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Wir dokumentieren eine Rezension aus der Jüdischen vom 10.08.2005 anlässlich des bundesweites Filmstarts von „Paradise Now“ am 29.09.

review corner Film, 1.4k

Der Selbstmordattentäter
als mythischer Held.


Paradise Now, 9.4k
Hany Abu-Assad: Paradise Now, 2005

Hany Abu-Assads Film „Paradise Now“ porträtiert zwei palästinensische Selbstmordattentäter

Am Ende wird die Leinwand weiß. Man sieht keine Trümmer und keine ermordeten Menschen. Der letzte Blick ist der in zwei entschlossene Augen. Immer näher fährt die Kamera an das Gesicht des jungen Palästinensers heran und separiert die um ihn herum sitzenden Menschen, seine Opfer.

Der Mann, dem die Augen gehören, heißt Said. Neunzig Minuten konnten die Zuschauer ihn durch den Film „Paradise Now“ begleiten. Said ist ein Selbstmordattentäter. Seine Opfer sind israelische Juden.
„Paradise Now“ ist nicht einer jener Filme, die in den palästinensischen Gebieten von gut ausgebildeten Filmemachern, Produzenten und Technikern hergestellt werden, um die „Märtyrer“, jene Männer und Frauen, die sich selbst opfern, um möglichst viele Israelis zu ermorden, zu feiern. „Paradise Now“ läuft im Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele „Berlinale“, die seit letztem Donnerstag in Berlin stattfindet.
„Warum sitzen in dem Bus, in dem Said sich in die Luft sprengt fast nur Soldaten?“, wird der Regisseur Hany Abu-Assad während der Pressekonferenz zu „Paradise Now“ gefragt. Abu-Assad antwortet ausweichend. Er habe dem Filmcharakter Said selbst die Entscheidung überlassen wollen.
Da fügt Kais Nashef, der im Film Said spielt, hinzu: „Die Soldaten im Bus erleichtern Said die Entscheidung, sich in die Luft zu sprengen.“ Israelis bleiben in diesem Film unsichtbar. Man sieht sie nur aus der Ferne, als Figuren, nicht als Menschen. Keinen, ob den Zivilisten an der Busstation, den Soldaten im Bus, oder das kleine Mädchen beim Busfahrer, darf man näher kennen lernen, sonst könnten sie das Mitgefühlt der Zuschauer wecken. Abu-Assad wählt in seinem Film konsequent nur die Perspektive des Selbstmordattentäters.
Er habe sich, so begründet er dies, gefragt, warum jemand so etwas tue. Und dabei habe er gemerkt, dass sich niemand die Geschichte der Palästinenser anhöre. Darum sind die Selbstordattentäter in „Paradise Now“ auch Opfer und keine Täter und die Israelis, deren sinnlose Ermordung am Schluss in sakralem Weiß verschwindet, keine Opfer, sondern Täter.
Abu-Assad ist eindeutig in seiner Aussage und verbirgt seine palästinensische Propaganda gleichzeitig hinter der Vieldeutigkeit der Kunst. Er redet in Berlin von der universellen Sprache des Kinos und sein deutscher Drehbuchautor pflichtet ihm bei, es handele sich auch um ein universelles Thema: individuelles Handeln in extremen Situationen. Mit diesem Thema kennen sich die Deutschen bekanntlich aus: „Paradise Now“ als palästinensisches Äquivalent zu „Der Untergang“.
Ashraf Barhoum, der im Film einen Terroristenführer mimt, spricht da eine deutlichere Sprache als sein Regisseur. Ihm gehe es nicht um Kunst, nicht um Licht oder Kameraeinstellungen, sondern um Unrecht. Um das dazustellen, bräuchte es keine Recherche, keine intellektuelle Anstrengung, kein Durchdringen der Situation. Sie seien alle Palästinenser, so die anwesenden Schauspieler einmütig in Berlin, darum wüssten sie, wie man deren Verzweiflung und Leid angesichts der Besatzung richtig darstelle. Und diese Besatzung, das betonte auch Abu-Assad, sei verantwortlich für die Selbstmordattentate.
Jede Figur in dem kleinen Ensemble übernimmt eine spezifische Funktion. Said ist es, der zu Beginn des Films an der Richtigkeit des geplanten Selbstmordattentates zweifelt. Er will zum Märtyrer werden, weil er für sein Leben keine Perspektive sieht und weil er sich schuldig fühlt, da sein Vater als Kollaborateur hingerichtet worden war. Sein Freund Khaled ist überzeugt, dass das Attentat der richtige Weg im Kampf gegen „die Besatzer“ ist.
Als die Freunde beim Grenzübertritt getrennt werden, verändern sich ihre Positionen. Mit Suha tritt eine dritte Position den Haltungen von Said und Khaled gegenüber. Sie lehnt das Selbstmordattentat ab. Doch ihre Opposition ist nur scheinbar. Sie propagiert den Krieg gegen Israel mit anderen Mitteln als „moral war“.
Während Khaled sich daraufhin gegen das Attentat entscheidet, begleiten die Zuschauer Said. In seiner Schlussrede klagt dieser Israel sämtlicher Verbrechen an. Selbst die Verantwortung für die Hinrichtungen so genannter Kollaborateure wird noch Israel in die Schuhe geschoben. Said wird immer mehr zur Identifikationsfigur. Sein letzter Gang ist der eines Helden zum Selbstopfer.
In den Vorbereitungen von Said und Khaled auf ihre Tat zitiert Abu-Assad das Bild „Das letzte Abendmahl“ von Da Vinci. Und so wie diese Einstellungen mit christlicher Ikonografie spielen, wird auch die Mordtat Saids Symbiose aus christlichem Opfertod und islamischen Selbstopfer. Die Religion, das sagt Abu-Assad ganz offen, werde zum „einzigen Ausweg aus der Hölle des Lebens“. Sie gebe den Menschen das, was das moderne, demokratische, kapitalistische System ihnen verweigere.
Abu-Assad, der sich als israelischer Staatsbürger gegen die Bezeichnung israelischer Araber wehrt und sich selbst als Palästinenser fühlt, setzt mit „Paradise Now“ fort, was er mit dem Pseudodokumentarfilm „Ford Transit“ begonnen hat.
Hinter dem Mantel der Kunst, konstruiert er eine Realität, die dem binären Schema entspricht, das Israelis als Täter und Palästinenser als Opfer darstellt. Für sich selbst behauptet er eine Position außerhalb des Geschehens. Er sieht sich als Künstler, der einen Mythos neu schreiben will: den Mythos vom Kämpfer, der in den eigenen Tod geht, um den Feind zu töten. Dadurch adelt er die mörderische Realität dieses „Mythos“ und erhebt ihn vom schäbigen Abschiedsvideo und billigen Märtyrerclip zur europäischen Filmkunst.
Europa dankt es ihm. Finanziert wurde der Film vom Niederländischen Filmfonds und vom französischen Fernsehsender Arte. Auch die deutsche Filmförderung beteiligte sich an diesem Projekt. Aus Nordrhein-Westfalen und vom Medienboard Berlin-Brandenburg kamen ebenfalls Fördergelder. Und auf der Berlinale wurde freudig bekannt gegeben, dass der von Kulturstaatsministerin Christina Weiss und Berlinale-Chef Dieter Kosslick ins Leben gerufene „World Cinema Fund“ den deutschen Verleih von „Paradise Now“ fördern werde. Das deutsche Publikum wird sich in diesem Passionsspiel wiederfinden können.

Tobias Ebrecht


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last modified: 28.3.2007