Lieber Ulle! Ich betrachte Deinen Artikel Freuden-Tränen als
Diskussionsangebot und da ich aus eigener Erfahrung weiß, daß ausgeschlagene
Diskussionsangebote nicht viel bringen, hier eine Antwort. Probleme habe ich eigentlich mit dem ganzen Artikel. Das fängt an bei Deiner Einschätzung
Leipziger Szenestrukturen. Autonomes Selbstverständnis machst Du aus, daß sich aus der
Situation der ersten Nachwendejahre hauptsächlich als autonome Antifa zeigt. Nun ist es zwar richtig, daß in jener Zeit Faschoterror antifaschistischen
Selbstschutz überlebensnotwendig machte, aber was Autonome sind und was sich
politisch damit verbindet wurde und wird auch von Dir nicht näher beleuchtet. Stattdessen wird der gemeinsame Nenner mit dem Schlagwort Freiräume&
#147; hergestellt, das aber auch nichts aussagt. So ist auch nicht nachvollziehbar, wieso Du
Antifaschismus heute noch als prägenden Einfluß hinstellst? Eine genauere Betrachtung zeigt doch eher, daß Freiräume, die es gibt,
brach liegen, weil eben ein grundlegendes Selbstverständnis, daß über Phrasen
hinausgeht fehlt. Sowas kann natürlich in einen Zusammenhang mit der Agonie westlinker Strukturen gestellt werden, aber letztlich verschleiert so ein Spruch
doch mehr, als er aussagt. Kritikpunkte an Szene oder Kiez gibt es sicher zu hauf, aber Beschreibungen
wie Deine oder in Kiez sweet Kiez dümpeln für ein Kritik zu sehr an der Oberfläche bzw. ruhen sich unter dem Deckmantel der
Polemik auf ihremWissen, auf der richtigen Seite zu stehen, aus. Polemiken können ja ganz lustig
sein, aber solche zu schreiben, ist immer noch schwerer und nicht leichter, als eine fundierte Kritik. Letztere fehlt mir im Cee Ieh aber auch bei den
;Antinationalen. Ich kann nichts mehr anfangen mit Andeutungen, wo Auseinandersetzungen stehen
sollten. Mir macht das auch keinen Spaß (aber dazu später!), weil mir das Lachen im Halse stecken bleibt. Im Märzheft des KlaroFix werden
unsere Zusammenhänge - und noch hängt zusammen, was zusammen gehört, auch wenn
Tendenzen zur Spaltung allerorten sichtbar werden - für den katastrophalen Umgang untereinander kritisiert. Die Kritik ist berechtigt. Die einfachsten Regeln
werden gebrochen. Was ich jedem politischen Gegner angedeihen lassen soll, seine Äußerungen
so stark, wie möglich zu interpretieren, nach dem Guten und Wahren in seinen Worten und Taten zu suchen, bevor ich kritisiere, wird
nicht und gerade nicht politischen Freunden angediehen lassen. In dieser unseligen Art liest sich -
leider - auch Freuden-Tränen. Die eigenen Erwartungen werden zum Maßstab aller Dinge. Dies gilt sowohl für die Interpretation Boogas
als auch meines Artikels. In der Tat, war ich gezwungen, den meinen noch einmal zu lesen, so wenig pa&
szlig;ten meine Erinnerungen mit dem zusammen, was da herausgelesen wurde. Kritik an der Ignoranz meines Erachtens wichtiger Themen wird bei Dir zu einem
gewissen Unverständnis, warum die LeserInnen des KlaroFix nicht richtig links sind. Auch
verstehe ich nicht, weshalb ein Zeitungsprojekt dafür kritisiert wird, daß es sich auf die Menschen bezieht, die es lesen - auf wen denn sonst?
