehr Obrigkeit“. Ja, auch linke Spiegel-Leser wissen mehr.(10)Ralf

Fussnoten:

(1)
Gesagt ist damit allerdings nichts über den Dolchstoß, den die Wiedervereinigung zum Großdeutschland der Linken versetzt hat.
(2)
SPEX, Juni 1997
(3)
So heißt es in der Beilage für die Berner Tagwacht, dem scheinschlag, der taz und der WoZ: „Angesichts einer Situation, in der von herrschender Seite die Vielfalt der Lebensstile zelebriert wird, kann ein linker Politikansatz leicht ins Leere laufen, der vor allem auf Differenz und eigene Freiräume setzt.“
(4)
So weiß eine Autorin der antira-Zeitschrift Off Limits (in: Nr. 17, Februar/März 1997) über das Vorbereitungstreffen der Aktionswoche im Januar ‘97 zu berichten: „Bis auf zwei bei der Kölner Zeitung von unge (= von unten) aktive Obdachlose waren keine direkt ‘Betroffenenen’ bzw. VertreterInnen ihrer Organisationen anwesend. Flüchtlinge und MigrantInnen fehlten völlig.“
(5)
So schrieb es die Zeitung ak in: Nr. 404, 3. Juli 1997. Weiter heißt es da: „Aber gerade die Verwandlung der Straßen zu verlängerten Gaststätten und Partymeilen geht mit der Verdrängung und Vertreibung der sozial Schwachen Hand in Hand. Billiges Aldi-Bier soll nicht mehr im Park getrunken werden, aber dafür ‘Corona’ für das Dreifache im Straßenrestaurant.“
(6)
Damit möchte ich aber kein Plädoyer für eine notwendige Homogenität der Linken abgeben. Das wäre nämlich ihr Ende.
(7)
Nun gut, wer es denn tatsächlich nicht kennen sollte: „Es ist nun einmal so, daß dort, wo Müll ist, Ratten sind, und daß dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muß in der Stadt beseitigt werden.“
(8)
Ungewollt metaphorisch illustrierte auch die taz vom 7./8. Juni ‘97 das Ereignis. Als die Bullen auftauchten, passierte folgendes: „Um die Beamten nicht zu einer Entscheidung zu zwingen, entschlossen sich die Partygäste unter lautem Gejohle, die ungewöhnliche Disco zu verlassen. Sie zogen weiter zum Anbau Mohren - Ecke Friedrichstraße, wo die ganze Woche nachmittages und abends Party ist und Aktionen in der Innenstadt geplant werden.“
(9)
nachzulesen in: interim, Nr. 426, 26. Juni 1997
(10)
aus: Spiegel, Nr. 28, 7. Juli 1997. Die dortige Titelstory „Gegen Verbrechen, Drogen und Dreck in deutschen Städten – Aufräumen wie in New York?“ bereitete wieder einmal allen, die das Blatt gegen den Strich lesen, ein besonderes Vergnügen an deutscher Befindlichkeit.


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last modified: 28.3.2007