home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt | [91][<<][>>] |
Neue Heimat Pop? | |||
Zwei Sampler bringen das auf den Punkt wogegen das Conne Island im Jahr 2000, anlässlich des Festivals Neue Beiträge zur Deutschen Popkultur im Werk 2 protestierte.Vor einiger Zeit hörte ich von einem Freund, eine Bekannte hätte ihm er zählt, dass es wohl mal Zeiten gab, als Pop und die ihm zugerechnete Musik noch einem politischen Bekenntnis gleich kam. Sie erzählte, es wäre der Popkultur vorbehalten gewesen, positiv gedachte Differenz über Identitäten zu konstruieren, welche als Fundament oppositionellen und emanzipatorischen Denkens und Handelns begriffen wurden. Neben dem bewussten Hervorheben marginalisierter Identitäten, ich bin stolz, nicht mainstream/schwarz/schwul/lesbisch etc. zu sein, spielte eben auch das Widerspruchsdenken zwischen Kapital und Arbeit(1) eine Rolle, ebenso die Kritik an gesellschaftlichen Konstrukten wie Geschlecht, Staat, Nation usw.Dieses Spiel von Abgrenzung und Aneignung war also im ursprünglichen Sinn eine politische Debatte über Positionen marginalisierter Gruppen und eben auch eine Reflektion über die individuelle Rolle in bestehenden kapitalistischen Produktions-, Distributions- und Konsumtionsverhältnissen, verbunden mit der Suche nach möglichen Auswegen. Letzteres geriet leider immer weiter in den Hintergrund und damit auch der emanzipatorische Charakter identitärer Diversifizierung. Wie weit der emanzipatorische Gehalt der Popkultur in den Hintergrund getreten ist, kann schon seit längerem an den gängigen Gratis-Platten-Kauf-Anregungs-Blättern abgelesen werden. Zufällig fiel mir schon vor einigen Monaten eines dieser Machwerke in die Hände und ich stieß beim Durchblättern auf eine Anzeige für einen Sampler, dessen subversive Message entweder gut versteckt in Hintergrund lauerte, oder welcher einfach nur sau-peinlich ist. Als ich, neugierig geworden, einige Rezensionen nachgelesen hatte, entschied ich mich für letzteres Urteil. Ich versuchte, mir diese Entdeckung in der Folgezeit durch konsequentes Ignorieren als Fehltritt elektronischer Popmusik umzudeuten. Als ich allerdings vor Kurzem aufs Neue die zwei Jugendlichen im H&M-Look mit riesigen Kopfhöreren bereits für den Part 2 des Samplers werben sah, entschloss ich mich, nun doch mein Urteil zu veröffentlichen. Die Rede ist vom neuen Machwerk aus dem Hause Ministry of Sound mit dem Titel Neue Heimat Elektronic Music Made in Germany. Auch wenn ich dem Label von der Insel nichts weiter als die Erweiterung seine Produktpalette unterstellen will, so ist zumindest in den Reaktionen auf die Sampler hierzulande der Name Programm. Es scheint, dass der übergroße Teil der Rezipientinnen und Rezipienten gar schon zu jenen [gehört], denen das Nationale in keinster Weise anstössig oder problematisch erscheint.(2) Während man im Intro zumindest förmlich noch den Namen für ungünstig erachtet, so schreibt beispielsweise groove, dass unabhängig von stilistischen und Attitüde-Unterschieden der beteiligten Künstler und Projekte [...] geschickt eine Klammer um ein Phänomen gesetzt [wurde], das bisher so selten im Zusammenhang wahrgenommen wurde. Das kommt uns doch bekannt vor oder? Gab es da nicht mal so eine Veranstaltung, an deren Rand heftig gegen die Aufnahme des Nationalen als popkulturellen Kontext protestiert wurde? Warum nur? Nun, der Sampler jedenfalls verkauft sich blendend, das dürfte wohl auch an den vertretenen KünstlerInnen liegen, welche ähnlich den Konsumenten und Konsumentinnen sämtliche Kritikfähigkeit verloren zu haben scheinen. Obwohl so an die 40 KünstlerInnen auf beiden Samplern vertreten sind, bin ich persönlich über die Mitarbeit von Tocotronic am meisten enttäuscht. Vorbei ist es mit der bewussten Entscheidung, deutsch zu singen ein politische Zeichen gegen Nation und Staat zu setzen zu wollen, indem dies mehr oder minder deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Heute werden selbst solch elementare Dinge geopfert, um als deutsches Kulturgut zusammengefasst gegen die Importe aus UK und den USA in Stellung gebracht zu werden. Nationales Kulturgut gilt endlich wieder etwas, verspricht es doch ein gewinnträchtiger Markt zu werden. Das allerdings Leute wie Tocotronic dabei mitmachen und es sich für sie nicht verbietet, über die Zuschreibung deutsches Marktenprodukt Zugang zu höheren Verkaufszahlen zu erlangen ist unverständlich. Mit Pop hat das nichts mehr zu tun! Chris Fußnoten (1) lost in idendity Zum Begriff der Differenz in der Popkultur, CEE IEH #77 (2) Konstruktive Kritik als Erfolg Stellungnahme des Conne Island zu den Protestaktionen anlässlich des Festivals Neue Beiträge zu Deutschen Popkultur, CEE IEH #67 |
|