Genauso wenig, wie amo ein Synonym ist, daß ich liebe bedeutet (Freud lauert hinter
jeder Ecke!), projeziere ich revolutionäre Phantasien auf zum Subjekt stilisierte Massen. Wo hast Du das gelesen? An der Stelle, an der Du die
monolithischen Gegner entdeckt hast, die im selben Absatz aufgebröselt werden? Deine Art, zu
zitieren, bleibt mir fremd. Offensichtlich dient sie nicht den Zweck, die Orginalgedanken in den eigenen Text zu übernehmen, um mit ihnen arbeiten zu kö
nnen. Vielleicht soll damit der falsche Anschein von Authentizität erweckt werden. Ich weiß
es nicht. Richtig bleibt aber, daß es mir schwer fällt, in den selbstgerechten Haß auf die einheimische Bevölkerung einzustimmen.
Trotzdem muß ich nicht gleich zum völkischen Linken mutieren, der über das Abholen der
Nation es sich in ihrem Schoß gemütlich macht. Ich halte es nur für falsch, sich von vornherein als Rest der Gerechten
aufzufassen, zumal wenn der eigene Aktionsradius nur einen Aspekt der gegenwärtigen
reaktionären Gesellschaftsentwicklung umfaßt. Von dieser Position aus Essentials zu formulieren, hinter die wir auf keinen Fall zurückgehen
werden (Hamburger Wohlfahrtsausschuß anläßlich seiner Osttournee), bedeutet in
letzter Konsequenz Diktatur oder Bedeutungslosigkeit. Damit soll nicht einer Politik des Aufgebens von Inhalten zugunsten von Bündnissen das Wort
geredet werden. Im Gegenteil! Aber die grundsätzliche Offenheit des Ausgangs von Diskussionen
vermisse ich mit Booga, mit dem ich auch die Abneigung gegenüber Dogmen teile. Die Kritik die in Extraportion Senf in dieser Hinsicht
ausgeteilt wurde findet meine volle Unterstützung. Wie bei Dir angedeutet, habe ich natü
rlich meine Probleme mir vorzustellen, wie kontinuierliche Arbeit auf einer so unkontinuierlichen Basis, wie Spaß haben, funktionieren soll.
Trotzdem halte ich Deine Art mit einem Känguruh zu reden für unangemessen, auch wenn der
Spruch vom wortwichsenden Antinationalen nicht nett war. Wenn sich Debatten jetzt auf einem solchen Niveau abspielen, fehlt in absehbarer Zeit jede
Basis für eine Zusammenarbeit. Aber zurück zum Thema. Du schlägst vor, das KlaroFix
sollte seine jetzige Praxis, Forum für Diskussionen einer linken, unabhängigen Politik (einschließlich Randgebiete) zu sein, für eine
Ausrichtung auf die Analyse von Unterschieden, Parallelen und Entwicklungslinien der heutigen
(deutschen) Zeit zum Nationalsozialismus aufgeben. Warum? Zeitungen mit einem solchen Ansatz gibt es schon. Überregional, mit einer bezahlten Redaktion und auf
einem vergleichsweise kleinen Markt. Was es in Leipzig dann nicht mehr gibt, ist das, was das KlaroFix
sein will. Ein regelmäßig erscheinendes Infoheft, daß in der Lage ist aktuell Informationen zu vertreiben, die sonst einem kleinen
Kreis von Leuten vorbehalten bleiben. Den Anspruch eines theoretischen Zirkels, der erkennen will, was
die Welt im Innersten zusammenhält, hatten wir nie und haben wir auch heute nicht. Unser Ziel wird auch in Zukunft bleiben, für ein breites Linkes/
linksradikales Spektrum offen zu sein. Ich persönlich kann Einschätzungen, wonach in der
jetzigen Situation falsche Bündnisse endlich aufgebrochen werden müssen, nicht nachvollziehen. Das die jetzigen Zeiten nicht rosig
sind, wirst auch Du zugeben. Wer sich heute in Sicherheit wähnt und glaubt, vor Repression
