(...) Um acht Uhr kamen unsere Leute
einer nach dem anderen zurück. Alles war nach Plan gelaufen. Die
Handgranaten waren gut gezielt geworfen, die Plakate an die Wände geklebt,
die deutschen Polizeistationen angezündet worden. (...) Jeden Moment
hörten wir wieder ein leises Klopfen an der Tür wieder kam
jemand gesund und sicher zurück. Es fiel uns schwer unseren Jubel zu
dämpfen. Wenig später allerdings hören die
Kämpferinnen und Kämpfer ein lautes Klopfen, die Tür wird
eingetreten, Gestapo-Beamte stürmen in den Raum. (...) Im
Gestapogebäude hören die Festgenommenen die Deutschen über den
Ingrid Strobl: Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939-1945. Fischer, Frankfurt/M. 1998, 480 S., DM 28,-
| Angriff sprechen, zehn von ihnen sollen allein im Cafe Zygernia ums Leben
gekommen sein: Da war es uns egal, daß wir in den nächsten
paar Minuten schon selber getötet werden würden. Die Hauptsache war,
daß diese jüdischen Banditen bewiesen hatten, daß
sie zu einem solchem Schlag in der Lage waren.
Angefangen mit der Festschreibung Raul Hilbergs, es habe
keinen nennenswerten jüdischen Widerstand gegen die nationalsozialistische
Vernichtungspolitik gegeben, bishin zum allgemeinem Vorwurf, die
europäischen Juden hätten sich gar wie Lämmer zur
Schlachtbank treiben lassen, negierte die Geschichtsschreibung lange Zeit
die Beteiligung jüdischer Widerstandsgruppen am Kampf gegen die Nazis.
Lediglich der Aufstand im Warschauer Ghetto wurde als Beispiel, wenn auch
kommunistischer jüdischer Gruppen, herangezogen. Dort, wo
Widerstand dann zögerlich thematisiert wurde, fiel die Rolle der Frauen
der Trennung in aktiven und passiven Widerstand zum
Opfer. Da die Einschätzung effektiven Widerstands vorrangig
militärisch definiert wurde, konnten die vielfältigen, über das
militärische hinaus geleisteten Arbeiten von jüdischen Frauen auch
nur zu Kofferträger- und Sanitätsdiensten degardiert
werden. Außer Acht gelassen wurde dabei, daß die nur von Frauen zu
übernehmenden Kurier- und Verbindungsarbeiten zu den
(männerdominierten) Kampftruppen unabläßlich für deren
Funktionieren waren bzw. daß eine andere Zielsetzung, nämlich die
der Rettung von Menschen angesichts der übermächtigen Bedrohung durch
die deutschen Vernichtungsorgane, im Mittelpunkt stand. Als Jude und
Partisaninnen aus Wilna
| als Frau wie auch immer gearteten Widerstand zu leisten die Autorin
schlägt vor, bewaffneten, humanitären und politischen Widerstand zu
differenzieren das schien der Geschichtsforschung bis dato nicht möglich.
Beschäftigte sich Ingrid Strobl in ihrem 1989 erschienenem Buch Sag
nie, Du gehst den letzten Weg. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen
Faschismus und deutsche Besatzung noch allgemein mit der Erscheinung
Frauen im Widerstand, geht sie nun in ihrem im Frühjahr
veröffentlichtem neuen Buch speziell auf die Situation jüdischer
Frauen ein. Dementsprechend formuliert die langjährige
konkret-Autorin auch das Ziel ihrer umfangreichen und sehr
wissenschaftlichen Arbeit: Den Widerstand jüdischer Frauen aus seinem
Schattendasein ins Licht der Historiographie des Widerstands zu rücken.
Dabei folgte aus dem Bewußtsein eines umfangreichen Widerstandsbegriffes
die Beschränkung auf die Widerstandsbeteiligung jüdischer Frauen in
Gruppen, Parteien, Bewegungen, sozialen Einrichtungen,
Selbstschutzeinrichtungen etc. Aus Mangel an schriftlichen Quellen es
war eine Grundbedingung des Widerstands, keine Spuren zu hinterlassen
benutzte sie neben Kommuniques, Flugblättern, illegalen Zeitschriften etc.
von Gruppen und Organisationen, Prozeßakten sowie Aussagen der Täter
vor allem die Informationen aus ca. 60 Interviews, die sie mit
Überlebenden aus ganz Europa führte. Dem folgt auch die Zweiteilung
des Buches: Im ersten Teil untersucht sie die Ausgangssituation der
jüdischen Bevölkerung und die Beteiligung jüdischer Frauen am
Widerstand in Frankreich, Belgien, Niederlande, Ungarn und Polen. Teil II
beschreibt in einer vergleichenden Untersuchung unter Zuhilfenahme der
Interviews die Herkunft, den Weg in den Widerstand, Politisierung und
Motivation sowie die Praxis und den Alltag im Untergrund der
Widerständlerinnen. Dabei wird deutlich, daß der Widerstand mehrere
Phasen durchlief und sich nach lokalen, sozialen, politischen und den von der
Besatzungsmacht diktierten Bedingungen richtete.
Detailliert wird von ihr die Situation nachgezeichnet, in der sich die
illegalisierten Frauen über Jahre befanden und die nicht selten für
sie mit dem gewaltsamen Tod in Auschwitz oder einem der anderen
Vernichtungslager endete. Neben der Erkenntnis, wie Widerstand geführt
wurde bzw. daß er geführt wurde wenn auch in diesem
Fall wieder nur von Betroffenen ist es wohl am erfreulichsten, daß
mit dem wegweisenden Werk von Ingrid Strobl endlich die Debatte eröffnet
worden ist, die ein komplexeres Bild der vielfältigsten Widerstandsformen
gegen die Barbarei ermöglicht. Philipp |