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Die Verdinglichung gesellschaftlicher Verhältnisse im Subjekt |
Natur und Geschlecht als GrenzbegriffeFragt man nach dem Verhältnis von kapitalistischer Vergesellschaftung und Patriarchat, stößt man unweigerlich auf die Notwendigkeit, sich mit Natur und deren gesellschaftlichem Wesen kritisch theoretisch zu befassen. Dabei stehen sich der Definition nach zwei Gegensätze oder zwei Gesellschaftsformen scheinbar verschiedener Epochen gegenüber: die kapitalistische Gesellschaft löste die Abhängigkeiten der persönlichen Herrschafts- und Knechtschaftsverhälntisse des Feudalismus ab und setzte an deren Stelle eine subjektlose Herrschaft (Robert Kurz). Als freie und gleiche stehen sich nun alle Gesellschaftsmitglieder gegenüber. Aber schon in der Epoche der Aufklärung war es ein philosophisches und politisches Problem, das Juden, Frauen, Arbeiter und Nicht-Weiße nicht gleich waren, nicht den Status freier Bürger bekamen. Das mußte begründet werden; in den wissenschaftlichen Legitimationen von Ungleichheit finden wir einen Rekurs auf Natur. Das Patriarchat dagegen steht für die Herrschaft von Männern über Frauen, steht für persönliche Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Wie gehen subjektlose und direkte patriarchale Herrschaft in einer Gesellschaftsformation zusammen? Das patriarchale Geschlechterverhältnis stützt und ermöglicht strukturell die kapitalistische Produktion. Eine materialistische Kritik des Geschlechterverhältnisses richtet sich auf Geschlecht als Strukturkategorie der sachlichen Gesellschaft.Ebenso wie die Ausgrenzung von Juden und Schwarzen wird das hierarchische Geschlechterverhältnis über Verweise auf eine vermeintliche Natur des Menschen legitimiert. Ihrer Natur nach sei die Gattung Mensch in zwei einander gegensätzliche und sich ergänzende Menschenarten gespalten, in Mann und Frau. Teilweise wurden Frauen auch gänzlich aus der Menschheit ausgeschlossen. Und obwohl sich Geschlechterbilder und Lebensrealitäten von Frauen in den verschiedenen Epochen stark unterscheiden, ist eine Kontinuität des Patriarchats festzustellen. Woran liegt das? Verweist das auf eine Natur des Menschen oder auf eine noch unüberwundene Naturverfallenheit? Ist dieses Geschlecht Natur, die es gesellschaftlich zu überwinden gilt? Beispielsweise indem die Gebärfähigkeit gesellschaftlich-technisch vom Frauenkörper abgetrennt, und die Frau damit von ihrer Gebundenheit an die Gattung erlöst werde? Oder sollte nicht zunächst die Frage gestellt werden, was eine Frau ist? Sind Menschen, die nicht gebären können oder wollen auch Frauen? Ja. Weil Geschlecht sich eben auch gesellschaftlich/ kulturell konstituiert. Wir werden also nicht als Frauen geboren, sondern zu welchen gemacht (Simone de Beauvoir). Das wirft die Frage auf, was wir wären, würden wir nicht gemacht Menschen, Individuen? Aber diese Frage nur am Rande. Mir geht es nicht darum, die natürlichen und gesellschaftlichen Anteile des Geschlechts überhistorisch auf der Ebene einer Anthropologie zu bestimmen. Ich denke, daß eine solche Bestimmung immer im historisch bestimmten Kontext vorgenommen werden muß und selbst dann nicht abschließend geleistet werden kann, da Wissen über Natur an sich, als Maßstab, fehlt. Nie erlebt der Mensch eine Natur, wie sie an sich, ohne ihn, ohne seine Eingriffe ist, nie kann er sie wahrnehmen, ohne auf seine spezifisch kulturell konstituierte Wahrnehmung zu reflektieren. Hier gibt es zwei zu unterscheidende Ebenen (Verhältnis von Natur/Kultur und das Verhältnis von Natur/Gesellschaft) einerseits wird Natur immer vom Menschen überformt und umgewandelt, die so entstehende Kultur bleibt, obwohl sie als dichotomer Gegenteil von Natur imaginiert wird, immer an Natur gebunden. Es geht um die Kultivierung des Bodens, um Industrie und Erziehung eben um Zivilisierung von Natur, einschließlich der Inneren. Kultur ist sozusagen eine anthropologische Konstante, der Mensch ist nur ein Mensch, wenn er sich von Natur durch Bewußtsein unterscheidet. Gibt es Menschen, so gibt es in unterschiedlichsten Ausformungen so etwas wie Kultur, bzw. wenn es das nicht gibt, ist der Mensch noch nicht Mensch, sondern