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Subversive Travestie

Ein queeres Märchen



Auf linksalternativen oder mit dem Label „queer“ etikettierten Partys wundere ich mich immer wieder, wie versucht wird, die Verkehrung und Imitation geschlechtlich konnotierter Attribute und Eigenschaften als subversive und/oder emanzipatorische Praxis anzubieten.
In dem was als Gender und Queer Studies firmiert, ist Judith Butler wohl die bekannteste Vertreterin der „Subversiven Parodie“-These. So schreibt sie in Das Unbehagen der Geschlechter:
„Indem die Travestie die Geschlechtsidentität imitiert, offenbart sie implizit die Imitationsstruktur der Geschlechtsidentität als solcher – wie auch ihre Kontingenz. (…)
Statt des Gesetzes der heterosexuellen Kohärenz sehen wir, wie das Geschlecht und die Geschlechtsidentität ent-naturalisiert werden, und zwar mittels einer Performanz, die die Unterschiedenheit dieser Kategorien eingesteht und die kulturellen Mechanismen ihrer fabrizierten/erfundenen Einheit auf die Bühne bringt.“ (1)
Sehen wir das wirklich? Das Geschlecht, Geschlechtsidentität und die heteronormative Ordnung Konstruktionen(2) und nicht natürlich sind, möchte ich an dieser Stelle gar nicht bezweifeln, jedoch verkennt Butler die Seite der Betrachter und überhöht die Position der Performer.
Die angenommene Wirkungsmächtigkeit von Geschlechterparodien oder aber von nicht- oder vermeintlich nichtheteronormativen Lebenspraxen gegenüber heteronormativen und/oder hegemonialen Verhältnissen wird meines Erachtens durch Abspaltungs-, Ausschluss-, Kategorisierungs- und Identifikationsfunktionen unterminiert
Im Falle der Travestie kommt es durch die Außenstehenden, Betrachtenden oder auch Teilnehmenden nicht nur zur Identifizierung des für sie eigentlichen (in dem Sinne natürlichen) Geschlechtes („Mann als Frau verkleidet“ usw.), sondern auch zur Abspaltung und Kategorisierung. Nicht ohne Grund wird Travestie sehr häufig mit Homosexualität in Verbindung gebracht.
Die so bewusst hervorgebrachten und ausgelebten Devianzen, Parodien, Inszenierungen werden in das Korsett der bekannten und normierten Kategorien der normierten und heteronormativen Subjekte gepresst bzw. auf für die Subjekte einfache, aber auch stereotypisierte Formeln heruntergebracht, als da wären Heterosexualität, Homosexualität (Schwul/Lesbisch als Identität), ggf. Transsexualität und Perversion. Gerade marginalisierte und minoritäre Lebensweisen, Begehrensformen und Subkulturen (Transgender, Fetische, etc.) werden aus Unwissenheit und Angst, sowie identifizierender und projizierender heteronormativer/hegemonialer Praxis z.B. als pervers kategorisiert ohne die Gefahr in sich zu bergen, die heteronormative Ordnung in den Köpfen wie Praxis auszuhebeln. Die Abspaltung, identifizierte Abweichung und Kategorisierung entmächtigt queere, transgender etc. Konzeptionen und Lebensweisen und wirkt sogleich reproduzierend für die heteronormativen und hegemonialen Verhältnisse und Ungleichheiten.
Weiterhin ist ein Prozess von Normalisierungstendenzen zu beobachten.
Ebenso wie im Umgang mit Homosexualität ist ein (wenn auch stereotypisierter und normierter) Normalisierungsprozess im Umgang mit Travestie, Imitation, Verwirrung bzw. vermeintlichen Versuchen, die heteronormative binäre Ordnung auszuhebeln, zu konstatieren. Die identifizierte Abweichung wird ggf. als „andere Normalität“ eingeordnet und lediglich aus der heteronormativen Ordnung ausgegrenzt, ohne diese zu bedrängen. Jedoch schließen sich Normalisierung und Abweichung und die entsprechende Gewalt gegen diese nicht aus, sondern bedingen sogar einander, denn auch die Gewalt normalisiert sich.
So schlägt sich die Normalisierung von Homosexualität, Travestie und queeren Konzepten/Lebensweisen durchaus in der medialen Öffentlichkeit nieder.
Die bekannte TV-Serie „queer as folk“(3) zeigt dies überdeutlich. Auf der einen Seite steht die von der Hegemonialkultur wie auch durch homo und queere identitätspolitische Gruppen/Personen definierte Normalität – das Hineinzerren der Devianz in das Licht der Öffentlichkeit, die Suggestion des selbstbewussten Umgangs. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass es eben doch das „andere Normale“ ist, werden doch Homosexualität, (damit häufig eng verbunden) Travestie und queere Lebensweisen auf die ihnen eigene spezifische habitualisierte und stereotypisierte Welt, Community, Szene oder Milieu fixiert.

