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Zwang zur Arbeit


      „... lasst uns der Gaben
      Arbeitslos uns freun ...“
Diese Worte des griechischen Dichters Antipatros zitiert Marx (23/431)(1). Diesem zu unterstellen, er wäre ein Apologet der Arbeit, bezieht seine Berechtigung höchstens daraus, dass er den Begriff der Arbeit mehrdeutig verwendet – mal bezeichnet sie menschliche Tätigkeit, mal eine bestimmte historische Form der Tätigkeit, nämlich jene unter den Vorzeichen des Kapitals. Tätigkeit, die Waren herstellt und dadurch eine Funktion des Kapitals ist, hat eine andere Qualität als die Tätigkeit, sein Zimmer aufzuräumen. Sämtliche Tätigkeit, die mit dem Kapital im Bunde ist, hat einen gemeinsamen Zweck: Geld. „Gebrauchswerte werden hier überhaupt nur produziert, weil und sofern sie ... Träger des Tauschwerts sind.“ (23/201) Sicherlich spricht jeder Mensch der Obdachlosenbetreuung mehr Zweck zu als dem Abriss von Wohnungen. Vorm Geld ist eine solche Unterscheidung von vernünftiger und unvernünftiger Zwecksetzung jedoch bedeutungslos, auch wenn in solch einem Fall gebrauchsfähige Wohnungen zerstört, Wohnraum dadurch ‚marktregulierend’ verknappt und Obdachlosen – auch deshalb – nicht geholfen werden kann.
Sowohl aus der Perspektive der Kapitalisten als auch aus der Perspektive der Arbeitenden stellt sich Geld als das oberste Ziel dar. Das ist so verrückt wie verständlich. Verrückt ist am Geld die Tatsache, dass es da ist. Es ist allgemeiner Reichtum – „Reichtum überhaupt“ (Marx) – in besonderer Gestalt. Dass irgendwelche Bücher, Flaschen, Flugzeuge und Veranstaltungen, obwohl sie unterschiedlicher Qualität sind, doch auf einen Nenner gebracht werden, ist jedoch nicht einer von Menschen bewusst vollzogenen, sondern einer nicht bewussten Abstraktion zu „verdanken“, die sich tagtäglich vollzieht. Geld gab es nicht immer, aber schon vor der kapitalistischen Produktionsweise – schon damals selbst einem so schlauen Kopf wie Aristoteles unbegreiflich. Doch mit der kapitalistischen Produktionsweise setzte eine Entwicklung ein, bei der Geld nicht mehr nur die erstaunliche Fähigkeit zukam, das Gemeinsame bestimmter Produkte auszudrücken, sondern auch allgemeines Äquivalent für möglichst alles, was produziert wird, zu sein und als solches nicht mehr nur als Mittel, sondern als permanenter Ausgangspunkt und Endzweck des Tauschs und der Produktion zu fungieren(2). Marx zieht unter anderem die Theorie, die eine Epoche von sich hat, als ein Indiz für diese Entwicklung heran: Während die bürgerlichen Wissenschaftler die Teilung der Arbeit als Mittel betrachten, „die Akkumulation des Kapitals zu beschleunigen“, hielten sich „im strengsten Gegensatz zu dieser Akzentuierung der Quantität und des Tauschwerts ... die Schriftsteller des klassischen Altertums ausschließlich an Qualität und Gebrauchswert.“ (23/386)
Das Geld bildet mit allen Waren eine teils ideelle und teils reelle Einheit. Ideell bleibt die Einheit, wenn die Waren umsonst mit dem Preisschild gelockt haben und schließlich vergammeln. (Der Obdachlose hat auch hier das Nachsehen, wenn er Hunger und kein Geld hat. Die Waren wandern in Müllcontainer, die mitunter gar verschlossen sind.) Ob die Waren in Geld verwandelt werden oder nicht: schon der Preis bekundet ihre Möglichkeit, sich in Geld zu verwandeln. Sowohl die Waren als auch das Geld sind gleichsam Durchgangsstadien des Kapitals, dessen erwünschte Endstation – mehr Geld – wiederum den Ausgangspunkt für neuen An- und Verkauf bildet. Diese Einheit, die hier auf der Ebene der Zirkulation beschrieben ist, macht sich zudem schlagend geltend in der Produktion. Marx beschreibt die „Arbeit“ im folgenden Zitat, entnommen aus den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie, zum einen als Produkt der bürgerlichen Gesellschaft und zum anderen als mehr als nur eine begriffliche Kategorie:
„So entstehn die allgemeinsten Abstraktionen überhaupt nur bei der reichsten konkreten Entwicklung, wo Eines vielen Gemeinsam erscheint, allen gemein. Dann hört es auf nur in besonderer Form gedacht werden zu können. Andererseits ist diese Abstraktion der Arbeit überhaupt nicht nur das geistige Resultat einer konkreten Totalität von Arbeiten. Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andre übergehn und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des Reichtums überhaupt geworden ... Ein solcher Zustand ist am entwickeltsten in der modernsten Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaften ... Hier also wird die Abstraktion der Kategorie ‚Arbeit’, ‚Arbeit überhaupt’, Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr. ... Dies Beispiel der Arbeit zeigt schlagend, wie selbst die abstraktesten Kategorien ... das Produkt historischer Verhältnisse sind und ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse besitzen.“ (G/25)(3)
In der Darstellung des Kapitals erscheint es so, als wären die Bezeichnungen „Arbeit überhaupt“, „Arbeitskraft“, „allgemeine Arbeit“ oder auch die „Arbeitszeit“ grundlegende und gleichsam nicht zu begründende Kategorien, von denen aus sich erst der Wert, dann das Geld und schließlich das Kapital erklären lassen. Doch „wenn im vollendeten bürgerlichen System“, und dieses stellt Marx schließlich im Kapital dar, wenn also im vollendeten bürgerlichen System „jedes ökonomische Verhältnis das andre in der bürgerlich-ökonomischen Form voraussetzt und so jedes Gesetzte zugleich Voraussetzung ist“ (G/189), dann geht es den Kategorien, welche in den Verhältnissen hervorgebracht werden, ebenso: keine ist die erste, aus der sich alle weiteren Kategorien begründen. Vielmehr erklärt sich die Kategorie der „allgemeinen Arbeit“ selbst erst im Laufe der Darstellung, deren voraussetzungsloser Ausgangspunkt sie zu sein scheint. Ein Advokatenkniff ist es daher, wenn Marx den Tauschwert von Waren, der die unterschiedlichsten Gebrauchswerte in ein quantitatives Verhältnis setzt, erst nachdrücklich problematisiert, um schließlich als Lösung „abstrakt menschliche Arbeit“ anzubieten. Während Marx nämlich bezüglich des Tauschs zweier Waren konstatiert, dass das „Gemeinsame ... nicht eine geometrische, physikalische, chemische oder sonstige natürliche Eigenschaft der Ware sein (kann)“ (23/51), sucht er das „Gemeinsame“ der „Arbeit“ nicht, sondern nennt sie ad hoc „abstrakt“, um mit ihr als Voraussetzung des Tausches ebendiesen und von da an das ganze Kapitalverhältnis darstellen zu können. Der Advokatenkniff war ein notwendiger, da an einer Stelle mit der Darstellung begonnen werden musste.(4) Jedoch kann es Lesern des Kapitals, die sich nicht um den Begriff der Totalität scheren, nun so scheinen, als begänne alles mit der „abstrakten Arbeit“ – als wäre diese eine natürliche Größe, beziehungsweise basiere auf einer solchen. Dass Arbeit als allgemeine nicht voraussetzungslos ist, lässt sich anhand der Bezeichnung „gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit“ erahnen. Diese verweist nämlich auf die über den Markt vermittelte kapitalistische Konkurrenz, in der der Durchschnitt hinter dem Rücken der Menschen erst hergestellt werden kann.
