Nach dem größten Happening des
wiedervereinigten deutschen Mobs im August 1992 lag ein dunkler Schatten
über dem Image der Stadt Rostock. Kein zweiter Ort in Deutschland hatte
sich zu solch einem Symbol für den Rassismus aus der Mitte der
Gesellschaft und der anschließenden Umsetzung des Drucks der Straße
durch das Parlament entwickelt. Zwar gab und gibt es noch tausend andere Orte
des Grauens, dessen unvollständige Aufzählung den Rahmen dieser
Zeitschrift wohl bei weitem sprengen würde, aber Rostock hatte es nun einmal erwischt.
Wen wundert es da also, daß der angekündigte Aufmarsch der NPD am
19.09.1998 den Rostockerinnen und Rostockern gerade recht kam, um sechs Jahre
nach dem Pogrom wieder eine Chance auf den so lange ersehnten Sonnenstrahl zu
wittern. Die Rechnung der RostockerInnen war einfach. Die Nazis sollen doch
marschieren, wenn sie zwei Bedingungen erfüllen: erstens bloß keine
Demonstration bzw. Kundgebung vor dem sogenannten Sonnenblumenhaus,
da so nur zu leicht die Bilder von damals wieder in die internationalen
Schlagzeilen geraten könnten und zweitens, die Nazis dürfen auf
keinen Fall mehr TeilnehmerInnen stellen als die Bündnisdemonstration
für das saubere Rostock. Die dritte Bedingung, daß es auf gar keinen
Fall zu Krawallen oder Ausschreitungen kommen darf, wurde mit politischem
Scharfsinn nicht an die Nazis gestellt, sondern an die im Bündnis
beteiligten Antifas. Soviel zur Situation in Rostock und den Interessen der
Bevölkerung. Für Antifas an diesem Tag zwar keine besonders guten
Voraussetzungen, aber auch nichts außergewöhnliches.
Was die Aktivitäten in Rostock für uns allerdings zu etwas besonderen
gemacht hat, war, daß hier fast alle an der autonomen Antifa
kritisierbaren Punkte höhepunktartig zusammenfielen. Und das schlimme
dabei ist, daß so eine Situation in den meisten Städten genauso
wieder eintreten könnte. Deutlich wird dies unter anderem daran, daß
sich im Vorfeld fast keine Gruppe kritisch mit den Vorbereitungen zur
Mobilisierung nach Rostock auseinandergesetzt hat und nur so die Rostocker
Antifas die Möglichkeit hatten, ihr Konzept, bestehend einerseits aus
organisierter autonomer Avantgarde und andererseits aus breitem
Volksbündnis (andere Politikansätze wurden gar nicht beachtet),
durchzuziehen. Hätten sich mehrere Gruppen gegen so ein Konzept
ausgesprochen und auch ihre Mobilisierung davon abhängig gemacht,
wäre es wohl kaum einer mobilisierenden Gruppe egal gewesen, was andere
Gruppen von ihrem Konzept halten. Und hier sehen wir eine Ausnahme bei den
Rostocker Antifas, ihnen war es anscheinend egal, denn sie hatten die Auflage
des Bündnisses keine Krawalle, keine Ausschreitungen. Da wollten
Sie sich lieber nicht auf die Antifas verlassen, denn ein Stillhalteabkommen
zwischen der autonomen Antifa und dem Rostocker Bündnis gegen Rechts kam nicht zustande.
Natürlich fällt es uns jetzt nach den Ereignissen leichter, sagen zu
können, daß wir uns nicht mehr erhofft haben, aber wieso war es
möglich, daß das Konzept von fast allen Antifagruppen getragen
wurde? Auf Grund solch inhaltlicher und konzeptioneller Differenzen ist es
für uns nicht möglich, viele Leute für solche
Großereignisse zu mobilisieren, denn als mitorganisierende Gruppe
trägt man auch und das in nicht geringem Maße
Verantwortung für die Leute, die mobilisiert werden. Gerade bei
großen Naziaufmärschen bzw. größeren Demonstrationen sind
wir genauso auf die unorganisierten AntifaschistInnen angewiesen, wie sie auf
ein gut durchdachtes und vor allem realistisches Konzept. Und gerade dadurch
ist es für die mobilisierende Gruppe unabläßlich, sich der
Verantwortung bewußt zu sein und diese zu übernehmen. Die Rostocker
wurden mit ihrem Konzept dieser Verantwortung nicht gerecht. Sie boten
einzelnen und unorganisierten Antifas keine Möglichkeit, sich zu
beteiligen (sei es durch Ausschluß aus dem Informationsfluß oder
der Nichtbeachtung von Kritik) und sorgten auch nicht für deren Schutz.
