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Die Radikale Linke und die „friedliche Revolution”

Das Symbol '89 und die weltweiten Folgen. – Erstes Referat
Für Volk und Vaterland. – Zweites Referat
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Doppelte Opposition.

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Leipziger Gruppierungen mit linksradikaler Ausrichtung vor ‘89 und ihr Wirken während der Wendeereignisse in Leipzig

Eine radikale Linke im heutigem Verständnis hat es vor der Wende in Leipzig nicht gegeben. Es gab jedoch Gruppen und Freundeskreise, die in Abgrenzung zu anderen oppositionellen und gegenkulturellen Bewegungen ein eigenes Grundverständnis entwickelten, aus dem heraus agiert wurde. Leipzig war in den Siebzigern und den Achtzigern ein Zentrum unabhängiger Jugendbewegung in der DDR, die fernab von Kirche und Intellektuellenkreisen aktiv war.
Daß bei den Entwicklungen vor und um ’89 in Leipzig wenig Eigenes umgesetzt werden konnte und das Wirken dieser Gruppen neben dem der anderen Oppositionellen unterging, erklärt sich aus der „doppelten” Opposition, in der sie sich befanden. Zum einen bestand diese Opposition gegenüber der Staatsmacht allgemein sowie zu deren Ideologie und zum anderen gegenüber denen, die heute als Opposition oder Gegenkulturbewegung der DDR bezeichnet werden. Kritisiert wurde an ihnen, daß es ihnen entweder nur um bürgerliche Freiheiten und Werte ging, wie man sie aus dem Westen kannte, oder daß ihre Oppositionshaltungen antikommunistische bzw. nationalistische Wurzeln hatten. Kritisiert wurden außerdem die Profilierungssucht und das Machtstreben einzelner Oppositioneller, die Perspektivlosigkeit revolutionärer Strömungen sowie die jeweiligen Strukturen innerhalb der oppositionellen Bewegungen.
Die unabhängigen und völlig eigenständigen Leipziger Gruppen und Freundeskreise unterlagen wie alle anderen der allgemeinen Repression des DDR-Regimes, hatten unter den totalitären Verhältnissen aber noch weniger Möglichkeiten, sich zu bilden und zu informieren, eigene Strukturen aufzubauen und Aktionen zu organisieren, als das andere Oppositionelle hatten. Viele Oppositionelle agierten ja innerhalb gesellschaftlicher Organisationen, oder sie erhoben als Künstler und Intellektuelle das Wort und sahen sich dabei immer durch eine Lobby innerhalb der DDR oder aus dem Westen geschützt. Andere agierten aus dem Schutzraum „Kirche” heraus. Hippies, Langhaarige, Anarchos oder Punks wurden dagegen vom DDR-Staat verfolgt, bekamen von westdeutscher Seite keine Unterstützung und stießen auch bei vielen DDR-Oppositionellen auf Ablehnung.
Die fehlende Solidarisierung durch die DDR-Opposition und die Westmedien führte dazu, daß diese Szene größtenteils illegal und konspirativ agieren mußte, und personell durch Inhaftierungen und Ausreise bzw. Abschiebung in den Westen ständig ausgedünnt und zerschlagen wurde. Nachwachsende konnten sich kaum auf die Erfahrungen oder Strukturen der Älteren stützen. (Die stärksten Flucht- bzw. Ausreisewellen, bei denen ganze Freundeskreise und Szenen verschwanden, erlebte Leipzig Anfang der siebziger Jahre, Anfang der Achtziger und um 1988/89.)
Diese Ausgrenzung der „anderen Opposition” wirkt noch heute in der Geschichtsschreibung von Staat, Kirche und Bürgerbewegung nach. Dem entgegen werden damalige Ereignisse oder Entwicklungen jedoch gern für nostalgische Betrachtungen von der gegenkulturellen Bewegung unter dem Begriff „Die anderen Bands” herangezogen, von Kirchenkreisen vereinnahmt und verfälscht, sowie von DDR-verklärenden Linken aufgegriffen, die den Kampf um die Freiräume der DDR-Subkulturen und Alternativbewegung zu einer Qualität von DDR-Lebensgefühl- und Einstellung machen, das erst durch die realsozialistischen Umstände hätte produziert werden können.
