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Der Beitrag stellt die Verschriftlichung des Referates von David Schweiger, das anlässlich der Podiumsdiskussion „Warum Israelsolidaität“ am 16.05.2008 im Conne Island gehalten wurde, dar. In den Ausgaben zuvor haben Hannes Gießler (#156), Juliane Nagel (#157), Martin Dornis (#158) und der AFBL (#159) ihre Referate zur Fragestellung „Warum Israelsolidarität“ vorgestellt.
dokumentation, 1.1k

Bedingungslos.

Was heißt „Solidarität mit Israel“ heute?

Wird heute in der deutschen Linken nach der Solidarität mit Israel gefragt, geschieht dies im Grunde nicht mehr als Ob- oder Warum-Frage, sondern eher als Frage des Wie. Dies ist ein Fortschritt, der zunächst zu konstatieren ist, der aber auch tatsächlich einen neuen Problembereich umreißt, der über Lippenbekenntnisse hinausgeht: Was heißt „Solidarität mit Israel“ heute?

Wer spricht?

Die Rede über den Staat Israel hat dessen Konstitutionsbedingungen zunächst zur Kenntnis zu nehmen und einzubeziehen. Die scheinbar banale Feststellung, dass Israel die staatgewordene Reaktion auf die Erfahrungen des Holocaust ist, ist dabei jedoch auch die entscheidende. Und doch ist diese Konsequenz keine logische sondern vor allem eine faktische.
Die Gründung des Staates Israels ist dabei aber auch einer bestimmten Mischung verschiedener Faktoren zu verdanken. So wäre sie nicht möglich gewesen ohne den zionistischen Nationalismus, nicht möglich gewesen ohne die Konstellationen des aufkommenden Kalten Krieges und auch nicht möglich gewesen ohne den Holocaust und die Unfähigkeit der westlichen Welt bzw. der Alliierten, den Juden den entscheidenden Schutz vor der deutschen Barbarei zukommen zu lassen. Und der Staat Israel ist nicht die einzige Konsequenz; das Verbleiben in der jüdischen Diaspora ist eine Option, die immerhin die Hälfte der weltweit lebenden Jüdinnen und Juden nach dem Holocaust wählte.
Dass die mögliche Organisation des jüdischen Gemeinwesens in Palästina verschiedene Modelle kannte, bevor sich 1942 auf der Konferenz von Biltmore endgültig die Idee eines jüdischen Staates gegen alle anderen Optionen durchsetzte, ist zwar für jüdische Diskussionen, den israelisch-palästinensischen Konflikt oder ein allgemeines Verständnis relevant, für den Umgang mit dem Staat Israel heute jedoch nicht.
Deutsche haben daher heute zur Kenntnis zu nehmen, dass die zionistischen Judenheiten den jüdischen Staat als Reaktion auf den Holocaust, der von Deutschen ausging und durchgeführt wurde, gegründet haben. Sie haben dabei ebenso zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Konstitutionsbedingungen eine absolute Grenze bilden. Diese Grenze besteht darin, dass es Deutschen nicht zusteht, darüber zu befinden und zu urteilen, wie die israelische Gesellschaft ihre politische Organisationsform wählt. Die Rede vom „Zivilisationsbruch Auschwitz“ ernst zu nehmen, heißt auch, dass Deutschland und dessen Bevölkerung jedes Recht verloren haben, Israel und dessen Bevölkerung politische Ratschläge und moralische Empfehlungen zu erteilen.
Dieses Postulat hat aber auch für deutsche Linke zu gelten. Antiimps und Traditionslinke schlagen sich noch immer gern auf die Seite der PalästinenserInnen aber vor allem linker Israelis, um ihre antisemitischen Ressentiments durch „einen meiner besten Freunde“ legitimiert erscheinen zu lassen. Aber auch Teile der antideutschen Linken gebärden sich immer häufiger als Politikberatung für jüdisch-zionistische-israelische Identität. Zwar ist es kein Antisemitismus aber doch die Hoffnung, im Falschen das Richtige zu tun, die antideutsche Linke dazu treibt, sich auf die Seite der israelischen Rechten zu stellen und der israelischen Linken oder der jüdischen Diaspora ein verkürztes Verständnis ihrer eigenen Situation zu attestieren. Diese Obsession, den Jüdinnen und Juden erklären zu wollen, was ihre Identität und ihre politische Position zu sein hat, kann dann auch schon obskure Formen annehmen. So wurde auf einer Veranstaltung im Tomorrow-Café vor einigen Jahren die Position vertreten, Uri Avneri sei durch sein politisches Agieren gar kein richtiger Jude mehr. Man könnte annehmen, dass spätestens nach 1935 (Nürnberger Gesetze) eine gewisse Sensibilisierung gegenüber derartigen Klassifizierungen von jüdisch/nichtjüdisch, vorgenommen von Deutschen, angebracht sei. Offensichtlich ist dies jedoch nicht der Fall. Doch auch jenseits solch expliziter Disqualifizierungen werden die Positionen jüdischer/israelischer Intellektueller und PolitikerInnen häufig nach Kriterien bewertet, für die Deutsche nun wahrlich nicht prädestiniert sind.
Solidarität mit Israel kann in diesem Sinne also nur heißen, sich einer konkreten Positionierung innerhalb der jüdischen und israelischen Konfliktlinien zu enthalten.

