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Über deutschen Antikapitalismus

Die deutsche Industrie in den Zeiten der Krise und der nationalsozialistischen Konjunktur


1. Als Einleitung: Die ersten Faschismustheorien in der Arbeiterbewegung

In der Tradition des Marxismus stehende Faschismustheorien haben den Faschismus zumeist als Ausgeburt einer bestimmten Konstellation ökonomischer Interessen interpretiert, war es doch unter Marxisten Usus, Politik, Staat und Ideologie als Überbau der Ökonomie zu bestimmen, den nicht auch notwendig falsches Bewusstsein und Ideologie, sondern nur Klasseninteressen konstituieren. So war es innerhalb der Kommunistischen Internationale „folgerichtiger“ und repressiv durchgesetzter Standpunkt, die Bourgeoisie als Macht hinter dem Faschismus zu entlarven, währenddessen andere auf die Marxsche Analyse der reaktionären Konterrevolution von 1848 in Frankreich rekurrierten(1) und den Faschismus als Werk von Kräften ansahen, die noch unter dem geschichtlichen Niveau der Bourgeoisie standen und deren Potenz zur politischen Macht aus der Pattsituation im Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie resultierte. Ohne solchen Theorien jeglichen Erkenntnisgewinn absprechen zu wollen, scheiterten sie eben dort, wo sie alle faschistischen ‚Diktaturen’ gleichwertig behandelten und den Tatsachen verschlossen waren, dass auch Arbeiter und Bauern nicht resistent gegen faschistische Ideologien waren. Stimmen der Kritik waren schon damals innerhalb der marxistischen Diskussionen zu hören, hatten jedoch keine entscheidende Bedeutung. Während beispielsweise Alexander Schifrin darauf hinwies, dass der Faschismus kein „mechanischer Reflex irgendeines ökonomischen Tatbestandes“(2) ist und der deutsche Faschismus sich in der Betonung des „Rassenmäßigen“ vom italienischen Faschismus unterscheidet, der sich nationalistisch und etatistisch legitimiert,(3) hat A. Jacobsen davor gewarnt, Bauern und Arbeiter von einer Schuld am Faschismus freizusprechen: „Es muss ausgesprochen werden, was ist. Der Faszismus ist heute keineswegs eine Bewegung, die nur von bürgerlichen Elementen und vom Lumpenproletariat getragen wird, sondern hat ihr Fundament in breiten Bauern- und Kleinbürgermassen, ja auch Arbeitern, deren Ideologie kleinbürgerlich-syndikalistisch ist.“(4)
Hätten die deutschen Kommunisten sich zu Ideologiekritikern im besten Sinne gemausert und völkischer und antiimperialistischer Romantik die Feindschaft erklärt, so hätten sie nicht nur ein kritischeres Verhältnis zu ihrer potentiellen Wählerschaft eingenommen, sondern wären auch nicht mehr sie selbst und Gegner der ureigenen Programmatik gewesen, in der sich die KPD als „geschworene Gegnerin des Versailler Friedens, der das deutsche Volk beraubt und versklavt (...)“(5) feiert. Die KPD halluzinierte sich als proletarischen Weltgeist im absoluten Endstadium des Kapitalismus, in dem die Bourgeoisie ihren letzten Trumpf – den Faschismus – ausspiele, um den unaufhaltsamen – da historisch logischen – Sieg des Proletariats doch noch aufzuhalten. Die Sozialdemokraten wurden von den Kommunisten als Sozialfaschisten bezeichnet, da der sozialdemokratische Reformismus im Endstadium des Kapitalismus diesen objektiv gen Faschismus treibe. So wusste beispielsweise Ernst Thälmann nicht viel, nämlich dass die Bourgeoisie „international mit zwei Flügeln, der Sozialdemokratie und dem Faschismus“(6) arbeiten würde, um sich gegen die Sowjetunion und den bevorstehenden großen Aufstand des Proletariats zu wehren. Der Sozialfaschismusthese und Geschichtstheorie folgend, lehnten die Kommunisten eine Verteidigung der Weimarer Demokratie ab und bekämpften Sozialdemokratie und Faschisten gleichermaßen als Klassenfeind – noch in den Anfangsjahren des nationalsozialistischen Unwesens, als die Sozialdemokratie zur Illegalität verurteilt war. Die Sozialdemokratie ihrerseits hat von Anbeginn der Weimarer Republik den volkstümlichen Fehler begangen, alte Eliten und die modernen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft unter dem wärmenden Deckmäntelchen des nationalen Friedens zusammenzuhalten. Einerseits mündete dies in einer Politik des kleineren Übels am Ende der Weimarer Republik dergestalt, dass beispielsweise 1932 Preußens demokratische Verfasstheit nicht mit Hilfe der parlamentarischen Unterstützung der KPD gegen den Eingriff Papens in die Preußische Regierungsgewalt verteidigt wurde. Andererseits war dieser kollektivistische Etatismus ideologische wie materielle Grundlage des nationalsozialistischen Volksstaates. Schon Friedrich Eberts erstes Pamphlet mahnte zur Staatstreue. Es hatte den Titel: „Mahnung zur Ruhe und Ordnung!“
Deren Nichtreflexion auf den antirationalen(7) Kern des deutschen Faschismus ist den Analysen der 20er und 30er Jahren schwerlich vorzuwerfen. Aus der Retrospektive wissen wir um die industrielle Vernichtung der Juden, Sinti und Roma u.a. und damit um das Unbegreifliche. Das Unbegreifliche zu begreifen und in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen, ist die Pflicht jeglicher Aufklärung nach Auschwitz und birgt zugleich immer die Gefahr, Auschwitz mit den Kategorien der eigenen Vernunft zu rationalisieren. Die Analysen der 20er und 30er Jahre konnten den wahnsinnigen Verlauf des deutschen Faschismus nicht erahnen. Was den Analysten jedoch vorzuwerfen ist, ist ihr romantischer Antikapitalismus und Antiimperialismus, zumal die Programme in zugespitzter Form selbst Bestandteile des deutschen Faschismus waren.
Die Faschismusanalyse Sohn-Rethels,(8) der es allerdings ebenso daran mangelt, die Spezifik und die Antirationalität des deutschen Faschismus zu reflektieren, erfasst und beschreibt sowohl die ökonomische Situation, aufgrund derer der deutsche Faschismus Fuß fassen konnte, als auch die ökonomische Entwicklung, die im deutschen Faschismus einsetzte. Vor ihrem Hintergrund lässt sich über sie hinausgehend erklären, wie sich die deutsche Ideologie, die sowohl Resultat der bürgerlichen Vergesellschaftung als auch einer besonderen deutschen Tradition ist, im deutschen Faschismus der Wirklichkeit bemächtigen konnte. Es sei vorweggenommen, dass sich bestimmte von Sohn-Rethel identifizierte ökonomische Ursachen des deutschen Faschismus in der ideologiekritischen Analyse schließlich selbst schon als Ergebnisse eines deutschen Sonderwegs herausstellen.

2. Die Faschismusanalyse Alfred Sohn-Rethels

2.1. Die Produktionskrise


Innerhalb der Kritischen Theorie gab es einen Streit, ob der Faschismus eine von der bürgerlichen Gesellschaft qualitativ verschiedene und ökonomisch überlegene Gesellschaftsformation sei. Friedrich Pollock und Franz Neumann waren dabei die exponierten Vertreter zweier Flügel. Während Pollock den Faschismus als weiterentwickelte Stufe des Kapitalismus auffasst und somit auch als qualitativ neue Gesellschaftsordnung („Staatskapitalismus“, Pollock), ist der Faschismus für Neumann eine krisenhafte Form des Kapitalismus. Sohn-Rethel stellt sich auf die Seite Franz Neumanns: „Der Faschismus ist (...) bei dem schwächsten Kettenglied des Weltkapitalismus und in ihm wiederum von den schwächsten Teilen der Bourgeoisie herbeigeführt worden“.(9) An anderer Stelle verweist Sohn-Rethel explizit auf Neumann und schildert das Motiv seiner Ausarbeitung: „Das Naziregime im ganzen ist unter dem Namen des Behemoth von Franz Neumann meisterhaft seziert und dargestellt worden. Ich befinde mich in allem Wesentlichen in Übereinstimmung mit ihm und setze seine Ergebnisse hier voraus, insbesondere seine Analyse der bürgerlichen Machtbasis in Gestalt ihrer drei Säulen, des Monopolkapitals, der Armee und der Staatsbürokratie. Was mich hier beschäftigt, ist vor allem die nicht aus dem Arsenal der bürgerlichen Tradition stammende vierte Säule, also die faschistische Partei und der Zusammenhang ihrer Macht mit der Ökonomie. Denn die Klassenstruktur des Nazifaschismus wird verständlich nur im Lichte einer theoretischen Analyse, die die Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland aus der Reaktion des Monopolkapitals auf den Zusammenbruch seiner Funktionsfähigkeit in der weltweiten ökonomischen Krise der dreißiger Jahre begreift.“(10) Die „Funktionskrise“ analysiert Sohn-Rethel als eine der Produktion:
In den zwanziger Jahren wurde die deutsche Industrie durch Auslandkredite in Höhe von rund 25 Milliarden Reichsmark wieder aufgebaut; und zwar dermaßen, dass die Sachlieferungen ans Ausland, die als Reparationen durch den Versailler Vertrag und Dawes-Plan auferlegt waren, gewährleistet werden konnten. Zusätzlich verstärkten diesen Wiederaufbau eine Rationalisierungswelle und eine damit einhergehende Hochkonjunktur, die in erster Linie eine Investitions- und Baukonjunktur war. Insgesamt war der Aufbau eine Fehlinvestition, gemessen an den realen Ertragschancen nach der Ableistung der Reparationen. In dieser Entwicklung verzahnt waren zunehmende Monopolisierung und eine Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals, in der sich der relative Anteil der Kosten von fixem Kapital gegenüber dem Anteil der Kosten von variablen Kapital erhöhte. Erläuternd zitiert Sohn-Rethel Eugen Schmalenbach: „Was dieser große Automat an Arbeitslöhnen erfordert, das ist nichts. Aber was er an Zinsen und Abschreibungen frisst, das ist eine ganze Menge. (...) Ob der Automat arbeitet oder nicht arbeitet, das ist ganz gleichgültig. (...) Ist der (...) wesentliche Teil der Selbstkosten fix, dann bringt eine Verringerung der Produktion die Kosten nicht entsprechend herunter.“(11) Im Falle der Betriebe, in denen die Herstellung der Waren mittels großer Maschinerie und Fließarbeit erfolgte, konnte durch Entlassungen keine adäquate Anpassung an eine rückläufige Nachfrage erfolgen, da insbesondere die Kosten durch fixes Kapital, etwa durch den Erwerb und die Instandhaltung der Maschinen und Produktionshallen zu Buche schlugen. Zudem war eine solche Maschinerie in ihrer Zusammensetzung zumeist weder zu trennen noch zu stoppen. Das verdeutlicht ein Beispiel: In den damals modernsten Stahlwerken wurden die in den Hochöfen entstehenden Gichtgase genutzt, indem sie als Heiz- und Energiequelle für andere Werksabteilungen (Roheisenerzeugung, Stahlguss, Walzstraßen, Drahtzieherei etc.) dienten. Durch diese Verkettung wuchsen die Werksabteilungen zu einem quasi organischen Körper zusammen, der nur als Ganzes funktionierte. Werksabteilungen, in denen Produkte hergestellt wurden, nach denen kein Hahn mehr krähte, mussten auf Gedeih und Verderb des ganzen Getriebes weiterlaufen. Auch war das Tempo der gesamten Produktionsanlage kaum zu variieren, um das Produktionsvolumen zu verringern. Um das Dilemma zu verdeutlichen: Mit einem Knopfdruck lief das Ganze. Im Gegensatz zur Entlassung von Arbeitern, die ihrer Arbeitslosigkeit überantwortet werden konnten, nutzten temporäre Stilllegungen kaum, da die fixen Kosten durch Wartung und Abzahlung der Maschinerie und Werkshallen weiter bestanden. 1932 war der Auftragsbestand für die Stahlindustrie auf zwanzig Prozent der Kapazität herabgesunken – und das bei der geschilderten Situation, in der die modernen Anlagen einem Produktionszwang unterlagen, statt der Nachfrage angepasst werden zu können.
Äußerst rentabel waren die modernen Anlagen dann, wenn die Nachfrage groß war, unrentabel, wenn die Nachfrage gering war. Preise und Kosten verhielten sich in der Monopolwirtschaft zueinander umgekehrt proportional, statt wie in der vormaligen ‚freien’ Konkurrenzwirtschaft parallel zueinander. Statt sich weiterhin den Regularien des Marktes zu unterwerfen, versuchten die Industrien durch Absprachen und Planungen den Markt der Produktion gefügig zu machen, was beispielsweise 1926 zur Gründung des Stahlverein führte. Neben Preisabsprachen konnte die Produktion ihren Wert auch dann realisieren, wenn eine größere Nachfrage, d.h. z.B. die Nachfrage des Staates nach Rüstungsgütern, entstand. Anfang der dreißiger Jahre war die deutsche Industrie in zwei Lager gespalten. Der auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige exportorientierte Teil unterstützte Brüning, der auf dem Weltmarkt chancenlose Teil organisierte sich in der Harzburger Front. Die Hauptstütze des Brüningflügels war der Siemens-Konzern, der wegen seiner im Ausland geschätzten Wertarbeit trotz widriger Umstände und mangelnder Kreditvergabe für deutsche Firmen zahlreiche Aufträge erhielt. Der Siemens-Konzern konnte kein Interesse an Hitler haben, da er stark genug war, den Konkurrenzkampf mit ökonomischen Mitteln zu führen. Vielmehr waren die Nazis dem Siemens-Konzern zuwider, da der Siemens-Konzern ein vitales Interesse an auskömmlichen Verhältnissen mit den Kreditgebern am Finanzmarkt hatte. Denn diese entschieden schließlich, welche Firmen in den von ihnen kreditierten Projekten Aufträge bekamen. Diesem Interesse stand beispielsweise der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund frontal entgegen. Zudem widersprach die antisemitische Politik der Nazis Siemens’ Forschungsabteilung, in der viele jüdische Wissenschaftler arbeiteten. Siemens blieb vorerst als Global Player in der Zirkulationssphäre internationalistisch und in der Produktionssphäre ein Schmelztiegel.
Hingegen besaßen die Teile der deutschen Industrie, die sich in der Harzburger Front organisierten, nicht die Fähigkeit, aus ökonomischer Kraft auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben oder zu werden. Die Harzburger Front setzte zunehmend auf Hitler, hatte sie mit ihm doch jemanden zur Hand, der ihnen Rüstungsaufträge bescheren, die Macht der Gewerkschaften brechen sollte und dessen autoritäre Zielsetzung im Gegensatz zu derer Franz von Papens zugleich durch eine dahinterstehende Massenbewegung abgesichert war.
Im MWT,(12) in dem Sohn-Rethel arbeitete, gaben sich wichtige Vertreter des Brüning-Flügels und der Harzburger Front die Klinke in die Hand. Der MWT war prädestiniert, einen Konsens zwischen beiden Flügeln der Industrie auszuhandeln. Zudem sollte im MWT der „der kapitalistischen Warenproduktion überhaupt eigentümliche Widerspruch zwischen Exportindustrie und Landwirtschaft“(13) konstruktiv überbrückt werden. Für die Verbesserung der Situation der Schwerindustriellen gab es bei anhaltender Verschlechterung der Wirtschaftslage nur die Möglichkeit, neuen Absatz durch die staatliche Nachfrage nach Rüstungsgütern oder durch neue Märkte zu erlangen. Neuer Absatzmarkt tat sich in Süd-Ost-Europa auf, das aber auch andere Unternehmen aus aller Welt anlockte, deren Konkurrenz die deutsche Industrie fürchtete. Die Eroberung dieses Marktes hätte der Exportindustrie geschadet, da diese schließlich auf den Märkten in Lateinamerika und Asien an einem auskömmlichen Verhältnis mit anderen Wirtschaftsmächten interessiert war. Ein weiteres Problem war die Zahlungsfähigkeit der Länder, die kolonialisiert werden sollten – in den Kategorien des späteren nationalsozialistischen Raubzuges wurde zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht, sondern in den Kategorien imperialistischer Politik, die neue Märkte erobern und dominieren will. Es musste also gewährleistet werden, dass die Länder die von den deutschen Firmen gelieferten Waren auch bezahlen konnten. Es bestand die Option, dass die süd-osteuropäischen Länder ihrerseits landwirtschaftliche Produkte nach Deutschland lieferten. Das brachte das Süd-Ost-Europa-Konzept der Schwerindustrie in einen Widerspruch mit der deutschen Landwirtschaft. Das Zauberwort im MWT zur Lösung all dieser Probleme wurde ‚Autarkie’ (mit dem Zusatz, den südosteuropäischen Markt zu erobern): Der große Plan einer kompletten Verlagerung des deutschen Außenhandels nahm Gestalt an. Zumindest wurde durch das Zauberwort ein Kompromiss der Schwerindustrie mit der Landwirtschaft gefunden, der darin bestand, die Binnenpreise und -produktion staatlich zu reglementieren und den Bauern eine Mindestgewinnspanne zu gewähren. Außerdem wurde der Brüningflügel geschwächt, indem der IG Farben in Aussicht gestellt wurde, in den südosteuropäischen Staaten großflächig Ölsaaten anzubauen. Auch die Reichswehr war sehr beeindruckt von den Plänen, schienen sie doch sowohl die Nahrungsmittel-Versorgung im Falle eines Krieges als auch die Versorgung mit Rohstoffen planbarer und sicherer zu machen. Die Beteiligten waren davon angetan, eine berechenbare Ökonomie zu begründen, wenn auch Teile der Schwerindustrie laut Sohn-Rethel insgeheim nicht für das Gemeinwohl handelten, sondern in der Einschätzung, Herren und Profiteure der Entwicklung zu bleiben – das Gegenteil sollte später eintreten. Zur Umsetzung bedurfte es erst mal einer politischen Umwälzung.

