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Vorsicht Meinung!


Wo war das kritische Bewusstsein der Pop Up, die doch die Messe für Independent-Popkultur sein wollte?

Nachtrag zum Forum „Neue Alte Heimat – Eine Standortbestimmung zwischen Kiezverbundenheit und Neuer Deutscher Identität“

      „Wir lehnen seit Anbeginn aller Zeiten Nationalismus, Deutschtümelei und Heimatverehrung ab, gerade heutzutage, wo wie durch alle möglichen glanzvollen Wunder das neue deutsche Selbstbewusstsein erweckt wird, und weigern uns, uns und unsere Musik unter solche Begriffe subsumieren zu lassen, zumal nahezu alle unsere Stücke in Fachchinesisch geschrieben wurden. Wir danken für ihre Aufmerksamkeit.“
      Statement von Tocotronic zur Erscheinung von „Hi Freaks“ auf dem Sampler „Heimatkult – German Liedgut“
„Bühne frei für Deutschpop“, hieß es auf benanntem Forum. Geladen hatten u.a. die Pop Up, Vertreter der aktuelle Redaktion der Spex und Virginia Jetzt! Eine Diskussion Blinder über das Sehen? Denn welche Positionen die Diskutanten dafür auszeichnete, „Meinungsführerschaften“ (Pop Up-Reader) zu repräsentieren, blieb eben so im Dunkeln wie eine klare Stellungnahme der Pop Up zum Thema. So negierte die Ankündigung zur Veranstaltung schlichtweg den Kern des Mythos Pop. Diesem nach konnten die tausendfachen Facetten von Popkultur doch nur deshalb ein ästhetisches und politisches Eigenleben führe, weil bewusst auf Positionierung, d.h. Abgrenzung und Ablehnung mittels Symbolik und Ausdrucksform gesetzt wurde. Und nun? Nix mehr war’s mit sexy artikuliertem Widerspruch gegenüber bestehenden Identitäten. Von wegen Message und eigenbestimmte Identität gegenüber so reaktionären Kategorien wie Rasse, Geschlecht, Volk und Nation. Sollte dieses Forum wie die Messe tatsächlich Abbild der unabhängigen Popkultur gewesen sein, so ist Pop das Abgrenzende, Progressive gänzlich abhanden gekommen. Pop ist nicht national und kann es auch niemals sein, wurde schon im Jahr 2000 in der Kritik zum damaligen Festival unter dem Titel Beiträge zur neuen deutschen Popkultur (siehe http://www.conne-island.de/nf/105/17.html) formuliert. Da Pop die grenzenlose Popularisierung in sich bürge, die nur durch die jeweils eigene Grenzziehung, nie aber durch die Unterwerfung unter bestehende Konstrukte, halt macht. In diesem Sinne ist Pop immer Ergebnis einer spezifisch ästhetisch und inhaltlich fundierten Eigendynamik, die dann ihren Anspruch auf Definition einbüßt, wenn die Definitionsmacht einer anderen Macht geopfert wird, etwa dem Deutsch-Sein. Dann nämlich ist Pop nicht mehr Pop sondern wahlweise Soundtrack der Berliner Republik oder Standortvorteil für Deutschland; kurz: Teil des nationalen Heimatschutzes. Der Versuch, die hiesige Poplandschaft ins nationale Gewand zu hüllen, begann verklausuliert als nationalökonomische Standortdiskussion. So war es das Ziel, das Marktsegment Deutschpop-Kultur-Gut zu etablieren. Die Forderung nach Deutschquoten, Neue Heimat-Sampler oder Neue Beiträge zur deutschen Popkultur sind dafür unrühmliche Zeugnisse.
