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das Erste, 0.9k

Ich hasse Musik


Die meist nur schwammig als die sog. „Gesellschaft“ bezeichnete Ansammlung von Menschen auf dieser Erde liefert ja bekannterweise von sich selbst mehr Beispiele ihrer Absurdität als Schweden Zusammenbaumöbel in alle Welt. Mir persönlich wurde dies neulich mal wieder mehr als bewusst, als ich in meiner Doppeleigenschaft als ernsthafter Musiker und ernsthafter Werbung Persil, 25.9k Verteidiger einer materialistischen Gesellschaftskritik bemerkte, wie erleichtert ich mittlerweile bin, wenn eine Band mal ausnahmsweise nicht ihre politischen Weltanschauungen auf Bühne oder Tonträger zum Besten gibt. Das ist insofern widersprüchlich, als dass auf den ersten Blick bei politischen Bands doch meine größten Leidenschaften – Kritik und Musik – scheinbar verschmelzen. Zudem wurde ja schon seit Jahrzehnten das Medium der Musik von Links und Rechts als Mittel benutzt, um politische Programme hinauszuposaunen oder eine Bewegung zu schmieden. Als Beispiele sollen hier die Hymne der I. Internationalen, Quetsch-Man oder die NPD Schulhof CD genügen. Dass viele Menschen immer noch glauben, diese Verknüpfung hätte tatsächlich Potenzial, beweist alleine schon die letzte Ankündigung der Band „The Movement“ hier im CEE IEH(1) , denen doch allen Ernstes attestiert wurde, sie würden „linke Inhalte sexy und cool“ vermitteln. Das – und wie wir bald erfahren werden noch viel mehr – gibt mir Anlass, in meiner schon erwähnten Doppeleigenschaft ein paar Dinge klar zu stellen:

1. Musik: Mit einfachen Worten kann man Musik auch als Aneinanderreihung und Kombinierung von Tönen beschreiben. Sie erschließt sich, im Gegensatz zu Büchern, die man zumindest lesen muss, um an den Inhalt zu kommen, unmittelbar. Das heißt schlicht und einfach, dass unser Gehör akustische Reize weiterleitet ob wir wollen oder nicht und ob wir uns konzentrieren oder nicht. Hinzu kommt, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem Musik als reproduzierbare Ware vorliegt. Man erwirbt sie auf Tonträgern, geht auf Konzerte, bei denen man Eintritt verlangt usw. Man muss als Band oder Sängerin ja zudem noch nicht einmal Geld verdienen, um nicht ebenso an den Regeln und Erscheinungsformen kulturindustrieller Vermarktung gemessen zu werden. Nun kann man sich als MusikerIn mächtig ins Zeug legen, um Inhalte ans Publikum zu bringen, Texte mit politischen Botschaften zu schreiben oder was weiß ich, Fakt ist jedoch, dass diese Nachricht für Konsumenten der Musik völlig egal sein kann und das meistens auch ist. Die politische Botschaft wird – weil unmittelbar erlebt – zur schönen Melodie und mit der Message passiert dasselbe wie mit einer Banane, die auf dem Markt keine Bedeutung hat: sie wird zermatscht. Und abgesehen davon, dass der Inhalt in der Musik zwar dem Darbietenden wichtig sein kann, aber dem Zuhörer egal, ist auch jede musikalische Neuerung und Innovation keine Revolution der Kunst oder ein Aufblitzen echter Individualität mehr, sondern an dem Punkt, an dem sie präsentiert wird, faktisch nicht mehr oder weniger als eine Marktlücke. Kunst ist seit mehr als 50 Jahren tot und Musik ist seitdem einfach nur ein Handwerk. So wie Schreinerei.

2. Linke Inhalte: Ob nun links oder rechts oder antideutsch oder was auch immer: Politik ist anstrengend und macht keinen Spaß. So wie Arbeiten gehen. Die Vermittlung von Inhalten bedarf in jeglicher Hinsicht der Aufmerksamkeit und Konzentration: Wenn man ein Flugblatt, ein Buch oder einen Artikel liest oder schreibt; wenn man einen Vortrag verstehen oder selbst einen halten will und auch wenn man eine Demonstration oder ähnliches macht. Wer die Beschäftigung mit dem Elend der Welt; die nervenaufreibende Lektüre und Diskussion der Marxschen Werke oder die inhaltliche Konfrontation mit Andersdenkenden als spaßig oder noch absurder als „sexy und cool“ darstellt, weiß entweder nicht was das ist oder ist zumindest ein wenig masochistisch veranlagt.
3. „Musik mit linken Inhalten“: Wie schon gesagt kann das Engagement verschiedener Bands in politischer Hinsicht ernst gemeint sein und mit viel Herzblut betrieben werden. Das ist ja noch nichts schlechtes – im Gegenteil. Die Ergebnisse der politisch gemeinhin als links geltenden Bands sind jedoch katastrophal. Hier gilt: umso berühmter, desto bedeutungsloser. Wenn auf Konzerten über die Weltrevolution oder die Außenpolitik der USA gesungen oder gebrüllt wird, wenn auf den Merch-Artikeln rote Fahnen und Anarchie-“A“s glänzen, dann ist sich meist ein ganzer Konzertsaal seiner Sache mehr als sicher: „Wir sind voll politisch und so!“ Hätte man die jungen Leute bei Anti-Flag gefragt, ob sie sich als politisch links verstehen, hätte das sicherlich die große Mehrheit euphorisch bejaht. Auch die Straight-Edge-Szene bspw. erhält sich größtenteils über Metalkonzerte und versteht sich doch meist als eindeutig politisch, weil die Zuhörer und Musiker für Tierrechte sind. Doch was tun all diese Menschen? Sie hören Musik. Sie tanzen und betrinken sich ab und zu. Sie können die Hymnen mitsingen und vergewissern sich einer Meinung zu sein. Mehr nicht. Das angeblich politische Engagement der Bands führt also dazu, dass Tausenden Menschen suggeriert wird, sie hätten Ahnung von Politik, sie wären engagiert und im Gegensatz zu allen anderen wahnsinnig besorgt um die Welt. Im Gegensatz zur Selbstbeweihräucherung von Szene und Bands bei Konzerten hat politisches Engagement aber etwas damit zu tun, seine Freizeit dafür zu opfern, dass man in Gruppen Veranstaltungen organisiert, dass man Flugblätter verteilt, Zeitschriften druckt oder um es kurz zu machen: dass man Selbstdisziplin aufbringt und sich anstrengt. Wenn das doch mal eine Band dem Publikum verständlich machen würde wäre sie politisch weitaus ernster zu nehmen als Anti-Flag, Rage Against The Machine und The International Noise Conspiracy zusammen.

