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Deutschland feiert 10 Jahre Wende
Es ist nicht zu übersehen und zu überhören
Deutschland gratuliert sich zu 10 Jahren Wende. Jeden Tag ein Dutzend
Mal wird das ostdeutsche Volk zu seiner friedlichen Revolution
beklatscht u. a, weil es damit
das Machtmonopol der SED
abgeschüttelt hat. Die hat 40 Jahre lang an ihrer Alleinherrschaft
festgehalten und sich lediglich ein paar befreundete Blockparteien
gehalten. Wahlen hat es zwar gegeben, aber die waren auch ohne die zum
Schluß bekannt gewordenen Fälschungen nie dazu geeignet, die
alleinige Herrschaft der SED zu beenden.
Das ist nun Wende sei Dank vorbei.
Heute leben wir nämlich in einer Demokratie. Die zeichnet sich dadurch
aus, daß nicht nur EINE EINZIGE Partei mit ihrer Nationalen
Front regiert, sondern seit 50 Jahren die immergleichen zwei bis
vier Parteien die Regierung stellen. Die wollen das macht die
Demokratie so spannend sowieso alle das Gleiche, weshalb es am
allerspannendsten ist, ob der Alte mit dem Doppelkinn oder der Junge mit der
gelifteten zweiten Ehefrau gewinnt. Und falls z.B. bei ostdeutschen
Landtagswahlen doch einmal ein paar Stimmen zuviel links oder rechts
neben dem Sumpf der politischen Mitte abgegeben werden, dürfen sich die
Wähler gleich von einer ganzen demokratisch-besorgten Öffentlichkeit
dahingehend beschimpfen lassen, daß sie die Sache mit dem
Kreuzchen-Machen an der richtigen Stelle anscheinend nicht richtig kapiert
haben.
Aber nicht nur die Machtfrage als solche ist im neuen Deutschland korrekt
gelöst. Auch
die Lüge von der Einheit zwischen Partei und Volk
ist mit der 89er Wende endlich außer Verkehr gezogen worden. Die SED hat
immer behauptet, ihre Macht zum Wohle des Volkes einzusetzen. Versprochen hat
sie ewig die stetige Steigerung des Lebensniveaus aller
Werktätigen. Was dabei herauskam, war ein ganz normal verarmtes
Volk, eine Schicht von privilegierten Funktionären sowie jede Menge
protziger Repräsentationsbauten zur Feier der Macht und Herrlichkeit der
Partei, wovon nicht nur Berlin ein architektonisches Trauerlied zu singen
weiß. Demokratische Führer begeistern dadurch, daß sie dem Volk
erst gar keine Versprechen machen. Die wollen dafür gewählt werden,
daß sie früher und ehrlicher als ihre Konkurrenten ankündigen,
was sie demnächst für Einschnitte bei Renten, Arbeitslosengeld und
anderen Privilegien vorhaben. Deshalb genießen demokratische
Funktionäre ihren privaten Luxus nicht verschämt und heimlich hiner
dem Stacheldraht eines Wandlitzer Bonzenghettos: Nein, es gibt sogar eine ganze
Boulevardpresse, die das Volk darüber auf dem laufenden hält, wie
stilsicher die Angehörigen der Polit- und Wirtschaftsschickeria ihren
privaten Reichtum samt Gattin auf Pressebällen und im Italienurlaub zur
Schau stellen.
Und was die Prunk- und Protzbauten angeht: In einem Land, wo der Honecker
Schröder heißt, gilt der ehemalige Staatsratssitz als so
schäbig, daß er gerade mal zum provisorischen Kanzleramt
taugt.