Man wird doch wohl noch sagen dürfen

Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Mit ein bisschen Pathos könnte man auch vom Beginn der postsolidarischen Phase sprechen. Nach Jahren der bedingungslosen Solidarität hat sich aus der israelsolidarischen Linken eine philosemitische Position der Bescheidwisserei herausgebildet. Die grundsätzliche Solidarität steht zwar nicht zur Debatte, aber immer häufiger verweisen antideutsche Linke auf die Probleme der israelischen Gesellschaft: auf den innerisraelischen Rassismus, auf die sexistische Gesellschaft, auf die zunehmende Stärke des religiösen Fundamentalismus oder auch auf die Unterdrückungsverhältnisse gegenüber den PalästinenserInnen. Diese Kritik versteht sich als aufgeklärte Kritik an einer unreflektierten antideutschen Position, die von derartigen Prozessen nichts wissen will, da Israel per se der guten Seite zugeschlagen wird. So richtig es ist, darauf hinzuweisen, dass es sich bei Israel nicht um den Vorhof zum Kommunismus handelt, so falsch ist es, diese Kritik der eigenen Position gegenüber Israel zu integrieren.
Dabei ist hier auf den fundamentalen Unterschied zwischen einer politischen Meinung und einer politischen Position zu verweisen. Eine politische Position zu vertreten, heißt, sich in einem bestimmten politischen (gesellschaftlichen, sozialen) Umfeld zu bewegen und die Bedingungen dieses Umfelds zu reflektieren und in die eigene Position einzubeziehen. Eine politische Position gegenüber Israel kann weder die Entstehungsbedingungen des zionistischen Staates noch den Status der Rede, als Deutsche in Deutschland, negieren. Egal wie die konkreten Argumente ausgebildet sind, der generelle Kontext, Teil einer deutschen Diskussion zu sein, kann nicht ausgeblendet werden.
Der Hinweis, dass z.B. israelischer Rassismus nicht besser sei, weil er von Israelis ausgehe, ist zwar durchaus richtig, heißt aber noch lange nicht, dass auf diesen genauso reagiert werden kann, wie auf deutschen, amerikanischen oder südafrikanischen. Es ist nicht möglich, von einer abstrakten Gleichheit aller gesellschaftlichen Phänomene auszugehen und damit die konkreten Konstitutionskontexte und Artikulationszusammenhänge dieser Phänomene auszuklammern.
Die zunehmende Aufladung bestimmter antideutscher Zugänge zum Staat Israel mit realpolitischen Versatzstücken, entfernt diese Positionen von der grundsätzlichen Solidarität. Dabei steht die Solidarität noch nicht zur Disposition, aber sie wird damit immer stärker an realpolitische Voraussetzungen geknüpft. Wenn die eigene Position sich weniger am allgemeinen Verhältnis deutscher Beschäftigung mit dem Staat Israel als an innerisraelischen Bedingungen selbst orientiert, ist die Frage erlaubt, was bei fundamentalen Änderungen dieser Bedingungen von der solidarischen Position zu erwarten ist?

Solidarität mit Israel

In der Anwendung des bisher Gesagten ergibt sich, dass die Linke in Deutschland nur die bedingungslose Solidarität mit Israel verteidigen kann. Zugegebenermaßen heißt das realpolitisch für Israel nicht viel. Es heißt aber, die deutschen Zustände zu kritisieren und wo möglich anzugreifen, die die Dimension und das Vermächtnis des Holocaust verharmlosen, die Antisemitismus ermöglichen und hervorbringen und die sich von der „historischen Last“ deutscher Geschichte befreien wollen. Diese Position heißt auch, jegliche deutsche Politik gegenüber Israel auf die Grundbedingungen ihres Verhältnisses zu verweisen. Dies besonders, wenn sich Deutschland anmaßt, neutraler Vermittler im Nahostkonflikt zu sein, den gleichberechtigten Partner in Verhandlungen mit Israel zu geben oder Feinde des jüdischen Staates zu unterstützen (z.B. Iran). Die (anti-)deutsche Linke muss sich damit begnügen, dass Solidarität mit Israel nicht die Spende einer Adorno-Gesamtausgabe, die bekenntnishafte Unterstützung der israelischen Armee oder die Parteinahme für israelische Rechte bedeutet, sondern sie auf ihr ureigenes Feld zurückverweist: Die deutschen Zustände und ihre ApologetInnen.

David Schweiger

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last modified: 25.11.2008