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es war einmal, 1.9k

Ein paar Gedanken zum bevorstehenden Naziaufmarsch in Rostock.

Vor sechs Jahren hatte das wiedervereinte Deutschland seinen ersten heißen Herbst. In Rostock-Lichtenhagen wütete der Mob tagelang mit Brandflaschen und Steinen gegen Flüchtlinge und Vertragsarbeiter. Die Parole „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“, die damals ausgegeben wurde, ist heute nicht nur ideologisch, sondern auch rechtstaatlich im deutschen Gemeinwesen verankert. Jetzt kommen die Nazis, um – berechtigterweise – an symbolträchtiger Stelle ihre Urheberrechte und mehr einzufordern.

Überall brannte es. In Westdeutschland aber besonders in den Käffern des Ostens machten Nazis Hatz auf Flüchtlinge. Nazis waren hier fast alle, von 15 bis 25. Viele sahen nicht so aus, nur schwer konnte man sich von den ästhetischen Gewohnheiten der Zone lösen. Schnauzer, Nackenspoiler und AC/DC-Shirt konkurrierten lange Zeit mit Fusseln vor der Glatze, der Billig-Bombe und überhohen Springerstiefeln. Ideologisch war man auf einer Linie, auch mit den meisten, die älter waren. Deutschland den Deutschen... Ein einfacher, konsensualer Leitsatz. Wer nach Meinung der jungen arischen Sturmtrupps dagegen verstieß, war seines Lebens nicht mehr sicher, immer wieder endete die Jagd mit Toten und Schwerverletzten. Rassistischer Vernichtungswahn trieb die Täter an, Gnade wurde nicht gegeben. Der Molotowcocktail, der durch die Scheibe flog, war symbolisches, oft genug auch konkretes Todesurteil. Jeden Tag ein neuer Angriff, ein anderer „Einzelfall“, mehrere ..., ungezählte... An den Wochenenden wurde in der Zone der Überfall auf die nächstgelegene Flüchtlingsunterkunft zum Volkssport. Die Statistiken und Dokumentationen verloren angesichts der Masse der Ereignisse ihre Aussagekraft.
Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen ragte heraus, wurde zum Symbol, gleichermaßen beschworen von Rechten und Linken. Es ging nicht in der Alltäglichkeit rassistischer Angriffe unter, weil es um einiges größer war als die vorangegangenen. Nicht nur die Jugend eines Dorfes wütete unter dem Beifall der Alten gegen „Zigeuner“ und „Asylanten“, sondern ein ganzer Stadtteil, ja eine ganze Region zog gegen die Nichtdeutschen zu Felde. Volksfeststimmung herrschte in Lichtenhagen. Gelungene Stein- und Brandflaschenwürfe wurden von den Beobachtern des Geschehens beklatscht. „Zugabe, Zugabe“ grölte der Mob von Prolls und Kleinbürgern. Bierseelig lächelte der Pisser im Trikot der Fuball-Nationalelf in die Kamera und hob den Arm zum deutschen Gruß. Diejenigen, die das Wasser noch halten konnten, wußten ebenso, warum sie hier waren. An manchen Abenden versammelten sich bis zu tausend Schaulustige am Lichtenhagener Sonnenblumenhaus. Der nahegelegene Imbiss machte Rekordumsatz. Bei Engpässen versorgten Einwohner Zugereiste mit dem Nötigen. Nur die Polizei störte ab und zu halbherzig und erfolglos, hielt sich die meiste Zeit aber wohlwollend zurück. Nach sechs Tagen wurde die Kirmes beendet (weiter, allerdings weniger ausschweifend, ging es an der Flüchtlingsunterkunft in Rostock-Hinrichshagen).
Dauerhafte Schäden für das Ansehen des deutschen Wirtschaftstandortes wurden befürchtet, außerdem war man gerade dabei, Serbien in die Knie zu zwingen. Außenpolitisch hatte man sich dabei einige Feinde gemacht und die Verbündeten wollte man nicht verschrecken. Forsch ging man in und außerhalb Deutschlands voran, aber eben nicht unbedacht.
Mit Rostock-Lichtenhagen haben die Deutschen deutlich Farbe bekannt. Die Weichen für die nächsten Jahre waren gestellt. Endgültig
lichterkette in muenchen, 8.7k „Dem Hass keine Chance“ – Lichterkette am 6.12.1992 in München
Schluß mit den idealistischen Flausen der ‘68er, weg mit dem zivilisatorischen Schein, vorwärts bei der Verwirklichung der Forderungen der neuen deutschen Jugend. Denn was die Nazi-Avantgarde forderte, das wollte die Masse auch, nur ein wenig geordneter, Stechschritt für Stechschritt. Die deutsche Konsensgesellschaft schloß die Reihen fest. Und wie die Gesellschaft, so ihr Staat. In atemberaubender Geschwindigkeit wurden Grundrechte abgeschafft, Marschbefehle erteilt, Grenzfestungen errichtet.
Mit Rostock-Lichtenhagen fiel das Grundrecht auf Asyl, mit Rostock-Lichtenhagen wurden die jungen Wilden, die stolz darauf waren, Deutsch zu sein, zu den Lieblingskindern der Nation. Bei allem Gejammer über fehlende Geldmittel in Zeiten der Umstrukturierung, für die Nazis fand sich noch immer ein Sozialarbeiter, ein Jugendprojekt oder einfach nur eine Million, die man ihnen in den Anus steckte. In wonniger Nestwärme durfte die Szene weitergedeihen. Die kleinen Kücken, unter der staatlichen Höhensonne flügge geworden, krakeelen heute um so lauter. Sie fordern im Namen ihrer Vorgänger und natürlich ihrer Vorfahren das Urheberrecht, denn sie waren es, die damals in Rostock und anderswo den rassistischen Volksaufstand in Gang brachten.