Wie im Tausch zum einen die verschiedenen Qualitäten der Waren auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden und zum anderen einen quantitativ bestimmten Preis erhalten, so werden gleichsam die die Waren herstellenden Arbeitskräfte auf einen Nenner gebracht und durch eine bestimmte Summe entlohnt. Wird der Gang der Darstellung bis in den vierten Abschnitt des Kapitals weiter verfolgt, wird deutlicher, dass diese Abstraktion ganz reell den Arbeitsprozess ergreift. Es wird ersichtlich, wie sich die Arbeit ihrer jeweiligen besonderen Form entledigt und zur allgemeinen wird, wie also der jeweilige Arbeiter nicht „von der Arbeit befreit (wird), sondern seine Arbeit vom Inhalt“ (23/446).
Dass die hier wie ein Wunsch erscheinende Befreiung von der Arbeit kein Lapsus, sondern ein Ziel von Marx war, stellt er an anderer Stelle nochmals klar, an der er mittels bestimmter Negation der Tauschwert setzenden Arbeit seine konkrete Utopie schildert
„Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswert. ... Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen, und der unmittelbare materielle Produktionsprozeß erhält selbst die Form der Notdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift. Die freie Entwicklung der Individualitäten, und daher nicht das Reduzieren der notwendigen Arbeitszeit um Surplusarbeit zu setzen, sondern überhaupt die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch die für sie alle frei gewordene Zeit und geschaffnen Mittel entspricht.“ (G/593)
Neben der hier eher beiläufig behandelten Frage, wie nun die Abstraktion der Arbeit vor sich geht, soll hauptsächlich und explizit interessieren, warum die kapitalistische Produktionsweise viel mehr Arbeit schafft, als gesellschaftliche notwendige Tätigkeit zu verrichten wäre, würden die Menschen eine vernünftige Gesellschaft bilden. In dem gebotenen Rahmen eines solchen Textes interessieren fortfolgend die vom Kapital beseelten Arbeitskollektive und die gleichsam lebendigen Produktionsmittel.

Relativer Mehrwert

Dass am Ende eines Warentauschs mehr Geld herauskommt, hat nichts mit irgendeiner physischen Eigenschaft des Geldes, sich selbsttätig zu vermehren, zu tun, sondern mit der Ausbeutung in der Produktion. Diese geht dadurch vonstatten, dass das „personifizierte Kapital, der Kapitalist, ... die Arbeiterklasse nötigt, mehr Arbeit zu verrichten“ (23/328), als für die Reproduktion der Arbeitskraft nötig wäre, und sich diese Mehrarbeit als Mehrwert aneignet. Die Extraktion von Mehrarbeit „hängt ... nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend.“ (23/286) Eine Möglichkeit, den Mehrwert zu erhöhen, ist es, jene Phase des Arbeitstags zu verlängern, in der der Arbeiter schon nicht mehr die „notwendige Arbeitszeit“ (Marx) für sich, also für seine Reproduktion aufbringt, sondern für den Kapitalisten arbeitet, der ihn anstellt. Insofern ist die Verlängerung des Arbeitstags, wie wir sie heute wieder erleben, eine – aus der Perspektive der Kapitalisten – mehr oder weniger notwendige Maßnahme, um Mehrwert zu erwirtschaften und damit in der Konkurrenz erfolgreich zu sein. Weniger clever wäre es vom Kapitalisten, würde er statt dessen mehr Arbeiter einstellen, da diese, bevor sie überhaupt erst mal Mehrarbeit leisten würden, jeweils noch die Phase des Arbeitstags hinter sich bringen müssten, in der sie ihre Reproduktion erarbeiten. Für den Kapitalisten ist es also am besten, so wenig wie möglich Arbeiter anzustellen, die so viel wie möglich arbeiten.(5)
Der Verlängerung des Arbeitstags ist jedoch eine Grenze dort gesetzt, wo die Arbeiter anfangen zu streiken, zu rebellieren oder übermüdet umzufallen, beziehungsweise vom Bürostuhl zu kippen. Die Länge des Arbeitstags ist somit ein Ergebnis eines Kampfes zwischen Arbeitern und Kapitalisten: „Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstages als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar – ein Kampf zwischen ... der Klasse der Kapitalisten ... und der Arbeiterklasse.“ (23/249) Dass dieser Kampf nicht zwangsläufig stattfindet, hat auf barbarische Weise die deutsche Volksgemeinschaft bewiesen, in der innere Konflikte im Einverständnis aller sogenannten Arier nicht existierten. Dass der Kampf andererseits einer sein könnte, der über die kapitalistische Produktionsweise in eine vom Kapital befreite Gesellschaft hinausführt, wurde noch nicht bewiesen. Marx ging mitunter von einer das Kapital regulierenden und nicht umstürzenden Funktion des Klassenkampfes aus:
„Zum ‚Schutz‘ gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein übermächtiges gesellschaftliches Hindernis, das sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklaverei zu verkaufen. An die Stelle des prunkvollen Katalogs der ‚unveräußerlichen Menschenrechte‘ tritt die Magna Charta eines gesetzlich beschränkten Arbeitstags, die ‚endlich klarmacht, wann die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet und wann die ihm selbst gehörige Zeit beginnt‘. Quantum mutatus ab illo!“. (23/320) ‚Welch große Veränderung!’, ruft Marx spitz aus, der an anderer Stelle deutlich konstatiert, dass es letztlich auch im Interesse des Gesamtkapitals liegt, dass nicht zu große „Verschleißkosten in die Reproduktion der Arbeitskraft“ eingehen (23/281).