Weiter schreibt Butler:
„(…) Diese fortwährende Verschiebung ruft eine fließende Ungewissheit der Identitäten hervor, die ein Gefühl der Offenheit für deren Re-Signifizierung und Re-Kontextualisierung vermittelt. Die parodistische Vervielfältigung der Identitäten nimmt der hegemonialen Kultur und ihren Kritiken den Anspruch auf naturalisierte oder wesenhafte geschlechtlich bestimmte Identitäten.“(4)
Diese Ungewissheit, von der Butler schreibt, führt meiner Meinung nach nicht zur Offenheit, sondern im Gegenteil zur Abwehr der vermeintlichen Abweichung durch die heteronormativ bestimmten Subjekte bzw. der heteronormativen Hegemonialkultur. Die Subjekte und ihre gefährdeten Vorstellungen von der Natürlichkeit von binärem Geschlecht, entsprechenden (Geschlechts)Identitäten und (heterosexuellem) Begehren suchen ihr Heil in der Identifikation der Abweichung und der Projektion auf diese (z.B. Travestie als homo- oder transsexuelles Verhalten). Das Anzeigen der Konstruktion, Verschiebbarkeit und Differenz von Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren befähigen den Gegenüber noch lange nicht zur Reflexion. Dies führt letztendlich zu Abwehr, Hass, Ausgrenzung der vermeintlichen Abweichler und der Verfestigung der heteronormativen Ordnung/Hegemonialkultur.
In der Gewalt gegen Schwule und andere Abweichler befreit sich das Subjekt von der Unnatürlichkeit und der dichotomen Paradoxie der heteronormativen Ordnung.
Zum einen beweist die Vielfältigkeit (und im Sinne des heterosexuellen Subjekts das Abweichende), dass das binäre Geschlechterverhältnis und das darauf bezogene heterosexuelle Begehren keine Natürlichkeit darstellen kann, zum anderen ist zu konstatieren, und dies entgeht Butler als auch queeren/transgender Konzeptionen, dass Homosexualität, Schwule, Lesben und Transgender der heteronormativen Verhältnisse inhärente und von diesen gesetzte Kategorien sind. Das zeigt sich zum Beispiel an der Konstruktion der abgegrenzten homosexuellen Identität als auch an der pathologischen und häufig noch auf medikozentrische Regulierung beruhende Kategorie der Transsexualität(5).
Ferner verweist Butler zwar darauf, dass die Parodie selbst nicht subversiv ist, und bestimmte Formen der Wiederholung zur Hegemonie beitragen, trotz alle dem glaubt sie offenbar an die Vielfältigkeit der parodistischen Akte bzw. an das jeweilige situative Moment der Imitation welche Verwirrung auslösen kann/soll.
An dieser Stelle ist ihr entgegenzuhalten, dass jede noch so neue gezielte situative Parodie/Imitation der „Zerstörung“ durch Identifizierung des Eigentlichen und der „abweichenden Normalisierung“ und Einordnung anheim fällt. Wen wundern heute noch DragQueens oder der ach so queere Trend, wenn Frauen sich mit Kajalstift Bärte malen? Zumal zu konstatieren ist, dass die Überhöhung, Kokettierung und/oder Parodie die Konnotation durch Geschlecht nicht zerschlagen. Letztendlich sind es Mann und Frau, die so häufig die „Vorlage“ für Travestie/Parodie bilden.
So schreibt auch der Blogger Lysis kritisch bezugnehmend auf Butler: „Die Absurdität von Butler ist doch, dass sie glaubt, Verhältnisse könnten durch eine vorsprachliche performative Praxis statt durch die Kritik epistemologischer Grundannahmen verändert werden. Dabei legt doch die bestehende epistemologische Ordnung immer schon fest, wie Phänomene à la Travestie einzuordnen seien — z.B. als Zeichen einer psychischen Störung oder als Teil der Unterhaltungskultur der homosexuellen Szene. Butler tut ja gerade so, als wäre die hegemoniale Ordnung nicht in der Lage, diesen Dingen ihren Platz zuzuweisen, als würde sie dadurch ‚geistig verwirrt‘.
Dabei erfüllen Tunten genau das, was die Mehrheitsgesellschaft von einem ‚Homosexuellen‘ erwartet: dass seine sexuelle ‚Andersartigkeit‘ mit einer Form geschlechtlicher Devianz verbunden ist, die sie ‚erklärt‘ und von der Norm leichter abgrenzbar erscheinen lässt (...).
Die inhärente Subversivität ‚queerer‘ Geschlechter-Performanzen kann ich da beim besten Willen nicht entdecken. Das ist tatsächlich ein Märchen, das sich der mangelnden Reflexion auf den konstitutiven Ursprung von Lesben, Schwulen und Transgenders in der heteronormativen Episteme der Mehrheitsgesellschaft verdankt..“(6)