Warum haben dann die anderen Antifagruppen, die nach Rostock mobilisierten,
nicht interveniert? Die positivste Annahme dabei ist sicher noch, daß
sich die teilnehmenden Gruppen generell zu wenig mit dem Konzept der
vor-Ort-Gruppe auseinandersetzen, sondern einfach nur hinfahren, egal wohin und
zu was. Leider enden solche Ausflüge immer öfter für viele Leute
im Polizeikessel, nach einer Polizeisperre in irgendeinem Stadtteil, wo weit
und breit keine Nazis sind, oder sogar im Unterbindungsgewahrsam.
Wie konnte es überhaupt zu so einem Konzept kommen?
Das Rostocker Konzept ist für uns die Folge einer fehlenden inhaltlichen
Auseinandersetzung und einer Gutgläubigkeit gegenüber den im
Bündnis beteiligten Gruppen. Es wurde versäumt, eigene
antifaschistische Inhalte einzubringen und eine eindeutige Positionierung der
Bündnispartner einzufordern (z.B. auch zur sogenannten
Gewaltfrage) um so in späteren Situationen ein von allen
getragenen Konsens zu haben, der ein konkretes Handeln ermöglicht. Anhand
dieser inhaltlichen Auseinandersetzungen wird sich auch erst feststellen
lassen, mit wem man im Bündnis zusammenarbeiten kann und wer aufgrund
dessen als potentieller Bündnispartner wegfällt. Diesen Schritt
sollte man unbedingt gehen, um später unerwarteten Situationen vorzubeugen
bzw. um nicht irgendwann feststellen zu müssen, daß man im
Bündnis keinen Einfluß/keine Bedeutung mehr hat.
Die inhaltliche Arbeit setzt natürlich eine Reflexion der Situation voraus
und sollte nicht aus dem immer wieder Herauskehren veralteter Parolen bestehen,
wie es zuletzt die Rostocker Antifas glänzend praktizierten. Kein Wort von
den 1992 Beifall klatschenden Bürgern, kein Wort von dem alltäglichen
Rassismus heutzutage. Statt dessen gehen die Rostocker Antifas davon aus,
daß in Rostock die allermeisten den Nazi-Aufmarsch nicht
wollen. Da in Rostock beinahe alle gesellschaftlichen Kräfte den
Bündnisaufruf unterstützen, müssen die Rostocker eher aufpassen,
daß da jetzt Einzelne, die Breite, nicht für eigene
Profilierung ausnutzen und die arme Bevölkerung, die dennoch
offene Ohren für die rassistischen Parolen hat, nicht pauschal
beschimpft werden. Statt dessen sollten wir uns lieber die Mühe
machen, unsere eigenen argumentatorischen Defizite zu überarbeiten
(alle Zitate aus dem Rostocker Antifa-Aufruf). Wenn man die Bevölkerung
dermaßen in Schutz nimmt und als eigenes Ziel seiner Aktivitäten
angibt, nicht immer nur als Chaoten dargestellt zu werden, sondern lieber mit
den lokalen Behörden und der Bevölkerung auf Schmusekurs zu gehen,
weil dadurch die eigenen Strukturen gefestigt werden, sollte man sich nicht
über die Ereignisse am 19.09.1998 wundern. Wie bereits weiter oben
erwähnt, ging es den RostockerInnen nämlich nicht um die Verhinderung
des Naziaufmarsches, sondern nur um die Reinwaschung ihrer eigenen Mitschuld an den Pogromen 1992.
Daß die meisten Antifagruppen zu fast jeder größer
mobilisierten Demo fahren, ohne sich inhaltlich und konzeptionell zu
positionieren, zeigte sich für uns bei der Demo in Rostock einerseits und
bei einer heutigen Betrachtung der Wurzen-Demo vom 16.11.1996, wo wir ca. 6.000
AntifaschistInnen mobilisieren konnten. Dort konstatierten wir Das Ende
faschistischer Zentren, wie wir sie kennen und machten es zu einem
Hauptinhaltspunkt, die ideologischen Gemeinsamkeiten von militanten Nazis und
der sie schützenden Bevölkerung zu thematisieren. Folgerichtig
demonstrierten wir unter dem Motto Kampf den braunen Zonen Den
rechten Konsens durchbrechen! Keine Räume für Faschisten! auch
gegen die dort ansässige Bevölkerung und nicht nur gegen deren Keulen
schwingende Kinder. Auch zum 1. Mai versuchten wir, die rassistische
Grundstimmung in der Bevölkerung zu thematisieren: Die Nazis agieren
innerhalb eines gesellschaftlichen Zustandes, dessen Unterstützung sie
sich gewiß sein können. Sie können sich als elitäre
Vorreiter der rassistischen Bevölkerung begreifen. (...) Denn die
Bevölkerung findet im Auftreten der Nazis auch ihre eigenen
Sekundärtugenden und Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung
wieder. (aus dem Aufruf des Bündnisses gegen Rechts Leipzig zum 1. Mai 1998).
