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Anmerkungen zum letzten „Ersten“

Liebes CEE IEH,

nachstehend einige Anmerkungen zu dem Text „Ich hasse Musik“ in der Rubrik „Das Erste“ in CEE IEH #139.

Ein sich „Sisyphos“ nennender Autor schildert dort die Schwierigkeiten, die er in seiner bemitleidenswerten Doppelidentität als „ernsthafter Musiker“ und „ernsthafter Verteidiger einer materialistischen Gesellschatskritik“ mit der Musik hat. „Wie sehen die aus?“ wird man sich fragen, das heißt würde man sich fragen, hätte man noch nie vom CEE IEH gehört. So man doch hat, entpuppt sich das Problem als alter Bekannter. Die mit dem Erwachsenwerden einhergehende und durch den antideutschen shift verstärkte Entfremdung von der Sozialisations- und Politisierungsinstanz Musik-Subkultur führt bei fortdauerndem Aufenthalt in der Szene zu Frusterlebnissen, die sich – klassisch – aus der Konfrontation mit der antiamerikanischen, antisemitischen und scheinantikapitalistischen Gedankenwelt ergeben, die (wem erzähle ich das?) in „alternativen“ Kreisen genauso verbreitet sind wie überall sonst auch.

Erlebnisse wollen bewältigt sein und wo der Punker einst zur Gitarre griff, greift unser Verteidiger der materialistischen Gesellschaftskritik zur Feder und verfasst eine Glosse. Denn Musik, so der Tenor, trete zwar häufig in Verbindung mit politischer Agitation auf, als Beispiele fallen dem Autoren – und hier bereits beginnt zu stutzen, wer seinen Blick gelegentlich vom jugendlich-„unbeschwerten“ Wir-und-die Nazis hebt – die Internationale, Quetschman und die „Schulhof-CD“ der Nazis ein, habe aber im Grunde mit dieser nichts zu schaffen, ihr eigne kein „Potenzial“, da der Text, den sich der Autor als einzig möglichen Träger der Subversion vorstellt, zur Musik in einem völlig willkürlichen Verhältnis stehe, da sich also die aus beiden gebildete Zwei-Komponenten-Musik unter den Bedingungen der Warengesellschaft, Stichwort Kulturindustrie, stets zu Gunsten der oberflächlicheren, uneindeutigeren Musik entfalte. Dankbarkeit empfindet der Autor hingegen, wenn eine Band sich mit Aussagen zu „politischen Themen“ zurückhalte und empfiehlt darum: „Punkbands sollten mehr über Alkohol, Sex und Drogen singen, Gitarrenpopbands über Liebe oder Studium und Metalbands über Orks, Elben, Ritter und Zauberer. Oi!“

Ich will hier nicht auf die m. E. geschmacklose und beleidigende Überheblichkeit eingehen, mit der Sisyphos – dies leider gar nicht so vergeblich wie der Name nahelegt, denn er wird unter der Leser/innenschaft des Flug-zeug-blatt, 13.8k CEE IEH sicherlich einige Zustimmung ernten – die musikalischen Aspekte der Arbeiterbewegung und der Autonomen in Bausch und Bogen mit Neonazi-Liedermacher/innen à la Rennicke und Annett (oder wie die Interpretin des Schmankerls „Deutsche Mutter“ sich schreiben mag) in einen Topf wirft, die das Potpourri der bodenlosen „Schulhof CD“ maßgeblich bestimmen. Eine Anmerkung sei dennoch gestattet: Wer sich einmal den Spaß machen und die „Schulhof CD“ anhören möchte: man vergegenwärtige sich, dass TROTZ dieses Machwerkes über 9% der sächsischen Wähler der NPD ihre Stimme gaben. Die „Schulhof CD“ ließe sich so betrachtet sogar als Beweis für die Wirkungslosigkeit politisch agitierender Musik ex negativo deuten.