Es gibt, neben der Verlängerung des Arbeitstags, noch zwei andere Möglichkeit, die Mehrarbeit und damit den Mehrwert zu erhöhen. Beide Möglichkeiten entspringen aus der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit, durch die mehr Arbeit „frei“ wird, die als Mehrarbeit durch den Kapitalisten angeeignet werden kann. Die aus der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit entspringende Verlängerung der Mehrarbeit ergibt sich aus der Effektivierung der Produktion – der Erhöhung der Produktivkraft. Die eine Möglichkeit ist die Erwirtschaftung von Extramehrwert. Dieser wird erzielt, indem ein Kapitalist die mit ihm konkurrierenden Kapitalisten dadurch übervorteilt, dass er durch eine Produktionsinnovation die Ware effektiver herstellt als seine Konkurrenten. Er kann dann die Ware billiger als die anderen und immer noch profitabel verkaufen. Mit Marx’ Worten: „Er wird sie daher über ihrem individuellen, aber unter ihrem gesellschaftlichen Wert verkaufen ... So schlägt er an jedem einzelnen Stück immer noch einen Extramehrwert ... heraus.“ (23/336) Da sich die innovative Produktionsweise jedoch binnen kurzer Zeit verallgemeinern wird, verschwindet jener Extramehrwert relativ schnell wieder. Die zweite Möglichkeit, Mehrwert durch die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit zu erzielen, entspringt aus dem Streben der Einzelkapitalisten, jenen Extramehrwert zu erzielen. Dann ist es möglich, dass die Erhöhung der Produktivkraft die Produktionszweige ergreift, in denen „notwendige Lebensmittel“ hergestellt werden, „also Waren verwohlfeilert“ werden, die „Elemente des Werts der Arbeitskraft bilden.“ (23/338) Mit notwendigen Lebensmitteln sind die gemeint, die „hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten.“ (23/185) Wie der Umfang der „notwendigen Bedürfnisse“ ist auch der entsprechende Umfang der notwendigen Lebensmittel „ein historisches Produkt“ (ebd.). So ist es heute im Gegensatz zu früheren Zeiten notwendig, dass der Arbeiter (in Europa) eine Wohnung besitzt, in der er in einem anderen Zimmer als seine Kinder schläft. Auch Handy und Fernseher gehören heute durchaus in den Umfang normaler Lebensmittel.
Werden also die Produktionszweige durch eine Produktivkrafterhöhung ergriffen, in denen indirekt oder direkt jene Lebensmittel produziert werden, die notwendig sind, um die Arbeitskräfte zu reproduzieren, dann sinkt mit dem Wert dieser Lebensmittel gleichsam jener Anteil der Arbeitszeit, in der die Arbeiter arbeiten, um ihre Arbeitskraft reproduzieren zu können. Der Kapitalist brauch nun nicht den Arbeitstag für den Arbeiter zu verlängern, um die Mehrwertrate zu erhöhen. Marx nennt einen solchen Mehrwert, der durch die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit zustande kommt, relativen Mehrwert. Die Frage ist nun, wie die Steigerung der Produktivkraft, die die Voraussetzung für die Erhöhung des relativen Mehrwertes ist, vor sich geht.

Kooperation

Die Kooperation, deren Entfaltung zugleich eine Steigerung der Produktivkraft (s.o.) mit sich bringt, ist der Begriff für die „Form der Arbeit vieler, die in demselben Produktionsprozeß oder in verschiedenen, aber zusammenhängenden Produktionsprozessen planmäßig neben- und miteinander arbeiten ...“ (23/344). Dadurch, dass die verschiedenen Arbeitsschritte räumlich und zeitlich in ein engeres Verhältnis gesetzt werden, können diverse Produktionsmittel gemeinsam genutzt werden. Das simpelste Beispiel dafür ist eine größere Werkstatt, die an die Stelle vieler kleinerer Werkstätten tritt und nunmehr jene Arbeiter zusammenbringt, die zuvor in den verschiedenen Werkstätten verteilt waren. In diesem Fall sinken sowohl die Gesamtkosten, um jedem Arbeiter die notwendigen Rahmenbedingungen für seine Arbeit zu schaffen und zu unterhalten, als auch jene Kosten, die für den Transport zwischen den verschiedenen Arbeitsschritten entstehen. Die hier mögliche Kostensenkung schlägt sich in einem geringeren Wert der hergestellten Ware nieder, ohne dass dabei der durch sie mögliche Mehrwert geringer wird. Ganz im Gegenteil: Würde diese durch Kooperation bedingte Produktivkraftsteigerung jene Produktionszweige ergreifen, in denen zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendige Lebensmittel hergestellt werden, dann würde der Mehrwert – genauer: der relative Mehrwert – vergrößert werden.