2.2. Von Brüning zu Hitler

An dieser Stelle ist es notwendig, die Perspektive, aus der Sohn-Rethel das Geschehen betrachtete, zu verlassen, um die Entwicklungen innerhalb der NSDAP und der politischen Machtverhältnisse nachzuvollziehen. Dadurch wird verständlich, warum Hitler zur letzten Option eines Teils der Industrie wurde.
Die NSDAP konnte die Industrie solange nicht überzeugen, wie Strasser und Wagner in der Partei in ökonomischen Angelegenheiten lautstark mitzureden hatten. Strasser stand für eine Art Wirtschaftsbolschewismus, Wagner für den Mittelstand und eine sozialistische Ökonomie. Beide missbilligten also jene Eigentumsverhältnisse, die der Großindustrie Lebensgrundlage waren. Der Großindustrie wohlgesonnener war Funk, seines Zeichens erster wirtschaftspolitischer Berater Hitlers. Funk plädierte für einen Privatkapitalismus mit planerischem Einschlag und bezog sich besonders auf den ‚Wirtschaftsexperten’ und Nazi Hans Reupke, der sich animieren ließ, ein handliches Standardwerk zu schreiben, das unter Industriellen verteilt und durch Veranstaltungen besprochen wurde. Jenes Werk – „Der Nationalsozialismus und die Wirtschaft“ –, das im weiteren Verlauf dieses Textes noch zu zitieren sein wird, fand in den Kreisen der Schwerindustrie positive Resonanz und knüpfte an die weit verbreitete Einstellung eines „mittleren Weges“ (Hayek) an, die „Verstaatlichung des Wirtschaftslebens nicht durch Enteignung, sondern durch Gesetzgebung“(14) zu vollziehen. Dieses Buch eröffnete Hitler überhaupt erst die Möglichkeit, in engeren Kontakt mit bestimmten Teilen der Industrie zu treten und mehr und mehr von der Harzburger Front unterstützt zu werden. Die Unterstützung durch bestimmte Industrielle untermauerte Hitler durch den sogenannten Keppler-Kreis, eine Arbeitsgruppe, die im Sommer 1932 ins Leben gerufen wurde und aus Vertretern der Schwerindustrie, des Handels, der Banken und dem Nazi und Chemieindustriellen Keppler bestand. Hitler mischte sich nicht weiter ein und versprach, nach seiner Machtübernahme die Gewerkschaften und Arbeiterparteien auszuschalten. Im Gegenzug erhielt er finanzielle Wahlkampfunterstützung. Unterdessen hatte die Harzburger Front im Mai 1932 – das Präsidialregierungssystem war schon länger installiert – die Präsidialregierung unter dem neuen Vorsitz Papens mitunterstützt, um den zu gewerkschaftsfreundlichen Brüning loszuwerden. Kurz darauf erlangte die NSDAP im Juli 1932 einen Wahlsieg. Um Strasser bei seinem Konzept, mit der Zentrums-Partei und den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, in die Parade zu fahren, sprach sich die Harzburger Front für eine Beteiligung der NSDAP unter der Führung Hitlers in der Präsidialregierung aus. Wenig später gab es noch einen Versuch des Reichspräsidenten Hindenburg zu intervenieren, indem dieser Papen fallen und stattdessen Schleicher das Präsidialkabinett leiten ließ. Jedoch: Gegen Schleicher und für Hitler ließen sich mehr und mehr Teile der Industrie mobilisieren, weil einerseits der besagte Kompromiss zwischen Landwirtschaft, Schwerindustrie und einigen Teilen der verarbeitenden Industrie im MWT zustande gebracht war und andererseits mit Schleicher eine gewerkschaftsfreundliche Politik drohte. Zudem hatte die Industrie erkannt, dass eine autoritäre Politik nur dann umzusetzen ist, wenn sie „psychologisch im Volk verankert“ (Papen) sei, was nicht Papen, aber Hitler gewähren konnte. Hindenburg war nun sowohl dem Druck der nationalsozialistischen Bewegung als auch einiger Teile der Industrie ausgesetzt, Hitler die Tür zur Macht zu öffnen. Die nationalsozialistische Machtübernahme begann, während die industriellen und konservativen Kräfte noch glaubten, alles im Griff behalten zu können. Warum und wie die Industriellen letztlich von der Dynamik der nationalsozialistischen Entwicklung geschluckt wurden, ist die entscheidende Frage, um die die Aufzeichnungen Sohn-Rethels kreisen. Die Antwort auf diese Frage findet Sohn-Rethel in der anhaltenden Krise des Kapitalismus. Sohn-Rethel bestimmt diese Krise als absolute Mehrwertproduktion.

2.3. Absolute Mehrwertproduktion

Die Arbeitslosigkeit am Ende der Weimarer Republik war enorm und hatte ihren Grund zum einen in der Weltwirtschaftskrise und zum anderen in dem spezifisch deutschen Extrem, dem Rationalisierungsdilemma besonders stark ausgesetzt zu sein. Dem einzelnen Unternehmen schadet die Entlassung von Arbeitern nicht, aber den deutschen Staat kostete die Versorgung der Arbeitslosen viel. Ein Ausweg war der Übergang von der relativen Mehrwertproduktion zur absoluten Mehrwertproduktion, die Sohn-Rethel dem deutschen Faschismus attestiert. Die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger im deutschen Faschismus hatten natürlich keinen Begriff von der absoluten Mehrwertproduktion und sind in diese durch eine Kette von einzelnen Handlungen hineingetrieben.
Relativer Mehrwert entsteht, indem sich der Kapitalist (Arbeitgeber) denjenigen Mehrwert angeeignet, der daraus resultiert, dass „die notwendige Arbeit verkürzt (wird) durch Methoden, vermittels deren das Äquivalent des Arbeitslohns in weniger Zeit produziert wird“.(15) Solche „Methoden“ meint Rationalisierungen beziehungsweise technologische und organisatorische Innovation. Indem rationalisiert wird, bedarf es weiterhin der gleichen Arbeitszeit, um den Arbeiter zu entlohnen und dennoch mehr Mehrwert zu produzieren, der dem Kapitalisten zukommt –- schließlich ist die Substanz des Wertes lebendige Arbeit und die Wertgröße bestimmt sich in gesamtgesellschaftlicher Relation, nämlich durch die „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ (Marx), die benötigt wird, um einen Gebrauchswert herzustellen.
Der absolute Mehrwert wird geschöpft, indem zum einen der Arbeitstag über den Punkt hinaus verlängert wird, „wo der Arbeiter nur ein Äquivalent für den Wert seiner Arbeitskraft produziert hätte“ und zum anderen durch „die Aneignung dieser Mehrarbeit durch das Kapital.“(16) Wird der absolute Mehrwert erhöht, so verlängert sich also der Arbeitstag des Arbeiters, ohne dass dieser entsprechend mehr Lohn erhält – was meist Unmut bei eben diesem erzeugt. Um die Option einer Erhöhung des absoluten Mehrwertes wählen zu können, bedarf es der Ausschaltung einer Arbeiterschaft, die ihrem Interesse, nicht all zu sehr ausgebeutet zu werden, Nachdruck verleiht. Dies wurde durch die staatgewordene nationalsozialistische Bewegung gewährleistet, genau wie die Reglementierung des Arbeitsmarktes. Durch diese Reglementierung wurde verhindert, dass die Arbeiter ihre Ware Arbeitskraft frei verkaufen konnten, was eine Verteuerung der Ware Arbeitskraft nach sich gezogen hätte. Sohn-Rethel konstatiert diesen repressiven Charakter des nationalsozialistischen Arbeitsstaates,(17) dessen Ausdruck die fulminanten ABM-Maßnahmen waren, und bestimmt diesen Charakter samt der absoluten Mehrwertproduktion als notwendiges Ergebnis der Endkrise des Kapitalismus, in der anders Profit nicht mehr zu erwirtschaften sei.
Nun fällt schnell ins Auge, dass diese absolute Mehrwertproduktion eine Crux mitschleppt. Wenn nun 18 Millionen Menschen den gleichen Lohn erhalten wie vormals 12 Millionen, wie soll dann eine dem größeren Gesamtprodukt entsprechende Nachfrage entstehen? Während die relative Mehrwertproduktion strukturell an den Absatz von den von ihr erzeugten Waren auf dem Mark und damit gleichzeitig an die Verwertung durch konsumtive Kaufkraft gekettet ist, ist die absolute Mehrwertproduktion mit der Erzeugung eines Mehrproduktes verbunden, „dass in seiner Endgestalt zu seiner Verwertung nicht auf dem Markt, d.h. in letzter Instanz auf eine Steigerung der konsumtiven Kaufkraft angewiesen wäre. Das Mehrprodukt muss vielmehr durch seinen Verkauf aus dem Markt herausfallen ...“.(18) In der absoluten Mehrwertproduktion existierte also der Zwang, unabhängig von der Marktlage zu produzieren. Der Volksstaat hatte dafür zu sorgen, dass einerseits die Arbeitskräfte spurten und andererseits, dass die Lebenskosten niedrig gehalten wurden, d.h. die lebensnotwendigen Güter erschwinglich blieben, um die Reproduktion der billig entlohnten Arbeitskräfte zu gewährleisten. Das Mehrprodukt, das aus dem Markt herausfiel, bestand aus Rüstungsgütern. Der Volksstaat seinerseits finanzierte den Ankauf von Rüstungsgütern durch Wechsel, die keinem realen Gegenwert entsprachen. Der Volksstaat steuerte unausweichlich in ein finanzielles Fiasko. Zudem perpetuiert die absolute Mehrwertproduktion ständig sich selbst und findet kein Ende. Indem nämlich der Profit durch die absolute Mehrwertproduktion entsteht, gibt es kein Erfordernis zur Innovation, sondern eine tendenzielle Ausrichtung der Produktionsanlagen auf Rüstungsgüter, die per se nicht zu Markte getragen werden können, da sie nichtkonsumtive Güter sind und ihrerseits eine absolute Mehrwertproduktion bezwecken. Der Volksstaat steuerte so automatisch in den ökonomischen Zwang zum Raub jener Werte, die seine Verluste aufwogen und seinen Fortbestand garantierten. Was also folgte, war die notwendige Expansion über die Grenzen hinweg, jedoch nicht in Gestalt eines Imperialismus, der neue Absatzmärkte und Produktionsstätten erschaffen oder sichern wollte, sondern in der Form eines Raubzuges, der die zwangsläufigen Verluste der absoluten Mehrwertproduktion ausglich.