Auch Birgit Wartenpfuhl setzt offenbar auf flexible, verhandel- und veränderbare bzw. transversale (Geschlechts)Identitäten, wenn sie mit Bezug auf Muriel Dimen schreibt:
„Wie in den vorangegangenen Ausführungen deutlich wurde, gründet sich die Konsolidierung einer festen, sicheren Geschlechtsidentität auf der Negierung von inneren Differenzen, subjektiver Vielschichtigkeit und Ambivalenzen. Diese Negierung befördert Spaltungsprozesse im Selbst und kann pathologische Prozesse von Spaltung aktivieren. Für die Lösung dieser Spaltungsprozesse schlägt Dimen (1991) das ‚Paradox der Gleichzeitigkeit‘ vor, das sich ‚Bewegen im Raum der Differenz‘. Das bedeutet, den Raum zwischen den Polen einzunehmen, das Oszillieren zwischen den Positionen und nicht das Verharren oder die gleichbleibende Besetzung einer Position.“(7)
Diesen Prozess des Oszillierens scheinen sich Wartenpfuhl und Dimen als bewussten Entscheidungsprozess vorzustellen. Zu fragen wäre an dieser Stelle, ob sich die Konstitution und Veränderung von Identität und Geschlechtsidentität so ins Bewusstsein rücken bzw. so vollziehen lassen. Beide unterschlagen die Diskussion um den Zusammenhang von Subjekt, Identität und dem Unterbewussten.
Darüber hinaus lassen sie völlig die gesellschaftlichen Zwänge außer Acht. Kann das Individuum wirklich so zwischen diesen „Punkten“ hin und her springen, ohne gesellschaftliche und internalisierte Normativität, Repression, die eigene Figuration und Bedürfnislage, sowie die der Anderen zu berücksichtigen?
Es ist fraglich, ob das Oszillieren zwischen den Polen wirklich zu einer Auflösung der heteronormativen Verhältnisse führen würde. Meines Erachtens wird durch diese Forderung nach flexiblen oder transversalen Geschlechtsidentitäten, die binäre Ordnung durch den Zwang nach Flexibilität ersetzt bzw. dahingehend nur ergänzt. Dies stellt keine Auflösung der heteronormativen Verhältnisse dar, sondern übersetzt den gesellschaftlichen Zwang nach Flexibilität aufgrund der Verhältnisse der Wertvergesellschaftung in die Ausrichtung des Begehrens und der (Geschlechts)Identität. Sei es nun die Karrierefrau, die einen männlich konnotierten Habitus annehmen muss, um Erfolg zu haben oder die queeren Konzeptionen von Lebensweisen und -Praxen anhand spezifischer auf das jeweilige Begehren ausgerichtete (Geschlechts)Identitäten. Bei Wartenpfuhl und Dimen klingt es fast so, als müssten wir alle transversal sein und könnten uns eine Positionierung des Begehrens nicht mehr leisten. Verwiesen sei zudem auf den Diskurs um flexible oder hybride Identitätskonzepte und dem gesellschaftlichen Zwang, den eine globalisierte, beschleunigte und teilweise prekärer werdende Welt hervorbringt und diese zur Norm von Lebenskonzepten macht.(8)
Und wenn Wartenpfuhl schreibt: „Im Unterschied zur Struktur sind im Transversalen die Punkte nicht lokalisierbar und festgelegt (…)“(9), lässt sie (Geschlechts)Identität zu einem Brei der Beliebigkeit verschwimmen. Wäre es da nicht angebracht, Identität, Identitätspolitik und die identitäre Fixierung von Geschlecht und vor allem des Begehrens an sich in Frage zu stellen, auch wenn diese Frage auf das unbekannte Mögliche verweist?
Es mag ja sein, dass das Konzept der Flexibilität, des Transversalen mit horizontalen und vertikalen Kategorisierungen bricht (Mann, Frau etc.), da es jedoch immer noch um die identitäre Fixierung des Begehrens geht, fällt auch die angebliche Gegenläufigkeit, das Aufbrechen der Struktur der Identifikation/Kategorisierung und somit dem Setzen von Devianz durch die Heteronormativität anheim.
Die Gefahr, das queer zum Modus neuer Identitäten und Ausschließungsmechanismen bzw. nur als populäre Oberkategorie für schwule, lesbische, transgender Identitätspolitiken modifiziert wird, sehe ich durchaus gegeben.
Nicht zuletzt wird in der Alltagspraxis der
subkul-turelle Zwang nach flexiblen (Geschlechts)-Identitäten der Kulturindustrie sein übriges dazu tun – Queer und Androgynität als Pseudoindividualität, losgelöst von jeglichem Begehren.
Auch Butler verkennt meines Erachtens das Problem, der Verwertbarkeit des/der Performers/in (Travestie) und die Reduktion der Imitation durch die Betrachter auf Unterhaltung und eingeordnete (und damit machtlose (!)) Abweichung/Verkehrung. Die Parodie als Teil der Kulturindustrie (queer ist „in“).
Es mag als dreiste Behauptung erscheinen, doch stellt es sich mir so dar, dass Travestie, Geschlechterparodie, Imitation und queere Lebenspraxen zu Chargen von Subkultur, Verwertung und Identitätspolitik jeweiliger Gruppen verkommen. (Warum muss die Party „queer“ sein?)

