Die Bewertung der Leipziger Szene-Strukturen
ist eine ambivalente Geschichte (vgl. Kiez sweet Kiez CEE IEH,
2/95), deren Zweideutigkeit schon in der Etablierung des autonomen Charakters
vor allem im Zuge der existentiellen Bedrohung durch militante Faschos ihren
Ursprung hat. So wurde nicht nur, mit guten Gründen, ein autonomes
Antifa-Verständnis übernommen, sondern ein ganzer Wust diffusester
politischer Identifikationen hielt Einzug in die Köpfe der Involvierten
und Sympathisanten, die sich fortan zumindestens auf den gemeinsamen Nenner
Freiräume, seien sie nun irgendwie politisch oder in
Verbindung politikinhaltlicher mit subkultureller Ausprägung determiniert,
einigten. Mithin sollte der antifaschistische Anspruch, nicht ganz freiwillig,
der prägende Einfluß politischer Aktivitäten bleiben,
während die anderen Adaptionen westlinker Herkunft sich meist auf
mündliche und schriftliche Postulate beschränkten. Mit der eher
vordergründigen Abwehr der rechten Bedrohung und der bröckelnden
Kiez-Struktur, mit der im Osten mit potenzierter Geschwindigkeit
nur die Agonie der westdeutschen autonomen Szene nachgeholt wurde, standen auf
einmal Orientierungsprobleme an, die fern persönlicher Betroffenheit
lagen.
Ideenlos aber das Herz am rechten Fleck!
Scheint für die einen der politische Freiraum nur Ausgangspunkt zu
sein, um in ihrem Verständnis von gegenwärtiger linksradikaler
Politik vom Bäcker bis zum Subcommandante Marcos, vom Anti-Atomtest-Teenie
bis zum russischen Arbeiter alles in fragwürdige
Weltverbesserungsstrategien mit einzubeziehen, verziehen sich die anderen,
beleidigt von der schweren Aufgabe der Selbstverwirklichung, auf emotionale
oder drogengeschwängerte Bewußtseinsinseln und harren hier,
angesichts der Übermacht gesellschaftlicher Kräfte oder
in der Erkenntnis der Sinnlosigkeit aller progressiven
emanzipatorischen Ideen, auf ihre Erlösung. Die einzige verbindende
Gemeinsamkeit, die bleibt, besteht in der falschen Analyse der Situation im
wiedervereinten Deutschland und den daraus abzuleitenden Schlüssen
für linksradikale (subkulturelle) Strategien. Augenscheinliche Hinweise
zum Stand der Entwicklung bieten die beiden Februar-Ausgaben der relevanten
Leipziger Szene-Publikationen Klaro Fix und
FRENTE.
Das Ziel vor Augen, nur verlaufen?
Im ersteren fragt sich Amo, das Synonym stand bis jetzt
für die weniger schlechten Beiträge der Monatsschrift, schien die
dahinter stehende Person doch zu kapieren, daß dem innenpolitischen
Backlash und dem damit zusammenhängenden Großmachtstreben der
geläuterten Nation keine antiimperialistischen Phrasen und
internationalistische Klischees entgegenzusetzen sind, sondern Kritik woanders
ansetzen müßte, nach dem Sinn der Tätigkeit am Projekt
Klaro Fix. War diese Selbstverortungsdebatte schon lange notwendig,
gleicht das inhaltliche Profil der Publikation doch immer mehr einem
links-thematischem Sammelsurium, ist ihr (vorläufiges) Ergebnis allerdings
ziemlich desillusionierend. Denn, erstens kommt es schlimmer - die
Überschrift des Artikels lautet: Die Liebe blüht in den Zeiten
der Pest - und zweitens als man denkt. Nach einigen Tränen, die man
den enthusiastischen Anfangszeiten hinterherheult und dem Beklagen
der unbezahlten Anstrengungen, die ein linkes Zeitungsprojekt
erfahrungsgemäß kostet, beeilt sich der Autor ganz schnell, sich
mittels einer haarsträubenden Konstruktion von der zukunftsträchtigen
Relevanz des Klaro Fix zu überzeugen. Einer kritischen
Auseinandersetzung mit dem im Heft immanenten Themen-Spagat ausweichend,
sondern weiterhin bereit für den Crossover aus Antiimp und
autonomen Selbstverständnis, von radikal bis revolutionär, versucht
man sich an dem, was die Linke hierzulande am liebsten tut - der Produktion von
Subjekten, auf die sich die eigenen politischen, manchmal gar
revolutionären Phantasien übertragen lassen. Befindet sich in dieser
illustren Sammlung utopischer Projektionen mittlerweile so ziemlich alles, was
