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Es lebe die Egalisierung. | |
Zur aktuellen Diskussion um die Nation und den Nationalismus, die Rolle der Nation in Theorie und Geschichte, die Bildung des Nationalbegriffes und die daraus herangereifte Erkenntnis der Sinnlosigkeit des revolutionär besetzten Begriffes Internationalismus, der die Nation als strukturbildendes Muster der Weltordnung anerkennt, kann das nun vorgestellte Buch durchaus Ansatzpunkte für eine theoretische Auseinandersetzung bieten. Daß zur antinationalen Bewußtwerdung nur ein antideutscher Ansatz
nicht ausreicht, ist hinlänglich bekannt. Oft ist in Diskussionen um die
Rolle der Nation der deutsche Nationalismus ausschlaggebend, geschichtlich
gesehen zurecht, aber die oft positivere Bewertung des französischen
Nationalismus sollte nicht als Schlußbewertung verstanden sein.
Die unterschiedlich geschichtlich evolvierte Auslegung des Nationalitätsbegriffes in der Nationalstaatsentwicklung von Deutschland und Frankreich führten zur Herausbildung dieser zwei Typen (ius sanguines und ius soli), die auch in Mischformen angewandt werden können. Die Staatsbürgerschaftsfrage und deren Regelung sind heute ins Zentrum konkreter Gesellschaftsanalysen getreten. Damit werden die Mitglieder des Nationalstaates definiert und ein Schließungsprozeß ist die Folge. Dieser ist ein wesentliches Merkmal der institutionellen Verfaßtheit des Nationalen, d.h. der politischen Form der modernen Industriegesellschaften. Der Nationalstaat ist der Architekt und Garant typischer moderner Formen der Schließung, sie werden in Institutionen und Praktiken wie der Territorialgrenze, dem allgemeinen Wahlrecht, dem allgemeinen Militärdienst und der Einbürgerung verkörpert. Die Schließung hängt in all diesen Fällen von der Rechtinstitution der Staatsbürgerschaft ab. Territoriale Schließung übt im Interaktions-Gewebe eine Kontrollfunktion aus. Eine von einem Staatsgebiet ausgeschlossene Person ist von jeder Interaktion innerhalb eines Territoriums und von allen damit verbundenen Vorteilen und Lebenschancen ausgeschlossen. Dazu gehören solche Grundgüter wie öffentliche Ordnung und Sicherheit und der Zugang zu einem vielversprechenden Arbeitsmarkt. Für jemanden, der vor Armut oder Bürgerkrieg auf der Flucht ist, kann sich der Zutritt zum Gebiet eines wohlhabenden oder friedlichen Staates entscheidend auf seine Lebenschancen auswirken. Staaten brauchen ihre Macht, Nichtbürger auszuschließen, nicht auszuüben und tun dies auch oft nicht, und wenn sie diese Macht ausüben, dann tun sie es meist selektiv, nicht unterschiedslos. Ein Unterschied ist zwischen Ausländern aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft und Ausländern aus Entwicklungsländern erkennbar. Dies ist vor allem in der institutionellen staatlichen Umgangsweise zu beobachten: Arbeit zuerst für Deutsche, dann für EU Bürger und das was übrig bleibt, können die wenigen bestätigten Asylbewerber machen. In globaler Perspektive führen die folgenreichen Auswirkungen einer selektiven territorialen Schließung gegen Nichtbürger jedoch dazu, daß der Staatsbürgerschaft eine Schlüsselbedeutung für den Zugang zu den wichtigsten, die Lebenschancen bestimmenden Gütern und Möglichkeiten zukommt. Aus der Sicht des ausgeschlossenen Nichtbürgers wirkt sich die territoriale Schließung entscheidend auf die Lebenschancen aus. Staatsbürgerschaft ist, wie gezeigt, ihrem Wesen nach begrenzt, überall ist sie Instrument und Gegenstand sozialer Schließung. Zur konkreten Illustration der unterschiedlichen Ausschlußkriterien, bestimmt durch die Anwendung des ius sanguinis und ius soli, durch Nationalstaaten vergleicht Brubaker die französische und