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Wir dokumentieren den folgenden Beitrag „Wir hoffen auf Regen – Anmerkungen zum Vollblut Open Air“ mit freundlicher Genehmigung des Beatpunk Webzines und aus dauerhaft aktuellem Anlass.

Kultur-Report, 1.7k

Wir hoffen auf Regen


In Woodstock/USA, dem Festival, das seit den Seventies in aller Munde zu sein scheint, wurden einst trotz elender Frisuren, Hippie-Esoterik und sträflicher Blumenmode wenigstens bewusstseinserweiternde Erfahrungen gesucht und enthemmter Sexualität auf den Weg geholfen. Auf einem Festival, das am 30.07.2005 in einem schwäbischen Dorf namens Marbach – nicht zu verwechseln mit der Schillerstadt, sondern gemeint ist jene ländliche Ansammlung, die bekannt durch ihr weltberühmtes Gestüt ist – stattfindet, wird neben schlechten Frisuren, friedensbewegten Hippies und oberprolligen Dorfmachos, im Unterschied zum Festival aller Festivals v.a. eines zu sehen sein: bierseliges Fahne Schwenken.

Nun trägt es sich also zu, dass das „Vollblut“-Open Air, wie der Name der ominösen Veranstaltung am 30.07.2005 in Marbach lauten wird, genau die Chause bedienen wird, die das Herz jedes bekennenden Nationalsozialisten höher schlagen lässt. Deutsch und stolz wird Beatpunk, 26.8k seitens der Festival-Verantwortlichen verlautbart, dass nur deutsche/deutschsprachige Bands dort auftreten werden; fast so, als würde es irgendeinen rationalen Grund dafür geben, dass dieses Faktum ein Qualitätssiegel darstellt, also anhand von Nationalität in bessere und schlechtere Musik einzuteilen. Laut Veranstalter sieht man sich als Antwort auf die heißdiskutierte Deutschquote, und da dürfen die üblichen Verdächtigen natürlich nicht fehlen: Yvonne Catterfeld, Sabrina Setlur, Wir Sind Helden (die sich erst kürzlich noch ein paar „street credibility“-Punkte auf einem Antifa-Benefiz unter dem begrüßenswerten Motto „NS-Verherrlichung stoppen!“ in der Hamburger Flora einheimsten), Extrabreit, der friedensbewegt-nationale Barde Heinz-Rudolf Kunze sowie zu schlechter Letzt Mia, die als subversive, revoltierende agents provocateurs im offiziellen Ausschreiben des Festivals angepriesen werden und deren punkige Attitüde im Sinne jener Deutschen, die ihre Nation zum neuen radical chic auserkoren haben, als tendenziell links eingestuft werden.

Auch in Marbach auf der Schwäbischen Alb mimt man also unter anderem eine relaxte Revolte, die aber nicht jene der Jugendrebellion, die zurecht als legitim, da auf sämtliche Autoritäten verzichtend, gelten konnte, sondern eine konformistische ist. Die Heimatduselei lässt – vermischt mit allerhand verschiedenen ideologischen Facetten, die durch dererlei Spektakel angezogen werden – das Aufbegehren zu einer Farce, einer regressiven Tendenz werden, die sich schnell im Kern gegen alles in dieser Logik als undeutsch Halluzinierte wenden kann.
Die Standards, die heute zur Konstituierung der Kultur bereitstehen, sind im Mainstream zuallererst national denn universell, müssen also logischerweise ausgrenzende sein. Das Label „Deutsch“ wird hier in Stellung gebracht und damit schweres Geschütz aufgefahren. In der penetranten, nahezu pathologischen Dummheit der Veranstalter und anderer Deutscher halluziniert man sich eine Bedrohung herbei, deren Ausdruck sich in der Übermacht „anglo-amerikanischer Kulturimperialismen“ zeige, die Kulturlandschaft in Deutschland werde gesichtslos und oberflächlich. Der Schund liegt in der Logik jener Patridioten wohl nicht bei all den Kunzes, Miezis und wie sie alle heißen mögen, die mit ihren ganz und gar gefährlichen, angeblich „nur patriotischen“ Phrasendreschereien dem radikalen Nationalismus nicht nur Vorschub leisten, sondern diesen im Kern schon bereithalten. Im Wahnsystem der neuen deutschen Volksmusiker werden als oberflächlicher Schund die Kulturschaffenden ausgemacht, die den Pop, wie wir ihn heute kennen (glücklicherweise), doch erst nach Deutschland importiert haben. Ohne diese herbeihalluzinierten Kulturfeinde aus der „Neuen Welt“ gäbe es schließlich keinen Punk, keinen Hardcore, keinen Indie und keinen Hip Hop, auf den sich die neuen Volksgenossen so gerne stürzen, um ihrem nationalistischen Konsens das vertuschende Mäntelchen der subkulturellen Erhabenheit umhängen zu können.