Auch in einem anderen Sinne steigt durch die Kooperation die Produktivität: „Z.B. wenn Maurer eine Reihe von Händen bilden, um Bausteine ... zu befördern“ Dann durchläuft jeder Baustein eine bestimmte Strecke geschwinder als mittels eines „einzelnen Arbeiters, der das Gerüst auf- und abstiege“. (23/346) Die zur Herstellung des Gesamtprodukts nötige Arbeitszeit wird auch hier durch die Kooperation verkürzt.(6)
Mit der Kooperation lädt sich der Kapitalist gleichzeitig eine von ihm selber auszuführende Funktion auf. In der Kooperation wird der Befehl des Kapitalisten notwendig „wie der Befehl des Generals auf dem Schlachtfeld“ (23/350). Der Kapitalist ist nicht mehr nur Aneigner von Mehrarbeit, sondern auch derjenige, der den komplexen Produktionsablauf leiten muss. Er initiiert als Personifikation des Kapitals die Weiterentwicklung der Kooperation und diese kann von nun an seinen Befehl nicht mehr entbehren.
Kooperationen, in denen Tätigkeit effektiver verrichtet wurde, gab es schon vor der Epoche der kapitalistischen Produktionsweise. Vor der kapitalistischen Epoche jedoch entsprach die Kooperation einer hierarchischen Gesellschaftsordnung, die an ihrer Reproduktion ein Interesse hatte. Die Kooperation war dementsprechend keiner ständig auf Weiterentwicklung zielenden Dynamik subsumiert, sondern „selbstgenügenden Gemeinwesen, die sich beständig in derselben Form“ reproduzierten (23/379). In der kapitalistischen Produktionsweise muss die Kooperation ständig revolutioniert werden, weil durch den Trieb des Kapitals bedingt ist, den relativen Mehrwert zu steigern. Gleich jenem ist sie – statt noch traditionelle Produktionsweise zu sein – nun ein unmittelbares Moment der kapitalistischen Produktionsweise, deren „Entwicklung zur Totalität“ gerade darin besteht, „alle Elemente der Gesellschaft sich unterzuordnen, oder die ihm noch fehlenden Organe aus sich heraus zu schaffen“ (G/189). Den Arbeitern geht es ähnlich: „Als Kooperierende, als Glieder eines werktätigen Organismus, sind sie selbst nur eine besondere Existenzweise des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals.“ (23/352f.)
Ist die Kooperation einmal unter das Kapital subsumiert, so sind es auch die ihr zugehörigen Produktionsmittel. Diese nun entwickeln in den Fängen des Kapitals als diesem entsprechende konstante Kapitalien einen sonderbaren Drang, die Arbeiter Tag und Nacht an sich zu binden und zu immer intensiverer Arbeit anzuhalten.

Konstantes Kapital

Produktionsmittel sind konstantes Kapital. Und jenes heißt so, weil es keinen Mehrwert erzeugt; weil es „seine Wertgröße nicht im Produktionsprozeß (verändert)“ (23/223). „Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel“ (ebd.) sind solches konstantes Kapital, während die Arbeitskräfte das Gegenteil von konstantem Kapital sind und von Marx variables Kapital genannt werden, welches „die eigentümliche Beschaffenheit“ besitzt, „Quelle von Wert zu sein“ (23/181).
Wenn konstantes Kapital zwar nicht Quelle von Wert ist, so ist es doch dessen Verkörperung: – schließlich muss der Kapitalist es erwerben, um es zu besitzen. Die Produktionsmittel sind selbst Waren. Sie haben also nicht nur die Fähigkeit, ein Bedürfnis mittels ihrer Funktion zu befriedigen, sondern sind zugleich Träger von abstraktem Reichtum, dessen Substanz abstrakte Arbeit ist. Und weil sie den Kapitalisten etwas kosten, ist dieser sehr daran interessiert, sie nicht vergammeln zu lassen, sondern zu nutzen. Und selbst dann, wenn die Produktionsmittel durch Nutzung verschlissen sind, ist ihre abstrakte Seele – ihre Wertseele – noch quicklebendig. Es findet eine „Seelenwanderung“ (23/221) statt.