auf diesem Erdball kreucht und fleucht (seit zwei Jahren sind mexikanische
Indios gut im Rennen, auf Afroamerikaner in L.A. oder im Knast, auf Ökos
oder Anti-Tierversuchsenthusiasten greift man auch gerne zurück),
beleuchtet uns Amo, eher in regionalen Gefilden auf Suche, die noch nicht von
jedem wahrnehmbaren Entstehungsherde anstehender Revolten. Da hätten wir
zum ersten (...) fünfhundert Menschen mit einem autonomen
Selbstverständnis, mit zumindest einem starken Interesse an Inhalten
linker Politik in dieser Stadt. (Amo). Zwar nimmt er mit einem
gewissen Unverständnis noch wahr, daß deren links
sein noch nicht richtig ausgeprägt ist, aber aller Anfang ist schwer
und so läßt es sich verkraften, wenn die Revolutionäre von
morgen im Zuge nationalistisch kodierter Protestbewegungen gegen
französische Großmachtansprüche demonstrieren, während die
eigene Nation ganz Europa in die (Bundesbank-) Zange nimmt. Den
Progressiv-Prägestempel von Greenpeace und Konsorten wird man
zur gegebenen Zeit schon noch gegen die Hassi eintauschen. Nur noch ein paar
Ausgaben...? Bis dahin wird der linke Standpunkt der anvisierten Klientel von
der Bundeszentrale für politische Bildung attestiert, die in jedem, die
heimische Politiklandschaft analysierenden Output, die Systemsubvention der
ökologischen Bewegung loben. Aber vergessen wir die
fünfhundert, welche wohl auch in Zukunft keinen Info-Laden zum
Anbau, kein Antifa-Plenum zur neuen Location-Suche und keine Demo, es sei denn
vor irgendwelchen Konsulaten, zur Eskalation zwingen werden. Wenden wir uns
zweitens - ganz bescheiden - der Mehrheit der Bevölkerung zu,
die zumindestens im Osten mit der gesellschaftlichen Ordnung prinzipiell
unzufrieden sind, und die es nur noch zu einer wirksamen Systemopposition
zusammenzuschmieden gilt. Aber was, möchte man fragen, macht dann die PDS?
Letztendlich scheint es egal wer die nicht kleiner werdende Zahl der
Unzufriedenen (Amo) in die bevorstehenden Kämpfe führt, und in
der Phalanx aus ost- und westdeutschen Wohlstandschauvinisten, die schon ohne
Sparzwang im Rücken dem Pogrom nicht abgeneigt waren, und
statt durch die Unterstützung elementarster Lebensbedingungen für
Flüchtlinge durch Protektionismus gegenüber staatlichem Rassismus
auffielen, progressive Potentiale entdeckt. Einer wirklichen Mehrheit, bei
denen das Ende sozialer Auseinandersetzung, nämlich das Bündnis
für Arbeit, fast noch Begeisterungsstürme auslöst.
Abgesehen davon, daß eine nicht unbedeutende Anzahl dieser
Unzufriedenen Wertemodelle vertritt, die einen Listenplatz bei der
CSU rechtfertigen würden, ist jener Ansatz besonders deshalb so daneben,
weil er den auf Katastrophentheorien und Zusammenbruchsphantasien des
Kapitalistischen Systems aufgebauten Wunsch nach Synthese mit dem Mob
darstellt. Doch ist solcher Irrtum nur logisch, wenn sich das Klaro Fix
angesichts der hiesigen Verhältnisse noch darum sorgt, welcher Weg denn
(...) einfach zum Kommunismus führt. (Amo) und von der
anstrengenden Vorausschau nach der kollektiven Produktionsweise, die uns mit
Glückseligkeit überhäuft eine Sehschwäche
zurückbleibt, die an jeder Ecke einer verrohenden kapitalistischen
Gesellschaft (Amo) den Faschismus lauern sieht. Dieser scheint aber nur
in bestimmten Dreckslöchern als Alternative für die
Bevölkerung zu bestehen und in Deutschland lauerte dazumal nicht
ein Faschismus, sondern ein in seiner Singularität nicht
vergleichbarer Nationalsozialismus. Hier Unterschiede aufzudecken, Parallelen
und Entwicklungslinien in der heutigen Zeit benennen, sich fragen ob die
nationalen Weltmachtsambitionen noch eines Neonazismus bedürfen, um ihre
Ziele durchzusetzen, könnte eine politische Richtlinie für das Klaro
Fix sein. Allerdings hätte man dann vorerst weniger monolithische und
übermächtig-unfaßbare Feinde, wie das stärkere
Unrecht und die Barbarei (Amo), befände sich aber auf
jeden Fall in Opposition zum Gegenwärtigen (Amo).
