Das neue Deutschland ist nicht das alte. Das alte aber
gehört zum neuen wie das Ei zur Henne.
Als am 3. Oktober 1990 die DDR an die BRD angeschlossen wurde, waren die
Deutschen am Ziel. Einhergehend mit einer neuen Weltordnung, in der mit dem
Übrigbleiben des Kapitalismus aus dem Blöckekonflikt ein alternatives
Gesellschaftsmodell für unmöglich erklärt wurde, vereinigten
sich die beiden deutschen Nachkriegsstaaten.
Auch wenn es von den wenigen DDR-WiderständlerInnen und Oppositionellen
nicht das Ziel war, durch den eigenen Protest ein vereinigtes Deutschland zu
schaffen sondern eine prinzipielle Kritik am DDR-Regime zu üben, so
muß doch davon ausgegangen werden, daß der größte Teil
der BürgerInnen, die im späten Herbst 1989 auf den Straßen der
DDR demonstrierten, auch die Teilung Deutschlands überwinden wollte. Die
Rufe nach einem einheitlichen Deutschland, dem freien Konsum und der
Ballermann-Sex-Gesellschaft übertönten schnell die
ursprünglichen kritischen Stimmen gegenüber dem DDR-Regime.
Um den Ruf nach deutscher Einheit soll es in diesem Referat gehen um
seine Ursprünge und Folgen.
Wir erinnern uns auch wenn das in Deutschland nicht gern gehört
wird vor damals 45 Jahren war gerade der 2. Weltkrieg zu Ende gegangen,
den Deutschland ausgelöst hatte und mit ihm als wesentliches Ziel
der nationalsozialistischen Politik den Holocaust organisierte und
durchführte. Nach dem Sieg der Alliierten gegenüber Deutschland war
eine Konsequenz der alliierten Besatzungspolitik aus den Ergebnissen des 2.
Weltkriegs eine Teilung Deutschlands. Auch wenn sicher spezifisch
ökonomische und machtpolitische Interessen der unterschiedlichen Staaten
einen entscheidenden Anteil an den Teilungsambitionen hatten, so muß
diese Teilung aus radikal-linker Sicht als richtig und notwendig anerkannt
werden.
In Deutschland wurde diese Teilung nicht selten als ungerechtfertigt
empfunden, was einherging mit einem fehlenden Eingeständnis der eigenen
Schuld und Verantwortung am Holocaust. Davon ausgehend muß auch die
Wiedervereinigung betrachtet werden. Wertet man nämlich die Teilung
Deutschlands im Sinne seiner machtpolitischen Schwächung als richtig und
notwendig, so mußte die Wiedervereinigung als gefährlicher
politischer Akt verstanden werden, der angesichts der Historie keine
Rechtfertigung hatte. Schließlich mußte der Vereinigung die Annahme
zugrunde liegen, die beiden deutschen Nachkriegsstaaten wären wieder
normalisiert und es gäbe Grund, Deutschland als gleichberechtigten Staat
zu behandeln.
Daß es aber angesichts des Holocaust dieses Zivilisationsbruchs
kein normales Deutschland geben kann, sollte allerdings zumindest in der
radikalen Linken außer Frage stehen.
In Deutschland wollte davon aber niemand etwas wissen. Daß ein
verantwortungsvoller Rückbezug auf die eigene Vergangenheit, jedes
Eingeständnis von Schuld und Verantwortung für den Holocaust fehlte,
machte sich schnell in den Losungen der DDR-BürgerInnen bemerkbar. Die
kritischen und oppositionellen Stimmen gegenüber dem DDR-Regime wurden von
den BürgerInnen der 89er-Demos kaum aufgenommen beziehungsweise sich
kritisch mit ihnen auseinandergesetzt im Gegenteil. Stattdessen wurde
sich auf einen traditionellen Volks-Begriff besonnen, in dem man zuerst
Wir sind das Volk! und schon bald das neu eingeführte
Wir sind ein Volk! skandierte. Während man in der Losung
Wir sind das Volk noch die ursprüngliche Kritik am fehlenden
Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung heraus hörte, ist der
völkische Inhalt der Losung Wir sind ein Volk! eindeutig und
unmißverständlich. Welche Auswirkungen dies hatte, sollte sich noch
herausstellen.
Das Ziel der Einheit des deutschen Volkes, daß sich
historisch und aktuell über das Blut definiert, wurde somit schnell zum
bestimmenden Element der DDR-BürgerInnenbewegung. Und auch von
westdeutschen PolitikerInnen wurde der Gedanke der Einheit forciert, der in dem
Ausspruch Willy Brandts Jetzt wächst zusammen, was zusammen
gehört gipfelte. Die Idee einer natürlichen Einheit, wie sie
von Ost- wie West-BürgerInnen und PolitikerInnen vorgestellt wurde und im
Vollzug der deutschen Wiedervereinigung realisiert werden sollte, zeigte die
gefährlichen ideologischen Grundlagen dieses politischen Aktes.
Vielleicht nur noch am Rande die traurige Erwähnung, daß die
ökonomischen und machtpolitischen Interessen der Alliierten bei der
Teilung Deutschlands tatsächlich überwogen haben, sonst wäre die
Entstehung eines wiedervereinigten Deutschlands sicher nicht zugelassen
wurden.
Im geeinigten Deutschland zeigten sich schnell die Auswirkungen dieses Bezugs
von ost- und westdeutscher Seite auf diesen traditionellen deutschen
Volksbegriff.
Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört
Propagandisten der Einheit: Gorbi-Anhängerin und der Pisser von Leipzig |
Die ersten Beispiele dafür, wie der Bezug auf vergangene Traditionen
funktioniert, bekamen MigrantInnen besonders im Osten Deutschlands
zu spüren. Die neuen Deutschen, die 1989 noch brüllten
Wir sind ein Volk!, duldeten keine Fremden und brachten
unmißverständlich zum Ausdruck, wer mit dem WIR gemeint
ist. DIE Fremden auf jeden Fall nicht. Daß dies kein
Einzeltäterverhalten war, sondern das sich das EINE Volk einig
war, zeigte sich deutlich überall im neuen Deutschland brannten
Flüchtlingsheime oder waren bis in alle Teile der Republik
fremdenfeindliche Parolen zu hören. Gestützt wurden diese
rassistischen Mörderbanden und friedlichen deutschen
Ausländerhasser durch die Regelungen der Regierung, die 1993
mit ihrer veränderten Asylgesetzgebung die Immigration von
Flüchtlingen amtlich genau regelte.
Völkisch-rassistischer Konsens und rassistische Pogrome wurden zum ersten
Erkennungsmerkmal dieser neuen deutschen Republik.
Die prinzipiellen Bedenken einiger ausländischer Staaten gegenüber
der Wiedervereinigung, später gestützt durch das Bekanntwerden dieser
vielen rassistischen Progrome, verlangten eine dringliche Reaktion. Die Antwort
darauf war so verblüffend wie einfach: Wir sind normal!.
Mit dieser Behauptung erhoffte und ermöglichte man sich nämlich
zweierlei:
Zum einen, dem Verweis auf Auschwitz und der daraus resultierenden Forderung
nach verhaltenerem politischen Vorgehen genauso aus dem Weg zu gehen, wie mit
dem eigenen Bezug auf diese Vergangenheit, diese irgendwie in das eigene
Politikverständnis einarbeiten zu können.
De facto heißt das, daß Auschwitz das schlimmste Verbrechen
der Menschheitsgeschichte kein Hinderungsgrund mehr für deutsche
Politik sein darf, sondern im Gegenteil, die Legitimation für besonders
aggressives Vorgehen weltweit.
Martin Walsers Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Börsenvereins
des deutschen Buchhandels steht dafür symptomatisch und zeigt dabei noch
deutlich, wie eng die Forderung nach Schlußstrich und einem normalen
Umgang mit Deutschland mit traditionellen völkischen und
antisemitischen Stereotypen verknüpft ist. Die Rede von der
Auschwitzkeule, mit der ständig auf die ach so normalen
Deutschen geschlagen würde, beweist dies. Außerdem und da
schließt sich der Kreis zwischen Walser und den
89er-DemonstantInnen bewies Walser auch, daß es ihm nicht um
eine verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit dem Holocaust geht, sondern
vielmehr um die Ermöglichung eines unabhängigen geeinigten
Deutschlands, daß alle Handlungsfreiheiten besitzt. Während
Auschwitz aber bei den BürgerInnen von 89 überhaupt nur
indirekt Thema war nämlich dadurch, daß es nicht thematisiert
wurde und somit keine Rolle mehr spielte geht Walser da er
weiß, daß er es nicht mehr außen vorlassen kann auf
Auschwitz ein. Allerdings und da ist er sich einig mit den 89ern
, als ob es keine Rolle mehr spielt. Oder besser gesagt, der
Schlußstrich muß her für Volk und Vaterland.
Während also hier Auschwitz zum bloßen Fakt der Geschichte
erklärt wird, daß für heutige politische Entscheidungen keine
Rolle mehr zu spielen braucht, gerät es in anderen Diskursen zur
bloßen Legitimation deutscher Politik. Am Beispiel des Kosovokonflikts
ist dies erst kürzlich zu beobachten gewesen. Das deutsche
Anrecht (sic!) auf Auschwitz wird zum entscheidenden Grund, warum
Deutschland wieder militärisch agieren muß. Weil WIR (das
deutsche Volk) Auschwitz haben, müssen wir in den Krieg ziehen, um ein
neues Auschwitz zu verhindern. lauteten die Argumentationen für den
Krieg. Damit sind dann gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum
ersten gerät Auschwitz zur Normalität der Geschichte, die
überall wieder passieren könnte, z.B. eben im Kosovo, und zum anderen
wird Auschwitz zum Grund für das Agieren Deutschlands als
militärische Weltmacht.
Doch wo schließt sich nun der Kreis zu den Aktivitäten der
BürgerInnenbewegung von 1989? Es ist das völkische Bewußtsein,
daß verbindend wirkt. Die Wiedervereinigung war der Beginn eines neuen
alten deutschen Bewußtseins und neuer Möglichkeiten. Der
Identifikation als deutsches Volk, die sich in der
Wiedervereinigung Bahn brach, in den rassistischen und antisemitischen
Progromen ihren Ausdruck fand, wird heute in politischen Entscheidungen und im
öffentlichen Diksurs fortgeführt.
Das Ergebnis dessen ist in den Feierlichkeiten zur Wende zu erkennen. Wer wird
am 9. November diesen Jahres noch den Opfern der Progrome der Deutschen an den
Juden von 1938 gedenken, wenn doch an diesem Tag vielmehr die 10jährige
Maueröffnung zu feiern ist? Auch darin zeigt sich das neue deutsche
Bewußtsein, daß die mörderischen Traditionen von Auschwitz
explizit abgelegt hat, sie aber implizit immer beibehielt im Namen des
Volkes.
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