2.4. Die Nazis als trojanisches Pferd

Die Dynamik der absoluten Mehrwertproduktion machte die Industriellen zu hilflosen Vasallen der nationalsozialistischen Bewegung, die ihrerseits ihre Machtpotenz aus der sich ständig reproduzierenden Krise der Ökonomie bezog. Durch ein wirtschaftspolitisches Beispiel verdeutlicht Sohn-Rethel die Situation. Ursprünglich sollte Hugenberg in Personalunion das Wirtschafts- und Agrarministerium unter Hitler leiten. Hugenberg war Industrieller und ging davon aus, die Kontrollhoheit der Industrie über die Landwirtschaft zu gewährleisten; er war dem Amt aber nicht gewachsen und verließ schon 1934 aus eigenem Willen den Posten, nachdem trotz seiner Führung des Amtes die Agrarier den Industriellen öfter einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten. Der völlig unbekannte Darré wurde sein Nachfolger; wohl, weil er ein Nazi war und zugleich das Vertrauen der Industrie besaß: Er genoss „bei den Industriellen, die ihn kennen gelernt hatten, den Ruf ebenso großer Unkenntnis in landwirtschaftlichen Dingen wie hervorragender Dummheit im Allgemeinen, so dass man von ihm erwarten durfte, dass er sich zum fügsamen Werkzeug der Industrie machen ließe.“(19) So wenig Darré begriff, so sehr stolperte er in die Möglichkeit der Machterweiterung, die sich ihm durch die Krise der Ökonomie bot. Im Sinne des im MWT ausgearbeiteten Planes wurde die Landwirtschaft aus der freien Marktwirtschaft herausgenommen, um die Preise und die Anzahl der Agrarprodukte auf einen Stand zu bringen, der der Lohn- und Arbeitspolitik zuträglich war – mussten doch die niedrigentlohnten Arbeitermassen genügend billige Nahrungsmittel auf dem Markt vorfinden. Um die Landwirtschaft von der freien Markwirtschaft zu entbinden, wurde den Bauern ein fester Gewinn garantiert und die Eigentums- und Arbeitsverhältnisse stabilisiert, indem der freie Kauf und Verkauf des Grundbesitzes und der Arbeitskraft verboten wurde. In Folge dieser Unterbindung freier Konkurrenz kam es jedoch zugleich zu einem Stillstand technischer und arbeitsorganisatorischer Innovation. Diese Unbeweglichkeit ging der Regierung irgendwann zu weit, da der „Reichsnährstand“ bedroht war. Die Regierung musste mit Subventionen helfen. Doch woher das Geld nehmen? Die Bevölkerung konnte nicht weiter abgeschöpft werden. Die Nazis wollten ihre Basis in der Bevölkerung nicht gefährden. Also ging es der Industrie an die Substanz. Deren Anliegen war es ursprünglich, die eigenen Kosten für variables Kapital – das der absoluten Mehrwertproduktion wichtigste Geschäftsgrundlage war – durch ein ausreichendes Angebot billiger Lebensmittel, das die reglementierte Landwirtschaft schaffen sollte, so niedrig wie möglich zu halten. Um ihren Konflikt zu lösen, hatte sich die Industrie mit Hilfe der Nazis allerdings noch tiefer in ihn hineinbegeben. Das Ziel der Industrie, den eigenen finanziellen Haushalt durch die Reglementierung der Landwirtschaft zu entlasen, verkehrte sich nun in das Gegenteil – die Belastung des eigenen Haushaltes zur Subventionierung der Landwirtschaft. Diese Verkehrung resultierte nicht aus der Politik Darrés, sondern aus der Logik der absoluten Mehrwertproduktion. Gelöst wurden die Widersprüche trotz oder wegen der angestrebten Autarkie nicht, sondern unbeabsichtigt gepflegt, indem abwechselnd mal die Landwirtschaft unterstützt wurde, was der Industrie schadete, und mal die Industrie, was der Landwirtschaft wiederum entgegenstand. Jedenfalls verschärfte sich 1935/36 zunehmend die Nahrungsmittelversorgungskrise, die auch deswegen nicht gebremst wurde, weil der Plan zur Angliederung der südosteuropäischen Futtermittelbasis nicht umgesetzt werden konnte.
Ähnliche Beispiele für die so gelenkte wie widerspenstige Ökonomie in Nazi-Deutschland gibt es zuhauf. Alle Planungen, die zu Ruhe, Ordnung und Autarkie führen sollten, versagten. Laut Sohn-Rethel trug die Versorgungskrise zum Zwang eines militärischen Raubzugs bei, um die Pläne zur Nutzbarmachung der südosteuropäischen Agrarressourcen umzusetzen und mit deren Verwirklichung den Fortbestand der Industrie und der nationalsozialistischen Macht zu sichern. Die ursprünglichen Pläne des MWT liefen darauf hinaus, den südosteuropäischen Ländern durch eine landwirtschaftliche Exportsteigerung zu einer größerer Liquidität zu verhelfen, die es der deutschen Industrie ermöglichten würde, nach Südosteuropa zu expandieren und zu exportieren. Während Imperialismus, der sich selbstverständlich auch kriegerischer Mittel bedient, weiterhin den Maßgaben eines auf freier Konkurrenz basierenden Marktes unterliegt, lief der nationalsozialistische Krieg nicht darauf hinaus, neue Märkte zu erobern oder zu erschließen, um neues Kapital zu akkumulieren, sondern auf Raub. Die Nazis stellten „sich somit gegen die Bewegungsform des Kapitals, aber nur, um es zu verbrauchen.... Wie Hannah Arendt zeigt, funktioniert die totale Herrschaft zwar nur so lange, wie der Bewegung immer wieder neue Substanz, die sie verbrauchen kann, zugeführt werden kann – aber das reicht mittlerweile allemal hin, dass in dieser Welt kein Stein mehr auf dem anderen steht.“(20)
Während der ersten Jahre des deutschen Faschismus „hat die Interessenfront sich (...) so umgedreht, dass die früheren Harzburger Autarkisten zu Exportinteressenten und die damaligen Exportinteressenten zu Autarkisten geworden sind.“(21) Nachdem der deutsche Kriegsmaterialbedarf gedeckt war und die Produktionsanlagen der Schwerindustrie auf Hochtour samt billigster Arbeitskräfte liefen, war die deutsche Schwerindustrie zum Export bereit und gezwungen – immer noch unter den Vorzeichen einer absoluten Mehrwertproduktion. „Umgekehrt sind die früher exportorientierten Industrien aufgrund infolge ihrer inzwischen durch die Kriegs- und Autarkiewirtschaft stark veränderten Kostenlage außerstande, den internationalen Konkurrenzkamp wieder aufzunehmen.“(22) An dieser Stelle bricht Sohn-Rethels Analyse ab, weil er seiner Verhaftung beziehungsweise einer drohenden Untersuchung seiner kommunistischen Machenschaften durch die Flucht ins Exil entgehen musste.

2.5. Das Fazit Sohn-Rethels

Die Frage nach der Schuld der Industrie am deutschen Faschismus ist mit Sohn-Rethel abschließend so zu beantworten: „Drahtzieher gab es in der Tat, aber dass diese die Macht gehabt hätten, die Dinge nach ihren Zwecken zu lenken, ist wiederum nicht mehr als eine Legende. (...) Die Entwicklung, die sie [die Kapitalgruppen, H.] inaugurierten, ließ keine Rückkehr zu und konnte in ihrem Zwangscharakter früher oder später durchaus über sie hinweggehen. Das schließt nicht aus, dass die Richtung, in die sie getrieben wurden, zeitweise oder teilweise mit derjenigen zusammenfiel, welche beabsichtigt und geplant war. Das trifft auch für die Wirtschaftspolitik des MWT zu, und zwar in beiderlei Hinsicht. Einerseits bildete sie ein integrales Bestandstück zur Gründung der Diktatur, andererseits geriet sie im weiteren Verlauf selbst unter die Räder der Diktatur.“(23) Jene Drahtzieher, die durch finanzielle und machtpolitische Unterstützungen Hitlers das Fenster zur politischen Macht mit öffneten, waren nicht die Industriellen jener Industrien, die prosperierten, sondern jene, die dem Bankrott entgegensteuerten. Diese Industriellen bezweckten mit der Unterstützung Hitlers eine Entwicklung, die die Gewerkschaften beseitigen und die Großindustrie stärken sollte. Tatsächliches Ergebnis war die Subsumierung der Industrie unter die Nazi-Bewegung, die ihre Macht aus der Paralysierung der Wirtschaft bezog.
Sohn-Rethel stellt zwar die richtige Frage – warum die Industriellen unter die Räder der Nazi-Bewegung gerieten –, bleibt bei der Beantwortung jedoch befangen. Sohn-Rethels Analyseergebnis, dass hinter dem Faschismus nicht die Bourgeoisie steht, sondern eine Dynamik ihr Unwesen treibt, die mächtiger als die Bourgeoisie ist, ging keine ideologiekritische Überlegung voraus. Mit dem Analyseinstrumentarium eines marxistischen Wirtschaftsexperten bezeichnet Sohn-Rethel die nationalsozialistische Situation als zwangsläufiges Ergebnis der ökonomischen Gesetzlichkeit. Hier bricht Sohn-Rethels Krisentheorie durch, die besagt, dass der Kapitalismus sich in seiner zwangsläufigen Endphase befände – die ersten Beispiele seien Italien und Deutschland –, in der es nur zwei Möglichkeiten gibt: Sozialismus oder kapitalistische Barbarei. In den Worten Sohn-Rethels:
„Die Ökonomie der neuen durchgeplanten riesigen Werksanlagen verlangte nach anderen Produktionsverhältnissen als denen des Privatkapitalismus. Hätte der Kapitalismus damals überwunden und beseitigt werden können, so wären diese Produktionsverhältnisse sozialistische geworden. Statt dessen blieben seine metakapitalistischen oder, anders ausgedrückt, sozialistoiden Elemente in die Bedingungen des Kapitalismus eingeschlossen. Die Entwicklungen, die sich daraus in Deutschland ergaben, lassen sich bis ins einzelne verfolgen. (...) Dass sie [die modernen kontinuierlichen Produktionsmethoden, H.] die tragenden materiellen Elemente einer sozialistischen Produktionsweise im Schoße des Kapitalismus heranbilden, haben Marx und Engels vorausgesagt. Daraus kann sich die Geburt des Sozialismus oder aber auch die Missgeburt des Faschismus ergeben.“(24) Der Gebrauchswert des Kapitals besteht also laut Sohn-Rethel darin, dass es zwangsläufig an seine Grenzen stößt und dabei Bedingungen schafft, die nebeneinander Hölle und Paradies als Keime enthalten. Eine kritische Theorie der Gesellschaft hat bei Sohn-Rethel somit dort ihre Grenzen, wo sie ausgehend vom theoretisch diagnostizierten zukünftigen Zusammenbruch des Kapitals die Gegenwart des Kapitals beurteilt.