Just for fun
Das zweite Beispiel aktueller Verwirrungen im näheren Umfeld bietet uns
das FRENTE (Jan./Feb. 96), in persona BOOGA, durch die von ihm
verabreichte Extraportion Senf (Überschrift des Artikels).
Endlich ist es gelungen, und BOOGA darf als einer der ersten Vertreter viel
Ruhm für sich beanspruchen, die Totalitarismusvorwürfe des
bundesdeutschen Politik-Mainstreams gegenüber linker Theorie und Strategie
in alternatives Milieu-Kauderwelsch zu übersetzen. Aber der Reihe nach. In
einer großzügigen Geste subsumiert Booga - rein
rhetorisch - alle Leser der Antifa-Postille (doch er meint uns(?)
alle!) unter seinen geistigen Horizont und unterstellt: Wir wollen
moralischer, demokratischer, ordnungsliebender und ehrlicher sein als die
da (der Staat - d.A.). Wir wollen ihre Normen und Werte, die
sie versprechen (Grundgesetz) besser einhalten, als sie es je taten. Wir sind
so durchsichtig für sie geworden und wir wollen alles uns Konfrontierente
durchsichtig haben. Denn wir wollen vor allem eins: den Masterplan.
(BOOGA). Diesen suchen wir, um im Gleichschritt zu handeln (BOOGA).
Woher er die Verallgemeinerungsfähigkeit und sein spezielles Wissen nimmt,
behält er sich zum Glück nicht vor zu verraten. Er outet sich als
Mitwirkender der Diskussion über die linke Krise. Das er als
Teilnehmer dieses illustren Kreises das eine oder andere mal zum Onanieren
verschwunden sein muß oder durch wahrnehmungsfeindliche Unaufmerksamkeit
glänzte, offenbart sich im Folgenden. BOOGA bemüht Beispiele, die
seine These von der allgegenwärtigen linken Dogmatik untermauern. Zum
einen wären da die wortwichsenden Schurken (BOOGA) von den
Antinationalen, welche seiner Meinung nach, die hegemoniale
Erklärung allen Weltübels (BOOGA) innezuhaben scheinen und in
Anbetracht des wertvollen Wissens diesen Hauptwiderspruch
überall verkünden. Doch die Antinationalen behaupten
weder das eine noch konstruieren sie das andere. Vielmehr greifen sie sich
einen Aspekt der gegenwärtigen reaktionären Gesellschaftsentwicklung
heraus, der in seiner spezifisch deutschen Ausprägung von einem breiten
Konsens in der Bevölkerung getragen, vor allem für die, auch von
BOOGA so geschätzten, eingeknasteten und abgeschobenen
Flüchtlinge existentielle Bedeutung hat und bauen davon ausgehend ihre
Kritik an den hiesigen Zuständen auf. Dabei werden vielleicht andere
Unterdrückungsmechanismen praktisch ignoriert, aber die
Ambitionen richten sich auch nicht auf die baldige Abschaffung generellen
Unrechts im Universum und befinden sich unter anderem aus diesem Grunde im
Konflikt mit linken Heilslehren.
Desweiteren muß auch die klarofix-sche bzw. amo-sche
Sinnkrise (die weiter oben mit etwas anderer Intention vorgeführt werden
sollte) als Hinweis für linkes Scheuklappenverhalten
geradestehen, wird sich bei dieser doch angemaßt, den
Spaßfaktor nicht als ausschlaggebendes Motiv für
politische Arbeit zu verstehen. Und für BOOGA liegt da der Hase im
Pfeffer. Denn er möchte Spaß. Nebenbei denkt er natürlich
auch noch an Flüchtlinge und hat beim Ausleben gewöhnlichen
postmaterialistischen Hedonismusrausches nicht einmal $-Zeichen in der Pupille.
