home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[120][<<][>>]


„Das
leben ist
eines der schwersten“


Karate (US)
Diario (Velocity Sounds/Leipzig)

Wer die lästige Angewohnheit hat, sich über den Gang der Dinge dieser Welt den Kopf zu zerbrechen, hat es wahrlich nicht einfach. So kommt es nicht selten vor, dass die als für sich richtig verstandene Logik zur großen oder kleinen gesellschaftlichen Analyse unangenehm auf das eigene Leben abfärbt. Das fängt an beim undankbaren Versuch, die eigene Existenz samt der oft nicht vorhandenen Lebenspläne mit der erdachten und erlesenen Unmöglichkeit eines „schönen“ Daseins zu vereinbaren und endet bei den ebenfalls oftmals zum Scheitern verurteilten sozialen Versuchen, sich und seinen auserwählten Mitstreiterinnen zu einem angenehmen Leben zu verhelfen.

Karate, 16.6k

Wo zum einen also das enttarnte Verhältnis zwischen dem eigen Selbst und der vergesellschafteten Warengesellschaft mit der Sehnsucht nach Ausschlafen mit den dafür benötigten finanziellen Mitteln kollidiert, scheitert zum anderen der Wunsch nach sozialer Geborgenheit in möglichst geistesgegenwärtiger Gesellschaft oftmals an Missverständnissen, Unvermögen und gekränkten Eitelkeiten.

Was hier nach einer Strategie klingen mag, dem eigenen selbstmitleidigen Anflügen vom Unsinn des Lebens durch Projektion auf andere zu entfliehen, dient hier zum einen einer Bestandsaufnahme und ist zum anderen wohl wirklich Strategie. Denn die Art und Weisen des Umgangs mit realistischen Pessimismus sind unterschiedlicher denn je. Der kalten und meist resignativen Analyse folgt zur individuellen Befriedigung hin und wieder die Vertiefung in die Materie der Kritik. Diese Strategie scheint zwar die Sichtweise auf die eigene Lage gewiss nicht schöner zu machen, legt dieser rationalen Sicht jedoch keine unnötigen konstruierten Steine in den Weg zu mehr Erkenntnis, die in Gestalt erdachter Lebenswelten einfach zu oft voreilige Alternativen predigen um ein wohliges Gefühl aufrecht erhalten zu können. Als weitere Strategie sind sie dennoch nicht ganz zu verteufeln und sei nur, um damit das eigenen individuellen Arrangement ein wenig zu vereinfachen.

Und um endlich mal etwas konkreter zu werden, soll es mir hier nun genau darum gehen. Was wird also produziert, konsumiert und gelebt, um sich entsprechend mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Dabei soll es mir jedoch um den Versuch der Beobachtung des ausschliesslich individuellen Prozess gehen, der als erstes das ganz eigene Bedürfnis im Blick zu haben mag.

Mit Vorliebe für intime, introvertierte Kunst und Kultur konnte schon immer erfasst werden, wie Ästhetik als Scharnier und Ventil zwischen und für Befindlichkeit und Glück stets dienlich sein kann. Was jedoch, vor allem von Musik, Kino und Fernsehen ausgehend, eher in so genannten Nischenkulturen und „Underground“- Bewegungen seine Verbreitung fand, wird seit einigen Jahren populärer denn je. Exemplarisch dafür steht der kommerzielle Erfolg von Musik, die nicht mehr überkandidelt und ein besseres Leben vorgaukeln daherkommt, sondern deren Harmonien und Tonabfolgen unzweideutig von persönlicher Abgebrandheiten erzählen.

So werden die Codes und Akkorde einer ganzen Generation von „unabhängiger“ Gitarrenbands immer häufiger erfolgreich reproduziert und gekonnt verbraten. Ähnlich ist es bei dem derzeitigen Output von neuen TV-Serien zu beobachten. So erzählt beispielsweise die letztes Jahr auf Vox gestartete und derzeit mit Sendepause belegte sechsfache Grammygewinnerserie „SIX FEET UNDER“ von nichts anderem als einem wahnsinnigen Alltag zwischen Missverständnis, Liebe, Tod und der ständiger Suche nach einem erträglichen Leben.