Diese Wanderung geht durch die Tätigkeit des variablen Kapitals vor sich und hat in deren Produkt ihr vorläufiges Ziel. Während die Arbeitskräfte arbeiten, setzen sie dem Produkt, das sie herstellen, nicht nur neuen Wert zu, sondern übertragen auf dieses auch den Wert der genutzten Produktionsmittel. „Der Arbeiter erhält also die Werte der vernutzten Produktionsmittel ... (D)ie Arbeit (erweckt) durch ihren bloßen Kontakt die Produktionsmittel von den Toten, begeistet sie zu Faktoren des Arbeitsprozesses und verbindet sich mit ihnen zu Produkten.“ (23/215) Ein Produktionsmittel ist dann, wenn es einmal erworben ist, nicht bloßes Hilfsmittel im Arbeitsprozess, sondern gleichsam Druckmittel zu rascher Arbeit, in der es seinen Wert in ein neues Produkt möglichst schnell überführt, bevor es materiell oder moralisch verschlissen ist. Der „moralische Verschleiß“ tritt dann ein, wenn „beßre Maschinen konkurrierend neben sie treten“ (23/426). Offensichtlich handelte es sich genau um einen solchen Verschleiß, als in den Neunzigern ständig verbesserte Computergenerationen auf den Markt drängten. Zumeist waren Computer für Firmen nicht länger als zwei Jahre rentabel, obwohl sie zum Zeitpunkt ihrer Entsorgung noch voll gebrauchsfähig waren. Vermochten die Firmen in diesen zwei Jahren nicht, die Computer entsprechend ihres Erwerbspreises zu nutzen, d.h. den Wert zu übertragen, dann machten sie ein Minusgeschäft. So aber waren die Firmen in diesen zwei Jahren angespornt, die Computer effizient – im besten Fall Tag und Nacht – einzusetzen, und damit auch jene Arbeitskräfte, die an den Computern tätig waren. „Produktionsmittel ... repräsentieren während der Zeit, wo sie brachliegen, nutzlosen Kapitalvorschuß ... Arbeit während 24 Stunden des Tags anzueignen ist daher der immanente Trieb der kapitalistischen Produktion.“ (23/271)
Es vollzieht sich daher in der kapitalistischen Produktionsweise, die sich wesentlich dadurch „auszeichnet“, dass möglichst Alles in ihr als abstrakter Reichtum figuriert, der sich selbst verwertet, eine folgenschwere Verkehrung des Verhältnisses von toter und lebendiger Arbeit, konstantem und variablem Kapital. Im kapitalistischen Verwertungsprozess verwandeln sich die Produktionsmittel „sofort in Mittel zur Einsaugung fremder Arbeit. Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven Tätigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eignen Lebensprozesses, und der Lebensprozeß des Kapitals besteht nur in seiner Bewegung als selbstverwertender Wert. ... Die bloße Verwandlung des Geldes in gegenständliche Faktoren des Produktionsprozesses, in Produktionsmittel, verwandelt letztre in Rechtstitel und Zwangstitel auf fremde Arbeit und Mehrarbeit.“ (23/329) „Daher das merkwürdige Phänomen in der Geschichte der modernen Industrie, daß die Maschine alle sittlichen und natürlichen Schranken des Arbeitstags über den Haufen wirft. Daher das ökonomische Paradoxon, daß das gewaltigste Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit in das unfehlbarste Mittel umschlägt, alle Lebenszeit des Arbeiters ... in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals zu verwandeln. ‚Wenn‘, träumte Aristoteles, der größte Denker des Altertums, ‚wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus(7) Kunstwerke sich von selbst bewegten oder die Dreifüße des Hephästos(8) aus eigenem Antrieb an die Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen noch für den Herrn der Sklaven“‘ (23/430)

Manufaktur, Fabrik, Maschinerie
      Und eines Tages wird sich die Menschheit für die großen Werke, die sie zu ihrer Erleichterung geschaffen hat, aufgeopfert haben.
      (Karl Kraus)
Sowohl bei der unters Kapital subsumierten Kooperation als auch den Produktionsmitteln wurde deutlich, dass mittels ihrer die Erhöhung des relativen Mehrwerts möglich und damit ihre ständige Weiterentwicklung nötig ist. Die Manufaktur als entwickelte Form der Kooperation erkennt man laut Marx daran, dass die Arbeit so systematisch geteilt und organisiert ist, dass die Menschen zu Organen des Produktionsmechanismus geworden sind. „Einerseits geht sie von der Kombination verschiedenartiger, selbständiger Handwerke aus, die bis zu dem Punkt verunselbständigt und vereinseitigt werden, wo sie nur noch einander ergänzende Teiloperationen im Produktionsprozeß einer und derselben Ware bilden. Andererseits geht sie von der Kooperation gleichartiger Handwerker aus, zersetzt dasselbe individuelle Handwerk in seine verschiedenen besondren Operationen und isoliert und verselbständigt diese bis zu dem Punkt, wo jede derselben zur ausschließlichen Funktion eines besondren Arbeiters wird. ...“ (23/358)
In der Manufaktur entsteht eine systematische Verkettung der Arbeitsschritte, in der einerseits ein jeder Arbeiter seine spezifische beschränkte Tätigkeit aus dem Effeff beherrscht, andererseits die Produktionsmittel der Sondierung der Arbeit entsprechen. Das Ergebnis ist ein komplexer und effektiver Produktionsmechanismus, dessen einzelne Glieder im Interesse des Gesamtprozesses kontinuierlich, gleichförmig und ordentlich funktionieren müssen – wie einzelne Bestandteile einer Maschine. Zeigt ein Arbeiter eine Schwäche – versinkt er beispielsweise in einen Tagtraum und lässt dabei alles stehen und liegen –, dann schwächelt im gleichen Maße die restliche Abfolge von Arbeitsschritten. In dem Maße, wie ein Detailarbeiter seinen Arbeitsschritt perfektioniert, vernachlässigt er andere Fähigkeiten. „(S)o ist zunächst klar, daß ein Arbeiter, der lebenslang eine und dieselbe einfache Operation verrichtet, seinen ganzen Körper in ihr automatisch einseitiges Organ verwandelt.“ (23/359) Die gleichförmige und inhaltslose Arbeit bedeutet zudem weniger Abwechslung und damit weniger Erholung. In solcher Arbeit verlieren die Menschen jeglichen liebevollen Bezug zu ihrem eigenen Körper und zu den Dingen in ihrer Umwelt, die in der kapitalistischen Produktionsweise als zu bearbeitender Stoff, als technisches Hilfsmittel und als Arbeitskollektiv zur Last geworden ist.
Wird in einer Manufaktur die Produktivkraft erhöht, indem beispielsweise ein Arbeitsschritt in zwei speziellere Arbeitsschritte geteilt und somit auf zwei Arbeitskräfte aufgeteilt wird, dann drängt sich diese Effektivierung mittels Markt den Konkurrenten auf. Jede Produktivkrafterhöhung in einer einzelnen Manufaktur wird wenig später alle Manufakturen, die nicht im Wettkampf unterlegen waren, ergriffen haben. Intern lohnt die Erhöhung der Produktivkraft eines bestimmten Arbeitsschrittes nur, wenn ihm folgend alle anderen Arbeitsschritte in der Manufaktur schneller ablaufen – beispielsweise würde die schnellere Bewältigung desjenigen Arbeitsschrittes, der zur Herstellung der Zifferblätter von Uhren dient, nichts nützen, würde die Herstellung der Uhrgehäuse hinterherhinken.