3. Deutsche Ideologie

3.1. Sohn-Rethels Irrtum – Krisentheorie statt Ideologiekritik


Aus einer krisentheoretischen Perspektive wurde Sohn-Rethel alles gleich oder: alles zog sich ihm auf einen Punkt zusammen. Sohn-Rethel: „Derselbe Prozess wie in Deutschland ist auch hier [in den USA und Großbritannien, H.] im Gange, nur dass er sich, dank der mächtigen Kapitalreserven, langsamer und in gleitenden Etappen vollzieht.“(25) Der Kapitalismus sei auch „in den Demokratien ... auf dem gleichen Weg zur kriegerischen Endkrise.“(26) Eine Endkrisentheorie der Gegenwart formuliert den gleiche Sachverhalt(27) dann so: „Wenn wir die Wahl zwischen Deutschland und Amerika hätten, wählten wir Amerika. (...) Haben wir aber nicht. In der globalen Endkrise des Kapitals ziehen sich alle ideologischen Gegensätze wieder auf einen Punkt zusammen.“(28)
Sohn-Rethels Faschismusanalyse hat sich in dieser Aussage an der Geschichte blamiert.(29) Faschismus hat sich weder in Großbritannien noch in den USA eingestellt. Das bedeutet nicht, dass seine Faschismusanalyse keine Wahrheiten bereit hält. Es kommt aber darauf an, die Faschismusanalyse von Sohn-Rethel dort zu überprüfen, wo sich ihr durch die Krisentheorie die Sicht auf bestimmte Fragen und Fakten versperrt. Die Meinung, der Kapitalismus befände sich in einer finalen Krise, war im Vorfeld und in der Folgezeit der Weltwirtschaftskrise unter deutschen Theoretikern linker und rechter Couleur verbreitet – was angesichts der damaligen Fakten nicht ganz unlogisch erscheint: sechs Millionen Arbeitslose bei 60 Millionen Einwohnern, enorme Senkung der Nachfrage, Aktieneinbrüche etc. Auf der linken Seite war es insbesondere Starnberg, der Abhandlungen zum unausweichlichen Ende des Kapitalismus verfasste. Starnberg stütze sich auf die Konjunkturdaten und zeigte daran auf, dass die Krise zum Normalfall und die Konjunktur zur Ausnahme geworden ist.(30) Auf der rechten Seite wurde nicht mit ökonomischen Realanalysen argumentiert, sondern eher mit idealistischem Vokabular fabuliert. Spann etwa redete von „organischer Krise“. In dieser Stimmungslage wirkte Sohn-Rethel mit und scheiterte mit seinen Vorhersagen an der tatsächlichen Geschichte. Aus dem Fakt, dass es den liberalen Demokratien in Großbritannien, den USA und anderswo gelang, gegenüber faschistischer Regression erstaunlich resistent zu bleiben, ergibt sich daher die Frage nach der Spezifik, die den deutschen Faschismus ermöglichte. Es kann sich auch heute noch um diese Frage gedrückt werden, etwa wie Robert Kurz, der in der Ankündigung zu seinem neuen Buch über „Antideutsche Ideologie“ fordert, den deutschen Faschismus als integralen Bestandteil der Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus zu begreifen.(31) Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, weil die Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft zwar Bedingung für den Faschismus ist, aber keine hinreichende; der deutsche Faschismus also weder umstandslose aus den Kategorien der bürgerlichen Ökonomie ableitbar ist, noch sich ohne sie erfassen lässt. Eine Ahnung davon ergibt sich, wenn man sich den Antisemitismus vergegenwärtigt, der ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft ist und zugleich dem Antijudaismus, d.h. einer vorbürgerlichen Ideologie entspringt. Die bürgerliche Gesellschaft setzt sich nicht in reiner Form durch, sondern tradiert die jeweiligen Gesellschaftsformationen, derer sie Herr wird, ohne davon frei zu sein. Gleiches gilt für eine Krise. Eine Krise hat sowohl objektive(32) als auch subjektive Anteile. So kann eine gesellschaftliche Transformation als Krise reflektiert werden, ohne dass das etwas über den Zusammenbruch der objektiven Vergesellschaftung aussagt. In Deutschland wurden die Jahrzehnte der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als Krise wahrgenommen, was sich dahingehend zuspitzte, dass zum totalen Endkampf getrommelt wurde. Kulturpessimismus und Antisemitismus waren gleichermaßen Formen, in denen die Krise sich ausdrückte. Krise ist immer eine Tatsache, die nicht ohne Subjekt auskommt, da die objektive Vergesellschaftung nicht selbst auf sich reflektieren kann und keinen Maßstab in sich trägt, anhand dessen sich Krise bestimmen ließe.(33) br>
Aus diesem Grund kann sich in der Krise nicht alles auf einen Punkt zusammenziehen, wie es von den Wertkritischen Kommunisten Leipzig angenommen wird. Denn anhand der Maßstäbe, die sich eine Gesellschaft im Feuilleton, in der Philosophie, am Kneipentisch, in den Anforderungen an den Staat und sonst wo setzt, wird Krise festgemacht. Das bedeutet für die verschiedenen besonderen Formen bürgerlicher Vergesellschaftung, dass Krise sich unterschiedlich äußert und nicht in Reinform. Pointiert formuliert: Während in liberalen Gesellschaften die Krise sich darin ausdrückt, dass auf den nächsten Aufschwung gehofft wird, suchen die Deutschen die Rückkehr zum wahren Sein und wettern und schießen gegen das Entfremdende, d.h. das „jüdische Prinzip“.
Es kommt darauf an, jene Traditionen aufzuspüren und zu denunzieren, die den deutschen Faschismus als besondere Form der Krisenbewältigung hervorbrachten. Auf Sohn-Rethels Analyse des Verhaltens der deutschen Industrie gemünzt, müsste an die Stelle der krisentheoretischen Fehlinterpretation – die Option für einen faschistischen Staat sei für die Kapitalistenklasse eine zwangsläufige – eine kritische Theorie treten, die zuerst einmal ähnliche und neue Fragen zu stellen hat: Warum hat die deutsche Industrie, statt die defizitären Elemente dem Untergang preiszugeben, einen gemeinsamen Weg gesucht? Warum hat die deutsche Industrie einen Weg aus der Krise genommen, der keiner ökonomischen Rationalität oblag, sondern das Defizit verewigte? Warum haben sich in Deutschland die schwächsten Teile der Industrie politisch durchgesetzt? Warum hat sich die Industrie von der nationalsozialistischen Bewegung anleiten lassen, bzw. überhaupt ihr Heil im Volksstaat gesucht?

