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Exotische Frucht.
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Steven Spielberg hat das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen

Von Ralf

Es gilt als deutsche Tugend, die moralische Legimitation der Seinen und die der einschlägigen Vorfahren solange zu „hinterfragen“ und zu „erforschen“, bis die Knetmasse Moral durch „hitzige Debatten“ zerschmilzt und das „Objektive“ blank liegt – als „kompliziert“ und „alles nicht so einfach“. Diese Abkehr verbindet alle Deutschen – von Links bis Rechts – seit der Niederlage 1945. Selbstverständlich wurde diese Tugendhaftigkeit nicht aus dem Stand entwickelt. Sie brauchte ihre Zeit - die Zeit des „Abstandes“ mindestens einer Generation.
Gesagt ist damit nichts über eine Moralphobie. Nur über ein strikt instrumentelles Verhältnis, das sich nicht mit einer grundsätzlichen Doppelmoral jeglicher irdischer Zivilisation gleichsetzen läßt. Das Volk, das das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen hat, ist dem Westen, insbesondere den Amis, dankbar für jede Verlautbarung und Tat, die von dem singulären Verbrechen unter Verwendung allgemeingültiger Gut- und Böse-Schemata abstrahieren läßt beziehungsweise selbst abstrahiert.
Ein Goldhagen kam da gerade recht. An ihm, dem Ami und Juden dazu, läßt sich exekutieren, wie und was Unfrieden stiftet, wenn es nicht endlich dem selbstentworfenen „komplizierten“ Psychogramm der Deutschen in „angemessener“ Weise Rechnung tragen will.
„Einfach, naiv, beinahe kindlich: So sehen die Deutschen die Amerikaner gerne. Auf den Regisseur Steven Spielberg trifft dieses Klischee zu.“ So beschreibt es der Tagesspiegel in treffender Weise. Und prompt erhielt Spielberg am 10. September diesen Jahres in Berlin das Bundesverdienstkreuz, das nur verliehen bekommt, wer sich „besondere Verdienste“ um die Bundesrepublik erworben hat. Laudator Roman Herzog faßte die dann zusammen: „Deutschland verdankt Ihnen ein Werk, das uns mehr gegeben hat,
spielberg, 16.4k
„einfach, naiv, kindlich“ – Steven Spielberg
als Sie vielleicht erahnen möchten“. In seinem Film „Schindlers Liste“ und dem aus dem Erfolg des Films entstandenen Projekt der „Shoah Foundation“, bei dem 50.000 Überlebende interviewt werden, um deren Erlebnisse und Erfahrungen zu dokumentieren, habe Spielberg auch nicht versucht, „das Unerklärbare zu erklären. Verstehen wächst nicht durch Zahlenkolonnen und historische Seminare“, so Herzog weiter, „es sind die Bilder, die sich uns einprägen und die uns wachhalten“.
„Den Nachfahren der Täter“, so kommentierte daraufhin selbst die taz, steht diese Auszeichnung „gut zu Gesicht“. Wie genau, das offenbarte der Tagesspiegel vom Tag der Bundesverdienstkreuz-igung: „Es kann nur reden, wer Worte hat. Die Deutschen besaßen nach dem Krieg keinen Namen für das, was sie getan hatten. Sie benutzten komplizierte Umschreibungen. Dann kam eine amerikanische Fernsehserie: sie hieß ‘Holocaust’. Eine andere Sprache und ein anderes Land gaben den Deutschen das Wort, das sie brauchten. Holocaust ist ein deutsches Wort geworden, aus Amerika. Ein einfaches, klares Wort, wie Computer, CD-Player oder Golden Goal. (...) Daß Spielberg zum Thema Holocaust überhaupt Kinoeffekte verwendete, daß er es wagte, aus Auschwitz eine Kinogeschichte zu machen: diese Tatsache irritierte in Deutschland. Es herrschte in Deutschland ein ausgesprochenes Bilderverbot, dieses schwarze Thema betreffend. Die Amerikaner haben das Verbot weggewischt, und dies war vor allem Spielbergs Werk. Die Deutschen lernten, über die Verbrechen ihrer Eltern nicht nur nachzudenken, sich nicht nur verantwortlich zu fühlen. Der Film „Schindlers Liste“ brachte ihnen bei, zu weinen. Jede traumatische Erfahrung braucht eine Katharsis. Die Deutschen mußten sich ihre Katharsis importieren wie eine exotische Frucht. (...) Weil Steven Spielberg ein einfacher Mensch ist, ein jüdischer Amerikaner, konnte er einen Film über Auschwitz machen, dessen Held ein guter Deutscher ist.“
So funktionalisiert taugt Spielberg grandios zur „Einordnung“ (Heitmann) oder Entsorgung von Geschichte. Zum geplanten Holocaust-Denkmal befragt, antwortet er dem Hessischen Rundfunk: „Ich verstehe nicht so ganz, wieso dieses Mahnmal ein Problem sein sollte“.