Auch der durchaus lohnenswerte Gedanke, ob nicht vielleicht auch Texten über Alkohol, Sex, Drogen, Liebe, Studium, Orks, Elben, Ritter und Zauberer immer eine gesellschaftliche, und das heißt nun mal auch politisch affizierte Spezifik zu eigen ist, ist mir hier nur einen kleinen Verweis wert. Schließlich schreibe ich erstens einen Leserbrief und keinen Aufsatz, und zweitens disqualifiziert sich im Grunde selbst, wem es gelingt, „materialistische Gesellschaftskritik“, „ernsthaftes Musikertum“ und den „Ich hab deine Meinung, du hast deine Meinung, aber trinken tun wir doch alle gern mal einen – Oi!“ identitätspolitisch in einem einzigen Text zu verwursten. „Meiner Meinung“ ist Punk/Hardcore ohnehin da am besten, wo das Genre mit den „Live fast, die young“-Lügen klassisch-rebellischer Jugendideologie bricht und ein langes, aber langweiliges Leben in Aussicht stellt: „Life is about as wonderful as a longe queue“ sangen ATV in „Life“ (1979), „Every rebel that I`ve met say they`re going to die and yet, I see them now and they ain`t dead yet, and pushing forty one“ wusste schon Adam Ant in „Crackpot History“ (1982) zu berichten und mag auch für die meisten das Identifikationspotenzial von Zeilen wie „Don`t drink! Don`t smoke! Don`t fuck! At least I can fucking think! – I can`t keep up, out of step with the world!“ (Minor Threat, 1981) ziemlich überschaubar sein, umso einleuchtender klingt es vielleicht, dass dieser hier zur Gänze wiedergegebene Text einen zumindest spannenden Versuch der Rebellion gegen den bürgerlichen Normalzustand darstellt, indem er nämlich nicht „Ich will saufen und die Reichen an die Wand stellen“ schreit, sondern auf der von Sisyphos de facto als „unpolitisch“ qualifizierten Ebene der Reproduktion ansetzt und die Ohnmachtsempfindung seines zum damaligen Zeitpunkt vielleicht 17jährigen Verfassers und seiner peer group angesichts der im Erwachsenenleben drohenden Arbeit/Freizeit-“Doppelbelastung“ artikuliert.