Wenn ein besserer Arbeiter oder neue Produktionsmittel einen Arbeitsschritt beschleunigen, müssen die nachfolgenden Arbeitsschritte dementsprechend angepasst werden, ob durch erhöhte Virtuosität der jeweiligen Arbeiter oder der jeweiligen Produktionsmittel.
Diese permanente Revolution der Produktivkraft treibt wegen der ständigen Sondierung der Arbeit zu einer größeren Einsatzmöglichkeit von neuen Produktionsmitteln, deren oft stupide Möglichkeiten den Erfordernissen des Produktionsprozesses mit dessen Weiterentwicklung immer adäquater werden. Die Fabrik, die sich laut Marx von der Manufaktur dadurch unterscheidet, dass in ihr der Arbeitsprozess nicht mehr durch die Teilung der Arbeit, sondern durch den Ablauf der Maschinerie strukturiert wird, ist das „naturwüchsige“ (Marx) Ergebnis der ungeheuren Produktivkraftentwicklung, deren Motor der Trieb des Kapitals bildet, den relativen Mehrwert zu erhöhen. Aus den Werkzeugen, zu denen der Arbeiter in der Manufaktur gegebenenfalls griff, entwickelt sich die Werkzeugmaschine, die in ihrem automatisch fortlaufenden Gang von nun an die Griffe der an ihr Arbeitenden diktiert. „Zunächst verselbständigt sich in der Maschinerie die Bewegung und Werktätigkeit des Arbeitsmittels gegenüber dem Arbeiter. Es wird an und für sich ein industrielles Perpetuum mobile, das ununterbrochen fortproduzieren würde, stieße es nicht auf gewisse Naturschranken in seinen menschlichen Gehilfen: ihre Körperschwäche und ihren Eigenwillen.“ (23/425) Ein industrielles Perpetuum mobile könnte wunderschön sein, würde es dem Menschen nicht noch mehr Not bereiten, als es zu vermeiden in der Lage wäre. Doch in der kapitalistischen Produktionsweise diktieren die falschen Verhältnisse auch die Gebrauchswerte. Maschinen werden nicht so konstruiert, dass ihre Bedienung einem Spiel gleichkäme, sondern so, dass sie der Produktion von Mehrwert dienlich sind. Und dass sind sie eventuell gerade dann, wenn sie stinken, unter eintöniger Kraftanwendung zu bedienen, gesundheitsschädigend oder zu laut sind. Schalldämmung könnte ja schließlich Kosten verursachen, die aus der Maschine ein Verlustgeschäft machen. Es könnte außerdem zutreffen, dass ein Prozessor, der eine Einstellung regeln könnte, mehr kostet, als eine Arbeitskraft, die der lauten Maschine regelnd zur Seite steht. Wie jene Produkte, die wirklich vernünftig der Menschheit dienen, in der kapitalistischen Produktionsweise eher Zufallsprodukte sind, so sind dies auch solche Produkte, die nicht die Lebensgrundlage der Menschheit zerstören. Zudem trägt die Maschinerie als industrielles Perpetuum mobile weniger zur Linderung der Not als zu deren Steigerung bei, weil sie als konstantes Kapital – wie schon geschildert – einen Zwangstitel auf menschliche Arbeit darstellt. Sie dient in der kapitalistischen Produktionsweise nicht zur Erleichterung der Arbeit, sondern „als Mittel, mehr Arbeit in derselben Zeit zu erpressen“ (23/434): „Als Kapital, und als solches besitzt der Automat im Kapitalisten Bewußtsein und Willen, ist es [das Arbeitsmittel, Hannes] daher mit dem Trieb begeistet, die widerstrebende, aber elastische menschliche Naturschranke auf den Minimalstand einzuzwängen.“ (23/425)
Dass trotz der geschilderten Arbeitsbedingungen die Arbeitslosigkeit in der kapitalistischen Produktionsweise mehr Fluch als Segen ist, wird angesichts des Sozialabbaus auch in den kapitalistischen Zentren wieder fühlbar. Dieser Sozialabbau ist im Rahmen kapitalistischer Produktionsweise so logisch, wie es der Sozialstandard in Westeuropa und weiten Teilen des Ostblocks war, solange der Ostblock ein mögliches Vorbild für die Arbeiterschaft des Westens beziehungsweise der Westen ein mögliches Vorbild für die Arbeiterschaft des Ostblocks war.(9) Doch weniger Sozialstandards für Arbeitslose machen auch denjenigen, die arbeiten, das Leben schwer. Auf diese wird erhöhter Lohndruck ausgeübt, wenn es sich Arbeitslose als Arbeitslose nicht mehr gut gehen lassen können, weil die Gelder nur noch dürftig fließen. Auch die Entwicklung der Maschinerie hat Einfluss auf den Lohn der Arbeitskräfte und die Anzahl der Arbeitslosen, sollte nicht gerade Konjunktur herrschen und die Kaufkraft steigen. Dort, wo sich eine Maschine als neue Produktivkraft durchsetzt, setzt sie diejenige Arbeiterschicht, die sie zu verdrängen droht, unter gewaltigen Druck und produziert Elend. Und jene Arbeiter, die schon verdrängt wurden, üben als Arbeitslose auf diejenigen, die noch in Lohn und Brot stehen, postwendend Lohndruck aus.
Obendrein bürdet die kapitalistische Produktionsweise, die die Arbeitsmittel durchwirkt und damit deren menschendienlichen Möglichkeiten negiert, ihren Gegnern „die Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst.“ (23/465) Solche Gegner erkennt man heute daran, dass sie die Natur vergöttern und nicht mehr darauf reflektieren, dass eine Versöhnung von Mensch und Natur nur in der Emanzipation von dieser vergötterten Natur zu haben ist, die schon so manchen als Blitz erschlagen oder als Hunger überwältigt hat. Doch diese Emanzipation ist auch nicht in einem blinden Fortschrittsglauben zu haben. Denn das, was seit einigen Jahrhunderten fortschreitet, ist die kapitalistische Produktionsweise, die Marx als „zweite Natur“ bezeichnet hat, von der sich die Menschen gleichsam zu emanzipieren hätten.