Betroffen und trotzdem lustig. Und während den Betreibern linker Projekte,
den Initiatoren von Flüchtlingshilfen, Info-Laden-Machern und sonstig
politisch Aktiven die Tränen über die Sorgenfalten kullern, freuen
sich die Migranten in ihrer trostlosen Umgebung über den Humor, mit dem
ihr Schicksal geteilt wird. Und auch die Faschos klopfen sich auf die Schenkel,
da jetzt endlich das Wissenwollen über ihre Zusammenhänge
(BOOGA) angenehmeren Lachkrämpfen weicht. Und wer glaubt es geht nicht
dümmer, muß sich auch hier eines Besseren belehren lassen. Braucht
der Autor schon viel Oberflächlichkeit, um den Leser von der
Gefährlichkeit nicht näher bezeichneter Master-Pläne
zu überzeugen, setzt er dem noch eins drauf und verweist auf seinen
eigenen, bloß, daß jener jetzt undogmatischer,
unvernünftiger, unzensierter, offener Rahmen (BOOGA) heißt.
Bei so viel Subversivität in den Worten entzündet sich nicht nur
Papier von fast alleine, sondern Riots sind nur noch eine Frage der Zeit.
böse Geschichte
Als Vorschlag zur Ausfüllung der revolutionären Beliebigkeit rekurriert
BOOGA - nicht ganz originär - auf einen Text des Sanders-Stückes
operation mindfuck und auf das Vorwort und einen Auszug von Hakim
Beys Temporäre Autonome Zone. Im ersten wird uns nicht
mehr und nicht weniger erklärt als: (...) warum praktisch jede
Revolution in der Geschichte gescheitert ist. (o.m.). Weil
eine menschennützliche Idee in ein roboterhaftes Dogma verwandelt
wird und es den Leuten, die sich von ihr angezogen fühlen
(...) an Überblick, Wendigkeit, Einbildungskraft und vor allem an Humor
mangelt. (o.m.) Schluß ist mit Fortschritt!
Die Entwicklung der Menschheit von der Urgesellschaft bis zur Postmoderne eine
Reihe von Fehlschlägen und nichts als von gescheiterten Revolutionen
unterbrochener Sozialdarwinismus. Mit solcher Art Geschichtsphilosophie
hinreichend aufgeklärt, zeigt uns BOOGA, daß dies für eine
Frohnatur noch lange kein Grund für Pessimismus wäre und mit Hilfe
des Vorworts zu TAZ, wie realiter die zukünftigen Eruptionen
progressiven Geistes schon wären und wo sie ihren wahren Ursprung haben.
Denn wir müssen wissen ..., daß die Revolte in Reichweite
eines jeden liegt und die Party jeden Moment losbrechen kann.
(TAZ). Aha. Also verzichten wir auf anstrengende
Gesellschaftsanalyse und bemächtigen uns des ketzerischen
Bewußtsein(s), dem die historische Erkenntnis zugrunde liegt, daß
alle linken und rechten Dogmen lediglich bezwecken, den Drang zum Feiern in
vorgeschriebene Bahnen, auf ein vorgefaßtes Ziel hin zu lenken.
(TAZ). Und was damit anfangen? Entführe einen
Touristenbus und beschere den Insassen den aufregendsten Tag ihres Lebens, baue
eine Kirche zu einer öffentlichen Toilette um... (TAZ).
Es reicht! Wer seine persönliche Anti-Haltung so in den Vordergrund
stellt, daß er daraus mehr als eine individuelle Entscheidung macht,
daraus einen politischen Ansatz zaubert, der über Fun-Punk
nicht hinausreicht, sollte wirklich Toiletten bauen, statt in Antifa-Zines zu
schreiben. Ist man nicht bereit seine emotionalen Wünsche und
Bewußtseinsprobleme anhand gesellschaftlicher Realitäten zu
reflektieren, will mit ihnen gar emanzipatorische, die bestehenden
Verhältnisse kritisierende Ideen und Strategien negieren, dann kommt zur
affektiven Affirmation des Spaßes (die nicht negativ, sondern
selbstverständlich ist) eine in der praktischen Relevanz implizite
Bejahung des Status quo. Es wird bestenfalls ein ästhetischeres Level des
besoffenen Punks am Kreuz erreicht. Was im Kontext einer undeutlichen
Bohemè-Verortung lustig, innovativ, unwahrscheinlich senfig
sein kann, muß noch lange nichts mit aktivem Antifaschismus, Kritik,
Widerstand oder gar Hilfe für Flüchtlinge zu tun haben.
ulle
Was kostet die Welt? - Montagsdemo 89
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