Und noch ein anderes Problem des Textes lässt sich an diesem Song verdeutlichen: nämlich, dass der Autor einem Irrtum erliegt, wenn er behauptet: „Mit einfachen Worten kann man Musik auch als Aneinanderreihung und Kombinierung von Tönen beschreiben. Sie erschließt sich, im Gegensatz zu Büchern, die man zumindest lesen muss, um an den Inhalt zu kommen, unmittelbar. Das heißt schlicht und einfach, dass unser Gehör akustische Reize weiterleitet, ob wir wollen oder nicht und ob wir uns konzentrieren oder nicht.“
Erstens: Musik erschließt sich selbstverständlich nicht unmittelbar, das Hören von Musik geht vielmehr mit einem Lernprozess einher (der in manchen Fällen vielleicht auch ein Verlernprozess ist). Dabei gilt es, je nach Genre in unterschiedlichem Mischungsverhältnis, das musikalische und kulturelle Wissen anzueignen, das den Lustgewinn beim Musikkonsum erst ermöglicht. Es bedarf wohl nicht der besonderen Erwähnung, dass dieser Lernprozess nicht von seinen gesellschaftlichen Grundlagen getrennt betrachtet werden kann. In meinem Fall liest sich das z. B. so: Mit echt-bürgerlichem Hintergrund gesegnet war das Idol meiner Kindheit kein geringerer als der flamboyante Mozart, der, so wusste ich, bereits als fünfjähriger Bub komponierte und seiner Familie zur Ehre gereichte, ohne deshalb die lustigen Seiten des Lebens zu vernachlässigen. Das Foto des ersten erhaltenen, vom jungen Mozart eigenhändig beschriebenen Notenblatts erkenne ich bis heute im Schlaf! Die großelterlichen Videovorführungen der „Zauberflöte“, des „Don Giovanni“ und der „Entführung aus dem Serail“ fand ich zwar trotzdem auf die Dauer etwas langweilig, möglicherweise erfährt gerade letztgenantes Werk aber im Lichte antideutscher Islamkritik bald eine Neubewertung und ich werde dann in der Lage sein mitzureden. Wie dem auch sei, in meiner Biographie wichen Mozart und der zugehörige Geigenunterricht bald einer übermächtigen Konkurrenz, die zunächst auf Namen wie Michael Jackson, Elvis Presley und New Kids on the Block hörte. Diese wurde bald von Guns`n`Roses abgelöst, die mich durch das soeben veröffentlichte Doppelalbum „Use your Illusion“ (1991) in ihren Bann geschlagen hatten. Bald folgten dann die Dead Kennedys und die Buzzcocks. Deren „Breakdown“ öffnete mir circa 1993 schockartig die Augen in Bezug auf den bis dahin geliebten Hardrock und ist, aber das hebe ich mir vielleicht besser für meine Autobiographie auf, als eine Art akustisches Präludium der kommenden familiären, schulischen und in der Folge politischen Verwerfungen zu werten. Bis zum ersten Kontakt mit Minor Threat war es da noch eine Weile hin und als es dann dazu kam, saß ich noch immer ziemlich bedeppert vor`m Stereo: „Das ist ja nur Krach!“ Es brauchte noch einen ganzen Moment und auch die Auseinandersetzung mit einer Subszene, in der vegane Bodybuilder am Auto Dehnübungen machen, bevor sie in den Pit gehen, nachher gleich ins frische „Kill Your Local Drug Dealer“-Shirt wechseln und sich neues Gel in die Haare klatschen, ehe ich mit Bands wie Infest, Reversal of Man, Assück etc. pp. etwas anfangen konnte.
Zweitens: Auch die Einlassungen zur Funktionsweise unseres Gehörs spricht von Unkenntnis. Jede/r, der/die schon mal Ohrgeräusche hatte, oder vielleicht sogar einen Tinitus, wird die Fähigkeit des menschlichen Gehörs zur unmerklichen Herausfilterung bestimmter Frequenzen zu schätzen wissen.

Das Problem ist zunächst, dass es nur schwer möglich ist, halbwegs qualifiziert über die Möglichkeit kritischer Musik zu schreiben, ohne über Musik zu schreiben, denn diese bildet das Material der Analyse. Sie findet sich – als gesellschaftlich Musik gewordenes – überhaupt nicht im Text wieder, ihre Existenz wird nur durch eine verzerrende, simplifizierende Definition vorgegaukelt, der Rest arbeitet sich unter stillschweigender Voraussetzung des Gitarre-Schlagzeug-Bass-Gesang-Schemas der Rockmusik an möglichen Texten ab, und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt des Gesungenen, sondern als literarischem Text. Die damit eingeleitete Begriffsverwirrung setzt sich fort: „Und abgesehen davon, dass der Inhalt in der Musik zwar dem Darbietenden wichtig sein kann, aber dem Zuhörer egal, ist auch jede musikalische Neuerung und Innovation keine Revolution der Kunst oder ein Aufblitzen echter Individualität mehr, sondern an dem Punkt, an dem sie präsentiert wird, faktisch nicht mehr oder weniger als eine Marktlücke. Kunst ist seit mehr als 50 Jahren tot und Musik ist seitdem einfach nur ein Handwerk. So wie Schreinerei.“ Ja war die Internationale als ein Aufblitzen echter Individualität gedacht? Und wäre die „Schulhof CD“ ein Stück Kunst gewesen, hätte man sie vor mehr als 50 Jahren veröffentlicht?
Was das Verhältnis der herbeizitierten Werke und der vom Autor mit dem Zweck, sie daran zerschellen zu lassen, herbeizitierten Ansprüche anbelangt, liegt offensichtlich einiges im Argen. Das dürfte auf den Versuch zurückzuführen sein, popkulturellen Abgründen heutiger Zeit vermittels Adorno, Horkheimer und deren Kulturindustriethese zu Leibe zu rücken. An sich eine gute Idee, wenn jedoch eine historisch differenzierende Anwendung zu Gunsten einer Spiegelung der Kategorien in eine möglicherweise objektiv gravierend veränderte, möglicherweise aber auch nur anders ausschnitthaft wahrgenommene Wirklichkeit zurücktritt, überrascht es wenig, wenn es statt einer überzeugenden Kritik zum kulturpessimistischen Kurzschluss kommt. Ist das Punk-Konzert von heute wirklich ein Erbe dessen, was bei Adorno unter „Kunst“ firmiert, und wenn ja, ist es der einzige oder bloß dasjenige, auf dem sich der Autor herumtreibt? Ist das Feld der Musik mit gesellschaftskritischem Anspruch mit Punk, sozialistischem Liedgut und Rechtsrock wirklich adäquat bezeichnet? Geht die Musik überhaupt ganz im Begriff der Kunst auf, was ist hier mit der Traditionslinie der Populärkultur? Und wenn „die“ Kunst seit über 50 Jahren tot ist, was machen dann eigentlich die Kunstfuzzis den ganzen Tag?