Zum Schluss

Mir geht es nicht darum, Lebensweisen und Begehrensformen von Menschen zu kritisieren oder diese persönlich anzugreifen, sondern darum, die Wirkungsmächtigkeit bzw. den Anspruch queerer und ähnlicher Konzeptionen den hegemonialen Diskurs oder gar die Praxis der Heteronormativität ins Wanken bringen zu wollen, kritisch zu hinterfragen oder gar queer als neue identitätsstiftende und ausschließende Kategorie zu entlarven.
Dennoch bin ich mir über die Notwendigkeit gewisser Identitäten, Subkulturen, queerer Konzeptionen als Lebensweisen, Communities etc. z.B. als „Schutzzone“ in einer homophoben, transphoben usw. Gesellschaft bewusst.

Michael Schüßler

Quellenverzeichnis:

Wartenpfuhl, Birgit; Dekonstruktion von Geschlechtsidentität – Transversale Differenzen; Leske + Budrich, Opladen, 2000
Butler, Judith, Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1991
Mandel, Doris Claudie, Die Zähmung des Chaos – Transsexualität und Gesellschaft, Versuch einer annäherung aus philosophischer Sicht, Verlag Doris Mandel, Halle (Saale), 1999
Scholz, Roswitha, Differenzen der Krise – Krise der Differenzen, Horlemann Verlag, Bad Honnef, 2005
critiqueaujourdhui.blogsport.de/2008/10/20/subversive-travestie-ein-queeres-maerhen/, Stand 29.01.2009
Kunstreich, T., in Jungle World 2006, http://jungle-world.com/artikel/2006/03/16752.html, Stand 29.01.2009

Anmerkungen

(1) Butler, J., (1991), S. 202/203

(2) Im Sinne von „gesellschaftlich/individuell gemacht, sozialisiert und reproduziert“.

(3) Vgl. auch Kunstreich, T., in Jungle World 2006, http://jungle-world.com/artikel/2006/03/16752.html

(4) Butler, J., (1991), S. 203

(5) vgl. Mandel, D. C., (1999), S. 14ff.

(6) Kommentar von Lysis, http://critiqueaujourdhui.blogsport.de/2008/10/20/subversive-travestie-ein-queeres-maerhen/, Stand 04.11.2008

(7) Wartenpfuhl, B., (2000), S. 232

(8) vgl. hierzu u.a. Scholz, R., (2005), S. 222ff.,

(9) Wartenpfuhl, B., (2000), S. 236, Hervorhebungen im Original

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last modified: 24.3.2009