Als agierende Gruppen erwähnt werden sollen hier die Leute um die Leipziger Beatgemeinde mit ihren Protestaktionen Ende der Sechziger, die Hausbesetzergruppen in den Siebzigern, die vor allem Häuser im Osten Leipzigs besetzten, offene Kreise, die sich Ende der Siebziger auf den Wiesen im Clara Zetkin-Park trafen, Lesungen veranstalteten oder Massenumzüge durch die Stadt veranstalteten. Erwähnt werden sollen die Freundeskreise, die in Leipzig Anfang der Achtziger eigene Kulturveranstaltungen organisierten, Demonstrationen gegen die Aufrüstung oder die Umweltzerstörung organisierten, Innenstadtaktionen wie die Sachsenplatzbemalung 1980 oder die Rockpalastfete 1981 in Lindenau machten, Freundeskreise, die in Wohnungen Lesezirkel durchführten, Szenetreffen, Konzerte oder Theateraufführungen organisierten. Für internationales Aufsehen sorgte 1983 die Kerzenaktion vor dem Capitol.
Montagsdemo, 8.0k
„Mit dem Kopf durch die Mauer“ – bei den Montagsdemos in die Gegenrichtung gelaufen
Die Leipziger Punkband Wutanfall war zwischen 1981 und 84 eine der ersten und wenigen illegalen DDR-Punkbands und somit ein wesentliches Element der emanzipatorisch wirkenden Punkbewegung. Die Leipziger Band L’Attentat veröffentlichte mit ihrer illegalen Platte „made in GDR” 1986 eines der wenigen Dokumente über die „andere” DDR-Jugend, hielt Kontakte mit der internationalen Punk- und Hardcore-Bewegung und steuerte bis 1989 konsequent den Kooperationsbestrebungen der „Anderen Bands” mit dem DDR-Kulturbetrieb entgegen. Die Leipziger Punks schufen sich in den Achtzigern einen unabhängigen Szenetreff im Mockauer Keller, organisierten regelmäßig Festivals und Konzerte in Leipzig und Halle, zu denen sich die Szene aus der ganzen DDR traf. Leipziger beteiligten sich an anarchistischen Untergrundpublikationen wie dem „Kopfsprung”, beteiligten sich an Solidaritätsaktionen für Verfolgte und Inhaftierte der Undergroundszene im Ostblock. Aus dem Kreis des Mockauer Kellers heraus entstanden 1989 eigene Aktivitäten innerhalb der Wendeentwicklungen, entschloß man sich im Herbst als einzige Gruppe in Leipzig dem antikommunistisch-völkisch/nationalistischen und rassistischen Mob, der zunehmend die Montagsdemonstrationen beherrschte, als „Gegendemonstration” entgegenzulaufen.
Dort finden sich auch die Wurzeln der „Reaktionkonzerte”, die als Gegenkulturbewegung entscheidende Akzente innerhalb der Nachwende-Szenekulturentwicklung der Stadt setzten. Bei Reaktion fanden sich Leute der Antifa, Hausbesetzer und Alternative zusammen, die dann Connewitzer Projekte wie das Conne Island entstehen ließen.
Die Darstellung der Ereignisse vom Herbst ‘89 wird heute hauptsächlich von denen geprägt, deren politische Ziele während der Entwicklungen umgesetzt wurden.
Begriffe wie „friedliche Revolution”, „Heldenstadt Leipzig”, „Demokratiebewegung” u.a. müssen aus den Erfahrungen der Beteiligten um die Gegendemonstrationen und der daraus entstandenen politisch handelnden Szene grundsätzlich in Frage gestellt werden. Auf den Montagsdemonstrationen kam es zunehmend zu unfriedlichen Auseinandersetzungen, zu Überfällen, zu Hetzjagden auf Linke, zu rassistischen Ausbrüchen. Die Bürger ließen zu, daß die Demonstrationen auch zu Aufmärschen Rechtsradikaler wurden, die neuen demokratischen Organisationen ließen zu, daß Gruppierungen aus den Entwicklungen herausgedrängt, daß Minderheiten unterdrückt werden konnten.