3.2. Die Geschichte der deutschen Staatsräson

Die Antwort liegt im besonderen verstaatlichten Bewusstsein der Deutschen, zu dessen Konstitution nicht nur der Antisemitismus, sondern dazu komplementär auch der Wille zur Gemeinschaft gehörte. In den deutschen Gefilden hat niemals eine Revolution stattgefunden, in der ein Stand den anderen aus eigenem Interesse der Herrschaft beraubte. Der Historiker Ritter bezeichnete das deutsche Volk als das zu „politischen Revolutionen vielleicht am wenigsten befähigte Volk Europas.“(34) Auf den philosophisch durchdachten Begriff bringt der späte Hegel die Einstellung der bürgerlichsten Deutschen zum Staat. Die beiden Momente – Wandel und Kontinuität –, die er der Bewegung der ‚absoluten Vernunft’ zu Grunde legt, werden unterschiedlich stark gemacht. Nachdem der junge Hegel den Fortschritt durch den Eindruck der französischen Revolution begrüßte und als deren Voraussetzung die produktive Macht des Negativen bestimmt,(35), verurteilt er in späteren Werken die „Willkür“ und verteidigt das Bestehende in der Gestalt des Staates, der „die reiche Gliederung des Sittlichen in sich“ ist und in dem „es die Vernunft ist, welche in der Tat in diesem Elemente sich zur Kraft und Gewalt“(36) verwirklicht. Der überhöhte ‚vernünftige’ Staatsgedanke Hegels war dem tatsächlichen Liberalismus unverträglich, da die Staatsräson zu Ungunsten des Einzelinteresses stark gemacht wird. Jedoch muss Hegel zu gute gehalten werden, dass es in seiner Philosophie sowohl eine funktionale Trennung von Individuum und Staat, Bürger und Rechtsprechung als auch das Besondere und den Widerspruch als notwendige Momente der Totalität gab – im Gegensatz zu den Philosophien Fichtes, Schellings und Herders, die jeweils auf ein abstraktes Allgemeines ohne störende Einflüsse hinaus wollten und die deutsche Nation als „höchste und reichste Einheit“ (Schelling) etablieren wollten. Diese Einheit wurde im Nationalsozialismus Wirklichkeit: der Volksstaat. In diesem verschmolzen die Bürger – sofern sie sich als Arier ausweisen konnten und wollten – zu einer Gemeinschaft und die Trennung zwischen Staat und Gemeinschaft wurde aufgehoben.
Der Wille zur homogenen Gemeinschaft prägte nicht nur die deutsche Philosophie, sondern verzerrte auch den Liberalismus und präformierte das politische Verhalten allgemein. Marx formulierte: „Wir [Deutschen, H.] haben nämlich die Restaurationen der modernen Völker geteilt, ohne deren Revolutionen zu teilen. (...) Der Hauptstock deutscher Moral und Ehrlichkeit, nicht nur der Individuen, sondern auch der Klassen, bildet vielmehr jener bescheidene Egoismus, welcher seine Beschränktheit geltend macht und gegen sich geltend machen lässt. Das Verhältnis der verschiedenen Sphären der deutschen Gesellschaft ist daher nicht dramatisch, sondern episch. (...) In Frankreich genügt es, dass einer etwas sei, damit er alles sein wolle. In Deutschland darf einer nichts sein, wenn er nicht auf alles verzichten soll.“(37) Ob es der aufgeklärte Absolutismus war, in dem die bürgerliche Gesellschaft und mit ihr die Aufklärung in verrückter Form unter Beibehaltung der ständischen Ordnung und Einführung eines modernen durchzentralisierten Bildungs-, Verwaltungs-, Militär- und Staatsapparates dem Volk und somit auch dem schwachen Bürgertum förmlich übergestülpt wurde, oder die Gründungen der deutschen Nation 1871 beziehungsweise der Weimarer Republik 1918/19 nicht ohne die alten Autoritäten vonstatten gingen;(38) immer versandeten Stände- und Klassenkonflikte im gemeinschaftlichen Konsens. Schon 1848 und 1871 war dem sowieso schon unterentwickelten deutschen liberalen Bürgertum der Stachel gezogen. Mit der Einführung des Konstitutionalismus und der Einigung der deutschen Nation kam der autoritäre Staat bei jeder Niederlage des liberalen Bürgertums diesem gleichzeitig ein gehöriges Stück entgegen. Ergebnis war die gehorsame Bindung des Bürgertums an den Staat. „Der erbitterte Hass gegen Bismarck schlug in Bewunderung und begeisterte Gläubigkeit um. (...) Das liberale Credo wurde bei der bedingungslosen Unterstützung teilweise bis zur Unkenntlichkeit verwischt und nahm in der öffentlichen Geltung irreparablen Schaden.“(39)
In der Wilhelminischen Epoche setzte sich die Tendenz fort; das Bürgertum „fand weitgehend in der Militärfrömmigkeit, Kaisergläubigkeit und materiellen Sattheit dieser Epoche einen Ersatz für die früheren Ideale.“(40) Der erste Weltkrieg wurde nicht nur bei den Intellektuellen, sondern durch alle Schichten hindurch als Aufstand der edlen, idealistischen und aristokratischen Kräfte Deutschlands gegen die Herrschaft der selbstzufriedenen, ungeistigen und materialistischen Feinde empfunden. In der Kriegseuphorie und im Burgfrieden machte sich der verstaatlichte Charakter der deutschen Nation ‚bezahlt‘, der nunmehr in der revolutionären Rhetorik der konservativen Kräfte über die Kriegsniederlage hinaus getragen wurde: „Deutscher Sozialismus“ (Moeller van den Bruck, Sombart), „Preußischer Sozialismus“ (Spengler), „Revolution von Rechts“ (Freyer), „Herrschaft des Arbeiters“ (E. Jünger), „Totaler Staat“ (C. Schmitt, Fortshoff), „wahrer Staat“ (Spann) – Kampftermini für eine straffe staatliche Organisation und ein kooperatives geordnetes Gemeinschaftsleben(41) und gegen die ‚anarchische Freiheit’ der westlichen Demokratien. Durchdrungen von verstaatlichtem Bewusstsein wagt kein Deutscher seine eigenen Interessen öffentlich auszusprechen oder gar durchzusetzen; der Staat existiert als Vermittlungsinstanz zwischen Einzelnem und Allgemeinem in Deutschland nicht äußerlich, sondern im Kopf der Bürger. Jedes eigene Interesse wird schon im Kopf zu Gunsten des Allgemeinwohls aufgerieben. Mit anderen Worten, nämlich denen von Walter Benjamin: „Das europäischste aller Güter, jene mehr oder minder deutliche Ironie, mit der das Leben des einzelnen disparat dem Dasein jeder Gemeinschaft zu verlaufen beansprucht, in die er verschlagen ist, ist den Deutschen gänzlich abhanden gekommen.“(42) Im NS war nicht nur die Bevölkerung verstaatlicht, sondern gleichzeitig der Staat in der Hand einer Volksbewegung. Diese Auflösung der Trennung ist im Charakter der deutschen Gemeinschaft allemal latent vorhanden. Dort, wo sich der Einzelne immer schon in die Gemeinschaft und den Staat einzufühlen versuchte, verschwindet die Trennung. Wo es keine Trennung mehr gibt, können nicht zwei Dinge sein. Der Staat hat seinerseits seit eh und je die Trennung von oben herab versucht zu überwinden, indem er sowohl das Bürgertum als auch die Arbeiterklasse bei aller Repression immer zugleich mit in sich eingeschlossen hat. Der deutsche Staat wollte von seinen Anfängen an weniger als Regulationsinstanz fungieren, in der die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft geregelt werden, sondern mehr als die Widerspruchsfreiheit an sich, als Allgemeines in Reinform. Der Dienst am Allgemeinen ist der Charakter barbarischer Krisenbewältigung, in der die antagonistische Gesellschaft nicht reproduziert, sondern als nichtantagonistische hergestellt werden soll, die dem Allgemeinen das Besondere austreiben will.
Indirekt liefert Sohn-Rethel Material zur Bestätigung der These, dass auch die deutsche Industrie unter dem Eindruck des Gemeinwohls ihre Interessenpolitik immer schon verstaatlicht arrangierte. An einer Stelle rutscht Sohn-Rethel eine Information in den Text, die eine Alternative zum deutschen Weg gewesen wäre und als solche die Endkrisen-Zwangsläufigkeit der deutschen Entwicklung in Frage stellen hätte müssen. Sohn-Rethel erwähnt beiläufig, dass die Amerikaner und Britten nicht zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sondern zu einer Abwertung ihrer Währung und Kreditexpansion als Mittel griffen, um einer Rezension entgegenzuwirken. Jene Gelder, die die Deutschen in die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen steckten, hätten also auch verwendet werden können, um der Industrie Kredite zur Investition in ihre Produktionsanlagen zu gewähren, was einer relativen statt einer absoluten Mehrwertproduktion zu Gute gekommen wäre. Nicht bei Sohn-Rethel, aber an anderer Stelle ist kurz und leider ohne weitere Ausführungen zu erfahren, dass Brüning eine Kreditexpansion als Krisenlösung vorgeschlagen hatte.(43)
Henry A. Turner, der getrost zu jenen positivistischen Historikern zu zählen ist, die eine personalistisch eingefärbte politische Ideengeschichte schreiben und damit zwar die Bewegungsgesetze der bürgerlichen Ökonomie nicht zu erfassen vermag, aber anders als Marxisten, denen unter G-W-G’ alles gleich wird, mehr über besondere Traditionen aussagen kann, liefert zu der Antwort Sohn-Rethels die nötige Zusatzinformation: „Die Kaiserzeit prägte die Mentalität der deutschen Großunternehmer (...). Während ihre Kollegen in den meisten anderen Ländern dem klassischen Liberalismus anhingen und jegliche staatliche Intervention in Wirtschaftsangelegenheiten mit Misstrauen betrachteten“ waren die deutschen Großunternehmer „an staatliche Hilfe vielfältiger Art gewöhnt“.(44) Es sei daran erinnert, dass Sohn-Rethel aufzeigt, dass Rüstungsnachfrage und Raubzug notwendige Ergebnisse der absoluten Mehrwertproduktion waren. Jedoch kann mit Turners Feststellung, dass der deutschen Industrie der Staat in den Knochen steckte, die ganze Geschichte mal andersherum, und zwar aus der Perspektive der staatlichen Nachfrage nach Rüstungsgütern und dem Plan zu einer autarken Ökonomie betrachtet werden. Dann ist die absolute Mehrwertproduktion ihrerseits Resultat einer staatlichen Planung, die unter dem Eindruck eines wahrhaften Liberalismus – also einer Apologie des freien Marktes – gar nicht möglich gewesen wäre.
Sohn-Rethels Schwachpunkt liegt darin, allen Handlungen der deutschen Industriellen ein rationales betriebswirtschaftliches Kalkül zu unterstellen. Selbst in den wenigen Ausführungen, die nicht über die Industrie, sondern über die Massenbasis reflektieren, kommt er nicht darüber hinaus, die Sympathie für den Faschismus aus den jeweiligen „Funktionen“ der Sympathisanten zu erklären. Dem Bürgertum kam laut Sohn-Rethel im Faschismus die Klassenfunktion zu, der eigenen Deklassierung vorzubeugen und seine „Herrschaftsstellung über das Proletariat zu sichern“.(45) Die Sympathisantengruppe „neue Intelligenz“ hatte laut Sohn-Rethel den „unverkennbaren Nazigestus“ aufgrund ihrer „spezifischen Funktion in der neuen Produktionsweise“, nämlich der „Führung und Überwachung“.(46) Um das Interesse der Nazis zu erklären, führt Sohn-Rethel den Begriff „Macht“ ein. Die Nazis wollten ihm zufolge wegen der Macht an die Macht. Um nicht ganz aus seinem Schema mit den beiden Variabeln Klasseninteresse und politische Macht herauszufallen, führt er diese Nullaussage ein. Damit erfasst Sohn-Rethel unfreiwillig ein wenig die Antirationalität des deutschen Faschismus. In Sohn-Rethels Weltbild, in dem die Menschen rational ihre Interessen mittels politischer Macht umsetzen, tauchen plötzlich – ohne dass er diesen Bruch reflektiert – die Nazis als Gruppe auf, die der Macht wegen an die Macht wollen.
Offenkundig jedoch stellt sich ihm die Frage nicht, „ob dem Handeln auch der Weimarer Bourgeoisie eine Denkform zugrundelag, die ihren Grund nicht in ihren unmittelbaren Interessen hatte, sondern sehr viel tiefer in der gesellschaftlichen Organisation verankert war...“.(47) Spätestens nach Auschwitz muss diese Frage gestellt werden, da die Vernichtung der Juden nicht durch unmittelbare Interessen erklärt werden kann und demzufolge der ganze deutsche Faschismus in Verdacht steht, nichts mit den unmittelbaren Interessen der Lohnarbeiter und Unternehmern gemein zu haben.