Desgleichen hat die 89er Revolution gründlich mit der
STASI-Überwachung des ganzen Volkes
aufgeräumt. Weil nämlich die SED gewußt hat, daß die
Einheit von Staat und Volk zwar der Legitimationstitel ihrer
Herrschaft, aber als solcher eben auch nur ihre Lüge war, hat sie ihrem
Volk ziemlich grundsätzlich mißtraut. Jeder der sich kritisch
äußerte, stand sofort unter dem Vedacht, das gute Recht der SED auf
Herrschaft über ihr Volk infrage zu stellen, also ein Feind des
Sozialismus zu sein. Und Feinde des Sozialismus hat der
sozialistische Geheimdienst mit allen geheimdienstlichen Mitteln
bekämpft.
Ganz im Gegensatz dazu bekämpfen heute demokratische Geheimdienste die
Feinde der Demokratie. Das damit verbundene Spitzel- und
Zersetzungswesen wird auch nicht wie zu SED-Zeiten verschämt
unter dem Deckel gehalten: In demokratischer Manier werden jährliche
Verfassungsschutzberichte veröffentlicht, in denen mitgeteilt wird, wie
gut den Schnüfflern die Beobachtung und Infiltration jedweder
Szene in diesem Land gelungen ist.
Mit dem Regime der STASI ist zugleich auch das
unerbittliche Grenzregime an der innerdeutschen Grenze
beseitigt worden. Die DDR hat die Grenzen ihres Staatsterritoriums beobachtet
und eifersüchtig darauf aufgepaßt, wer ein- oder ausreist. Das war
ihr neben erheblichem personellen und technischen Aufwand auch eine Menge Opfer
unter illegalen Grenzgängern wert.
Heute muß keine innerdeutsche Grenze mehr überwacht werden;
der BGS sorgt dafür, daß es an den Außengrenzen der
zusammengewachsenen deutschen Nation keine unerlaubten Ein- oder Ausreisen
gibt. Das ist den gesamtdeutschen Grenzschützern neben erheblichem
personellen und technischen Aufwand auch eine Menge Opfer unter illegalen
Grenzgängern wert.
Neben all dem ist aber auch zu rühmen, daß das revolutionäre
DDR-Volk vor zehn Jahren an der ökonomischen Front ordentlich etwas
bewegt hat. So hat es z.B. nach 40 Jahren
die sozialistische Mißwirtschaft
beendet. Die hat im Vergleich zum Kapitalismus nicht annähernd so
zahlreiche und so unterschiedliche Gebrauchswerte zustande gebracht. Es hat
sogar ganz viele Dinge gegeben, die immerzu Mangelware gewesen sind.
Im Gegensatz dazu gibt es in der seit zehn Jahren auch in Ostdeutschland
herrschenden Marktwirtschaft nicht mehr und nicht weniger Gebrauchswerte zu
kaufen, als ein auf Profit geeichtes Unternehmertum produzieren
läßt: mit Klärschlamm gefütterte Rinder, mit Rindern
gefütterte Hühner, Waschmittel mit eingebautem Weichspüler,
Marschflugkörper mit eingebauter Zielkamera: wenn es sich mit Gewinn
verkaufen läßt, wird alles hergestellt.
Das hat der reale Sozialismus schon deshalb nicht hinbekommen, weil massig
sozialistische Löhne
die kein Leistungsanreiz waren, gezahlt worden sind; sogar für Leute, die
in der Produktion entbehrlich gewesen sind, also für sogenannte verdeckte
Arbeitslose.
Damit ist in der Marktwirtschaft zum Glück Schluß. Hier werden nur
Löhne gezahlt, die sich lohnen und zwar für die Unternehmer.
Diese Löhne sind dann genau so hoch, daß sie für die meisten
Leute (mit zusätzlich ganz viel Sparen und Schnäppchen-Jagen) bis zum
Monatsende reichen. So bleiben die Menschen ihr Leben lang leistungsbereit
für jede Leistung, die ein Arbeitgeber ihnen abverlangt. Wer keinen
Arbeitgeber findet, bekommt eben kein Gehalt oder Lohn. Deshalb gibt es in der
deutschen Marktwirtschaft Abteilung Ost im Jahr 1999 auch keine verdeckte
Arbeitslosigkeit mehr, sondern eine nur ganz wenig geschönte
offizielle Arbeitslosenrate von 17,xx %.