Die DDR-Rechtsradikalen und Neonazis werden die Entwicklungen der Wende genauso (und mit Recht) für sich vereinnahmen können wie Linke, Punks und Anarchos, die seit Jahren einen radikalen Oppositionskurs gegen das DDR-System fuhren und die breite Bürgerbewegung Ende der Achtziger erst animierten, auf den fahrenden Zug aufzuspringen.
Hinterfragt werden muß auch die Rolle der gesellschaftlichen Organisationen, der Künstler und Personen des öffentlichen Lebens, der neu entstandenen politischen Gruppen und Parteien in Leipzig um 1989, die oft durch ihr selbstsüchtiges und vorschnelles Handeln, durch Ignoranz und Verantwortungslosigkeit Konflikte erzeugten, die die Entwicklungen während des gesellschaftlichen Umbruchs maßgeblich beeinflußten.
Im Herbst 1989 bildeten sich aus Resten des Mockauer Kellers, aus Aktiven der Friedens- und Umweltbewegung der Wendezeit, aus Alternativen, Hausbesetzern, Studenten und vielen Neueinsteigern eine völlig neue Leipziger Szene, die den Ursprüng der späteren politisch aktiven Connewitzer Szene darstellte. Die Aktionen gegen den Golfkrieg 1991, gegen die rassistischen Morde von Mölln und Solingen oder die Änderung der Asylgesetzgebung im Mai 1993 waren meist Spontandemonstrationen. Ihre Zielrichtungen waren unkonkret, ihre Organisation meist chaotisch. Politischer Einfluß bzw. Erfolge konnten kaum verzeichnet werden.
Aus der Notwendigkeit heraus, in den Wirren der Wendezeit handeln zu müssen, sich eigene Freiräume zu erkämpfen und diese zu verteidigen, enstanden neben diversen Kulturprojekten und Projekten alternativen Lebens um die besetzten Häuser auch Antifastrukturen für den reinen Selbstschutz bis hin zum agierenden Offenen Antifaschistischen Plenum. Die Gegenaktivitäten zum bundesweiten Naziaufmarsch am 21.3.1992 führten innerhalb der Leipziger Szene zu einem Schub, sowie zu einer Anerkennung durch die Öffentlichkeit und anderer antifaschistischer Kräfte. Die autonome Antifabewegung Leipzigs setzte seit Beginn der Antifa-Bündnispolitik Maßstäbe, an denen andere Gruppierungen Leipzigs ihre eigenen Ansprüche messen mußten.
Aus dem Wunsch heraus, eigene „autonome” und unkommerzielle Zentren zu besitzen, entstanden reine Kulturprojekte wie die Villa, das Conne Island, das Zoro und das Werk II, die sich eigenständig entwickelten. Die Alternativkultur Leipzigs lebte nach der Wende erst richtig auf und lieferte durch die Zusammenarbeit verschiedener Personen und Projekte mit den Behörden den Boden, auf dem Imageprojekte der Stadt wie die „Kulturmeile Süd”, „Leipzig kommt”, „Planet Leipzig”, Kneipenfestivals, u.ä. überhaupt erst fruchten konnten.
Innerhalb der gespaltenen Besetzerszene Leipzigs setzte nach den Straßenschlachten vom 27./28.11.92 in Connewitz eine Organisierung und Einigung ein, trat man politisch als geschlossene Szene auf und versuchte auf gemeinschaftlicher Basis zu handeln.
Nach der Ermordung Thümis im Dezember 1992 in der Leopoldstraße setzte eine Diskussion über Inhalte und Ansprüche der Szene ein. Anfang 1993 enstanden neben dem Koordinierungsgruppenbüro und verschiedenen offenen Plenen auch erste eigene Szenepublikationen, über die die Szene kommunizierte und diskutierte.