3.3. Der Antikapitalismus der deutschen Bourgeoisie

In der Schrift von Reupke, demjenigen Nationalsozialisten, der Hitler nahe stand und die Brücke zu den Schwerindustriellen durch seine politökonomischen Ausführungen schlug, finden sich Standpunkte, die normal denkende Industrielle von sich hätten weisen müssen. So behauptet Reupke, dass für die „kulturelle Krise“ in „erster Linie“ die „nicht assimilierbaren rassefremden Elemente, insbesondere die Juden“ verantwortlich seien(48) und dass es letztendlich darum gehe, den „großen wirtschaftlichen Programmpunkt (...) ‘Gemeinnutz vor Eigennutz’“ zu verwirklichen.(49) Es scheint also nur möglich, dass die deutschen Industriellen so wenig von ihrer Aufgabe – Profit zu erwirtschaften – und deren Anforderung an den Industriellen – Eigennutz – wussten, dass sie solchen politökonomischen Blödsinn glaubten und auch die ‚Zinsknechtschaft’ und die damit assoziierte ‚jüdische Gefahr’ brechen wollten. Der Nazi und Politökonom Reupke formuliert nämlich weiter: „Staat und Wirtschaft stehen in der Knechtschaft des internationalen und jüdischen Bank- und Finanzkapitals, dem sie durch den Zins tributpflichtig sind. Wie brechen wir diese Herrschaft? Offenbar am einfachsten dadurch, dass wir weder Zinsen zahlen noch Geldanleihen aufnehmen. (...) Die ganze Angelegenheit mag man dahin beurteilen, dass sie auf eine vernünftige Frage eine seit den Zeiten des Franzosen Proudhon, der schon 1840 die gleichen Ziele mit den gleichen Mitteln verfolgte, bis zur Gegenwart immer noch unvernünftig gebliebene Antworten erteilt.“(50) ... „Das vagierende Finanzkapital scheut das Risiko, sucht möglichst hohen Gewinn, ist unpersönlich und rücksichtslos und daher für eine geschwächte Industrie von außerordentlicher Gefährlichkeit. Wir erleben es in Deutschland täglich, dass nicht nur ein Unternehmen nach dem anderen, sondern eine Industrie nach der anderen unter die Herrschaft der Banken gerät, dass mit Hilfe der Obligation und des Kredits die absolute Herrschaft unternehmensfremder und uninteressierter Kreise über Tausende von Arbeitern und Angestellten und über oft ein Vielfaches an fixem Kapital ausgeübt wird.“(51) Weiter heißt es, dass es „zu den Aufgaben des nationalsozialistischen Staates gehören (wird), die Harmonie unter den Produzenten herbeizuführen, sie ihre gleichgerichteten Interessenlage erkennen zu lassen, und sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, für das Wohl der Allgemeinheit tätig zu sein“.(52) Diesen Mist sollen normal denkende Industrielle annehmen, statt davor Angst zu bekommen? Nein; aber vielleicht deutsch denkende Industrielle.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass der Liberalismus in Deutschland von jeher verkorkst war. Die Präformierung des Liberalismus durch Staatsräson und völkisch-nationale Identifikation wurde auch denjenigen Industriellen bescheinigt, die Hitler die größte Unterstützung gewährten. Schulze-Gaevernitz schrieb 1898 über die „Söhne des süd- und westdeutschen Bürgertums“: „Diese blicken verächtlich auf den Liberalismus der Väter herab und haben sich dem herrschenden Junkertum in der sittlichen und politischen Weltanschauung angepasst. ‚Realpolitiker’ nennen sich diese Fabrikfeudalen am Rhein, welche für eine Imponderabilie, die gesellschaftliche Aufnahme in die herrschende Klasse, die ihnen anvertrauten bürgerlichen Interessen verleugnen.“(53) Wenn diese Söhne ihre Väter und die anvertrauten bürgerlichen Interessen’ verraten haben, klingt das nach doppelt schwerwiegender deutscher Ideologie, beschrieb doch Marx schon 1845 die ‚deutschen Bürger’, die diejenigen gewesen sein müssten, deren bürgerliche Interessen verraten wurden, als deutsche Ideologen.
Marx schreibt(54) über den „deutschen Bürger“: „Er verleugnet den Reichtum, indem er ihn erstrebt. Er verkleidet sich ganz idealistisch den geistlosen Materialismus, und dann erst wagt er, nach ihm zu haschen. (...) Er scheut sich, von Konkurrenz zu sprechen, und spricht von einer nationalen Konföderation der nationalen Produktivkräfte, er scheut sich, von seinem Privatinteresse zu sprechen, und spricht von Nationalinteressen. Wenn man den offenherzigen, klassischen Zynismus betrachtet, womit die englische und französische Bourgeoisie (...) den Reichtum zum Gott erhob und ihn, diesem Moloch rücksichtslos alles (...) opferte, und wenn man dagegen die idealisierende, phrasenklaubende, bombastische Weise des Herrn List betrachtet, der mitten in der Ökonomie (...) höhere Zwecke kennt“, dann muss gefragt werden – Marx tat dies nicht –, inwiefern diese Ideologie in einer Krise der Kapitalakkumulation selbst Gewalt gegenüber den Bewegungen des kapitalistischen Reichtums ergreift. Marx hielt die Ideologie des ‚deutschen Bürgers’ nur für einen falschen Ausdruck einer bestehenden Sache, die sich naturwüchsig durchsetzt. In dem Text, der gegen die deutsche Bourgeoisie im allgemeinen und gegen Friedrich List im besonderen gerichtet ist, beurteilt Marx den ‚deutschen Bürger’ weiter als jemanden, der dem „deutschen Publici und seinem eigenen Gewissen“ beweisen muss, „dass er nicht den ungeistigen, materiellen Gütern nachjagt, sondern einem geistigen Wesen, der unendlichen Produktivkraft, statt dem endlichen Tauschwert.“ Bei Reupke heißt die „unendliche Produktivkraft“ knapp 100 Jahre später „schaffende Produktivität“. Doch Marx ist noch lange nicht am Ende mit seiner Tirade gegen die ‚deutschen Bürger’: „Der deutsche Bürger ist viel zu uneigennützig, um dabei an seinen Privatvorteil zu denken...“ Er muss beweisen, „dass es ihm nur um ein Harmonieren aller gesellschaftlichen Produktion zu tun ... ist.“ Bei Reupke hieß es: „Harmonie unter den Produzenten“. Immer noch hat Marx mit dem ‚deutschen Bürger’ nicht abgeschlossen: „Er bläht sich nach außen hin zur ‚Nation’ auf und sagt: ich unterwerfe mich nicht den Gesetzen der Konkurrenz, das ist gegen meine nationale Würde, ich bin als Nation ein über den Schacher erhabnes Wesen.“ Könnte Marx hier nicht genau so gut Hugenberg, Thyssen, Krupp und Co. beschrieben haben, jene ‚deutschen Bürger’ also, die als Industrielle maßgeblich an der Machtergreifung und weiteren Wirtschaftspolitik der Nazis Schuld hatten? Hatte Marx einen wesentlich besseren Riecher für deutsche Ideologie als der Marxist Sohn-Rethel, der den Industriellen nur Klasseninteressen und keine Ideologie unterstellt?
Doch was geschieht, wenn das eigene Interesse oder ein bestimmtes Moment der bürgerlichen Gesellschaft verleugnet wird? Es taucht im Anderen als Fixpunkt des Hasses wieder auf. Marx attestierte diese Verschiebungsleistung dem ‚deutschen Bürger’: „Weil seine eigene Theorie geheime Zwecke verbirgt, ahnt er überall geheime Zwecke. ... Wie ... der deutsche Bürger überhaupt seinem Feinde nicht besser entgegenzutreten weiß, als indem er ihm einen moralischen Makel anheftet, seine Gesinnung verdächtigt, nach schlechten Motiven für seine Handlung sucht, kurz, indem er ihn in üble Nachrede bringt und persönlich verdächtigt, ... so verschmäht es Herr List nicht ... Lügen zu ersinnen, um seine Konkurrenten (englische und französische Ökonomen) um den Kredit zu bringen.“ Schon bei List bekommen Freund und Feind gebührende Namen: Die freundliche „nationale politische Ökonomie“ beruht auf „produktiven Kräften“, die feindliche „kosmopolitische Ökonomie“ beruht auf den „Tauschwerten“. Hier die Produktion, da der Eigennutz. „Gemeinnutz statt Eigennutz“ hieß es später bei den Nazis.
Marx liefert in diesem Text auch noch seinen Beitrag zur Kritik am verstaatlichten Bewusstsein der ‚deutschen Bürger’. Es sei nochmals darin erinnert, dass in deutschen Gefilden niemals eine bürgerliche Revolution gelang, mit der das Bürgertum den Staat erkämpfte, sondern die bürgerliche Gesellschaft selbst durch den autoritären Staat von oben herab installiert wurde. Marx formuliert – etwas unübersichtlich; es handelt sich um ein Manuskript: Da der „deutsche Bürger“ nicht, „wie in England und Frankreich, den Staatswillen zu seiner Disposition hat und ihn daher nicht willkürlich nach seinem Willen lenken kann, sondern sich aufs Bitten legen muss, so muss er dem Staat, dessen Handlungsweise er nach seinen Interessen regeln will, er muss seine Forderungen an den Staat als eine Konzession darstellen, die er dem Staat macht, indem er Konzessionen von ihm verlangt, dass seine Theorie von allen andern dadurch unterscheidet, dass er dem Staat einen Eingriff und Reglung der Industrie erlaube, dass er von seiner ökonomischen Einsicht die allerhöchste Ansicht habe.... Sein Verlangen, dass der Staat seinem Interesse gemäß handle, stellt er als Anerkennung des Staats dar, dass der Staat das Recht habe, sich in die Welt der bürgerlichen Gesellschaft einzumischen.“
Marx schildert in den zitierten Stellen nichts anderes als die nationalökonomischen Ausgangsbedingungen des deutschen Faschismus. Erstens: Die ‚deutschen Bürger’ machen keine Revolutionen, sondern Konzessionen an den Staat. Zweitens: Der ‚deutsche Bürger’ verkennt den Eigennutz und den Reichtum als notwendige Durchgangsstadien der Kapitalakkumulation und drapiert den ganzen Prozess mit moralischen Begriffen, wie Harmonie, Produktion und Gemeinwohl. Drittens: Der ‚deutsche Bürger’ schwafelt von Nationalökonomie, statt sich sein egoistisches Interesse als Bourgeois einzugestehen. Viertens: Der ‚Deutsche Bürger’ unterstellt den anderen Bürgern (bei List: den Franzosen und Engländern, bei Reupke: dem jüdisches Banken- und Finanzkapital) den schmutzigen Eigennutz.
Marx geht nicht so weit, diesem deutschen Geschwafel irgendeine Rückwirkung auf die Wirklichkeit zu attestieren. In Zeiten der Krise der Kapitalakkumulation wurde jedoch mittels dieser deutschen Ideologie versucht, die Wirklichkeit zu richten. Manchmal kann die kommunistische Kritik über ihre Feinde von ihren Feinden lernen. Der nationalistische Antikapitalist Ferdinand Fried hat die Einheit von allgemeiner Krise und besonderem deutschen Willen als Grundlage des deutschen Faschismus erkannt. Er schrieb: Deutschland sucht neue Wege – „teils von der Entwicklung getrieben, teils aber auch aus freiem Entschluss.“(55)

3.4. Der autarkistische Wahn

Dass alle deutschen Industriellen die neuen Wege gingen, kann durch die Berichte Sohn-Rethels ausgeschlossen werden. Die meisten Bankrotteure aber griffen in Zeiten der Depression mehr oder weniger auf eben diese Ideologien von der feindlichen „kosmopolitischen Ökonomie“ zurück und sehnten sich so nach der „Harmonie der Produzenten“ – so wie auch die Antisemiten die ewige Harmonie erhofft hatten.
Die Gemeinsamkeit von Autarkiebestrebung und Antisemitismus besteht in dem Willen zu Ruhe und Ordnung durch die Ausschaltung von den als fremd, übermächtig und böswillig empfundenen ‚Elementen’. Beide Ideologien intendieren eine Rückbesinnung auf „sich selbst“. Während die Autarkie verspricht, vom internationalistischen Joch der Konkurrenz und des Finanzkapital befreit zu werden, verspricht der Antisemitismus, das gemeinschaftszersetzende Judentum loszuwerden. In beiden Fällen sind die Gegner Halluzinierte und die Taten gegen sie niemals ausreichend, weil das gewünschte Ergebnis – Ruhe und Ordnung; Meisterung der Krise – nicht eintritt. Was Horkheimer und Adorno über den Antisemiten schrieben – dieser müsse zur entscheidenden Tat immer erst noch aufrufen –, kann auch dem Bestreben nach Autarkie bescheinigt werden. Widerspruchslosigkeit und Sättigung müssen immer wieder neu anvisiert werden. Sohn-Rethel: „Es gibt keinen oberen Sättigungspunkt der faschistischen Konjunktur; sie schreitet bis an die Elastizitätsgrenzen der Produktion, die Grenzen der verfügbaren Materialien, Kapazitäten und Arbeitskräfte fort und kann auch an ihnen nicht halt machen.“(56) Der Anteil objektiver Dynamik war in der Bewegung der nationalsozialistischen Ökonomie sicher höher als im eliminatorischen Antisemitismus. Doch Ausgangspunkt und Katalysator der nationalsozialistischen Ökonomie ist eben die Ideologie von Autarkie und Homogenität, die sich beispielsweise in der Zusammenlegung der Ministerien für Wirtschaft und Landwirtschaft verwirklichen wollte. Während der Gedanke der Autarkie immer auf die totale Homogenität zielt, die ewige Barbarei, in der das Verschiedene keinen Platz mehr hat, ist seine Verwirklichung auf der Grundlage der antagonistischen Wertvergesellschaftung zugleich per se unmöglich oder nur im Tod zu haben.
Allen bürgerlichen Subjekten ist der Hang nach totaler Homogenität latent eigen,(57) weil die bürgerliche Gesellschaft und mit ihr die bürgerlichen Subjekte durch den Wert synthetisiert sind, der zwar nur durch seine Verdoppelung(58) hindurch existieren kann, aber gerade dadurch eine totale Vermittlung schafft, in der es notwendig ist, statt der Vielheit des Verschiedenen, den Widerspruch und die Widerspruchsfreiheit zu denken. Inwiefern das barbarische Potential in den bürgerlichen Subjekten aktuell wird, hängt einerseits davon ab, inwiefern die Kapitalakkumulation trotz ihrer antagonistischen Verfasstheit die Reproduktion der Subjekte ermöglicht, und andererseits davon, welche Ideologien sich dem bürgerlichen Subjekt anbieten; ob ihm z.B. durch deutschen Antikapitalismus denkmöglich wird, innerhalb einer homogenen Gemeinschaft in Widerspruchsfreiheit leben zu können, womit postwendend das Widersprüchliche im feindlichen Prinzip – dem „jüdischen Prinzip“ – externalisiert und bekämpft werden muss.
Das Ziel einer widerspruchsfreien ökonomischen Ordnung entstammt jener Tradition, die hauptsächlich auf List und Fichte zurückgeht, den Begründern der deutschen politischen Ökonomie. Fichte und List galten politisch als liberal, in dem Sinne, dass sie für politische Freiheiten eintraten. Doch bezüglich der Ökonomie waren sie antiliberal, wie sie in ihren politökonomischen Schriften – „Der geschlossene Handelsstaat“ (Fichte) und „Nationales System der politischen Ökonomie“ (List) – darlegen. In dieser eigenartigen Mischform zeigt sich der ganze deutsche Ungeist, der sich der bürgerlichen Gesellschaft bedient hat, ohne dabei aus der Frontstellung gegen sie herauszutreten. Die berühmteren deutschen Politökonomen der Zeit vor dem deutschen Faschismus – Sombart, Spann, Salin, Brinkmann, Sering, Dietze – haben diese deutsche Konzeption weiterverfolgt und entweder einen offenen staats- und gemeinschaftsfixierten Antikapitalismus gepredigt, oder zumindest eine an den Staat und die Landwirtschaft orientierte Marktwirtschaft vertreten. Sombart hat seinen Antikapitalismus zum Beispiel in der Wendung „fluchwürdiges Rentabilitätsprinzip“ geltend gemacht und Spann polemisierte gegen den „kalten Rechengeist“. Dieser Wille zur Unrentabilität sollte als Vorform der deutschen Antirationalität gelesen werden. Nicht dem „Kampf aller gegen alle“ (Fried), der „Herrschaft des Preises“ (Fried) und der „plan- und sinnlosen Wirtschaft“ (Sombart) wollten die deutschen Gesellschaftstheoretiker Tribut zollen, sondern der „transzendenten Welt“ (Sombart), dem Traum der deutschen Antisemiten und Autarkisten, der schließlich nichts anderes beinhaltete, als die homogene deutsche Gemeinschaft – gereinigt von den entfremdeten und feindlichen ‚Elementen’.