So viel zur theoretischen Unmöglichkeit von politischem Engagement auf Konzerten. Hinzu kommt – und hier gibt es natürlich viele Ausnahmen – dass, wer fleißig sein Instrument übt, meist wenig Zeit zum Lesen, Diskutieren und Nachdenken hat. Wenn von politischen Liedern die Rede ist, dann kommen die Bands meist über die Konstruierung von einfachen Gut-Böse-Schemata nicht hinaus. Ein Chorus-Refrain-Chorus-Bridge Text ist ja nun auch kein Buch. Wer sich nun aber die komplexe Welt des globalen Kapitalismus einfach erklärt, erklärt sie meistens auch falsch und schiebt die Schuld am Elend der Welt meist einseitig den (Raten Sie mal!) Reichen, den Banken und ihrem angeblich größten Verteidiger und staatlichen Arm: den USA zu. Vor allem im Hardcore und Metal, in dem natürlich besonders true ist, wer sich besonders hart und radikal gibt, sind es Tausende Bands, die sich eine Revolution mit vielen Toten herbeisehnen, die Metaphern benutzen, in denen das Blut der Reichen die Straßen rein wäscht und die T-Shirts verkaufen, auf denen steht: Keep yourself warm: Burn the rich!“.

So habe ich mich vor kurzem eigentlich darauf gefreut, im Zoro die zumindest auf den Weltmaßstab bezogen unpolitische Countryband „Butch Meyer“ sehen zu dürfen. Blöd nur, dass im Vorprogramm eine Krusten-Band aus Brasilien zu sehen war. Im Nachhinein glücklich darüber, dass ich vom Text der Sängerin nur „Rhhaaarrrrhhgggrmmmchhhhzzz“ verstanden habe, musste ich mich doch sehr empören, dass am Merchstand Shirts zu kaufen waren, auf denen neben einem Nike-Zeichen mit der Unterschrift „Just Do It!“ ein ins World Trade Center fliegendes Flugzeug zu sehen war. Auf meine schon sehr offensive Anfrage hin, ob man denn aus nationalsozialistischem Umfeld komme, weil doch hier klar zum antisemitischen Massenmord aufgerufen wird, wurde ich schon ziemlich empört angeschaut. Am Einlass erkundigend, ob man sich dessen bewusst ist, was hier für T-Shirts verkauft werden, wurde mir zwar für den Hinweis gedankt und die Verkäufer umgehend zur Beseitigung derselben aufgefordert, jedoch hatte sich in dieser Zeit die Sängerin der brasilianischen Kruste bereits wieder das Mikrofon geschnappt. Sie versuchte zu klären(2), dass wir das vielleicht in Deutschland anders sehen, aber sie in Brasilien in Elend leben wegen us-amerikanischen Unterdrückung und sich nicht als Nazis bezeichnen lassen, weil sie sich dagegen auflehnen. Und überhaupt, was sei dann an so einem T-Shirt so schlimm? Ich fragte mich weniger, wie sich in Elend lebende Menschen einen Flug nach Europa leisten können sondern entgegnete schlicht:
„Because it was a mass-murder!“
„That's a question of opinion!“ sagte sie. Das Publikum war begeistert.

Was lehrt uns das?

1.: Im Gegensatz zu anderen Städten kann man sich in Leipzig auch in der sonst nicht so gut auf Amerika zu sprechen seienden Punk-Szene und deren Läden an den Einlass wenden, wenn zum Massenmord an Amerikanern aufgerufen wird. Finde ich super!

Und 2.: Punkbands sollten mehr über Alkohol, Sex und Drogen singen. Gitarrenpopbands über Liebe oder Studium und Metalbands über Orks, Elben, Ritter und Zauberer. Oi!

sisyphos


Anmerkungen

(1) Ausgabe 127

(2) Ich beschränke mich hier auf kurze Wiedergabe in deutscher Übersetzung


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last modified: 28.3.2007