Aber nicht nur auf der Einnahmen-Seite des gemeinen Volkes hat die Wende
einiges ins Lot gebracht: Auf der Ausgaben-Seite sind
die verfälschten, meist subventionierten Preise
seit 1989 Geschichte. Die SED hat geglaubt, sie müßte jeden Preis
nach irgenwelchen Gesichtspunkten festlegen und diktieren: so gab es ganz viele
Preise, die alle Leute bezahlen können sollten, z.B. für Miete,
Lebenmittel usw.
Mit solchen Phantasiepreisen ist natürlich keine gescheite Ökonomie
zu bestreiten. Deshalb gibt es heute keine verfälschten, sondern nur noch
echte Preise. Die zeichnen sich dadurch aus, daß sie dem, der sie
verlangt, echte Gewinne einspielen. Und wer so einen echten Preis
wofür auch immer nicht zahlen kann, der hat eben Pech gehabt.
Auf diese Weise wird zwar auch die Selbstverständlichkeit, daß man
ein geschlossenes Dach über dem Kopf hat, mitten in einer Stadt mit
zweistelligen Leerstandsraten zu einem Luxus, um den man jeden Monat
kämpfen muß. Aber wenigstens weiß jeder, daß er
ökonomisch verfünftig handelt, wenn er 20 bis 50% seines Einkommens
allein für die Miete abdrückt.
Nicht zuletzt hat die Wende auch
die widerlichen Volksfeste und Aufmärsche zum jährlichen
Geburtstag unserer Republik
beendet.
Heute organisiert die Obrigkeit mit viel Geld 10-Jahres-Gedenk- und
Siegesfeiern, die bis Ende 2000 wohl kein Ende nehmen werden, auf dem Leipziger
Marktplatz findet eine riesige Wie stehts mit der Einheit in den
Köpfen-Show statt und allerlei Politprominenz gibt sich in der
Heldenstadt die Ehre. Bei all dem Rummel darf sich jeder Zoni
gefragt und ungefragt seinen zustimmenden Reim darauf machen, daß er
heute im wiedervereinigten Deutschland leben darf. Jedes noch so kleinlaute und
untertänige Bedenken der Marke Es war aber doch nicht alles
schlecht wird als ungebührliche bis gefährliche DDR-Nostalgie
abgetan.
Und die demokratischen Medien beweisen in all ihren langweiligen
Rückblicken und primitiven Jubelkommentaren, daß eine demokratische
Öffentlichkeit in Sachen Gleichschaltung und Volksverblödung viel
effizienter arbeitet als jede ZK-Abteilung für Agitation und Propaganda.
ag89 beim BgR
Wer bei den Autoren dieses Flugblattes Kritik, Zustimmung oder anderes verlauten lassen will, findet sie ab Beginn des Wintersemesters (3. Oktoberwoche) jeden Dienstag 18.30 Uhr im Seminargebäude der Uni-Leipzig (Augustusplatz), Erdgeschoß, Zimmer 00-40.
Außerdem seien zum gleichen Thema folgende Bücher empfohlen:
Peter Decker/Karl Held: Abweichende Meinungen zur "deutschen Frage". DDR kaputt Deutschland ganz. Eine Abrechnung mit dem "Realen Sozialismus" und dem Imperialismus deutscher Nation, 10 DM
Peter Decker/Karl Held: DDR kaputt Deutschland ganz (2). Der Anschluß. Eine Abrechnung mit der neuen Nation und ihrem Nationalismus, 10 DM
Beide Bücher sind zu beziehen über den GegenStandpunkt-Verlag, Türkenstraße 57, 80799 München, Tel: 089-272 1604 |
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