weitestgehend sicher zu sein, befindet sich aber genauso im Irrtum, wie die, denen es so erscheint als steige ihre Relevanz in dem Maße, in dem sie sich
von allem, was um sie herum passiert, abgrenzen. Vieles was in letzter Zeit publiziert wurde, macht
aber genau diesen Eindruck. Dabei treffen sich die Argumente häufig gar nicht, weil unter verschiedenen Blickwinkeln von verschiedenen Sachen gesprochen
wird. So ist die Bemerkung, die Herausbildung von Nationen kann unter bestimmten Umständen auch
progressive Zügetragen, keine Rechtfertigung des hiesigen Nationalismus gegen den die ANG argumentiert. Der Unterschied zwischen Antinationalismus
und negativem Nationalismus wäre ein weiteres entscheidendes Thema, daß vielleicht auch
erklären würde, warum die britischen Konservativen als einzige ausländische Verbündete für die Fraktion der Antideutschen übrig
bleiben. Zumindest sollte es zu denken geben, daß Antinationalismus in Leipzig vom ü
berwiegenden Teil der Szene nicht in Frage gestellt wird. So wurden revisionistische Darstellungen in KlaroFix und Frente attackiert (vgl. Goerdelerkampange).
Aber neuerdings scheint den reinen Gedanken schon zu verletzen, wer es nur wagt sich auf
gesellschaftliche Prozesse zu beziehen, die nicht ins Bild passen. In meinem Artikel habe ich die zunehmende Unzufriedenheit mit dem System, nicht als Vorboten einer
Revolution interpretiert. Sie bedeutet aber zumindest, daß Veränderungen auch und gerade
jetzt möglich sind. Eine Einschätzung, die auch der Verband der deutschen Industrie teilt und nach der er handelt. Daraus allein positive Schlü
sse zu ziehen, gar noch im Rahmen einer historischen Notwendigkeit, verbietet sich von selbst und war
einer der Punkte, gegen die ich argumentierte. Nichts läge mir ferner als mich dadurch von der zukunftsträchtigen Relevanz des KlaroFix zu &
uuml;berzeugen. Ich bin nämlich der Meinung, daß das KlaroFix schon jetzt eine, wenn auch
lokale Relevanz besitzt. Dazu brauche ich mir dann auch nicht die Augen bei der anstrengenden Vorausschau der kollektiven Produktionsweise zu verderben.
Das Wort Kommunismus hat für mich nicht hauptsächlich eine ökonomische
Bedeutung, was wohl mit meiner Abneigung gegen Hauptwidersprüche zu tun hat. Zugegeben, das Wort ist in dieser Richtung belastet und vielleicht wäre
es besser es aufzugeben, aber wo auf die Schnelle die Utopie für eine schöne neue Welt
hernehmen? Zum Schluß vielleicht noch was zu der schlimmen Überschrift. Die Liebe blüht in den Zeiten der Pest ist
ein Zitat aus der von Gabriel Garcia Marquez geschriebenen Reportage über die Arbeit des im Exil
lebenden chilenischen Regisseurs Miguel Lettín. Letzterer war trotz Einreiseverbots nach Chile geflogen, um einen Dokumentarfilm über die Realit
ät der Militärdiktatur zu drehen. An den Brücken von Santiago sieht er mehr Liebespaare
als in Paris und erinnert sich an die oben zitierten Worte eines Freundes. Warum das Zitat als Überschrift geeignet sein soll, kann ich auch nicht
genau sagen. Einen gewissen Zusammenhang mit dem Phänomen Partylinke halte ich aber f
ür denkbar. Als Beleg für den literarischen Gehalt sei hier nur der Titel des aktuellen Romans von Gabriel Garcia Marquez zitiert: Die
Liebe in den Zeiten der Cholera. Ich hoffe, das war jetzt nicht zu internationalistisch. Gruß amo!
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