Berthold Dinter |
Ein Rückblick.
Am 17. August diesen Jahres jährt sich der Todestag
von Rudolf Hess zum zehnten Mal. Die Neonazis werden sich nicht nur wegen des
Jubiläums etwas besonderes einfallen lassen, sondern auch versuchen,
Lehren aus den letzten Jahren zu ziehen. Seit 1988 finden zum Todestag von Hess
Aktionen von Nazis statt. Die Initiatoren der Gedenkveranstaltungen in
Wunsiedel waren neben Berthold Dinter, der noch 1987 die Veranstaltung für
das Jahr 1988 anmeldete, Christian Worch (Nationale Liste, 1995 verboten),
Thomas Wullf (NL, jetzt Deutsche Liga) sowie Friedhelm Busse (FAP, 1995
verboten) und Thorsten Heise. 1988 marschierten 150 Nazis durch den Ort. Das
Verbot der Kundgebung wurde durch den Nazis-Anwalt Jürgen Rieger
erfolgreich angefochten. Ähnlich verlief der Aufmarsch 1989, der erst
verboten und dann erfolgreich wieder vor Gericht angefochten wurde. In dem Jahr
meldete Dinter die Naziveranstaltungen für die Jahre 1990 bis 1995 in
Wunsiedel an. Zum dritten Todestag 1990 marschierten 1500 Neonazis aus dem
gesamten Bundesgebiet und hauptsächlich aus der damaligen DDR auf.
Hauptakteur des Aufmarsches war der inzwischen an AIDS gestorbene Michael
Kühnen (GdNF). Wie im Vorjahr fand eine Gegendemonstration statt, an der
sich 4000 Antifaschisten beteiligten. Für 1991 erteilte die Stadt
Wunsiedel aufgrund der Auseinandersetzung des Vorjahres zwischen Nazis und
Antifas ein allgemeines Versammlungsverbot. Rieger meldete daraufhin eine
Demonstration in Bayreuth als Protestdemo gegen das Verbot an. Nachdem die
Stadt und der Anmelder alle verwaltungsrechtlichen Mittel ausgeschöpft
hatten, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zugunsten der
Neonazis. An dem Aufmarsch beteiligten sich 1500 Nazis.
Rudolstadt 1992
Fulda 1993
Roskilde 1995
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1992 standen die Nazis vor dem Problem, daß sämtliche angemeldeten
Veranstaltungen und Kundgebungen verboten wurden und die eingelegten
Rechtsmittel erfolglos blieben. Ein Organisationskomitee mobilisierte trotzdem
Teilnehmer am 15. August 1992 und führte sie über den Sammelpunkt
Hermsdorfer Kreuz nach Rudolstadt in Thüringen. Dort nahmen über 2000
Neonazis am Aufmarsch teil. Dasselbe Szenario wiederholte sich 1993. Alle
angemeldeten Veranstaltungen der Nazis wurden untersagt. Dennoch marschierten
500 Nazis in Fulda und mehrere Redner u.a. Christian Worch und Friedhelm Busse
traten auf. Hier gewannen die Nationalen Infotelefone (NIT) durch die relativ
einfache Form der Informationsstreuung erstmals an größerer
Bedeutung. Trotz der schwachen oder gar keinen Gegenmaßnahmen
von staatlicher Seite her, sank die Teilnehmerzahl gegenüber dem Vorjahr.
Aber auch die Medienwirksamkeit des Hess-Marsches durch die großspurigen
Ankündigungen der Polizei, die Veranstaltungen zu untersagen, stieg an.
Durch diese Erfahrungen wurde erstmalig 1994 von den Nazis zu einer
Nationalen Aktionswoche (13.-21.August) aufgerufen. In der
Hoffnung, irgendwo eine Schwachstelle zu finden, wurden bundesweit über 80
Veranstaltungen angemeldet. Zudem stellte das auf die Demonstrationsanmeldungen
einsetzende Medieninteresse eine gute Propagandamöglichkeit dar. Schnell
wurde jedoch klar, daß dieses Konzept nicht durchführbar wurde. Am
sogenannten Hauptaktionstag, dem 13.8..1994, fand eine
Demonstration von etwa 100 Nazis vor der deutschen Botschaft in Luxemburg
statt. Diese wurde von der luxemburgischen Polizei, im Gegensatz zur deutschen
Polizei, kurzerhand aufgelöst und die Nazis zur Grenze geschafft. Die
Aktionsplanung lief hauptsächlich über die NIT. Alternative
Aktionsformen, wie sie in dem Gesamtkonzept geplant waren (z.B.
Saalveranstaltungen), blieben weitgehend aus. Bundesweit fanden dezentralen
Veranstaltungen gegen die Hess-Gedenkwoche statt, u.a. in Leipzig.
Im folgenden Jahr 1995 wurde ebenfalls eine Aktionswoche ausgerufen
(12.-20.8.1995). Thorsten Heise organisierte eine zentrale Demonstration am 19.
