Zeev Sternhell:
Die Entstehung der faschistischen IdeologieVon Sorel zu
MussoliniHamburger Edition: 1999, 410 Seiten, 68,- DM |
Wenn der Antirationalismus zu einem politischen Werkzeug wird, zu
einem Mittel für die Mobilisierung der Massen und zu einer Waffe gegen den
Liberalismus, den Marxismus und die Demokratie, wenn er mit einem starken
Kulturpessimismus, einem ausgeprägten Kult der Gewalt und der
aktivistischen Eliten einhergeht, dann führt er zwangsläufig zu
faschistischem Denken.(1) Dieser letzte Satz des Buches
ist sowohl Ausgangsbasis als auch Fazit der Analyse zur Entstehung des
Faschismus, die Zeev Sternhell und seine Mitarbeiter in Die Entstehung
der faschistischen Ideologie: Von Sorel zu Mussolini darstellen. Die
Arbeit beschäftigt sich vor allem mit der frühen Ideengeschichte des
Faschismus in Frankreich und Italien.
Die Ideologie des Faschismus wurde mit Beginn des 20. Jahrhunderts geboren. In
Frankreich kann der revolutionäre Revisionismus Georges Sorels als
Grundstein dieser Ideologie betrachtet werden. Blieb er in Frankreich eher
theoretisch verwurzelt, fand er in Italien das geistige, politische und
revolutionäre Potential, sich praktisch durchzusetzen. Sternhell und seine
Mitarbeiter untersuchen in einem ersten Teil die Philosophie Sorels und die
Auswirkungen dieser auf die Intellektuellen in Frankreich. Der zweite Teil des
Buches widmet sich der Rezeption des Sorelianismus in Italien und seinen
Folgen. Dabei spielt die Entwicklung des revolutionären Syndikalismus eine
bedeutende Rolle. Bevor Sternhell sich jedoch dem eigentlichen Prozeß der
Faschismusentstehung zuwendet, betont er deutlich, daß der Faschismus
keineswegs mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt werden kann.
Gewiß, beide Ideologien, beide Bewegungen und beide Regime besitzen
Gemeinsamkeiten, sie weisen Berührungspunkte und Überschneidungen
auf, aber sie unterscheiden sich in einer fundamentalen Frage: Die Grundlage
des deutschen Nationalsozialismus war der biologische Determinismus, der
Rassismus in seiner extremsten Ausprägung, und die Vernichtung der
Juden.(2)
Philosophisch gesehen bedeutete der Faschismus eine Absage an den Marxismus
sowie Liberalismus, ideologisch und politisch entstand er aus der Synthese
eines kulturellen Nationalismus und der Marxismusrevision Sorels sowie seinen
Anhängern in Frankreich und Italien. Über die Gewalt ist
Sorels grundlegendes Werk, das zu einem Umsturz im marxistischen Denken jener
Zeit führte. Darin entwickelte er eine Mythentheorie, die zur eigentlichen
Grundlage der Marxismusrevision wurde. Sie besaß zwei charakteristische
Dimensionen: Einerseits war sie eine neue Art des Denkens, andererseits
strebte sie eine neue Art des politischen Denkens an. Das mythische Denken ist
das Gegenteil des reflektierenden und diskursiven Denkens, es handelt sich um
eine religiöse Mentalität, die gegen die rationalistische
aufbegehrt.(3) Für die Sorelianer bedeutete Marxismus
Krieg, revolutionäres Handeln. Für Sorel war der Streik eine
Erscheinung des Krieges, die soziale Revolution eine Erweiterung dieses
Krieges. Er zelebrierte die Gewaltanwendung, um den Materialismus, den
Liberalismus, die verderbte Demokratie und den unterwürfigen
parlamentarischen Sozialismus zu beseitigen. Wesentliche Konstante im Denken
Sorels war der Haß auf die bürgerlichen Werte und Gesinnungen. Zum
Marxismus war er gekommen, weil ihn die Gründe beschäftigten, die zum
Untergang einer Kultur führen.
Mit der Vereinigung von Sorelianismus und Nationalismus, deren
zusammenschweißendes Element u.a. der Antisemitismus darstellte,
entwickelte sich eine Ideologie, die sowohl von Rechten als auch Linken zur
Bekämpfung der bestehenden Verhältnisse begrüßt wurde.
Sternhell interessiert nicht der Faschismus an der Macht, sondern er schreibt
eine Geschichte des Faschismus, mit deren Hilfe er seine Faschismustheorie
entwickelt. Er beleuchtet in seiner Darstellung die ideologischen Bindeglieder,
die durch ihr Zusammenfinden die spätere Synthese erst ermöglichten.
Besonders deutlich wird das Zusammenwirken dieser einzelnen Bindeglieder im
Falle der Untersuchung zur Person Mussolini. Hervorgehoben wird vor allem die
Bedeutung der Intellektuellen in Italien, die von der futuristischen
Ästhetik des Faschismus begeistert waren. Der
ursprüngliche Faschismus war ausgesprochen modernistisch, seine
futuristische Ästhetik schlug die Phantasie einer ganzen
Intellektuellengeneration in ihren Bann. Der Modernismus stellte einen
wichtigen Grund für die Anziehungskraft dar, welche die Bewegung auf die
Jugend ausübte, die sich in der bürgerlichen Welt
außerordentlich beengt fühlte.(4)
Sternhell arbeitet die Bedeutung des antibürgerlichen Denkens heraus und
betont, daß man sich stets die enorme Differenz vor Augen halten
(muß), die zwischen der Vorgehensweise besteht, welche dem irrationalen
Faktor im menschlichen Verhalten Rechnung trägt, den engstirnigen und
primären Materialismus sowie den seichten und oft lähmenden
Positivismus ablehnt, und einer rein antirationalistischen
Methode.(5)
Trotz der Beschränkung Sternhells auf eine reine Ideologiekritik bzw.
Theoriegeschichte, liefert sein Buch einen wichtigen Beitrag zur vergleichenden
Faschismusforschung und darf in dieser Funktion nicht übersehen werden.
In Deutschland wurden Sternhells frühere Arbeiten zur Faschismusideologie
schlichtweg ignoriert. So ist zwar die deutsche Übersetzung der
Entstehung der faschistischen Ideologie, die durch die Hamburger
Edition realisiert wurde, zu begrüßen, gleichzeitig soll aber darauf
hingewiesen werden, daß der Verlag eine Übersetzerin, Cornelia
Langendorf, wählte, die sonst häufig für rechte Verlage
arbeitet.(6) Das mag manche fragwürdige Formulierung der
deutschen Fassung erklären. Es kann deshalb nur nützlich sein, bei
der einen oder anderen Irritation, das Original zu befragen.
Anne
Fußnoten
(1)Sternhell, Zeev: Die Entstehung der faschistischen
Ideologie, S. 317
(2)Ebenda, S. 15
(3)Ebenda, S. 80
(4)Ebenda, S. 313
(5)Ebenda, S. 317
(6)Vgl. Cremet, Jean: Die Kultur des Faschismus, in: Jungle
World, 12. Januar 2000
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