noch Teil der unbewußten Natur. Andererseits gibt es den spezifisch kapitalistischen Aspekt; der Gegensatz von Natur und Gesellschaft ist in meinen Augen einzig der kapitalisitischen Moderne zugehörig. Entscheidend ist der Selbstzweck, den Gesellschaft bekommt, wenn sie sich als durch und durch künstliche Welt (Alfred Sohn-Rethel) etabliert und als frei von natürlichen Bindungen imaginiert. Hier entsteht unabhängig von der Natur ein eigenständiges, ihr gegenüberstehendes Reich (zur Dialektik von Natur und Gesellschaft weiter unten mehr). Meine Bestimmungen von Natur möchte ich immer in diesem Rahmen verstanden wissen. Aussagen über eine Natur schlechthin kann ich nicht geben. Natur als Grenzbegriff Natur sowie Geschlecht und die binäre Geschlechterdifferenz changieren zwischen Natur und Gesellschaft. Was bedeutet das? Natur ist nicht Natur und damit gegeben, gesetzt und vor allem konstant. Natur ist veränderlich. Aber ideologisch gilt sie als das statische Moment im Gegensatz zur dynamischen, d. h. veränderlichen Gesellschaft. Natur als Grenzbegriff bewegt sich zwischen den Polen Statik und Dynamik, Gesellschaft und Natur. Sie ist sowohl als etwas mit eigener Gesetzmäßigkeit, als auch als sozial vermitteltes zu verstehen. Aus dem Spannungsfeld Natur, das damit eröffnet wird, ergeben sich drei Fragen: (1) Worin liegt der spezifische Charakter von Natur, wenn davon auszugehen ist, dass eine unvermittelte, ursprüngliche, an sich seiende Natur nie Realität sondern immer eine reine Gedankenabstraktion ist? (2) Damit zusammenhängend die Frage, ob Naturgesetzmäßigkeiten Gesellschaft mitgestalten. In der Allgemeinheit, in der diese Fragen gestellt sind, fällt es nicht schwer, sie mit Ja zu beantworten, alles andere wäre unsinnige Abstraktion. Das Bedürfnis nach Nahrung, Wärme usw. sind Naturkomponenten, die menschliches, d. h. gemeinschaftliches Zusammenleben mitbestimmen, aber schon so Allgemeinmenschliches erfährt gesellschaftliche Ausprägung. Wie sieht es dann erst mit der Gebärfähigkeit und dem damit assoziierten Geschlechtscharakter aus? Und (3) wie konstituieren gesellschaftliche Verhältnisse mit einer auf Wert ausgerichteten Produktion Natur? Auf jeden Fall, darauf soll Grenzbegriff hindeuten, ist Natur kein reines Produkt der Gesellschaft respektive des Diskurses. Kants philosophische Untersuchungen der Möglichkeiten von Erkenntnis haben den Feminismus in seinem Streben, das zur Legitimation des Bestehenden herangezogene Geschlecht zu destruieren, stark geprägt. Bei Kant ist Natur immer schon das, was durch die Schematisierung des menschlichen Verstandes hindurch gelaufen ist. So verortet er das Ursache-Wirkung-Prinzip, als eine Kategorie a priori (also vor der Wahrnehmung gegeben). Er unterscheidet Ding an sich und die Welt der Erscheinungen. Natur ist also nie ein Ding an sich. Aber ein Ding an sich ist ein Abstraktum, das wir zu denken genötigt sind. Geschlecht als Grenzbegriff Im Falle des Geschlechts leuchtet schon eher ein, es als Grenzbegriff zu fassen, denn es ist schon lange Thema, daß eine gesellschaftliche Funktion erfüllt wird, wenn Frauen ganz individuell die Gattung Mensch reproduzieren. Die Gebärfähigkeit bindet die Frau in die Gattung Mensch ein, stärker als den Mann zumindest scheint das so. Ich glaube, hier wurde schon deutlich, warum ich Natur und Geschlecht als Schwellenbegriffe begreife. Sie sprechen beide schon immer das Verhältnis von Gesellschaft und Natur an. Sie bewegen sich zwischen beiden Elementen, lassen kein an sich, kein eigentliches erkennen. Jede Position, die diese Vermittlung übergeht, ignoriert ihren Gegenstand, vergeht sich an ihm. Wenn Natur wie auch Geschlecht als reine unveränderliche Konstanten begriffen werden, sind sie bloße Gedankenabstraktion, die identitätslogisch mit ihrem Gegenstand umgehen. Werden Begriff und Gegenstand Geschlecht identitätslogisch in eins gesetzt, droht die Ideologie Sexismus. Gerade im theoretischen oder wissenschaftlichen Zugang zu Natur ist man dazu angehalten, die zurichtende Kraft der Begriffe präsent zu halten. Denn: Die Begriffe, die wir gebrauchen, haben alle ein Moment des Veranstalteten ... des auf die Sache Draufgelegten. Sie dienen im wesentlichen der Naturbeherrschung, sie werden in der Regel ... nach dem wissenschaftlichen Verfahren durch Definition gewonnen ... ohne dass dabei Rücksicht auf das, worauf sie gehen, entscheidend wäre. Sie werden als Spielmarken hantiert, dass sie verwendbar sind für in einem allerweitesten Sinn technische Zwecke; aber nicht in dem Sinn, dass das, was sie meinen, in ihnen schlechterdings zur Sprache kommt.