Am 19. September wollen die Nazis vor dem Lichtenhagener Sonnenblumenhaus aufmarschieren. Abschluß des Wahlkampfes in Mecklenburg-Vorpommern. Federführend die NPD, die mehr will als nur einen gesellschaftlichen Rechtsruck. Ein Stück vom Kuchen wird verlangt, lange genug wurde man dafür gescholten, daß man das offen sagte, was die anderen dachten oder nur geschickter formulierten. Der Partei geht es gut, besonders im Osten. Zustimmung bekommt sie von mindestens einem Drittel der jungen Leute, die Alten sind interessiert, oft aber vom martialischen Auftreten und der Aura der Gewalt, die an der Parteiklientel und ihren linksradikalen Gegnern klebt, ein wenig verschreckt. Die Alten werden deshalb lieber DVU wählen. Die Medien begegnen beiden Nazi-Parteien mit ängstlich besorgter Aufmerksamkeit und hofieren sie als Protestalternativen. Die einzige Chance, um nach der Wahl das Ergebnis erklären zu können. Selbstbewußt quittieren es die Kader und Fahnenträger. Sie wissen um ihr Potential.
Hervorrragende Bedingungen für einen geilen Aufmarsch. Fünftausend stramme Werbetafeln, die für die deutsche Sache zusammenkommen könnten. Mit Forderungen wie „Deutschland den Deutschen“ gibt man sich aber schon lange nicht mehr zufrieden. Mittlerweile ist die NPD bei
studentische ideen zum thema lichterkette, 12.2k In gewisser Weise witzig – Nebenprodukt des „Lucky Strike“ der StudentInnen im letzten Jahr. (Lichterkette vom 24.11.1997 in Frankfurt/Main)
der ganzen Wahrheit angekommen. Gegen Judenkapital und für nationalen Sozialismus wird gekämpft. Vielleicht zu schnell zu ehrlich zurückgegriffen? Aber manchmal geht es schneller, als man zu denken wagt. Lebte man auf einem fernen Planeten und bekäme die Nachricht, daß dreiundfünfzig Jahre nach der deutschen Niederlage und sechs Jahre nach den offiziell bis zum Erbrechen geächteten Pogromen von Rostock-Lichtenhagen eine Organisation mit einem ungeschminkt nationalsozialistischen Programm und einem Mörderpack von Anhängern den Einzug in ein Landesparlament schafft, würde man dies höchstwahrscheinlich nicht glauben. Deutschland gibt den Gedankenspielen von Außerirdischen keine Chance. Für Nazis ist dies hier das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
In Meck-Pom. haben einige Angst, besonders vielen Rostockern schwant nichts Gutes. Sie mögens leicht, nicht alle möchten soviel Nazi sein, wie es die NPD gern hätte. Die „Zigeuner“ von ‘92 sind weg und das finden die meisten auch gut. Die Bewohner der Handelsstadt mit dem Tor zur Welt müssen aber auf ihren Ruf bedacht sein. Die Heuchelei, mit der diesem Dilemma entkommen werden kann, hat Tradition. Schnell ist ein Bündnis gegen Gewalt oder Rechts gegründet, schnell haben ein paar hundert Exportabhängige einen seichten Aufruf für und gegen Nichts unterschrieben und schnell sind ein paar tausend Bürger davon überzeugt, ihr Arbeitsplatz sei in Gefahr. Also betätigt sich ein Teil des Volks am zivilisatorischen Hokuspokus, besser für die Illusion vom „anderen Deutschland“ auf die Straße zu gehen als gar nicht national zu sein. Es wird gemunkelt, daß auch heute noch Linke darauf reinfallen, wenn sie sich hin und wieder solchen Betroffenen und Standortapologeten anbiedern dürfen. Daß sie dies tun, nach all den Arschtritten, die sie von ihren falschen Freunden in den letzten Jahren kassiert haben - sei es bei der Abschaffung des Asylrechts, bei den Verschärfungen der Polizeigesetze, bei Lauschangriff, Demonstrationsverboten, etc., ist dümmer als ein Ostfriesenwitz. Daß ausgerechnet in Rostock die Antifa den alten Fehler wiederholen will und alle „Rostockerinnen und Rostocker“ zum großen Eiapopeia gegen die bösen Buben aufruft, es läßt sich am Ende nur noch mit der Abgeschiedenheit der Küstenlage erklären.
Was aber tun, wenn man wirklich gegen Nazis ist? Nun, die See ist immer eine Reise wert. Vielleicht ist ja der eine oder andere Nadelstich drin, Funsport sicherlich, aber besser als zu Hause sitzen. Vielleicht läßt sich auch der Ruf der NPD aufs Neue ein bißchen lädieren, wenn, wie in Leipzig, genügend mitmachen, ein nicht aussichtloses Unterfangen. Am Ende könnte es aber auch sein, man befindet sich völlig gegen seinen Willen in einer „Gegen Gewalt“-Prozession. Doch wie war das damals, als nach den Ereignissen von Rostock 300.000 friedliebende „Ausländerfreunde“ in Berlin für das Ansehen der deutschen Exportnation auf die Straße gingen? Der Betroffenheitsprediger Nummer 1, Richard von Weizecker, büßte seine Lügen im Hagel von Tomaten und Eiern. Die dreitausend Autonomen vor der Tribüne hatten ihren Spaß und beschädigten mit dem Trenchcoat des ersten Repräsentanten das, was die anderen immer schön ordentlich und sauber sehen wollen, das deutsche Vaterland. frank


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last modified: 28.3.2007