August in Schneverdingen (Niedersachsen), an der sich 150 Nazis beteiligten.
Eine zweite fand im dänischen Roskilde statt, die jedoch am Widerstand der
einheimischen Bevölkerung und Antifas in einem Debakel endete. Zu dieser
Veranstaltung kamen ebenfalls 150 Nazis, u.a. Christian Worch. Als
Erfolg konnten die Nazis lediglich die große Medienwirkung
verbuchen. Daraufhin kam es zu internen Streitereien. Unter der Bezeichnung
Aktion 96 verfaßte André Goertz (FAP, 1995 verboten)
ein Strategiepapier, was vor allem in den Kreisen der NPD/JN verbreitet und
befürwortet wurde. Darin wurde zu einem Aktionsmonat zu Ehren Hess
aufgerufen. Um der staatlichen Seite keine Angriffsfläche zu bieten,
sollte die Kampagne unter dem Motto Demokratie und Freiheit schützen
Grundrechte verteidigen laufen. Als Schwerpunkte waren der
3./4.8.96 (bundesweites Demowochenende) und der 17./18.8.96 (zentrale
Kundgebung) genannt worden.
Bayreuth 1991 |
An anderen Wochenenden sollten Saalveranstaltungen,
dezentrale Aktionen oder Konzerte stattfinden. Ein ähnliches Konzept hatte
das sogenannte Aktionskomitee Rudolf Heß, das aus führenden Nazis
von Kameradschaften und NPD/JN aus dem gesamten Bundesgebiet bestand. Das von
der NPD/JN übernommene Strategiepapier Aktion 96 wurde am
3./4.8. in Ansätzen verwirklicht. Etwa 100 Veranstaltungen wurden mit
vorbereiteten Formularen angemeldet, als Veranstalter wurden
ausschließlich NPD/JN-Kreisverbände benannt. Alle angemeldeten
Veranstaltungen wurden untersagt. Lediglich in Bad Harzburg (Niedersachsen),
unter Anleitung von Steffen Hupka, und in Wittenberg (Sachsen Anhalt) kam es zu
kleineren Aktionen. Für den 17. August wurden wiederum von der NPD/JN
bundesweit 45 Veranstaltungen angemeldet. In Worms (Rheinland Pfalz) fand eine
Demonstration von etwa 250 Neonazis statt. Koordinator und Leiter dieses
Aufmarsches war neben Holger Apfel (JN) Steffen Hupka. Ein weiterer Aufmarsch
fand unter der Federführung der Sammlungsbewegung Die Nationalen e.V. im
anhaltinischen Merseburg statt. Organisator war der Vorsitzende der Nationalen
e.V., Frank Schwerdt. Desweiteren fand in Trollhättan (Schweden) eine
Demonstration statt, an der sich auch deutsche Neonazis beteiligten. Entgegen
den euphorischen Einschätzungen des Aktionskomitees und andere
Einschätzungen der NIT, war der Aktionsmonat eher eine Pleite
gewesen, obwohl es den Nazis gelang, zwei Aufmärsche durchzuführen.
Einzig allein die preisgünstig angebotenen Flugis und Aufkleber zum Thema
Hess fanden in der Szene größeren Absatz. Weiterhin muß
festgestellt werden, daß die NPD/JN erstmals als führende Kraft
hinsichtlich der Organisation und Bereitstellung der Parteilogistik auftrat.
Hier wurden schon die organisatorischen Grundsteine für den Aufmarsch am
1. März 1997 in München gelegt. Der Aufmarsch von München kann
als ein Resultat der strukturellen Aufbauarbeit der letzten Jahre, auch durch
den organisatorischen Überbau der NPD/JN, gewertet werden.
Trollhättan 1996
Worms 1996
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Die größte Demonstration seit den 70er Jahren von Nazis in
München und der 10. Todestag von Hess geben sicherlich einen Auftrieb
für den diesjährigen Hess-Gedenkmarsch, der gerade dadurch einen
besonderen Stellenwert einnimmt. Federführend dieses Jahr wird wieder die
NPD/JN sein. Es ist erneut mit großen Anstrengungen zu rechnen, den
Mobilisierungseffekt des Hess-Todestages auszunutzen und einen einheitlichen
Marsch zu organisieren. Daß die Nazis in den letzten Jahren keine
zentrale Demonstration zum Hess-Todestag durchgeführt haben, ist für
sie mehr als fatal. Einerseits haben die Nazis das Symbol Wunsiedel/Hess
verloren, andererseits fehlt ihnen das Moment der Mobilisierung, wo sie eine
breite Basis zusammenbringen, Kraft schöpfen und rekrutieren können.
Das Vorhaben, mit dem Hess-Todestag eine geschlossene nationale Bewegung
darzustellen, scheiterte in den letzten Jahren. Das Projekt
Wunsiedel ist für die Nazis sicher noch nicht vom Tisch,
geschweige denn sie selbst. |