(1) Adorno will hier verdeutlichen, dass unsere Begriffe über die unumgängliche Abstraktion vom bezeichnenten Gegenstand hinaus, das Bezeichnete in funktionale, normierte, massenhafte Reproduzierbarkeit kürzen. Es geht um Schematisierung, um Vergleichbarmachen, nicht um mimetisches Erfassen der Sache. Das Resultat (im Gegensatz vielleicht zur Intention, die auch die Versöhnung sowie den Aspekt menschlicher Bedürfnissbefriedigung anspricht) der Begriffsbildung ist nicht Versöhnung mit und Verständnis von Natur, sondern deren Unterjochung zum Zweck der Verwertbarkeit. Abgesehen davon, dass auch ein mimetischer Umgang mit Natur immer schon einen vermittelten Zugriff auf sie bedeutete, also auch hier nicht das Wirkliche der Natur zum Vorschein käme, sind unsere Begriffe alles andere als dazu angetan, Natur auf nicht instrumentelle Weise zu verstehen. Der Begriff Geschlecht ist schon für sich eine solche Typenbildung, mit der gesellschaftlichen Funktion, die patriarchale Ordnung der Gesellschaft zu erhalten, ohne den eine Wertvergesellschaftung, die auf Absehen von der Natur und Naturbeherrschung ruht, nicht realisierbar wäre. Damit ist auch schon angesprochen, was Geschlecht nicht ist: eine Bezeichnung für eine rein subjektive Angelegenheit. Ich begreife Geschlecht als eine Kategorie im Sinne Marxens. Die Marxsche Kategorie existiert sowohl im Subjekt, als auch gleichzeitig außerhalb, als Objektivität in diesem Sinne spricht er von objektiven Gedankenformen. Denken, das notwendig gedacht werden muß (auf die gesellschaftliche Funktion der Strukturkategorie Geschlecht werde ich weiter unten genauer eingehen). Die Kategorie Geschlecht impliziert die Vorstellung von natürlicher Zweigeschlechtlichkeit, impliziert die Vorstellung einer geteilten Gattung Mensch, die erst zusammen zu einem Ganzen wird, weil die Zwei sich komplementär ergänzen. Gegenüber stehen sich Kultur, Aktivität, Geist und Autonomie auf der einen Seite, Natur, Gebundenheit, Passivität und Emotionalität auf der anderen. Weil im Geschlechterverhältnis mit seiner Komplementärkonstruktion eines inferioren Naturwesens Frau und eines Geistwesens Mann die herrschende Naturunterdrückung fehlbearbeitet wird, ist genau dort nach der Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Natur und Kultur zu suchen. Da das, was am Geschlecht Naturkomponente ist, schon vermittelt mit Gesellschaftlichem ist, ist eine umfassende Bestimmung der natürlichen Anteile nicht möglich. Das ist auch der Grund dafür, weshalb Geschlecht heute primär vom Pol der Gesellschaft aus bestimmt oder vielmehr eingegrenzt werden sollte. Dabei ist die Stellung der Natur in der Gesellschaft, in der wir Geschlecht zu bestimmen versuchen, anzusprechen, sowie Geschlecht als Strukturkategorie in seiner Funktion der Stabilisierung sowohl von Gesellschaft, als auch vom Subjekt, und als Abschiebe- und Aufbewahrungsort des spezifischen, modernen Naturverhältnisses im Kapitalismus zu betrachten. Eine Neubestimmung von Geschlecht Im Folgenden werde ich eine Neubestimmung von Geschlecht in Auseinandersetzung mit dem von der feministischen Philosophin Andrea Maihofer hierfür vorgeschlagenen Rahmen vornehmen:
Im nächsten Heft erscheint der zweite Teil: Gesellschaft und Natur, Gesellschaft als zweite Natur, die Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse Anmerkungen (1) Theodor W. Adorno, Ontologie und Dialektik, Frankfurt a. M., 1960/61, S. 61f. (2) Carmen Gransee, Grenz-Bestimmungen, Zum Problem identitätslogischer Konstruktionen von Natur und Geschlecht, Tübingen 1999, S. 33/34 (3) Andreas Maihofer, Geschlecht als Existenzweise, Macht, Moral, Recht und Geschlechterdifferenz, Frankfurt a. M., 1995, S. 77 (4) A.a.O., S. 77/78 |
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