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Naked Lunc, 26.4k

Aufmachen.
Reingehen.
Ankommen.

»This Atom Heart Of Ours« Tour 2008
präsentiert von Vision & Laut.de
Naked Lunch (Austria)
DJs: Rolex & Grape (Conne Island-Old School /VelocitySounds)


      „the bells they were ringing with a beautiful sound / a new day rising a way that we found / we're old and settled but we still believe / if we don't march together we die alone“
Ein beliebtes Stilmittel bei Texten wie diesem ist es, das Album vor dem aktuellen zu relativieren, in der – berechtigten! – Hoffnung, dass sich ohnehin kein Schwein mehr daran erinnert, wie hemmungslos damit die Superlativ-pro-Zeile-Frequenz in ungeahnte Höhen getrieben wurde. Im schlimmsten Fall noch gespickt mit gefakten oder tatsächlichen O-Tönen der mehr oder minder eloquenten Musiker, dass dieses Album jetzt aber wirklich das hart umkämpfte genaue Umsetzen der eigenen künstlerischen Vision sei und so weiter und so fort.
Doch keine Angst, an „Songs For The Exhausted“, dem Naked Lunch-Album (2004) vor diesem, gibt es nichts zu relativieren, nichts zurückzunehmen, nichts wirklich in Perspektive zu rücken, außer anzumerken, dass es nicht viele Alben gab in den letzten drei Jahren, die sich so gut gehalten haben und die noch immer soviel herzugeben haben. Mit „Songs For The Exhausted“ haben Naked Lunch als Band eine Plattform erreicht, von der aus sie das eigene Schaffen bis dahin neu überblicken, neu bewerten konnten. Von der aus sie weiter Musik machen können, befreiter, anders als zuvor. Mit „this atom hearts of ours“, dem Titelsong und Opener des neuen Albums der Band, Operationsbasis Klagenfurt, wird diese neue, andere Musik jetzt vernehmbar, können wir Naked Lunch beim Weitersteigen zuhören. Wäre das Wort nicht so verdammt pompös, könnte man den Titelsong als eine Overtüre der kommenden Freuden – und es sind große Freuden! – bezeichen. Nicht ganz drei Minuten, die uns eine erste Idee geben, was uns erwartet. Weltumarmende Popmusik, unerschrocken leidenschaftlich vorgetragen und angerichtet, mit einer vorbehaltslosen Offenheit, wie sich frisch aus dem noch schlagenden, euphorisierten Herzen gerissen, in der das Wunder- und Heilmittel Liebe als zehnmal verschieden getakteter, doch immer starker Motor endlich seine heilende Wirkung voll und ganz entfalten darf. Hymnen großer und gleichzeitig so fragiler Gefühle. Umarmungsmusik ohne falsche Schulterschlüsse.
      „we built this city with our bare hands / where every stone belongs to us / come over now it`s overwhelming / `cause we walk hand in hand now / yes, we walk hand in hand“
Endlich stellt das jemand richtig! Denn entgegen der Behauptung eines der dämlichsten Songs der Geschichte baut der Rock`n`Roll garantiert keine Städte, sondern, richtig verstanden, eine verdammt imposant bestückte, labyrinth-artige Bar, in der Exzess Währung und Leitstern ist, noch richtiger verstanden, Revolutionen für drei Minuten oder für diese eine ewige, magische Nacht. Falsch verstanden errichtet er beschissene Stadien, in denen unschuldige Thrillseeker zu konsumseligen Mitklatschidioten stumpfer Takte im Offbeat verkommen. „we don't need entertainment / we entertain ourselves“
Naked Lunch, die Herren Oliver Welter, Herwig Zamernik und Stefan Deisenberger, hatten ihren share of rock`n`roll. Gelebt, gespürt, geliebt, durchgegangen, durchgebissen, mit den bloßen Händen, auf allen Vieren. An einem noch schöneren Platz angekommen, behängt mit Orden – oder Narben? – die keine staatlichen Würdenträger dieser Welt verleihen können. Naked Lunch kennen ganz genau, wie es zugeht in der „town full of dogs“, wie einer der erstaunlichen neuen Songs heißt. Wie sich die anfühlt, innen. Ihr Bellen ist ihr persönlicher Tinitus: „gimme hope gimme fear / gimme love and despair / gimme loads of your drug/ and a reasonable fuck / your burden and your weight / gimme all that I can take“ Aber sie kennen jetzt eben auch diesen anderen, schöneren Ort. Lernen ihn immer besser kennen, erforschen ihn. Besingen ihn nicht nur einmal auf diesem neuen Album. Nennen wir ihn Glück, nennen wir ihn (nicht nur innerer) Friede. Liebe sowieso. Aber jeweils die Ausgaben davon, die nicht angst- oder haßerfüllt verteidigt werden wollen. Die, die in sich zusammenstürzen, sich ins Nichts atomisieren, wenn man sie mit Sicherheit suggerierenden Paranoiamaschinen zubaut, weil man sie – richtig – als gefährdet und zerbrechlich wahrnimmt. Darum ist dieses Album auch politisch bis zum geht nicht mehr, braucht aber oft nur einen Satz wie diesen aus „colours“, um zu sagen was Sache ist, wo man steht: „I hope I never get to be this man of bitter state you're in“. Klassische Zweierbeziehungen, Kinder sind bestimmt nicht die einzigen Wege aus dem Dilemma der Verhärtung, dem Zuziehen eines persönlichen Schutzschildes gegen das zugegeben wahnsinnige Treiben auf diesem Planeten. Aber wenn sie begehbar sind, weiter führen, einen nicht stehen bleiben lassen – why the fuck not? Naked Lunch wissen ganz genau um das Flüchtige, um das Zerbrechliche im Kern dieser Dinge, und natürlich haben sie auch Schiß, wie wir alle. Aber ihre Strategie bei all dem ist eine andere. Teilen. Aufmachen. Reingehen. Ankommen.

[aus dem Bandinfo]


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last modified: 24.12.2007