Marx gelangt zu einem vernichtenden Urteil angesichts der Verhältnisse in den Fabriken im 19. Jahrhundert: Manufaktur und Fabrik „verkrüppel(n) den Arbeiter ..., indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig förder(n)“ (23/381). Um die Arbeitskräfte angesichts solcher Bedingungen in Gang zu halten, müssen die Fabrikanten rigide Regeln und Pläne umsetzen. Den Arbeitenden dürfen keine Schlupflöcher gelassen werden, in denen sie sich besinnen, Zeit schinden oder sich ihre Wunden lecken könnten. Arbeitszeit und jede Bewegung müssen mittels eines dem automatischen Ablauf des Produktionsprozesses adäquaten Disziplinarkodex eingebläut werden, dessen wichtigste Mittel unter anderem Uhren sind. In einer frühen Streitschrift gegen Proudhon schrieb Marx die Zustände in der „großen Industrie“ betreffend: „Die Zeit ist alles, der Mensch ist nichts mehr ...“ (4/85). In der Kritik der politischen Ökonomie wird Friedrich Engels zitiert: „Die despotische Glocke ruft (den Arbeiter) vom Bette, ruft ihn vom Frühstück und Mittagstisch.“ (23/447)
Als Kronzeugen der „geistige(n) und körperliche(n) Verkrüppelung“ (23/384) zitiert Marx Adam Smith, der sich „über diesen Punkt durchaus klar“ war: „Ein Mensch, der sein ganzes Leben in der Verrichtung weniger einfacher Operationen verausgabt ... hat keine Gelegenheit, seinen Verstand zu üben ... Er wird im allgemeinen so stupid und unwissend, wie es für eine menschliche Kreatur möglich ist.“ (23/383) Maxim Gorki beschreibt dieses stupide Leben, welches sich über den Arbeitstag hinaus in den Kneipen, zu Hause und in jeder Beziehung fortsetzt, im ersten Teil seines Romans „Die Mutter“ sehr klar, bevor – wie aus dem Nichts – die revolutionäre Vernunft in Gestalt einer kleinen avantgardistischen Gruppe von Arbeitern pathetisch in den Roman und somit in den von diesem behandelten grauen Alltag tritt. Dass es solche Gruppen tatsächlich gab und gibt, lässt angesichts der mehr oder weniger mörderischen Apparate, die von den Arbeiterbewegungen mitgetragen oder initiiert wurden, kaum noch hoffen.
Neben einem Ansporn für die Umwälzung der Verhältnisse ist die alltägliche Verkümmerung der Möglichkeiten der unter den geschilderten Bedingungen arbeitenden menschlichen Kreaturen seit eh und je eine Crux der Revolution, die sich als proletarische vorgestellt wird, und eine der Gefahren für das menschliche Zusammenleben in der bürgerlichen Gesellschaft. Ob romantische Klassenkämpfer, die diese Crux nie wahrhaben wollten und wollen, oder warnende Zweifler, die die Gefahr aufzeigten und aufzeigen, ohne die sozialen Gebrechen zu konstatieren und auf deren Änderung zu drängen – beide Seiten agieren blind: die einen gegenüber gefährlichem Gedankengut innerhalb der Arbeiterklasse, die anderen gegenüber denjenigen Ursachen dieses Gedankenguts, die – nicht zu knapp – in der kapitalistischen Produktionsweise liegen.

Wir schlafen nicht

Übrigens sollte man zum einen nicht glauben, dass es solche Arbeitsprozesse nicht mehr gibt, wie sie Marx beschrieben hat. Wer wissen will, wo sie zu finden sind, studiere die Herkunftsangaben seiner alltäglichen Gebrauchsgüter: „Made in XY“. Zum anderen ist die Verkrüppelung auch in hiesigen Gefilden zu betrachten. In der ersten Welt erfüllen Fachkräfte auf der planenden und wissenschaftlichen Ebene ihre Sonderfunktionen, die die Möglichkeiten der Menschen ähnlich sanktionieren, wie einseitige Arbeiten im Manufakturgetriebe. Die Vorbereitung auf solche höheren Funktionen findet beispielsweise in der Universität statt – diese macht aus Erstsemestlern Fachtrottel, denen neben ihrem Spezialwissen auch noch eine gehörige Portion intellektuellen Selbstbewusstseins eingebildet wird. Einige Schaffende meinen heute auch, dass es doch Arbeitsformen nicht mehr allzu häufig gäbe, in denen man nur ein nichtssagender Arbeiter wäre, der vor dem Chef zu buckeln hat. Heute, meint man also, gibt es nettere Formen der Arbeit: Teamarbeit, eigenverantwortliche Arbeit, die man sich frei einteilen kann, etc. Doch Marx kannte diese Formen der Arbeit schon aus den Fabrikberichten. Dort wurden Teams nach ihrem Erfolg bezahlt. Die Arbeitenden erhielten Stücklohn. Das Ergebnis war schon damals – laut einem Bericht, den Marx zu Wort kommen läßt – positiv; „so arbeiten diese Gesellen, soviel sie können, in ihrem eigenen Interesse, ohne weitere Beaufsichtigung“ (23/579). Marx zitiert auch einen fröhlich-dummen Arbeiter: „Wir arbeiten munterer, wir denken ständig an die Belohnung, abends früher wegzukommen, und ein tatkräftiger und freudiger Geist durchdringt die ganze Fabrik ... und wir können einander viel bei der Arbeit helfen.