Dass Kategorien wie Blut und Boden nun im deutschen Popgeschäft als radical chic gelten und die Deutschland-Fahnen auf den BW-Parkas neben den „Gegen Nazis“-Stickern kein Widerspruch mehr sind, zeigt den Bankrott jeglichen emanzipativen, anti-nationalen Anspruchs, den Pop früher zumindest in Ansätzen einmal im Leitfaden stehen hatte. Diese Basisbanalitäten, die, bei aller Kritik an Popkultur, die stets – so kritisch sie sich auch geben mag – in den herrschenden Apparat miteingebunden ist, wenigstens jenen Standard einforderten, das Individuum vor kollektiv-nationaler Verdummung zu schützen und somit im Kern die Hoffnung auf allseitige Emanzipation vom Zwangskollektiv Nation bereithielt, sollten schleunigst wieder eingefordert werden, um noch schlimmere Entwicklungen zu verhindern. Kultur dient zur Legitimierung der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, der Überbau wird damit zum wichtigen Punkt in der Konstitution dieser. Gerade deswegen scheint der Popnationalismus sich als gefährlich herauszustellen.
Und so darf man getrost befürchten, dass sich an besagtem Wochenende auf dem „Vollblut“-Open Air, dessen Name unter den angesprochenen Voraussetzungen plötzlich auch eine ganz andere Intention haben könnte, ein paar Hundert bis Tausend junge und alte Menschen versammeln werden, deren einigendes Band wahlweise die Auswahl der Bands oder ihre kuschlige deutsche Identität sein wird – was bei diesem Festival wohl keinen Unterschied darstellt.
Die neue deutsche Volksmusik spielt zum großen Konzert am 30.07.2005 auf und setzt damit die Tradition der Heimatlieder, der gräßlichen Oden an die Schönheit Deutschlands und ihren sentimentalen Höhenflügen über dessen Bewohner fort, die vor noch gar nicht allzu langer Zeit mit ähnlichen Argumenten unter nahezu unheimlicher Kraftaufwendung ihr Deutschland fast Juden-, Kommunisten- und Zigeunerfrei gemacht hätten und heute entweder von alledem nichts mehr wissen wollen, den Zivilisationsbruch leugnen, ihn als positives Event der neuen Deutschwerdung begreifen oder sich als geläutert präsentieren.

Ein ideologisches Festival mit Bezug zur Heimatscholle ist das „Vollblut“-Open Air, ein Konglomerat aus Bierseligkeit, Volksfeststimmung und nationalistischer Geilfinderei, das im Endeffekt zu nichts anderem dient, als eine Einschwörung auf das deutsch-nationale Kollektiv zu vollziehen, und damit Tendenzen hervorbringt, mit denen all die Quotenforderer, gemäßigten Patrioten und geläuterten Deutschen nachher nichts zu tun haben wollen, wenn sich, so wird es dann wohl heißen, ein paar „verleitete Geister“ – wie bekennende Nationalsozialisten gerne in Schutz genommen werden – daran machen, ihrem deutsch-nationalen Stolz auf der Straße freien Lauf zu lassen.

Chris


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last modified: 28.3.2007