Dachte man, eine Kritik am rassistischen Konsens innerhalb der deutschen
Bevölkerung, hätte sich in autonomen antifaschistischen
Zusammenhängen langsam zu einem Selbstverständnis entwickelt, wurde
man spätestens durch Rostock und Chemnitz eines besseren belehrt. Die
Kritik an dem Rassismus der Bevölkerung mußte in Rostock auch
deshalb ausbleiben, da sich das Rostocker Bündnis gegen Rechts
gemeinsam mit dieser unter dem Symbol des Schmetterlings vereinigte. Der
Schmetterling, welcher 1989 die Rostocker Bürgerbewegung, also
gleichzeitig die Deutschland einig Vaterland Bewegung
symbolisierte, verbietet eine Hinterfragung des gesellschaftlichen Rassismus.
Logische Konsequenz daraus war, daß die Rostocker Antifas eine Demo in
Lichtenhagen befürworteten, die durch eine Suppe aus Bürgern und
untergetauchten autonomen Antifas das antifaschistische Rostock
präsentieren sollte. Wer mit dieser Tradition nichts zu tun haben will und
sich nur als AntifaschistIn in Rostock gegen den NPD-Aufmarsch
stellen wollte, mußte sich von vornherein darüber im Klaren sein,
daß er als böser Antifa kriminalisiert wird. Das
Pünktchen auf dem sogenannten I lieferte das Rostocker
Bündnis gegen Rechts letztlich mit einer Distanzierung von den
gewalttätigen Linksautonomen.
Eigene antifaschistische Politikansätze, wie wir sie versuchen
durchzusetzen, kamen so kaum oder gar nicht zur Geltung. Im Gegensatz zu der
Vorstellung der Rostocker Antifas, aber auch vieler anderer Antifagruppen,
halten wir es für völlig falsch, mit dem eigenen antifaschistischen
Auftreten den Versuch zu unternehmen, daß andere Deutschland
zu repräsentieren. Denn solange die Konstatierung des rechten Konsens in
der Gesellschaft richtig bleibt, solange gewährt die Fiktion eines
anderen Deutschland der Nazimobilisierung nur Deckung. Die Analyse,
daß die Lichterketten Irrlichter waren, stimmt für uns immer noch
und gerade durch solche Anti-NPD-Kundgebungen wie sie auch in Rostock
abgehalten wurden, ändert sich die rassistische Substanz in weiten Teilen
der Bevölkerung mit Sicherheit nicht. Und dies schon deshalb, weil
häufig, wie auch in Rostock, offizielle Vertreter rassistischer und
nationalistischer Politik vertreten sind. Solche antifaschistischen
Bündnisdemos bedeuten damit immer auch ein Stück Heuchelei.
Perspektivisch gesehen glauben wir, daß die einzig effektive Aktionsform
gegen Nazidemonstrationen nur darin bestehen kann, genau dort zu agieren, wo
auch die Nazis sind. Dies eröffnet uns zum einen die Möglichkeit, den
Handlungsspielraum der Nazis einzuschränken und bildet zum anderen die
Voraussetzung, ihnen ihre Medienpräsenz zu nehmen. Die Vorstellung eines
Chaos, daß untrennbar mit Nazidemos verbunden sein könnte,
eröffnet uns zumindest ansatzweise die Möglichkeit, ihnen die Show zu
stehlen. Der gute Ruf der Stadt, der durch eine solche Berichterstattung
angeblich ruiniert wird, ist sowieso nirgends legitim, wo Nazis ungestört aufmarschieren können.
Antifaschismus hat unserer Meinung nach künftig nur eine Perspektive, wenn
Klarheit darüber besteht, mit welchen Ansprüchen an
Bündnisarbeit herangegangen wird und eigene Inhalte dabei nicht verloren
gehen. Und diese sollten sich, wie schon mehrfach in Debatten erwähnt, vor
allem um eine Abgrenzung von Lokalpatriotismus und dem Wunsch, das andere
Deutschland zu repräsentieren, bemühen und eher den Versuch
unternehmen, sich durch das eigene Engagement von einem deutschen Konsens zu emanzipieren. Bündnis gegen Rechts Leipzig
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