Die ‘93er Osttour „Etwas besseres als die Nation” westdeutscher Kulturlinker brachte die Differenzen zwischen Ost- und Westlinken auf den Tisch. Für viele Leute und Gruppen Leipzigs war die Tour Anlaß, sich innerhalb der Nachwende-Bedingungen neu zu orientieren, Trennendes und Verbindendes zwischen Ost- und West zu thematisieren und sich an gesamtdeutschen Diskussionen und Aktivitäten zu beteiligen. Ab ca. 1994 bezieht sich der Staats- und Verfassungsschutz auf die Connewitzer Szene, die er als Zentrum der Autonomen Sachsens und der gewaltbereiten Antifabewegung bezeichnet, gegen die er operiert und in der er Spitzel wirbt.
Aus den eigenen Erfahrungen des Häuserkampf heraus lud die Szene zum Hausbesetzerinnenkongreß nach Leipzig. Obwohl viele Erwartungen nicht erfüllt wurden, gehörten Hausbesetzungen in Leipzig weiterhin zur politischen Praxis, gipfelten 1998 sogar in den „Weltfestspielen der Hausbesetzer”.
Aus einer reagierenden Szene, die mit Demonstrationen, Kampagnen oder Aktionen auf aktuelle Ereignisse wie die Goerdeler-Ehrung, die Schließung von Kulturprojekten, Naziaufmärsche, rassistische Übergriffe oder die Einführung des sächsischen Polizeigesetzes einging, wurde mit der Zeit eine agierende. Über Formen der Antifaarbeit wurde diskutiert, man beteiligte sich an der Antinationalismusdebatte, begab sich in Debatten über Ostidendität und Sexismus.
Ab 1995 unterstützte man die Wurzener Antifa und machte in der Öffentlichkeit auf die rassistische und nationalistische Realität im Muldentalkreis aufmerksam. 1989 nahm man Überfälle Rechtsradikaler in Leipzig-Grünau zum Anlaß, auf Probleme der akzeptierenden Jugend-Sozialarbeit mit Rechten im Stadtteil aufmerksam zu machen und solidarisierte sich mit Jugendlichen, die der rechten Dominanz ausgesetzt waren.
Seit den Oktobertagen ‘89 versucht die Leipziger Szene am 9. November den offiziellen Bestrebungen entgegenzuwirken, diesen Tag zum Feiertag der Maueröffnung zu machen, der die Angliederung an die BRD einleitete. Durch den Hinweis auf das Erstarken von Rechtsextremismus und Nationalismus in Leipzig und Deutschland, soll die Öffentlichkeit und die Politik nicht aus ihrer Verantwortung gegenüber deutscher Geschichte entlassen werden, soll ihr das Rückzugsgebiet „friedliche Revolution” durch das Aufzeigen und Erinnern an geschichtliche Ereignisse entzogen werden. Der Schulterschluß von Politik, Behörden und Bürgerbewegung der Stadt Leipzig während der Feierlichkeiten hat den Zweck, sich als Sieger der Geschichte hinzustellen, die eigenen Unzulänglichkeiten von ’89 mit Selbstgefälligkeiten zu kaschieren oder sich einfach nur wichtig zu tun. Um eine Aufarbeitung der geschichtlichen Entwicklungen und Ereignisse aus unserer Perspektive kann es nicht gehen, denn an einer Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in unserem Sinne ist man nicht interessiert. Das beweist das Auftreten der Veranstalter der Feierlichkeiten im politischen Alltag.
Die hier im Text beschriebenen Bewegungen und Gruppen werden deshalb auch nur zu Farbtupfern und zu Statisten der Ereignisse herabgewürdigt und somit ihre Rolle und Errungenschaften verschwiegen. So wird Geschichte gemacht und der Herbst 1999 ist ein guter Moment, dieses Kalkül nicht aufgehen zu lassen.

Literatur-Hinweise:

  • Broschüre „Vier Wochen Connewitz” (1993)
  • Broschüre „Leipzig ganz rechts” (1995)
  • Klarofix-Serie „Wir sagen alles” (seit Klarofix 1/1999)
  • Buch „Haare auf Krawall” (erscheint im Oktober 1999)

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last modified: 28.3.2007