Lieber Autor, liebes CEE IEH, versteht mich bitte nicht falsch: Ich habe auch keine Ahnung. Ich habe aber den Eindruck, dass die aus dem Text sprechende Identifikation des eigenen subkulturell geprägten Tellerrandes irgendwo zwischen halbverdauter Punkjugend und den im übrigen immer langweiliger und liebloser werdenden Trashdiscos, mit dem großen Ganzen Adornos und Horkheimers vielleicht nicht völlig zu Unrecht erfolgt, aber vorschnell und – meine Unterstellung – nicht immer aus „Erkenntnisinteresse“, sondern punktuell mit dem Ziel, sich Sphären zu schaffen, in denen eine Auseinandersetzung mit Andersdenkenden guten Gewissens an den Nagel gehängt werden kann – „Oi“. Die in der „Dialektik der Aufklärung“ beschriebene Beliebigkeit der Kulturprodukte als Waren sollte nicht über den ihnen anhaftenden, spezifischen Unterhaltungs- und möglicherweise Erkenntniswert hinwegtäuschen. Man vergleiche z. B. nur eine Gorilla Biscuits- mit einer Blood for Blood-Platte. Dies umso mehr, als dass ja auch das in dem Artikel ziemlich gut wegkommende Buch keineswegs nur „Inhalt“ darstellt. Es ist zunächst auch Ware. Hinzu kommt, dass es sehr wohl denkbar und in der Praxis auch der Fall ist, dass man sich an der sprachlichen Schönheit z. B. Adornoscher Aphorismen berauscht, ohne deshalb den jeweiligen Gedankengang auch erfasst zu haben oder gar zu teilen: Auch Texte können die gefürchtete zweite Ebene aufweisen. Ein spannender Versuch, sich einem Stück Popmusik kritisch zu nähern, war bspw. Tills Ankündigung zu The Locust in CEE IEH #127.

Anstatt also in die Dichotomien Kritik-Arbeit und Musik-Freizeit zu verfallen, wäre es gut, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass nicht nur Politik oft keinen Spaß macht, sondern auch eine fundierte Musikkritik nicht aus dem Hut gezaubert wird. Die wäre aber meines Erachtens notwendig um z. B. das Potenzial von Punk-Subkultur so rundweg zu negieren, wie es in dem Text der Fall ist. Eine unleugbare Schwierigkeit besteht dabei darin, sich ein kultur- und musiktheoretisches Instrumentarium zu erwerben, das einem vielfältigen gesellschaftlichen Prozess gerecht wird – oder sich zumindest darüber im Klaren ist, dass möglicherweise nicht alles im Koordinatensystem aus Blumfeld, Anti-Flag, Death in June, Techno und 90er-Jahre-Party aufgeht. Aber warum nicht?

Und so lange heißt es, da liegt der Autor schon ganz richtig und hat meine vollste Sympathie, immer meckern und sich beschweren, wenn reaktionärer Mist verzapft wird. Vielleicht hilft`s ja was.

Viele Grüße,

Ron de Vou

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last modified: 28.3.2007