Der Inhalt ist leicht erzählt, die Wirkung nur über das Schauen zu vermitteln. Es geht um die Familie eines Bestattungsunternehmen und deren ständigen Auseinandersetzungen jeder und jedem Einzelnen mit sich und deren unmittelbaren Menschen. Was auf den ersten Blick nach affektiver pathetischer Soap Opera klingt, grenzt sich dort jedoch von einem „Marienhof“ ab, wo konsequent ein bis zur Grenze agierendes unmögliches und doch stattfindendes Miteinander inszeniert wird. Gespräche werden derart realistisch geführt und ausgereizt , das einem ständig das Gefühl ereilt hier würden ohne Rücksicht auf Verluste dem gemeinen Serienrezipient seine Probleme bis ins Mark vorgeführt. Es geht also im Maßstab von Fernsehentertainment um nicht viel und doch scheint es irgendwie um alles zu gehen. Selbstreflexion und eine aus Gesellschaft resultierende noch neuere Innerlichkeit ist der Schlüssel und ungewolltes bindendes Moment aller Protagonistinnen der Serie, der sich leicht auf das eigene Ich des Zuschauers übertragen lässt. Und so verließen viele verunsichert den dienstag-abendlichen Fernsehsessel mit der Hoffnung auf eine bessere Woche.

Was also hier in Form von künstlich erschaffenen Welten auf die Realität wirkt, ist somit Kunst die realistischer nicht sein kann, die nichts beschönigt und sich vor tatsächlichen Unannehmlichkeiten und Konflikten nicht retten kann und will, weil es genau das ist was die zu beschreibende gesellschaftlichen Bedingungen ausmachen. Doch was treibt immer mehr dazu, derart reale Welten zu kreieren, die es doch oft im wahren Leben zu bewältigen gibt? Es geht also scheinbar darum, der erfühlten Sinnlosigkeit ihren Sinn zu geben, indem genau dieser Sinnmangel als Moment und zündender Prozess bewusst und unbewusst für Ton, Bild und Wort herhalten kann und muss. Die Resignation wirkt sozusagen als Innovation und Stichwortgeber für ein erneuertes ästhetisches Verständnis deren Ausdruck vom Rezipienten als Spiegelbild des eigenen Scheiterns wahrgenommen wird.

Wahrlich sind dies alles keine neuen Erkenntnisse, dass sich Kunstformen möglichst nah am Ist-Zustand der Welt orientieren. Dies gab es irgendwie schon immer. Jedoch scheint es, und dies meint diese recht neue Entwicklung hin zum Populären, als hätten viele genug von plüschfarbenen Scheinwelten und naiven kunstvollen Fluchtstätten. Und auch wenn diese Sehnsucht nach mehr Innerlichkeit nichts wirklich emanzipatorisches in sich trägt, so ist diesem Trend zugute zuhalten, dass eine Fixierung auf subjektive Befindlichkeiten auf persönlicher Ebene wenig Raum für voreilige Lösungen bietet, die wie viel zu wenige wissen, zu oft in die falsche Richtung laufen.

Diario, 20.3k

Karate aus Bosten haben nur wenig mit all dem am Hut. Sie sind wohl eine der konsequentesten Bands im Bereich von intimer Gitarrenmusik, die schon vor sieben Platten schafften, traurige Menschen aus ihrer Isolation zu befreien und andersherum Abgebrühten das Trauern näher zu bringen. Mehr will zu dieser Band gar nicht gesagt werden. Mit dabei sind noch Diario zurück – wieder zu dritt und basteln gerade an einem neuen Album um höchstwahrscheinlich der als viel zu wichtig verklärten Sinnlosigkeit des Lebens für ein paar Wochen zu entfliehen. Bis dahin.

jeremy


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[120][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007