Neuen Aufwind und richtig Herzblut jedoch brachte dann unter anderem der KünstlerInnenzusammenschluss R.O.T. in die Debatte – nämlich mit dem Versuch der Kampagne Angefangen, das Attribut ‚deutsch’ ausdrücklich als zu unterstützende moralische Auszeichnung etabliert zu wissen. Stünde deutsch doch stellvertretend für die Tugenden Toleranz, Liebe und Respekt. Scheinbar genau den Nerv der Zeit treffend, schloss R.O.T damit an sich bis dahin als Kulturimperialismusthese verklausulierte anti-angloamerikanische Vorurteile an, die „sich die bedrohliche Übermächtigkeit der Massenkultur aus eben jenen Breitengraden herbeihalluziniert“ und Deutsch-Sein demgegenüber stark macht. Zurecht wurden MIA und R.O.T. breit für deren tumb und naiv zur Schau gestellten Nationalstolz kritisiert. Wie die Ankündigung zum Pop Up-Forum allerdings bewies, haben sie dennoch sämtliche Grenzen im Verhältnis von Pop und Nation eingerissen.
Symptomatisch dafür luden also die falschen Fragen zur Veranstaltung, denn gedanklich folgten sie den „hippen Wohlstands- und Wohlfühlpatrioten“ (Feridun Zaimoglu) auf Schritt und Tritt, anstatt diesem Heimatkitsch klare Grenzen zu zeigen. „Ein hoffentlich ertragreiches Podium“ (Pop Up-Reader) also, auf dem „diverse Gedankenfarben einträglich“ (ebd.) konturiert „und Denkanstöße in die verschiedensten Richtungen“ (ebd.) produziert werden sollten, wünschten sich die VeranstalterInnen. Also noch mehr von diesem verquasten Nationalpopgesülze? Es reicht!
Wohin ein „gesamtdeutsches Nationsdenken“ (Pop Up-Reader) nach der Wiedervereinigung geführt hat? Zu rassistisch motivierten Morden, der Abschaffung des Rechtes auf Asyl, der Abschottung Deutschlands. Mit der rot-grünem Regierungsübernahme ging’s noch viel weiter, über die instrumentalisierte Umdeutung des Holocaust, der Walserrede, den Planungen für ein Zentrum für Vertreibung, hin zur Aufgabe jeglicher Selbstbeschränkung und für die Bundeswehr in den Kosovo und an den Hindukusch. Immer das Ziel vor Augen, endlich eine normale Nation zu werden. Da soll ernsthaft noch darüber debattiert werden ob in Schwarz-Rot-Gold durch die Clubs zu ziehen ist? Warum nicht gleich in den Polizeiuniformen eben jener Eva Gronbach?
Dass auf der Pop Up jedoch ernsthaft darüber diskutiert werden sollte, mal so eben die deutsche Geschichte über Bord zu werfen, indem die „Abkopplung eines der jüngeren deutschen Geschichte geschuldeten Bewusstseins für bestimmte Generationen“ (Pop Up-Reader) für greifbar erklärt wurde, lässt erkennen, welch breite Unterstützung die Grundintension von R.O.T., das deutsche Gewissen endlich zu entlasten, tatsächlich findet. Sollte diese Messe, die ein Abbild für progressive Popkultur sein wollte, tatsächlich der vielbeschworene Schlussstrich gezogen werden? Ganz im Stile der Bundesregierung und der Heimatvertriebenenverbände „[täten] wir uns als Deutsche“ (ebd.) dann nicht mehr so schwer mit unserer Geschichte. Denn eingeordnet und relativiert als gesamteuropäisches Leid, gibt es keine Täter und damit keine „verkrampfte Identität“ (ebd.) mehr. Der schöne Nebeneffekt ist, dass der Zivilisationsbruch zur Reverenz der Bundeswehr wird, um Maßstäbe für Menschlichkeit durchsetzen zu können.
Mit dieser der Anbiederung der Po Up an den nationalen Mainstream des Deutsch-Seins verliert Pop seine letzten progressiven Züge, die ihm zur Ehrenrettung verhelfen hätten können. Und es ist ein deutlicher Beleg für popkulturelle Beliebigkeit und inhaltliche Verflachung, wenn die Pop Up-Crew die monatelang laufende Debatte um die neue deutsche Heimat ignoriert und dann mit dem offensiven Bekenntnis zu Neutralität ein Forum einberuft, das Teil des Problems, nicht aber seiner Lösung war. Denn wenn nicht die klare Stellung gegen Nationspop und Deutschtümelei Grundlage eines Pop Up-Forums ist, macht bitte nur schöne Musik!

Pop is universal!
Gitarren statt Deutschland!

Marvin


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last modified: 28.3.2007