Für Spielberg ist die Shoah ein „primitives Verbrechen“, das sich jederzeit und überall wiederholen könnte. Mit „Schindlers Liste“, so der leider im vorigen Jahr verstorbene Eike Geisel, hat Spielberg „den Deutschen (...) die blaue Blume der Identiätssuche überreicht: Oskar Schindler (der über tausend Jüdinnen und Juden vor ihrer Vernichtung bewahrte - R.), außen Nazi, innen gut“. Steven Spielberg, der „wie kein anderer mit unseren Gefühlen spielt“ (Bunte), wird vemutlich nicht verstehen, warum ein Werk wie „Shoah“ von Claude Lanzmann nie über einen spätabendlichen Sendeplatz in den Dritten Programmen hinauskommt. (Zu „Shoah“ siehe auch CEE IEH #24 ) „Der ‘gute Jude’ Spielberg ist es, der den renovierten Deutschen den Persilschein ausstellt“, hieß es im Juni 1994 in konkret. Denn schließlich, so heißt es dort weiter, „wenn nicht einmal die Juden wissen, was Antisemitismus ist – wie sollen es die Deutschen je erfahren können?“. Vermutlich war das auch die Lektion für Moshe Stern, über dessen Berlin-Besuch die Frankfurter Rundschau vom 26. August diesen Jahres folgendes zu berichten wußte: „Den imaginären Sprung vom alten Scheunenviertel zum Kurfürstendamm schafft nur das Feuilleton, nicht aber ein orthodoxer Jude. Das mußte in diesen Tagen Moses Abraham Stern aus Israel schmerzahft erleben, als er über den Kudamm bummelte. Er trug einen schwarzen Hut, einen langen schwarzen Mantel, Vollbart und Schläfenlocken (...) Die Leute starrten ihn an, er wurde gestoßen, geschlagen, angespuckt und als „Drecksjude“ beschimpft. Eine um Hilfe gerufene Polizeistreife griff nicht ein.
Im offiziellen Berliner Polizeibericht wurde der Vorfall nicht erwähnt.
Auch in der nahegelegenen ‘Paris-Bar’, einem Treff der Kulturschickeria, hatte man wichtigeres zu diskutieren: die Ästhetik des Eisenmann-Entwurfs und die Mission Michael Naumanns (...).
Moshe Stern mußte sich den Vorwurf anhören, daß er durch sein Aussehen provoziert habe. Schon einmal hatten Juden durch ihr Aussehen auf dem Kurfürstendamm ‘provoziert’. Das war im Juli 1935.“
Nachdem „Schindlers Liste“ in die Kinos kam, wandten sich zahlreiche Überlebende mit der Bitte an Spielberg, doch über ihre Erlebnisse zu berichten. Und so initiierte Spielberg die „Shoah Foundation“, die „umfangreichste Bibliothek von Augenzeugenberichten Überlebender“. Sie soll via Internet und CD-ROM „die Vergangenheit, so wie sie von Menschen erzählt wurde, die sie erlebt und überstanden haben“, jederzeit zugänglich machen. Wo die Foundation an ihre Grenzen stößt, das schrieb der Auschwitz-Überlebende Primo Levi nieder: „Nicht wir, die Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen, wir (...) sind nicht nur eine verschwindend kleine, sondern auch eine anomale Minderheit. Vielleicht (...) sind die Untergegangenen (...) die eigentlichen Zeugen, jene, deren Aussage eine allgemeine Bedeutung gehabt hätte. Sie sind die Regel, wir sind die Ausnahme (...).“
Auf die Tatsache, daß Spielberg den zu Wort kommenden Überlebenden eine Art „Lehrer“-Funktion zuschreibt, erwiderte jüngst Geoffrey Hartmann von der Yale University: „Daß diese Zeugenberichte (...) Lektionen in Staatsbürgerkunde darstellen und zu Toleranz erziehen können – das ist mehr eine Hoffnung als eine Gewißheit. Doch selbst wenn man in dieser Hoffnung irren sollte, wird das Erreichte dadurch nicht disqualifiziert.“ Im Gegensatz zur sonstigen Abwehr von allem, was aus Hollywood in deutsche Kinos gelangt, weil es den deutschen Vorstellungen von Filmkunst zuwider läuft, findet Spielberg aus den oben genannten Gründen rundum deutschen Zuspruch. So wird sein aktueller Film „Der Soldat James Ryan (Saving Private Ryan)“, der mit „atemberaubendem Realismus“ (Spiegel) die Landung der Alliierten am D-Day in der Normandie darstellt, kaum großartig negative Kritiken einheimsen müssen. Auch wenn das FAZ-Feuilleton doch schon kräftig vom Leder zieht – „Im Westen nichts Neues – Simulationsästhetik“, überschrieb das Blatt die entsprechende Kritik des Films – und der Spiegel einmal mehr klarstellt, was sich mit dem D-Day für einen guten Deutschen zu verbinden hat – nämlich, daß Spielbergs „Schlachtengemälde“ den Tag vor Augen führt, „an dem mit der Befreiung Europas auch dessen Eroberung durch Amerika begann“.
Was den Film für Deutsche besonders nett macht, beschrieb das New Yorker Blatt Aufbau: Mit dem Film werfe Spielberg „die übergeordnete moralische Frage auf (, ob) man im Krieg den Anstand wahren (kann), ohne zur Mordmaschine zu werden.“ Gleichzeitig sei „bemerkenswert, daß die Deutschen (...) nicht dämonisiert werden (...) und die Deutschen (...) nicht als brutalere Soldaten gezeichnet“. „‘Saving Private Ryan’ ist definitiv kein Film über den Heroismus des Kämpfens oder den Patriotismus von Soldaten.“
Dem Rolling Stone sagt Spielberg, daß „Private Ryan“ wie auch „Schindlers Liste“ „die Realität zum Thema“ hätten – „und eben nicht den Holocaust oder den Zweiten Weltkrieg“. Und das muß ihm Deutschland einfach danken. Solange diese Nation den „einfachen, naiven, beinahe kindlichen“ Amerikaner mit Orden behängt, solange schaffen sie es noch nicht wieder alleine. Also, genau hinhören: Wenn Spielberg einst gedisst wird, dann wirds richtig ernst.


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last modified: 28.3.2007