4. Die Kritik des Faschismus heute

Die Option bestimmter Kreise der deutschen Industrie für den deutschen Faschismus war nicht die einzigst mögliche innerhalb der Krise der Kapitalakkumulation, wie Sohn-Rethel darstellt, sondern eine besondere deutsche Option, die deutscher Ideologie entsprach und diese in Zeiten der Krise in ungewohnten Maßen zur Geltung brachte. Andere Optionen, die sich stärker an der Idee eines Wirtschaftsliberalismus orientierten, wurden beispielsweise in Großbritannien und den USA gewählt.
Dass Sohn-Rethel die Unterstützung des deutschen Faschismus nicht bei der Kapitalistenklasse überhaupt, sondern bei den schwächsten Gliedern der Industrie ansiedelt und darüber hinaus darstellt, dass die Industriellen zu Gunsten der Nazis an Einfluss auf andere und ihre eigenen Interessen verloren, ist die Stärke seiner Analyse und die notwendige Grundlage für eine ideologiekritische Auseinandersetzung. Die Anwendung Sohn-Rethels Analyse auf die Vergangenheit und die Gegenwart muss über sie hinaus gehen, da die bürgerliche Gesellschaft sich nirgends in reiner Form einstellt – welche Sohn-Rethel unterstellt – sondern immer durch bestehende Gesellschaften hindurch. Dass Ideologie sowohl in der Wirklichkeit fußt als auch über sie zu bestimmen vermag, hat der deutsche Faschismus bewiesen und ist entscheidender Gegenstand einer Kritik der Barbarei. Der Begriff der negativen Aufhebung versucht den Amoklauf der deutschen Ideologie zu fassen. Dieser Amoklauf, in dem die Ideologie es nicht bei ihren falschen Begriffen beließ, sondern die Welt gemäß den falschen Begriffen versuchte zu richten, ist weder eine dem Kapitalismus verschiedene und dem Monopolkapital adäquate Form der Vergesellschaftung noch eine Krisenform des Kapitalismus ohne neue Qualität. Sowohl Pollock als auch Sohn-Rethel mussten in ihren Analysen Unrecht behalten, da sie nicht den barbarischen Wahnsinn des deutschen Faschismus in den Blick bekamen, sondern rationale profitorientierte Interessen als Grund für den faschistischen Umschwung aufspüren wollten.
Kommunistische Kritik ist seit Auschwitz fortwährend in einer äußerst unangenehmen und schwer zu bewältigenden ‚Frontstellung’ festgesetzt. Einerseits muss sie weiterhin die bürgerliche Aufklärung zu überwinden versuchen, andererseits muss die Aufklärung gleichzeitig gegen ihre Gegenspielerin und schlechtere Hälfte – die Barbarei – verteidigt werden. Für eine kritische Theorie der Gegenwart, von der sich eine kommunistische und antifaschistische Praxis abzuleiten hätte, bedeutet das über diesen Text hinaus, sowohl die derzeitigen objektiven Abläufe des Kapitals(59) als auch die besonderen Denk- und Handlungsformen zu reflektieren. Es kommt darauf an, die barbarische Krisenbewältigung nicht im Nationalsozialismus zu fixieren und zu historisieren, sondern den Nationalsozialismus als historisch wahr gewordene Verkörperung der barbarischen Krisenbewältigung zu begreifen. Es zeichnet sich heute ab, dass das Bedürfnis nach homogener Gemeinschaft nicht mehr nach der rassenreinen Nation giert, da sowohl die Nation als bestimmte Verkehrsform des Kapitals als auch die Kategorie der Rasse zur Einteilung der Menschen bedeutungsloser werden und nur noch den dümmsten Provinznazi zu Schwärmereien anstiften. Auch Ideologie ist nicht ahistorisch, sondern bedient sich historischer Kategorien, indem sie den Wandel der objektiven Vergesellschaftung in sich reflektiert, so wenig ihr das auch bewusst ist. Da die objektive Vergesellschaftung einen Begriff vom Allgemeinen, von totaler Herrschaft über das Besondere immer provoziert, ist eine Ideologie, die alle Widersprüche austreiben will, indem sie die „saubere Gemeinschaft“ gegen den schmutzigen Eigennutz – das „jüdische Prinzip“ – in Stellung bringt, eine permanente Gefahr der Krisenbewältigung.(60) Auschwitz im Vergleich zur Vergangenheit und Gegenwart ist singulär. Das bedeutet einerseits keineswegs, dass die Zukunft Ähnliches ausschließt, und andererseits nicht, dass nationalsozialistische Ideologie – eine Voraussetzung für eine Massenvernichtung – nicht in ähnlichen Formen zu finden ist. Ohne zwischen den Zeilen lesen zu müssen, ist das Programm zur Vertreibung und Vernichtung der Juden in den Verlautbarungen von Hamas, Al Kaida und anderen(61) zu finden. Falsch ist es, Staat, Nation und Führer als notwendige Merkmale barbarischer Krisenbewältigung anzunehmen, vielmehr ist das ihre historische Gestalt gewesen. Wie diese Gestalt nicht als einzig mögliche Gestalt barbarischer Krisenbewältigung zu fixieren ist, so war sie auch nicht zufällig, sondern eignete ihr.