“ (23/434) Ob dieser Arbeiter, der wohl Modell für die enthusiastischen und unausgeschlafenen Teamarbeiter von heute stand, von seinem Team irgendwann gemobbt wurde, weil er nicht ins Team passte oder weil er dessen leistungsschwächstes Glied war, wissen wir nicht. Marx beschrieb den mit Teamarbeit und Hausarbeit (die heute insbesondere in der Webdesign- und Programmierbranche angesagt ist) einhergehenden Stücklohn als „fruchtbarst(e) Quelle von Lohnabzügen und kapitalistischer Prellerei. ... Nur Arbeitszeit, die sich in einem vorher bestimmten und erfahrungsgemäß festgesetzten Warenquantum verkörpert, gilt als gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit. ... In den größeren Schneiderwerkstätten Londons heißt daher ein gewisses Stück Arbeit ... Stunde, halbe Stunde usw. ... Besitzt der Arbeiter nicht die durchschnittliche Leitungsfähigkeit, kann er daher ein bestimmtes Minimum von Tagwerk nicht liefern, so entläßt man ihn. Da Qualität und Intensität der Arbeit hier durch die Form des Arbeitslohns selbst kontrolliert werden, macht sie großen Teil der Arbeitsaufsicht überflüssig. Sie bildet daher sowohl die Grundlage der ... modernen Hausarbeit als eines hierarchisch gegliederten Systems der Exploitation und Unterdrückung. ... Den Stücklohn gegeben, ist es natürlich das persönliche Interesse des Arbeiters, seine Arbeitskraft möglichst intensiv anzuspannen, was dem Kapitalisten eine Erhöhung des Normalgrads der Intensität erleichtert. Es ist ebenso das persönliche Interesse des Arbeiters, den Arbeitstag zu verlängern, weil damit sein Tages- oder Wochenlohn steigt.“ (23/576ff.) Wir kennen die nach Stücklohn bezahlten Arbeiter auch heute. Es sind die hippen IT- und Designerfritzen, die – mit Wurst- oder bunten Haaren, flippigen Klamotten und coolen Wohnungen, mit Zigarette und Bier, zu Hause oder im feschen Büro – an ihrem Arbeitsplatz sitzen und die Freiheit genießen, ihre Arbeit ganz frei einzuteilen. Dem Leben dieser fröhlichen Arbeiterschicht hat Kathrin Röggla in diesem Jahr einen Roman „gewidmet“, der aus Gesprächsprotokollen montiert ist. Der Name des Romans bringt die neue Arbeitsideologie auf den Punkt: „Wir schlafen nicht“. Auch in diesem Roman treffen sich die so jungen wie dynamischen vermeintlichen Aufsteiger nach getaner und vor der anstehenden Arbeit in Clubs, um dort fröhlich lächelnd auf all die anderen fröhlich lächelnden vermeintlichen Arbeiter zu stoßen und ihr Leben zu zelebrieren. Es ergibt sich dann die eigenartige Konstellation, dass diejenigen, die im Arbeitsleben in „Konkurrenz unter- und gegeneinander“ (23/579) stehen, nun mit von ihrem kargen Arbeitslohn bezahlten angesagten Cocktails anstoßen. Doch sie wollen von dieser Konstellation gar nichts wissen. Schließlich sehen sie sich nicht, wenn sie übermüdet zu Hause oder mit ihren Arbeitskumpels im Büro um die Wette arbeiten. Außerdem sind sie erfüllt von „Individualität und damit Freiheitsgefühl, Selbständigkeit und Selbstkontrolle“ (ebd.). Sie sind erfüllt von ihrer Produktivität und wollen nicht wissen, was Marx wusste: „Produktiver Arbeiter zu sein ist ... kein Glück, sondern ein Pech.“ (23/532)
Obwohl nichts auf sie hinweist, wäre es doch immer noch und längst an der Zeit, dass die Menschheit, die seit Jahrhunderten entgegen ihrer Möglichkeiten dahinvegetiert, Karl Kraus’ warnende Prognose abwenden und mit der uralten Utopie, die in der Überschrift schon teilweise und auch in den Worten Aristoteles‘ zitiert wurde, ernst machen würde – es also wirklich eines Morgens mal heißt:
      Schonet der mahlenden Hand, o Müllerinnen, und schlafet
      Sanft! Es verkündet der Hahn euch den Morgen umsonst!“ (Antipatros)
Hannes

Fußnoten

(1) 23/431 bedeutet: Marx-Engels-Werke Bd. 23/S. 431
(2) „Zum Geldbegriff bei Marx“ befand sich vom Autoren mele eine Abhandlung im CEE IEH #110
(3) G/25 = Grundrisse (Berlin, 1953)/S. 25
(4) „Für den Anfang, den die Philosophie zu machen hat, scheint sie im allgemeinen ebenso mit einer subjektiven Voraussetzung wie die anderen Wissenschaften zu beginnen, nämlich einem besonderen Gegenstand ... Ferner muss der Standpunkt, welcher so als unmittelbar erscheint, innerhalb der Wissenschaft sich zum Resultate ... machen, in welchem sie ihren Anfang wieder erreicht ...“ (Hegel; Enzyklopädie des Geistes; § 17)
(5) Vgl. zu weiteren Aspekten der Verlängerung des Arbeitstages: Marx, 23/571.
(6) Damit keine Missverständnisse entstehen: Der Effekt der Kooperation, auf den der Kapitalist zielt, wird zumeist nicht durch die Einstellung neuer Leute, sondern durch Zusammenschluss erzielt.
(7) Daidalos, der Vater des Ikarus, war ein äußerst begabter Handwerker in der griechischen Mythologie, der eine künstliche Kuh schuf, mit selbstgefertigten Flügeln aus der Haft floh, viele Menschen mit weiteren Erfindungen unterhielt und mittels einer technischen Konstruktion einen König tötete.
(8) Hephaistos, der Schmiedegott in der griechischen Mythologie, schuf mit seinen künstlerischen Fähigkeiten wahre Wunderwerke und besaß in seiner Schmiede 20 Blasebälge, die seinem Befehl gehorchten und ihm viele Arbeiten erleichterten.
(9) Der Vereinfachung halber wird in diesem Zusammenhang von den spezifischen Entwicklungen der Gemeinwesen, die sich u.a. durch verschiedene Vorstellungen sozialer Politik unterscheiden, abstrahiert.



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last modified: 28.3.2007