deutsche Ausprägung und analysiert auch deren Resultate. Die Einbürgerungsquote bei Gastarbeitern und ihren Nachkommen liegt in Frankreich zehnmal so hoch wie in Deutschland. Bei Einwanderern der zweiten und dritten Generation klafft der Unterschied noch weiter auseinander. Eine Generation junger Franko-Portugiesen, Franko-Algerier und Franko-Marokkaner wächst heran, beansprucht die an die Mitgliedschaft gekoppelten Bürgerrechte und übt sie aus. Nicht so in Deutschland. Dort bleibt eine halbe Million im Lande geborener und aufgewachsener türkischer Einwanderer der zweiten Generation außerhalb der Gemeinschaft der Staatsbürger. Beide Länder hatten in den 60er und frühen 70er Jahren infolge von Arbeitskräftemangel Gastarbeiter angeworben. 1973/74 stellte man die systematische Anwerbung ein. Summa summarum bietet das Gesamtbild vergleichbare Einwanderungsprozesse, vergleichbare Einwanderungspopulationen und konvergierende Immigrationspolitiken. Vor dem Hintergrund dieser durchgehenden Ähnlichkeiten springen die krassen Unterschiede in der Einbürgerungspolitik und den Einbürgerungsverfahren als auffallende Abweichung ins Auge. In Deutschland werden in der Regel zehn Jahre Ansässigkeit (legal versteht sich) im Lande verlangt, in Frankreich fünf. Wichtiger noch, die Einbürgerungskandidaten müssen in Deutschland normalerweise ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgeben, in Frankreich nicht. Zusätzlich fehlt in Deutschland eine die Einbürgerung unterstützende politische Kultur. Dies kommt deutlich in den amtlichen Einbürgerungsrichtlinien zum Ausdruck, die unmißverständlich erklären, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland und strebe nicht danach, die Anzahl ihrer Einwohner durch Einbürgerung zu vergrößern. Die nun entstandene positive Bewertung des ius soli, das in Frankreich die Einbürgerungspolitik dominiert, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch hier die Schließungsprozesse gewährleistet sind, die der Nationalstaat diktiert. (Übrigens läßt die aktuelle Entwicklung auf eine Angleichung der Einbürgerungspolitik der europäischen Mitgliedsstaaten schließen.) Natürlich, für jemanden, der vor Armut oder Bürgerkrieg auf der Flucht ist, kann sich der Zutritt zum Gebiet eines wohlhabenden oder friedlichen Staates entscheidend auf seine Lebenschancen auswirken und dazu wirkt Frankreich menschlicher und fairer als Deutschland. Das Vertrauen der französischen Republikaner in das ius soli beruhte allerdings auf ihrem Glauben an die Assimilation. Assimilieren heißt angleichen, und durch den Zugang zu Schule und Armee sollte die nun französische Seele in Einklang mit dem französischen Land gebracht werden. Durch den nun zur Plicht gewordenen Zugang, konnten sich Menschen assimilieren, die rechtlich gesehen schon lange Franzosen waren, konnten ihre Denkgewohnheiten und Empfindungen weitergeben an die neuen Franzosen, so daß sie sich in den großen Rahmen der Nation einfügten. In beiden Fällen, ius soli und ius sanguinis, wurde von Fremden Assimilation verlangt: das eine Mal aber wurde und wird sie trotz der formulierten Anforderung als nicht möglich gedacht; das andere Mal wurde und wird sie als folgerichtig und zwangsläufig erachtet. Man bleibt, wie man immer schon »ist« bzw. »geworden ist«, man wird, wie die anderen schon sind. Beide beharren auf Assimilation als a priori unmöglich oder als a priori zwingend. Nur den deutschen Nationalismus zu kritisieren und zu bekämpfen ist, so betrachtet, doch etwas zu einseitig. Alle Strukturen, die auf ethnischen wie beispielsweise national spezifisch zugeschriebenen Merkmalen beruhen, sind Scheiße. Poldi |
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