Hannes, Oktober 2003

Fußnoten

(1) Marx, Karl; Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte; in: MEW Bd. 8
(2) Schifrin, Alexander; Gegenrevolution in Europa; in: Die Gesellschaft 8, I, 1931; S. 5
(3) ders.; Gedankenschatz des Hakenkreuzes; in: Die Gesellschaft 8, I, 1931; S. 115 f.
(4) Jacobsen, A.; Der Faszismus; in: Die Internationale. Zeitschrift für Praxis und Theorie des Marxismus; 15.11. 1922; S. 301-304
(5) VIII. Parteitag der KPD in Leipzig (vom 28.1. bis 1.2. 1923)
(6) Thälmann, Ernst; Reden und Aufsätze. Bd.1. 1919-1928; Frankfurt a.M. 1972; S. 520
(7) Wenn hier der Vernichtungswahn der Nazis als ‚antirational’ gilt, dann soll er nicht der bürgerlichen Gesellschaft gänzlich entäußert, sondern zu jener Vernunft kontrastiert werden, die innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft für Denken und Handeln im Rahmen der Selbsterhaltung und des persönlichen Nutzens steht. Dan Diner spricht von einem Bruch, ohne dabei Auschwitz aus der „Janusköpfigkeit der Aufklärung“ herauszunehmen: „Sogar der auf bloße Selbsterhaltung gerichtete Verstand findet sich außer Kraft gesetzt; subjektive Vernunft ist annulliert. Mittels solchen Bruchs wird dem Bewusstsein jeglicher Bezug auf Kontinuität entzogen. (...) Mystifizierung ist (...) darin zu erkennen, wenn ein vermeintlich säkulares, ja, sich materialistisch dünkendes Verständnis vom Handeln der Nazis die Vernichtung in Kategorien entgrenzten egoistischen Interesses und ökonomischen Nutzens zu zwängen sucht.“ (Diner, Dan; Aufklärung nach Auschwitz; in: Jörn Rüssen u.a. [Hrsg.]; Die Zukunft der Aufklärung; Suhrkamp; S. 12-18; hier S. 13 f.)
(8) Sohn-Rethel wurde im September 1931 wissenschaftliche Hilfskraft im MWT (siehe Fußnote 12), da seine Eltern Kontakte zu Großindustriellen pflegten und er selbst Arbeit suchte. Er stellte dort Material zusammen, bereitete Statistiken auf und überarbeitete Artikel. Seine intellektuelle Aufgeschlossenheit gegenüber kommunistischen Gedanken und seine Freundschaft zu marxistischen Theoretikern musste er verbergen. In einem Brief an Walter Benjamin formulierte er 1936 über seine ehemalige Arbeitsstelle: „... ein Placement, das zwar meiner Gesinnung nicht entsprach, aber einen um so besseren Schutzschirm bedeutete, auch ein recht guter Ausblick auf das politische Geschehen (...)“. Während er in der ‚Höhle des Löwen’ arbeitete, begann Sohn-Rethel Kontakte zu sozialistischen Gruppen aufzunehmen, zuerst zum Roten Stoßtrupp und nach dessen Zerschlagung 1934 zur Untergrundgruppe Neu Beginn. Sein Engagement in diesen Gruppen blieb jedoch nicht verborgen. Sein Chef Hahn und andere MWTler informierten Sohn-Rethel über seine drohende Verhaftung und bewegten ihn zur Emigration, die ihn im Februar 1936 zuerst in die Schweiz und ein paar Monate später nach Frankreich verschlug. In Frankreich verschriftlichte er seine Erfahrungen aus dem MWT, um sie linken Kräften in Frankreich und den Gegnern der Apeacement-Politik in Großbritannien zukommen zu lassen. Die meisten Aufzeichnungen schickte er dem Journalisten Wickham Steed, dem ehemaligen Chefredakteur der Times und einflussreichem Freund Churchills, zur Veröffentlichung in der Times. 1938 sendete Sohn-Rethel eine Zusammenfassung seiner Analysen an Max Horkheimer, der sie an andere Intellektuelle im Exil weiterleitete. Das Institut für Sozialforschung verschaffte Sohn-Rethel ein Stipendium, das ihm in Großbritannien ein Forschungsjahr ermöglichte. Sohn-Rethel blieb nach dem Krieg vorerst als Französischlehrer in Großbritannien. Später wurde er DDR-Bürger und war dort unter parteitreuen Intellektuellen als kleinbürgerlicher Ultralinker oder Trotzkist abgestempelt. Seine theoretischen Arbeiten passten nicht als Beweisstück in die Agententheorie des Faschismus, die in der DDR die einzig gängige Lesart war. In der Bundesrepublik kam es erst Anfang der siebziger Jahre zu einer Veröffentlichung seiner Schriften, wohl auch weil Adorno explizit in der „Negative(n) Dialektik“ auf Sohn-Rethels Überlegungen zur Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit einging. In der BRD erhielt er – mittlerweile sehr betagt – schließlich auch eine Professur.
(9) Sohn-Rethel, Alfred; Industrie und Nationalsozialismus; Verlag Klaus Wagenbach; Berlin 1992; S. 144
(10) ebd., S. 155
(11) ebd., S. 40
(12) Der Mitteleuropäische Wirtschaftstag (MWT) bestand seit 1924 und sollte den deutsch-mitteleuropäischen Wirtschaftsgedanken fördern. Anfang 1931 trafen sich Vertreter der Ruhrindustrie zu einer Umgründung und Neustrukturierung des MWT, der von nun an wesentlich konkretere Pläne formulieren sollte.
(13) Sohn-Rethel, Alfred; Industrie und Nationalsozialismus; S. 71
(14) Spengler, Oswald; Preußentum und Sozialismus; München 1934; S. 97
(15) Marx, Karl; Das Kapital; MEW Bd. 23; S. 532
(16) ebd.
(17) Im Übrigen konstatierte Sohn-Rethel bezüglich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zwar den repressiven Charakter ihrer Umsetzung, nicht jedoch, dass die Arbeiter gleichzeitig einer Ideologie anheim fielen, die ihrer Mehrbelastung einen ‚Sinn’ verlieh: „Gemeinnutz vor Eigennutz“ hieß es bezüglich der deutschen Volksgemeinschaft in der Programmatik der Nazis. Zudem wurde die Ideologie durch handfesten Geist untermauert – erinnert sei nur an das gesamtdeutsche Arbeitskollektiv ‚Kraft durch Freude’, das unter anderem Aktivurlaub in den heimatlichen Gefilden bot. Die Verbindung von Unterstützung und Repression, von Zuckerbrot und Peitsche hatte spätestens seit Bismarck Tradition im deutschen Staat, als dieser gleichzeitig repressive Sozialistengesetze und eine freundliche Sozialpolitik initiierte. Der Klassenkampf oblag schon damals einer deutschen Sozialpartnerschaft, in der der Gemeinschaftsgedanke jeglichen individuellen Egoismus unterdrückte. So lobte der Historiker Hans Rothfels den ersten Reichskanzler Bismarck; dieser habe den Staat „im materiellen Dasein der Bürger verwurzeln wollen, und zwar ... so, dass die privaten Interessen mit den staatlichen verschmolzen und ihnen Rückhalt gaben, dass der staatliche Machtapperat gestützt und aufgelockert wurde durch genossenschaftlichen Zusammenschluss solidarischer Schichten“ (Rothfels, Hans; Bismarcks Staatsanschauung; 1925; S.XLIV). Oder ein anderer Historiker: „Alles dachte da sozial, was überhaupt dachte. Der Staat sah in den sozialen Aufgaben die schlechthin wichtigsten. (...) Ein Bollwerk gegen die Herrschaft des Kapitalismus.“ (Wahl, Adelbert; Deutsche Geschichte Bd.1; 1926; S. 588) Dass die nationalsozialistische Produktionsgemeinschaft nicht nur repressiv war, sondern zugleich Verwirklichung der deutschen Traumwelt, bezeugt die wehmütige Erinnerung vieler deutscher Omas und Opas an die Schaffung von genügend Arbeitsplätzen durch Hitler. Sechs Millionen Arbeitsplätze wurden geschaffen, wobei sich nun die 18 Millionen glücklich arbeitenden Deutschen in den Gesamtlohn der vormals 12 Millionen arbeitenden Deutschen reinzuteilen hatten. Der Lohn fiel teilweise noch unter jene Sozialleistung, die Arbeitslosen in der Weimarer Republik zustand. Die Schuld für die Deutschtümelei der Arbeiter ist in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, z.B. bei Ferdinand Lassalle zu suchen: „Die Mission Lassalles ... bestand darin, die zu selbstständigem Leben erwachenden Arbeitermassen ... in ein fruchtbares Verhältnis zum bestehenden Staat und seinen historisch gewordenen Gewalten zu bringen“ (Andreas, Willy; Der junge Lassalle; 1921/22; S. 177). Lassalles Politik hatte laut einem anderen Historiker zur Folge, „dass der Emanzipationskampf des deutschen Arbeiters fortan auf der Linie des nationalen Befreiungskampf zu marschieren haben werde“ (Oncken, Hermann; Lassalle. Eine politische Biographie; 1920; S. 514). Und noch ein anderer Historiker soll zu Wort kommen: „Das Leben des deutschen und preußischen Staates, dem sich Marx in der Ferne des manchesterlichen England mehr und mehr entfremdete, wurde von Lassalle mit heißen Pulsen miterlebt“ (Ritter; Gerhard; Ferdinand Lassalles geschichtliche Sendung; 1919; S. 14 f.). Dass es kein individuelles Zuckerschlecken im deutschen Faschismus geben wird, konnte jeder Arbeiter wissen und wurde letztendlich ertragen. Die Nazis haben die Massen nicht manipuliert, sondern ihre Ziele offen vorgetragen: „Der Arbeiter wird im ständischen nationalsozialistischen Staat zu Opfern bereit sein, weil es in diesem Staat nicht mehr darum geht, sich im selbstsüchtigen Streben das höchstmögliche Einkommen (...) zu sichern. Wo die Ideale wieder herrschen, wird der Arbeiter nicht der letzte sein, sich aus idealen Motiven zum Wohle des Ganzen Opfer aufzuerlegen. (...) Das bedeutet ... (den) Abbau übertriebener Fürsorgemaßnahmen, Verzicht auf politische Lohnforderungen. Auf der anderen Seite wird das Existenzminimum sichergestellt werden müssen.“ (Reupke, Hans; Der Nationalsozialismus und die Wirtschaft; Otto-Elsner-Verlagsgesellschaft; Berlin 1931; S. 46)
(18) Sohn-Rethel, Alfred; Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus. Aufzeichnungen und Analysen; Suhrkamp; Frankfurt a.M. 1973; S. 175
(19) Sohn-Rethel, Alfred; Industrie und Nationalsozialismus; S. 89
(20) Dahlmann, Manfred; Ideologie und NS-Staat, II. Teil; in: Bahamas Nr. 32; 2000; S. 52-57; hier: S. 55
(21) Sohn-Rethel, Alfred; Industrie und Nationalsozialismus; S. 144 f.
(22) ebd.; S. 145
(23) ebd.; S. 73 f.
(24) ebd. S. 47 f.
(25) ebd.; S. 137
(26) ebd.; S. 117
(27) Zugegebenermaßen hat der Vergleich zwischen den Krisentheorien und -praxen von damals (Sohn-Rethel) und heute (Krisis und Wertkritische Kommunisten Leipzig) neben der Stärke, die Fehler der Vergangenheit der Gegenwart zur Reflexion aufzudrängen, die Schwäche, vom konkreten Inhalt der jeweiligen Krisentheorien zu abstrahieren. Wiederum muss eingestanden werden, dass alle Gesellschaftskritik letztlich zwangsläufig darauf verwiesen ist, sich von der Gegenwart und den zukünftigen Entwicklungen der Vergesellschaftung ein Bild zu verschaffen, um nicht vom Weltlauf überrumpelt zu werden. Es kann also kein Argument sein, jegliche Aussagen über zukünftige Entwicklungen als unkritische Theorie abzutun.
(28) Wertkritische Kommunisten Leipzig; Das Spiel geht weiter oder Die Krise verschont niemanden; www.trend.partisan.net/trd0403/t730403
(29) Zum Glück hat er gegenüber seiner Krisentheorie zumindest so inkonsequent gedacht, dass er seine Darstellungen über die Entwicklungen in Deutschland denjenigen in Großbritannien zur Verfügung stellte, die Gegner der Apeacementpolitik waren (vgl. Fußnote 8).
(30) Vgl.: Starnberg; Der Niedergang des deutschen Kapitalismus; 1932; S. 85, S. 133, S. 139 u. S. 142
(31) Robert Kurz ist sich in seinem „Schwarzbuch des Kapitalismus“ mit sich selbst nicht so richtig einig. Einerseits schildert er die Besonderheit von Auschwitz: „Einzelne Elemente [sic!, H.] von Auschwitz und seiner ideologischen Vorbereitung gehören der allgemeinen Geschichte der Zweiten industriellen Revolution an und sind in allen Ländern zu finden. Aber weder in der Sowjetunion noch in der USA wurde der Judenmord jemals zum Staatsprogramm.“ Andererseits gelingt es ihm schließlich doch, Auschwitz in die allgemeine Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus einzubauen: „Die deutsche Version der Moderne, die kapitalistische Ökonomisierung der Gesellschaft mit einer antiökonomischen Blutsideologie durchzusetzen, wurde nun ... in den Begriffen einer ... ‚Revolution von rechts‘ gefasst.“ (Taschenbuchausgabe, 2001, S.565 f.) Oder anders: Einerseits: „Auch Auschwitz war eine fordistische Fabrik, genau wie ‚Volkswagen‘. ... Aber Auschwitz war eine negative Fabrik. Dort wurde nichts produziert, sondern ‚entsorgt‘.“ Anderseits (ein Lehrbeispiel, wie Sophisterei statt Dialektik betrieben wird): „Auschwitz und ‚Volkswagen‘ stehen in einem reziproken Verhältnis: Eine Welt der Massenproduktion erlöster fordistischer Gebrauchsgüter, der erlösten Massenmobilität und des erlösten Freizeitkonsums um den Preis des jüdischen Blutopfers...“ (S. 569 f.)
(32) Zu deren Aktualität, siehe: Mausebär; Manisch depressiv. Oberflächenbeben der Fundamentalkrise; in: CEE IEH #104
(33)Die Krisistheoretiker würden jetzt natürlich behaupten, dass genau jener Maßstab lebendige Arbeit ist, die dem Kapital ausgeht. Könnte das Kapital auf sich reflektieren und dann auch noch deutsch, würde es den Krisentheoretikern in seiner typischen polemischen Art und Weise eventuell antworten: „Schön, dass es mir zukünftig immer einfacher fallen wird, jene Arbeit zu besorgen, die ich benötige.“ Die Frage ist und bleibt: Wie reagieren die Menschen? Die gleiche Frage ausdifferenzierter: Richten sie sich pragmatisch ein? Gehen sie sich gegenseitig an die Gurgel? Gründen sie Assoziationen zur Elendsselbstverwaltung, in der die Angst als naturwüchsige Herrschaft statt dem Geld zur Arbeit treibt? Oder – da wäre ich gerne dabei – schaffen die Menschen das Kapital ab, ohne hinter es zurückzufallen – weder in personelle Herrschaftsformationen noch unter die Gewalt der Natur –; mit einem bewussten Tigersprung in das Reich der Freiheit?
Die Verlaufsform einer Krise theoretisch zu antizipieren, um eine entsprechende Praxis zu entwickeln, könnte also nur bedeuten, die Reaktionen der Menschen mit einzubeziehen. Und das können natürlich diejenigen besser, die auf die jeweiligen Ideologien reflektieren, die zeit- und ortsabhängig dem bürgerlichen Sein inhärieren, statt diejenigen, die völlig unergründlich in die Welt posaunen, alles ziehe sich auf einen Punkt zusammen.
(34) Ritter, Gerhard; Bismarcks Reichsgründung und die Aufgabe deutscher Zukunft; 1928; S. 14; zit. n.: Faulenbach, Bernd; Ideologie des deutschen Weges; Beck; München 1980
(35) Der revolutionäre Hegel kommt auch noch in der Phänomenologie des Geistes durch: „Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriff, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung. (...) Der Leichtsinn wie die Langweile, die im Bestehenden einreißen, die unbestimmte Ahnung eines Unbekannten sind Vorboten, dass etwas anderes im Anzuge ist. Dies allmähliche Zerbröckeln, das die Physiognomie des Ganzen nicht verändert, wird durch den Blitz, in einem Male das Gebilde der neuen Welt hingestellt.“ (Hegel, G. W. F.; Phänomenologie des Geistes; Felix Meiner Verlag; Hamburg 1952; S.15)
(36) Hegel, G.W.F.; Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse; Akademie-Verlag; Berlin 1981; S. 20 u. S. 17
(37) Marx, Karl; Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie; MEW Bd.1; S. 379 ff.
(38) Der rechte Historiker Feine formulierte die Ansicht, dass die deutschen Revolutionen von 1866, 1870 und 1933 dem deutschen Revolutionstypus entsprächen, der dadurch charakterisiert sei, dass die Umwälzung „nach Möglichkeit in gesetzlichen Bahnen ... unter Leitung eines berufenen Führers“ vollzogen werde, während die Revolution von 1918 eine „Revolution nach undeutschem, nach französischem Muster“ gewesen sei. (Feine, Hans Erich; Nationalsozialistischer Staatsumbau und deutsche Geschichte; 1933; S. 1.; zit. n.: Faulenbach, Bernd; Ideologie des deutschen Weges; Beck; München 1980)
(39) Hock, Wolfgang; Deutscher Antikapitalismus. Der ideologische Kampf gegen die freie Wirtschaft im Zeichen der großen Krise; Fritz Knapp Verlag; Frankfurt a.M. 1960; S. 18
(40) ebd.; S. 19
(41) Ernst Jünger beispielsweise entwarf in seiner Literatur eine durch den Staat bestimmte und durch Kollektivität geprägte Planwirtschaft (Die totale Mobilmachung, 1930 / Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, 1932)
(42) Benjamin, Walter; Reise durch die deutsche Inflation; in: ders.; Allegorien kultureller Erfahrung. Ausgewählte Schriften 1920-1940; Reclam jun.; Leipzig 1984; S. 18
(43) Hock; a.a.O.; S. 49
(44) Turner, Henry A.; Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers; Siedler Verlag; Berlin 1985; S.23
(45) Sohn-Rethel, Alfred; Industrie und Nationalsozialismus; S. 159 f.
(46) ebd.; S. 164 f.
(47) Dahlmann, Manfred; a.a.O.; S. 52
(48) Reupke, Hans; Der Nationalsozialismus und die Wirtschaft; Otto-Elsner-Verlagsgesellschaft; Berlin 1931; S. 13
(49) ebd.; S. 29
(50) ebd.; S. 30
(51) ebd.; S. 53
(52) ebd.; S. 20 (Ähnliches formuliert Reupke auf S. 38: „Der Nationalsozialismus will ... idealistisch sein ... und unter den Produzenten den Gedanken der Harmonie erwecken.“)
(53) zit. n.: Eyck; Erich; Bismarck. 3.Band; Zürich 1944; S. 299
(54) alle folgenden Zitate, wenn nicht anders ausgewiesen, aus einem Manuskript, das erstmals 1972 und m. W. bisher nie wieder veröffentlicht wurde: Marx, Karl; Über Friedrich Lists Buch „Das nationale System der politischen Ökonomie“; in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung; Band 14; Heft 3; 1972; S. 425-446
(55) Fried, Ferdinand; Die Zukunft des Außenhandels; Jena 1934; S. 20
(56) Sohn-Rethel, Alfred; Industrie und Nationalsozialismus; S. 151 f.
(57) Dahlmann; a.a.O.; S. 53
(58) z.B. Ware und Geld oder Arbeit und Kapital
(59) Ein Manko von uns antideutschen Kommunisten, über die objektive Bewegung des Kapitals entweder wenig zu wissen oder nichts mehr zu schreiben.
(60) zur aktuellen Gefahr barbarischer Krisenbewältigung sind zwei hervorragende Texte zu empfehlen: Krug, Uli; Mobilisierte Gesellschaft und Autoritärer Staat | Nachtmann, Clemens; Krisenbewältigung ohne Ende; beide Texte in: Grigat Stephan (Hg.); Transformation des Postnazismus; ca ira; Freiburg 2003
(61) Zur Eröffnung des Gipfeltreffens der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) im Oktober 2003 rief Mahathir (malaysischer Ministerpräsident) zum „Endsieg des Islams“ und zum Kampf gegen die Juden auf, die die Welt beherrschen würden: „Wir brauchen Gewehre und Raketen, Bomben und Militärflugzeuge, Panzer und Kriegsschiffe zu unserer Verteidigung. Aber weil wir entmutigt wurden, von der Wissenschaft und der Mathematik zu lernen, haben wir nicht die Möglichkeit, unsere Waffen für unsere Verteidigung herzustellen. (...) Die Europäer töteten 6 Millionen von 12 Millionen Juden, aber heute beherrschen die Juden die Welt durch Stellvertreter. Sie bringen die anderen dazu, für sie zu kämpfen und zu sterben. ... 1,3 Milliarden Muslims können nicht von ein paar Millionen Juden besiegt werden. Es muss eine Lösung geben. (...) Wir stehen einem Volk gegenüber, das denkt. Sie überlebten 2000 Jahre an Pogromen nicht dadurch, dass sie zurück schlugen, sondern dass sie nachdachten. Sie erfanden den Sozialismus, den Kommunismus, die Menschenrechte und die Demokratie, so dass die Verfolgung von ihnen falsch erscheinen musste, so dass sie die dieselben Rechte wie andere erhielten. Damit haben sie nun die Kontrolle in den mächtigsten Ländern erlangt und sind, als diese winzige Gemeinschaft, zu einer Weltmacht geworden.“



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last modified: 28.3.2007